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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.08.2004
Aktenzeichen: 1 StR 199/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 218
StPO § 258 Abs. 2 Halbs. 2
StPO § 258 Abs. 3
StPO § 274 Abs. 1
StGB § 64
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 199/04

vom 23. August 2004

in der Strafsache

gegen

wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2004 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 15. Dezember 2003 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat auf Rechtsmittel verzichtet. Mit seiner Revision beanstandet er die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts, erhebt zwei Verfahrensrügen, mit denen er die Verletzung von § 218 StPO sowie § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 StPO rügt, und macht die allgemeine Sachrüge geltend. Die Revision ist zulässig und hat mit den Verfahrensrügen im Strafausspruch Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Die Überprüfung des Schuldspruchs auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).

II. Der Verurteilung liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

Der Angeklagte wurde nach der zweiten Tat festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt. Bei der Vorführung war der von ihm gewählte Verteidiger Rechtsanwalt L. anwesend. Er war auch bei weiteren polizeilichen Vernehmungen zugegen, in denen der Angeklagte voll geständig war. Schließlich zeigte er seine Beauftragung unter Beifügung einer Vollmachtsurkunde der Staatsanwaltschaft schriftlich an und bat um Akteneinsicht. In der Anklageschrift wird Rechtsanwalt H. als Wahlverteidiger aufgeführt, Rechtsanwalt L. nicht. Letzterer erhielt weder die Anklageschrift, den Eröffnungsbeschluß noch eine Terminsladung. Zu der eintägigen Hauptverhandlung erschien Rechtsanwalt H. . Während einer Unterbrechung fanden ohne den Angeklagten Gespräche über den weiteren Prozeßverlauf zwischen dem Staatsanwalt, dem anwesenden Wahlverteidiger und der Strafkammer statt. Danach beantragten der Staatsanwalt und der Verteidiger die abgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten, worüber der Angeklagte zuvor von seinem Verteidiger informiert worden war. Ein letztes Wort erhielt er nicht. Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung erklärten der Angeklagte, der anwesende Verteidiger und der Staatsanwalt Rechtsmittelverzicht.

III. Der erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten (§ 302 Abs. 1 StPO) ist wegen der Art und Weise seines Zustandekommens unwirksam. Die Verteidigungsrechte wurden hier unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles unzulässig beschränkt. Die Abwesenheit des gewählten Verteidigers Rechtsanwalt L. in der Hauptverhandlung hat die Justiz zu vertreten. Das Gericht hat die erforderliche Ladung nach § 218 StPO unterlassen. Der sachbearbeitende Staatsanwalt war Sitzungsvertreter und hat sich nach seiner dienstlichen Äußerung gewundert, daß Rechtsanwalt L. nicht erschienen war, wirkte aber auch auf eine Klärung nicht hin. Der Angeklagte hat Anspruch darauf, sich mit seinen gewählten Verteidigern vor Erklärung eines Rechtsmittelverzichts zu beraten (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 9 m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn er von zwei Verteidigern vertreten wird und einer in der Hauptverhandlung anwesend ist, aber der abwesende im Ermittlungsverfahren umfassend tätig geworden ist. Die Beratung mit diesem Verteidiger hat das Gericht durch die fehlende Ladung unterbunden.

Der Angeklagte hat auf dieses Beratungsrecht auch nicht konkludent verzichtet - etwa durch rügelose Einlassung oder Unterlassen eines Aussetzungsantrages -. Denn ein solcher Verzicht würde die Kenntnis des Angeklagten voraussetzen, daß der abwesende Verteidiger nicht geladen wurde. Dafür gibt es keine Anzeichen. Aus demselben Grunde kann auch nicht davon ausgegangen werden, die Aufgaben von Rechtsanwalt L. seien nach dem Willen des Angeklagten vom anwesenden Rechtsanwalt H. mit übernommen worden (vgl. BGHR StPO § 218 Ladung 1).

Ein bindender Rechtsmittelverzicht liegt damit nicht vor. Für dessen Unwirksamkeit kommt es hier auf die Absprache weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht an.

IV. Die gerügten Verfahrensverstöße gegen § 218 StPO und § 258 Abs. 2 Halbs. 2, Abs. 3 StPO sind gegeben.

Es ist nicht auszuschließen, daß das Landgericht bei Mitwirkung von Rechtsanwalt L. im Rechtsfolgenausspruch zu einem anderen, für den Angeklagten günstigeren Ergebnis gelangt wäre, wenn auch der Gesamtstrafenausspruch sehr milde ausgefallen ist (vgl. BGHSt 36, 259). Das gilt auch dann, wenn nur einer von mehreren Verteidigern nicht geladen wurde (BGH NStZ 1995, 298).

Das letzte Wort des Angeklagten, das zu den wesentlichen Förmlichkeiten im Sinne von § 274 Abs. 1 StPO gehört, ist im Protokoll nicht enthalten. Das Urteil kann darauf beruhen (BGHR StPO § 258 Abs. 3 letztes Wort 1).

Da der Angeklagte die Taten sowohl bei der Polizei als auch in der Hauptverhandlung eingeräumt hat (UA S. 6 und 9), bleibt der Schuldspruch von beiden Verfahrensverstößen unberührt. Insoweit kann das Beruhen ausgeschlossen und der Schuldspruch aufrechterhalten werden (BGH NStZ 99, 426).

Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, einen Hang i.S.v. § 64 StGB zu klären (§ 358 Abs. 2 StPO).

Ende der Entscheidung

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