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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 05.11.2002
Aktenzeichen: 1 StR 206/02
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 154 Abs. 2
StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 206/02

vom

5. November 2002

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. November 2002 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19. Dezember 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen in zwölf Fällen, sowie wegen weiterer acht Fälle des sexuellen Mißbrauchs einer Schutzbefohlenen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in weiteren zehn Fällen hat es ihn aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen die Verurteilung. Er macht das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung geltend. Außerdem erhebt er eine Verfahrensrüge sowie die Sachrüge.

I.

Entgegen der Ansicht der Revision besteht in den sechs Fällen der Verurteilung wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen mit den Tatzeiten 8. Oktober 1993, 30. Mai, 6. Juni, 13. Juni, 20. Juni und 27. Juni 1994 kein Verfahrenshindernis. Auch insoweit lag eine wirksame Anklage vor. Die zugelassene Anklageschrift erfaßte in dem hier relevanten Anklagepunkt (Ziff. 1 - 32) 32 Vorfälle im Zeitraum vom 30. September 1993 bis zum 30. Juni 1994, die sich jeweils im Zusammenhang mit dem Klavierunterricht ereignet hatten. Das entnimmt der Senat dem Anklagesatz, der lautet: "Zwischen dem 30.09.1993 und dem 30.06.1994 streichelte der Angeklagte die Geschädigte - die wegen des Klavierunterrichts bei ihm war - in 32 Fällen über deren Kleidung am Rücken, an der Brust und an der Schulter". Die aufgrund der früheren Annahme der Geschädigten, der Unterricht habe jeweils Donnerstags stattgefunden, erfolgte weitere Angabe der einzelnen Daten diente erkennbar lediglich der näheren Konkretisierung ("So geschah dies am ..."). Sie ändert nichts daran, daß dem Angeklagten im gesamten Zeitraum insgesamt 32 Fälle, jeweils anläßlich des Klavierunterrichts, zur Last lagen. Bei dieser Sachlage ist klargestellt, daß sich die in der Hauptverhandlung erfolgte Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO auf sämtliche weiteren 20 Fälle bezog, deretwegen keine Verurteilung erfolgte.

II.

Die Revision hat mit der Sachrüge Erfolg, so daß es auf die Verfahrensrüge nicht mehr ankommt.

Die Verurteilung des Angeklagten hat keinen Bestand, weil sie auf einer rechtsfehlerhaften Beweiswürdigung beruht. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Die revisionsrechtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m.w.Nachw.). Hier erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft.

Die Jugendschutzkammer stützt die Verurteilung in den Fällen 1 - 12 der Urteilsgründe (geschehen während des Klavierunterrichts) auf die Angaben der Geschädigten H. . Insofern hatte der Angeklagte allgemeine Liebkosungen - auch über der bekleideten Brust - eingeräumt, die Tatvorwürfe im übrigen aber bestritten (UA S.19). Die Verurteilung hinsichtlich dieses Tatkomplexes entsprach dem von Ziff. 1 - 32 der Anklageschrift erfaßten Geschehen im Zeitraum vom 30. September 1993 bis zum 30. Juni 1994. Über dieses hinausgehend hat die Strafkammer jedoch ein Streicheln und Küssen der kindlichen Brust unter dem T-Shirt der Zeugin festgestellt.

Eine solche Art der Tatausführung war dem Angeklagten für den darauffolgenden Zeitraum zwischen dem 3. August 1994 und 31. Dezember 1994 zur Last gelegt worden (Ziff. 33 - 42 der Anklageschrift). Insoweit hat die Strafkammer den Angeklagten freigesprochen, weil die H. in der Hauptverhandlung aufgrund des Zeitablaufes nicht mehr sicher anzugeben vermochte, ob diese Handlungen im genannten Zeitraum oder erst geraume Zeit später stattgefunden hätten.

Bei dieser Sachlage hätte es näherer Erörterung bedurft, weshalb die Kammer aufgrund der Angaben der Zeugin die Feststellungen zum vorangegangenen Tatzeitraum (Ziffern 1 - 12 der Urteilsgründe), die noch länger zurücklagen, hinreichend sicher treffen konnte. Insofern ist die Beweiswürdigung lückenhaft. Dies gilt namentlich deshalb, weil die zugelassene Anklage auf den Angaben der Zeugin aufbaute, für diesen Zeitraum dort aber lediglich Liebkosungen über der Kleidung aufgeführt sind. Die nun von der Kammer getroffenen Feststellungen beruhen mithin auf einer abweichenden Darstellung durch die Zeugin in der Hauptverhandlung. Diese Aussageerweiterung hätte der Erörterung bedurft, und sie ist zudem mit der Annahme (UA S. 21) nicht vereinbar, die Zeugin habe ihre früheren Angaben gegenüber ihren Eltern und bei der Polizei zuletzt in der Hauptverhandlung konstant wiederholt.

Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des gesamten Urteils. Da es sich bei der Zeugin H. um die Hauptbelastungszeugin auch hinsichtlich der übrigen Tatvorwürfe handelt, kann der Senat nicht ausschließen, daß sich der Rechtsfehler auch auf die Feststellungen im übrigen auswirkt.

Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, die Verjährungsfragen in den Fällen 1 - 12 wegen des Vorwurfs der tateinheitlichen Verwirklichung von § 174 Abs.1 Nr.1 StGB sowie das Bestehen eines Obhutsverhältnisses im Sinne dieser Vorschrift hinsichlich der übrigen Fälle näher zu prüfen.

Ende der Entscheidung

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