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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 05.11.2002
Aktenzeichen: 1 StR 247/02
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 211 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 247/02

vom

5. November 2002

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. November 2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 7. Februar 2002 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Dem zur Tatzeit achtzehn Jahre und zehn Monate alten Angeklagten liegt zur Last, im Zustand nicht ausschließbar verminderter Steuerungsfähigkeit aus menschenverachtender Gesinnung den ihm nicht näher bekannten J. S. durch mehrere heftige Schläge mit dem beschuhten Fuß und mindestens einem Sprung mit beiden beschuhten Füßen auf den Brustkorb getötet zu haben. Diese Tat hat das Landgericht als Mord aus niedrigen Beweggründen bewertet. Darüber hinaus wurde der Angeklagte wegen einer zuvor verübten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil desselben Opfers und wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zum Nachteil eines anderen Opfers unter Einbeziehung einer früheren Jugendstrafe zur Einheitsjugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Es hat den Angeklagten in einer Entziehungsanstalt untergebracht und angeordnet, daß drei Jahre der Jugendstrafe vorweg vollzogen werden. Die Revision beanstandet mit ihrer Sachrüge insbesondere, das Landgericht habe die subjektiven Voraussetzungen des Handelns des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen nicht ausreichend erörtert und damit das Mordmerkmal nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

1. Zu den Taten zum Nachteil des Tatopfers J. S. ist festgestellt: Der Angeklagte verbrachte mit seinen früheren Mitangeklagten Sch. und A. Z. den Nachmittag an einem Badeweiher. Dabei tranken sie bereits mehrere Flaschen Bier. Am Abend besuchten sie gemeinsam den Bekannten des Sch. , M. , in dessen Wohnung. Die dort anwesenden Personen, zu denen auch das spätere Tatopfer J. S. gehörte, waren deutlich angetrunken. Der Angeklagte trank in der Wohnung in nicht näher feststellbarem Umfang weiter Bier. J. S. , den der Wohnungsinhaber M. als seinen "Neger" bezeichnete, wurde von diesem zum Zigarettenholen geschickt und kam ohne Geld und Zigaretten zurück. Er wurde von M. beschuldigt, das Geld für sich behalten zu haben, und deshalb von M. mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Anschließend bot M. das spätere Tatopfer dem Mitangeklagten Sch. zum "Kauf" an, der mit Handschlag besiegelt wurde. S. wurde von den Anwesenden gehänselt, durch Sch. wurden ihm die Finger umgebogen. Als J. S. auf die Toilette ging, folgte ihm der Angeklagte und schlug ihm in Verletzungsabsicht mit der Faust aufs Auge. S. erlitt dadurch eine blutende Platzwunde an der linken Augenbraue. Der Mitangeklagte Sch. folgte dem Angeklagten und S. auf die Toilette und schlug mit dem beschuhten Fuß gezielt gegen die blutende Wunde. Nachdem alle drei in den Wohnraum zurückgekehrt waren, versorgte Sch. die Wunde des S. , indem er versuchte, die Blutung mit Toilettenpapier zu stillen. Er saß S. hierbei gegenüber und versetzte ihm unvermittelt noch einen gezielten Kopfstoß gegen die offene Wunde. Anschließend ohrfeigten die Angeklagten P. und Sch. das Tatopfer noch einmal, so daß das Blut umherspritzte.

Als die Angeklagten sich etwa eine Stunde später zwischen 1.00 Uhr und 2.00 Uhr zum Gehen anschickten, wurden sie vom Wohnungsinhaber M. aufgefordert, ihren "Dreck", womit S. gemeint war, mitzunehmen. S. wurde daraufhin von Sch. und P. aus der Wohnung geführt und auf nicht näher aufklärbare Weise über die Treppen zur Haustür verbracht. Dort packte Sch. den Geschädigten unter den Armen und schleifte ihn nach draußen zu einer neben dem Anwesen gelegenen Grünfläche. Eine Absprache, was jetzt mit dem völlig teilnahmslosen möglicherweise bereits bewußtlosen S. geschehen sollte, bestand nicht. Der Angeklagte begann dann mit Wissen und Wollen der beiden anderen Mitangeklagten, auf den wehrlos auf dem Rücken am Boden liegenden J. S. mit dem beschuhten Fuß einzutreten. Der Mitangeklagte Sch. stand hierbei neben dem Angeklagten und forderte ihn lediglich auf, nicht gegen den Kopf zu treten. Plötzlich und für die Mitangeklagten Sch. und Z. überraschend und von ihrem Einverständnis nicht mehr umfaßt, begann der Angeklagte besonders heftig auf J. S. einzutreten und sprang schließlich mindestens einmal mit beiden beschuhten Füßen auf den Brustkorb des am Boden liegenden J. S. . Dabei nahm der Angeklagte zumindest billigend in Kauf, daß S. durch die heftigen Tritte und die Sprungeinwirkung zu Tode kam. Nachdem der Angeklagte immer heftiger auf J. S. eingetreten hatte, forderte ihn die Mitangeklagte Z. zweimal, zuletzt mit den Worten: "Hör auf, Du bist ja ein Psycho", zum Aufhören auf und erhielt vom Angeklagten zur Antwort, sie solle sich "verpissen". Das Tatopfer J. S. erhielt durch die heftigen Tritte des Angeklagten und das Springen auf den Brustkorb mehrreihige Rippenserienbrüche und einen Querbruch des Brustbeins. Die Zertrümmerung des Brustkorbes führte zu einer mechanischen Atembehinderung und zum Tod durch Ersticken. Nachdem der Angeklagte von S. abgelassen hatte, zogen entweder er oder Sch. dem Opfer die Hose bis zu den Knien herunter und zündeten die Schamhaare und ein Ohr an. Von den Angeklagten durchgeführte Wiederbelebungsversuche waren erfolglos. S. wurde von Sch. auf den Rücksitz seines herbeigeholten Pkw gesetzt und alle drei Mitangeklagten fuhren anschließend mit dem toten S. zur Donau. Der Angeklagte und Sch. holten die Leiche aus dem Auto und zogen sie zum Ufer. Dort nahm der Angeklagte einen ca. 30 x 20 cm großen Stein und ließ ihn aus Brusthöhe auf den Kopf des Toten fallen. Danach verbrachten der Angeklagte und Sch. die Leiche in die Donau und sahen zu, wie sie abgetrieben wurde. Als Beweggründe für die Tat hat die Jugendkammer nach der Einlassung des Angeklagten Aggression und sinnlose Wut über den "lästigen Ballast" und eine menschenverachtende Gesinnung festgestellt.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die - sachverständig beratene - Jugendkammer folgende Feststellungen getroffen: Die Entwicklung des Angeklagten war bei ohnehin ungünstigen Bedingungen (Vater unbekannt, Mutter höhergradiger Alkoholkonsum, häufiger Wechsel von Bezugspersonen von früher Kindheit an) bis zur Tat wesentlich durch eine hyperkinetische Störung beeinflußt, die zu erhöhter Impulsivität und Aggressivität, sowie zu mangelhafter Kritik- und Urteilsfähigkeit geführt hat. Die genannte Störung war ein wesentlicher Faktor für das Motivationsgefüge im gesamten biographischen Kontext, nicht jedoch für die vorgeworfene Tat (UA S. 42). Dagegen führte die Alkoholisierung des trinkgewohnten Angeklagten "auf dem Boden der Grundpersönlichkeit mit der hyperkinetischen Störung" im gesamten Tatzeitraum - bei vorhandener Unrechtseinsichtsfähigkeit - zu "einer gewissen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit, weil sich die erhöhte Impulsivität und Kritikschwäche gegenseitig verstärkt" hätten (UA S. 44).

2. Die Verurteilung wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen hält rechtlicher Prüfung stand.

a) Die Beurteilung der Frage, ob Beweggründe zur Tat "niedrig" sind, also nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe stehen und in deutlich weiter reichendem Maße als bei einem Totschlag als verwerflich und deshalb als besonders verachtenswert erscheinen, hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren zu erfolgen (vgl. BGHSt 35, 116, 127; BGH StV 1996, 211, 212; st. Rspr.). Dabei ist die Jugendkammer bei der Annahme von niedrigen Beweggründen von einem zutreffenden Maßstab (vgl. Maatz/Wahl in FS 50 Jahre Bundesgerichtshof S. 531, 551) ausgegangen. Sie hat in ihre Bewertung mit Recht das Geschehen in der Wohnung einbezogen. Dort hatte der Angeklagte dem Tatopfer bereits eine blutende Kopfplatzwunde beigebracht und nicht unwesentlich dazu beigetragen, daß das Tatopfer aufgrund von körperlichen Mißhandlungen in einen hilflosen, möglicherweise bewußtlosen Zustand geriet. Als J. S. auf Veranlassung des Wohnungsinhabers als "wegzuschaffender Dreck" mitgenommen werden mußte, trat der Angeklagte zunehmend heftiger auf ihn ein. Versuche, ihn zu stoppen, führten eher zu einer Steigerung seiner Aggressivität, für die keinerlei Anlaß bestand, außer daß S. in seinem durch die Alkoholisierung und die Mißhandlungen bedingten Zustand eine gewisse Belastung für ihn und die beiden Mitangeklagten darstellte. Bei den mit großer Brutalität und Aggressivität geführten Schlägen mit dem beschuhten Fuß und dem mindestens einmal festgestellten Springen mit beiden Füßen auf den Brustkorb kam beim Angeklagten ein menschenverachtender Vernichtungswille zum Ausdruck, der nach allgemeiner sittlicher Anschauung auf der tiefsten Stufe steht.

b) Rechtsfehlerfrei hat das Landgericht auch festgestellt, daß sich der Angeklagte trotz der nicht ausschließbar eingeschränkten Steuerungsfähigkeit seiner niedrigen Beweggründe bewußt war. Kommen als niedrige Beweggrün-de bei Mord gefühlsmäßige Regungen in Betracht, muß der Täter in der Lage gewesen sein, sie gedanklich zu beherrschen und willensmäßig zu steuern. Ausdrücklicher Prüfung bedarf diese Frage insbesondere bei Taten, die sich ohne Plan und Vorbereitung plötzlich aus der Situation heraus entwickeln (BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 10). Angesichts der hier getroffenen Feststellungen zur Vorgeschichte und der Entwicklung des Tatgeschehens sowie zur psychischen Verfassung des Angeklagten waren nähere Darlegungen nicht veranlaßt.

Der Angeklagte sah das Tatopfer bereits kurz nach dem ersten Zusammentreffen in der Wohnung als "Dreck" an und fügte ihm aus dieser Gesinnung heraus die erhebliche Kopfverletzung zu. Er beteiligte sich auch maßgeblich an der "Entsorgung" des Tatopfers aus der Wohnung. Diese Umstände sprechen für eine sich allmählich aufbauende feindselige Motivation des Angeklagten gegenüber dem Tatopfer. Selbst wenn er sich gemeinsam mit den anderen Mitangeklagten kurz vor der eigentlichen Tötungshandlung noch nicht darüber im klaren war, was mit dem Tatopfer nun zu geschehen habe, ist die Tötungshandlung nicht auf einen plötzlich einsetzenden spontanen Entschluß allein zurückzuführen, sondern ist das Ergebnis einer sich steigernden Aggression gegenüber dem Tatopfer. Daher war eine nähere Erörterung zur subjektiven Tatseite nicht geboten, zumal die Jugendkammer sich eingehend mit der psychischen Verfassung des Angeklagten und seinem Alkoholkonsum auseinandergesetzt hat und - sachverständig beraten - zu dem Ergebnis gekommen ist, daß er jederzeit fähig war, das Verachtenswerte seiner Gefühlsregungen gegenüber J. S. zu erkennen und diese zu steuern.

3. Auch im übrigen hat die Überprüfung des Urteils keinen den Angeklagten belastenden Rechtsfehler ergeben.

Ende der Entscheidung

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