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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.08.2005
Aktenzeichen: 1 StR 350/05
Rechtsgebiete: StPO, GVG


Vorschriften:

StPO § 338 Nr. 1
GVG § 76 Abs. 2
Die Entscheidung über die Besetzung der Großen Strafkammer in der Hauptverhandlung (§ 76 Abs. 2 GVG) kann nicht deshalb geändert werden, weil wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplans eine andere Strafkammer für den Fall zuständig geworden ist.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

1 StR 350/05

vom 23. August 2005

in der Strafsache

gegen

wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. August 2005 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 31. März 2005 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Der Angeklagte wurde wegen Betäubungsmitteldelikten zu Freiheitsstrafe verurteilt, mehrere Gegenstände wurden eingezogen, ein Geldbetrag für verfallen erklärt. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Sie rügt zu Recht, dass die Hauptverhandlung in einer gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG reduzierten Besetzung durchgeführt wurde (§ 338 Nr. 1 StPO).

1. Folgender Verfahrensablauf liegt zu Grunde:

Durch den Geschäftsverteilungsplan für 2005 wurde die 1. Strafkammer für diesen Fall zuständig, nachdem die damals zuständige 10. Strafkammer 2004 das Hauptverfahren eröffnet, einen Beschluss gemäß § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG aber nicht gefasst hatte. Im Januar 2005 eröffnete die 1. Strafkammer versehentlich nochmals das Hauptverfahren und beschloss zugleich eine reduzierte Besetzung für die Hauptverhandlung. Einen zu deren Beginn erhobenen Besetzungseinwand wies die Strafkammer zurück. Nach ihrem irrtümlichen Eröffnungsbeschluss vom 18. Januar 2005 habe sie jetzt "bewusst" zu prüfen, ob eine Hauptverhandlung in reduzierter Besetzung noch zulässig und gegebenenfalls angebracht sei. Beides wird bejaht. Die ausnahmsweise Zulässigkeit folge aus dem geschäftsplanmäßigen Wechsel der gerichtsinternen Zuständigkeit; in der Sache wird die Besetzungsreduzierung unter Hinweis auf den in diesem Zusammenhang bestehenden weiten Beurteilungsspielraum mit konkreten, überwiegend einzelfallbezogenen Erwägungen begründet.

2. Eine reduzierte Besetzung war hier nicht zulässig.

Wird, aus welchen Gründen auch immer, anlässlich eines Eröffnungsbeschlusses kein Beschluss gemäß § 76 Abs. 2 Satz 1 GVG gefasst, findet die Hauptverhandlung mit drei Berufsrichtern statt (vgl. BGHSt 44, 361, 362; Kissel/Mayer GVG 4. Aufl. § 76 Rdn. 8; Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 76 GVG Rdn. 4 jew. m. w. N.). Der Bedeutung des hier zugleich mit einem versehentlich ergangenen, unschädlichen aber auch bedeutungslosen (zweiten) Eröffnungsbeschluss erfolgten Reduzierungsbeschlusses braucht der Senat dabei nicht näher nachzugehen. Im Ergebnis liegt jedenfalls in der Zurückweisung des Besetzungseinwands eine Änderung der Besetzung vor, die sich aus dem maßgeblichen ersten Eröffnungsbeschluss ergeben hatte.

a) Wie auch die Strafkammer im Ansatz nicht verkennt, kann eine einmal getroffene Entscheidung über die Besetzung jedenfalls regelmäßig nicht mehr geändert werden. Dies haben auch die Revision und der Generalbundesanwalt im Einzelnen zutreffend dargelegt. Die Strafkammer meinte jedoch, hier gelte wegen der geänderten Geschäftsverteilung etwas anderes.

b) Dem kann der Senat nicht folgen. Die Besetzung durfte nicht mehr geändert werden:

(1) Das Gesetz sieht gemäß § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG eine Änderung der Besetzungsentscheidung für den Fall einer Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht vor, der Fall einer Änderung der Geschäftsverteilung ist im Gesetz nicht geregelt.

(2) Der Senat hat erwogen, ob hier § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG analog angewendet werden kann. Obwohl es kein grundsätzliches Analogieverbot bei der Auslegung des GVG zur Ermittlung des gesetzlichen Richters gibt (vgl. BGH wistra 1988, 76; Wahl, NStZ 1988, 317), war dies hier zu verneinen. Analogie ist die rechtsfolgenmäßige Gleichsetzung zweier unterschiedlicher Tatbestände, wenn auf Grund einer dem Gesetzgeber nicht deutlich gewordenen unbeabsichtigten (planwidrigen) Lücke im Gesetz nur eine der beiden Fallgestaltungen geregelt ist, sich beide Tatbestände aber so ähneln, dass ihre Gleichbehandlung trotz der vorhandenen Unterschiede erforderlich ist (Wahl aaO m. w. N.). Dies ist hier nicht der Fall.

(a) Es ist schon zweifelhaft, ob im aufgezeigten Sinne von einer Gesetzeslücke ausgegangen werden könnte. Die Gesetzesmaterialien zu § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG (entsprechend zu § 122 Abs. 2 Satz 4 GVG und zu § 33b Abs. 2 Satz 2 JGG) sprechen davon, dass "in diesen Fällen" - also nach Zurückverweisung durch das Revisionsgericht - die "Unabänderlichkeit der Besetzungsentscheidung entfällt" (vgl. BTDrucks. 14/3831 S. 6; inhaltlich identisch BTDrucks. 14/4542 S. 4). Ob dies dahin ausgelegt werden könnte, dass die Möglichkeit übersehen wurde, dass die Zulässigkeit einer Änderung auch in anderen Verfahrenssituationen vorstellbar sein könnte, erscheint fraglich.

(b) Jedenfalls fehlt es aber inhaltlich an einer Ähnlichkeit der Verfahrenssituation bei einer Zurückverweisung durch das Revisionsgericht einerseits und einer Änderung der Geschäftsverteilung andererseits. Nach einer Zurückverweisung können sich Umfang und Schwierigkeit des Verfahrens nach Maßgabe der Revisionsentscheidung (z. B. bei nur teilweiser Zurückverweisung) in neuem Lichte darstellen. Bei einer Änderung der Geschäftsverteilung gilt dies nicht. Allein der Umstand, dass wegen des großen Beurteilungsspielraums der jeweiligen Strafkammer ohne Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Probleme des Falles unterschiedliche Strafkammern hinsichtlich der Besetzung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können, reicht nicht aus.

(3) Die übrigen Fallgestaltungen, in denen in einer anderen als der vom Gesetz genannten Verfahrenslage eine Entscheidung zur Besetzung zu treffen ist, sagen in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang nichts aus. Es handelt sich dabei um die Entscheidung der großen Jugendkammer über ihre Besetzung als Berufungskammer (vgl. hierzu BGHR JGG § 33b Abs. 2 Besetzungsentscheidung 1) sowie um eine Besetzungsentscheidung nach Verweisung einer Sache vom Amtsgericht an das Landgericht (§§ 225a, 270 StPO; vgl. zu alledem BGHSt 44, 361, 362) oder nach einer Eröffnung des Verfahrens vor der Strafkammer durch eine ihr vorrangige Strafkammer (§ 74e GVG) oder das Beschwerdegericht (§ 210 StPO; vgl. zu alledem Meyer-Goßner StPO 48. Aufl. § 76 GVG Rdn. 4 m. w. N.). Bei keiner dieser Fallgestaltungen geht es um eine Änderung einer Besetzungsentscheidung, sondern um die erstmalige Entscheidung über die Besetzung.

3. Der Generalbundesanwalt hat vorgetragen, jedenfalls sei die Gesetzesanwendung der Strafkammer nicht willkürlich. Dies sei jedoch die Voraussetzung für den Erfolg einer Besetzungsrüge. Dies trifft im Ansatz zu (st. Rspr. vgl. zuletzt BGH, Urteil vom 7. Juni 2005 - 2 StR 21/05, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt; w. N. bei Kuckein in KK 5. Aufl. § 338 Rdn. 21). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass die anzuwenden gesetzlichen Regelungen nicht ohne weiteres klar, sondern zumindest auslegungsbedürftig sind (Kuckein aaO Rdn. 20, 21). Dies ist hier nicht der Fall. Die Besetzungsentscheidung ist regelmäßig nicht mehr änderbar. Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für eine ausnahmsweise Zulässigkeit einer Besetzungsänderung wegen geänderter Geschäftsverteilung gibt es nicht. Die inhaltlichen Unterschiede zwischen einer Änderung der Geschäftsverteilung und einer Zurückverweisung durch das Revisionsgericht sind zu gewichtig, als dass eine analoge Anwendung von § 76 Abs. 2 Satz 2 GVG auf den hier vorliegenden Fall in Betracht zu ziehen wäre.

Ende der Entscheidung

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