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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 12.10.1999
Aktenzeichen: 1 StR 417/99
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 226 a aF
StGB § 228 nF
StPO § 349 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

1 StR 417/99

vom

12. Oktober 1999

in der Strafsache

gegen

wegen Diebstahls u.a.

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Oktober 1999, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer

und die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Maul, Dr. Brüning, Dr. Wahl, Schluckebier,

Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 25. März 1999 aufgehoben

a) soweit im Fall 2 a der Urteilsgründe der körperliche Angriff auf den Zeugen S. nicht abgeurteilt worden ist,

b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls (Fall 2 a der Urteilsgründe) und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tat-einheit mit Beleidigung in drei Fällen (Fall 2 b der Urteilsgründe) zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Die zum Nachteil des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft erstrebt im ersten Fall eine Verurteilung wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung; sie erachtet weiter die Strafbemessung für rechtsfehlerhaft. Die Auslegung des Revisionsvorbringens ergibt demnach, daß der Schuldspruch im Falle 2 b nicht Angriffsziel der Revision ist (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; BGH NStZ 1998, 210). Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat teilweise Erfolg.

I.

Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es in der Wohnung des Angeklagten zwischen diesem und dem Zeugen S. , die beide dem "Obdachlosen- und Trinkermilieu" angehörten, nach dem Genuß alkoholischer Getränke zu wechselseitigen Prahlereien und Aufschneidereien. Der in einem Sessel sitzende S. hielt in deren Verlauf dem Angeklagten eine vorn abgeknickte, abgerundete Verbandsschere vor und rief: "Wetten, daß du mich nicht überwältigen kannst? Ich bin dir überlegen! Komm her, wetten wir!" Der Angeklagte zog daraufhin ein Klappmesser sowie eine Flasche Reizspray und entgegnete: "Vorsicht! Ich habe eine echte Waffe! Laß das bleiben!" Dann steckte er das geöffnete Messer und das Reizspray wieder in die Hosentaschen. S. zeigte sich wenig beeindruckt und schrie: "Was ist, willst du nun wetten oder nicht? Ich schaff dich locker, ich bin Kickboxer!" und hielt die Verbandsschere vor sich. Der Angeklagte ging einen Schritt auf den Zeugen zu und rief: "In Ordnung, ich nehme deine Wette an!" Unmittelbar darauf zog er das Reizspray aus der Hosentasche und sprühte S. , der nach wie vor im Sessel saß, aus etwa einem Meter Entfernung einen langen Stoß Reizgas ins Gesicht. S. ließ die Schere fallen, schlug beide Hände vor das Gesicht und rutschte aus dem Sessel auf den Boden, wo er seitlich zum Liegen kam. Der Angeklagte zog sein Messer, setzte es S. auf die Brust, um ihm zu zeigen, daß er die Wette gewonnen hatte und rief "Wette gewonnen!" Er steckte das Messer dann wieder ein und betrachtete den immer noch am Boden liegenden S. . Nun fiel ihm ein, daß er sich einen angemessenen Wetteinsatz nehmen könne. Er zog S. dessen Geldbeutel aus der Hosentasche und entnahm diesem 30 DM.

Der Angeklagte und zwei Tatzeugen entfernten sich darauf aus der Wohnung. Als der Angeklagte kurze Zeit später von einer herbeigerufenen Polizeistreife gestellt wurde, widersetzte er sich der Verbringung zum Polizeipräsidium und beleidigte die Polizeibeamten.

II.

1. a) Der Schuldspruch wegen Diebstahls im Falle 2 a der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil S. ) ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

Das Landgericht hat auf der Grundlage rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen die Verwirklichung des Tatbestandes des Raubes zu Recht verneint: Faßt der Täter den Wegnahmeentschluß wie hier erst, nachdem die Gewaltanwendung nicht mehr andauert, kommt die Annahme von Raub nur dann in Betracht, wenn die Gewalt noch als aktuelle Drohung erneuter Gewaltanwendung auf das Opfer einwirkt und dieses dazu veranlaßt, die Wegnahmehandlung zu dulden (vgl. BGHR StGB § 249 Abs. 1 Drohung 3). Solches läßt sich hier den Urteilsfeststellungen nicht entnehmen. Der Angeklagte hatte sein nach dem Versprühen des Reizgases zunächst gezogenes Messer wieder eingesteckt und den noch am Boden liegenden S. betrachtet. Erst dann war ihm eingefallen, daß er sich "einen angemessenen Wetteinsatz" nehmen könne. Danach besteht kein Anhalt dafür, daß der Geschädigte sich überhaupt Gedanken über die weitere Anwendung von Gewalt durch den Angeklagten gemacht hätte. Auch ist nicht festgestellt, daß der Angeklagte eine etwa bei der Wegnahmehandlung als aktuelle Drohung fortwirkende Gewalt als solche erkannt und bewußt zum Zwecke der Wegnahme ausgenutzt hätte. Damit fehlt es an der für den Tatbestand des Raubes erforderlichen finalen Verknüpfung zwischen Nötigungshandlung und Wegnahme (vgl. BGH NStZ 1982, 380; BGHR StGB § 249 Abs. 1 Gewalt, fortwirkende 1).

b) Hingegen begegnet die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte sei bei der mittels Sprühen von Reizgas zum Nachteil des Zeugen S. begangenen gefährlichen Körperverletzung durch Einwilligung des Tatopfers gerechtfertigt gewesen (§ 226 a StGB aF, § 228 StGB nF), durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Schon die Einwilligungsfähigkeit des alkoholisierten Zeugen S. ist nicht dargetan. Das Landgericht hat diese Frage nicht erörtert. Eine wirksame Einwilligung setzt voraus, daß sie mit vollem Verständnis der Sachlage erteilt worden ist und der Einwilligende namentlich eine zutreffende Vorstellung vom voraussichtlichen Verlauf und den möglichen Folgen des zu erwartenden Angriffs hatte; er muß bei einer Herausforderung die nötige Urteilskraft und Gemütsruhe besitzen, um die Tragweite seiner Erklärung zu erkennen und das Für und Wider verständig gegeneinander abzuwägen (RGSt 77, 17, 20; BGHSt 4, 88, 90). Zur Prüfung dieser Frage hätte hier um so mehr Anlaß bestanden, als es sich um eine Milieutat handelt und die Beteiligten angetrunken waren.

Den Urteilsgründen läßt sich überdies nicht entnehmen, daß S. in einen unvermittelten Angriff mit Reizgas eingewilligt hätte. Angesichts der Umstände hätte das Landgericht näher darlegen müssen, worin es eine auch nur konkludente Einwilligung sah und wie weit diese etwa reichte. Wegen der unterschiedlichen Befindlichkeit und Ausstattung der beiden "Kontrahenten" verstand sich nicht von selbst, daß sich der unangekündigte Angriff des Angeklagten mit Reizgas auf das Gesicht des im Sessel sitzenden S. noch im Rahmen einer etwaigen Einwilligung gehalten hätte.

Darüber hinaus ist das Landgericht daran vorbeigegangen, daß es für die Frage einer Rechtfertigung nicht darauf ankommt, ob sich die Einwilligung als sittenwidrig erweist. Entscheidend ist vielmehr, ob sich die Tat des Angeklagten als Verstoß gegen die guten Sitten darstellt (BGHSt 4, 88, 91; vgl. Tröndle/Fischer StGB 49. Aufl. § 228 Rdn. 10; Schönke/Schröder/Stree StGB 25. Aufl. § 226 a Rdn. 7). Die Tat ist hier indessen dadurch gekennzeichnet, daß S. , der in einem Sessel saß, sich ersichtlich zum Zeitpunkt des Einsatzes des Reizgases keines Angriffs mit diesem Mittel versah und augenblicklich überrascht war; er war erkennbar nicht abwehr- und "kampfbereit". Das ergibt sich auch daraus, daß S. auf eine Wette aus war und betont hatte, er sei "Kickboxer". Daß die Beteiligten irgendwelche Regularien vorgesehen oder sonst Vorkehrungen für die Austragung einer Wette mit ungleichen "Kampfmitteln" getroffen hätten, ist nicht festgestellt (vgl. dazu BGHSt 4, 88, 92). Hinzu kommt, daß auch durch Reizgaseinsatz erfahrungsgemäß durchaus empfindliche Verletzungen bewirkt werden können, die nicht nur Bagatellcharakter haben. Unter diesen Umständen ist die Erwägung des Landgerichts, die "Abrede" der Beteiligten sei zwar "bizarr, aber nicht sittenwidrig", rechtlich nicht tragfähig.

Dieser Mangel führt zur Aufhebung des Urteils, soweit der körperliche Angriff auf den Zeugen S. nicht abgeurteilt worden ist. Der Schuldspruch wegen Diebstahls wird davon nicht berührt; im Falle einer Verurteilung auch wegen gefährlicher Körperverletzung bestünde insoweit Tatmehrheit. Auch einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht; ergänzende Feststellungen, namentlich zu den Voraussetzungen einer etwaigen Einwilligung sind zulässig, soweit sie nicht im Widerspruch zu den getroffenen Feststellungen stehen.

2. Die teilweise Aufhebung des Urteils im Falle 2 a zieht indessen die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.

Die in den Fällen 2 a und 2 b der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen können jedoch bestehen bleiben. Der Senat schließt aus, daß deren Höhe durch eine etwaige weitere Einzelstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung beeinflußt werden könnte. Auch das Fehlen einer näheren Begründung zur - nur geringen - Höhe des Tagessatzes der Geldstrafe (vgl. § 40 StGB) begegnet hier im Blick auf die zu den Lebensumständen des Angeklagten getroffenen Feststellungen keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Die Einwände der Revision gegen die Strafzumessung sind aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts dargelegten Erwägungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

3. Die auf Grund der Revision der Staatsanwaltschaft veranlaßte Prüfung des Urteils hat auch keinen Rechtsfehler zu Lasten des Angeklagten aufgedeckt.

Ende der Entscheidung

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