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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 03.12.2003
Aktenzeichen: 2 ARs 383/03
Rechtsgebiete: StPO, JGG, GVG


Vorschriften:

StPO § 269
StPO § 270 Abs. 1
StPO § 270 Abs. 2
JGG § 42 Abs. 3
JGG § 47 a
JGG § 47 a Satz 1
GVG § 25 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 ARs 383/03 2 AR 249/03

vom 3. Dezember 2003

in der Strafsache

gegen

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

Az.: 4 Ds 173 Js 32088/02 Amtsgericht Zerbst

Az.: 173 Js 32088/02 Staatsanwaltschaft Dessau

Az.: 6002 Js 558/02 Staatanwaltschaft Hamburg

Az.: 621-285/03 Amtsgericht Hamburg-Harburg

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts am 3. Dezember 2003 beschlossen:

Tenor:

Die Beschlüsse des Amtsgerichts - Jugendrichter - Zerbst vom 26. Juni und 22. Juli 2003 werden aufgehoben. Zuständig für die Untersuchung und Entscheidung der Sache bleibt das Amtsgericht - Jugendrichter - Zerbst.

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Dessau hat gegen den im Bezirk des Amtsgerichts Zerbst wohnhaften Angeklagten als strafrechtlich verantwortlichen Jugendlichen mit Anklageschrift vom 25. Februar 2003 Anklage wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 16 Fällen, begangen jeweils in Hamburg, erhoben. Das Amtsgericht - Jugendrichterin - in Zerbst hat mit Beschluß vom 9. Mai 2003 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. In der Hauptverhandlung vom 26. Juni 2003 hat die Jugendrichterin nach Verlesung eines Gutachtens zur Altersbestimmung, wonach von einem wahrscheinlichen Lebensalter des Angeklagten von 25 Jahren auszugehen sei, auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten das Verfahren durch Beschluß nach § 270 Abs. 1 StPO an das "zuständige Schöffengericht Hamburg als das Gericht höherer Ordnung" unter Hinweis auf diese Altersbestimmung und auf die Straferwartung bei "gewerbsmäßigem" Handeltreiben verwiesen. Mit weiterem Beschluß vom 22. Juli 2003 hat es diesen Beschluß aufgehoben und das Verfahren stattdessen gemäß § 270 Abs. 1 StPO an das Amtsgerichts Hamburg-Harburg verwiesen. Das Amtsgericht Hamburg-Harburg hat die Übernahme abgelehnt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

Die Beschlüsse des Amtsgerichts - Jugendrichterin - Zerbst sind in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft und entfalten keine Rechtswirkungen:

a) Eine Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit kam hier von vornherein nicht in Betracht. Abgesehen davon, daß § 270 Abs. 1 StPO allein die Verweisung wegen sachlicher Unzuständigkeit betrifft, kann die örtliche Unzuständigkeit nach Eröffnung des Hauptverfahrens nur noch auf Einwand des Angeklagten ausgesprochen werden (§ 16 StPO). Zudem ist das Amtsgericht Zerbst hier auch örtlich zuständig, weil der Angeklagte im Bezirk des Amtsgerichts seinen Wohnsitz hat (§ 8 StPO). Die Sondervorschrift der Abgabe nach § 42 Abs. 3 JGG bei Wohnsitzwechsel von Jugendlichen und Heranwachsenden nach Eröffnung des Hauptverfahrens griff hier ohnehin nicht ein.

b) Hinsichtlich der Verweisung wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit gilt folgendes:

aa) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens heraus, daß nicht das Jugendgericht, sondern ein Erwachsenengericht zuständig gewesen wäre - etwa weil Anklage und Eröffnungsbeschluß von einer falschen Altersangabe ausgegangen sind -, so verbleibt es nach § 47 a Satz 1 JGG grundsätzlich bei der Zuständigkeit des Jugendgerichts, auch wenn eigentlich die Zuständigkeit eines Erwachsenengerichts gleicher oder niedrigerer Ordnung gegeben gewesen wäre (Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl. § 47 a Rdn. 1 JGG; Schoreit in Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG 4. Aufl. § 47 a Rdn. 3, Eisenberg, JGG 6. Aufl. §§ 33-33 b Rdn. 35). § 47 a JGG übernimmt den Rechtsgedanken des § 269 StPO auf das Verhältnis von Jugendgerichten und gleichrangigen Gerichten der Erwachsenengerichtsbarkeit. Das Gesetz geht davon aus, daß Jugendgerichte ebenso wie Erwachsenengerichte in der Lage sind, Strafsachen gegen Erwachsene zu verhandeln. Die fortbestehende Zuständigkeit des Jugendgerichts liegt im Interesse der zügigen Erledigung anhängiger Verfahren (vgl. Begründung zum StVÄG 1979 BT-Drucks. 8/976 S. 69).

bb) Die Abgabe an ein Erwachsenengericht höherer Ordnung - außerhalb der Hauptverhandlung durch Vorlage der Akten über die Staatsanwaltschaft an das Gericht höherer Ordnung zur Entscheidung über die Übernahme bzw. innerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß nach § 270 Abs. 2 StPO - hindert § 47 a JGG hingegen nicht. Im Verhältnis vom Jugendrichter zum Erwachsenenschöffengericht ist aber folgendes zu beachten:

Der Jugendrichter hat bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts die gleiche Rechtsfolgenkompetenz wie der Strafrichter (vgl. Eisenberg aaO § 108 Rdn. 9). Der Strafrichter hat zwar bei Eröffnung des Hauptverfahrens die Rechtsfolgenerwartung des § 25 Nr. 2 GVG zu prüfen, kann aber nach Eröffnung des Hauptverfahrens jede in die Strafgewalt des Amtsgerichts fallende Strafe verhängen (BGHSt 16, 248; 42, 205, 213). Nach h.M. und Rechtsprechung kommt deshalb eine Verweisung vom Strafrichter an das Schöffengericht nicht in Betracht, wenn der Strafrichter eine höhere Strafe als von zwei Jahren Freiheitsstrafe (aber von nicht mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe) verhängen will (Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 225 a Rdn. 5, § 270 Rdn. 5; Tolksdorf in KK 5. Aufl. § 225 a Rdn. 5; Siolek in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 25 GVG Rdn. 12 m.w.N.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 222). Dies muß im Interesse einer zügigen Erledigung der Verfahren auch im Verhältnis Jugendrichter zum (Erwachsenen)Schöffengericht gelten. § 47 a Satz 1 JGG, der - wie ausgeführt - dem Rechtsgedanken des § 269 StPO Rechnung trägt und lediglich das Verhältnis vom Jugendgericht zum Jugendgericht niedrigerer Ordnung oder zum Erwachsenengericht gleichrangiger oder niedrigerer Ordnung regelt, steht nicht entgegen. Die Verweisung durch den Jugendrichter an das Erwachsenenschöffengericht, weil er bei Anwendung allgemeinen Strafrechts eine Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren verhängen will, entbehrt danach eines rechtfertigenden Grundes.

Ende der Entscheidung

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