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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 02.06.2004
Aktenzeichen: 2 StR 123/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 1
StGB § 21
StGB § 66
StGB § 66 Abs. 1
StGB § 66 Abs. 2
StGB § 66 Abs. 3 Satz 1
StGB § 66 Abs. 3 Satz 2
StGB § 239 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 123/04

vom

2. Juni 2004

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 2. Juni 2004 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 14. Oktober 2003 im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung entfällt.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen, jedoch wird die Gebühr um ein Drittel ermäßigt. Die Staatskasse hat ein Drittel der insoweit entstandenen Auslagen der Staatskasse und der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers im Revisionsverfahren zu tragen. Die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Beschwerdeführer zu zwei Drittel.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB angeordnet. Gegen das Urteil wendet sich die Revision mit der Sachrüge.

Das Rechtsmittel erweist sich, soweit es sich gegen den Schuldspruch und gegen den Strafausspruch richtet, als unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Weder die Annahme einer Tötung aus niedrigen Beweggründen noch die Ablehnung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit weisen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Insbesondere hat sich die Strafkammer auch mit der Frage eines zur Schuldmilderung nach § 21 StGB führenden Affekts eingehend auseinandergesetzt. Ihre Ausführungen sind aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Hingegen hat die Anordnung der Sicherungsverwahrung keinen Bestand, da die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht erfüllt sind.

Der Angeklagte ist zwar wegen eines Verbrechens und damit wegen einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Straftaten verurteilt worden. Auch scheitert die Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht daran - wie die Revision meint - daß für die Anlaßtat eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt worden ist. Denn der frühere Rechtszustand, nach dem die Anordnung der Sicherungsverwahrung nur neben einer zeitigen Freiheitsstrafe in Betracht kam, ist durch das Gesetz zur Einführung der vorbehaltenen Sicherungsverwahrung vom 21. August 2002 (BGBl. I 3344) mit der Streichung des Wortes "zeitiger" in den Absätzen 1, 2 und 3 Satz 1 und 2 des § 66 StGB geändert worden. Jedoch ist die weitere Voraussetzung, nach der der Täter "wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren" verurteilt worden sein muß, nicht erfüllt.

Der Angeklagte ist nach mehreren Verurteilungen zu Geldstrafen zu folgenden Freiheitsstrafen verurteilt worden:

- am 16. Februar 1999 wegen Bedrohung in fünf Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, in einem Fall mit Amtsanmaßung und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Beleidigung und wegen Nötigung und unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus einer vorangegangenen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung,

- am 21. September 1999 wegen Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung,

- am 20. März 2000 wegen dreifacher Bedrohung, davon in zwei Fällen tateinheitlich mit Hausfriedensbruch, davon in einem Fall tateinheitlich mit Geiselnahme und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten (Einzelstrafe für die Geiselnahme in Tateinheit mit Hausfriedensbruch, Bedrohung und gefährlicher Körperverletzung: ein Jahr und sechs Monate Freiheitsstrafe),

- am 4. Mai 2000 wegen versuchter Nötigung in drei Fällen, in zwei Fällen tateinheitlich mit Beleidigung sowie wegen Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten.

Durch Gesamtstrafenbeschluß vom 3. Juni 2002 wurde aus den Einzelstrafen aus den Verurteilungen vom 21. September 1999, 20. März 2000 und 4. Mai 2000 eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gebildet.

Damit liegt eine Vorverurteilung im Sinne von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht vor. Eine Einzelfreiheitsstrafe wegen einer Katalogtat von mindestens drei Jahren ist nicht verhängt worden. Die vorliegende Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren ist aus mehreren Einzelstrafen für Nichtkatalogtaten (Vergehen nach §§ 123, 185, 223, 240, 241 StGB) und lediglich einer Einzelstrafe für eine Katalogtat, nämlich für das Verbrechen der Geiselnahme gemäß § 239 b StGB gebildet worden. Der Fall unterscheidet sich damit wesentlich von demjenigen, über den der Senat in BGHSt 48, 100 f. entschieden hat. Dort hatte er zwar eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren als Vorverurteilung ausreichen lassen, ihr lagen jedoch ausschließlich Katalogtaten zugrunde. Wie zu entscheiden ist, wenn in die Gesamtfreiheitsstrafe auch Einzelstrafen für Nichtkatalogtaten einbezogen sind, ist in der Entscheidung offen gelassen worden und - soweit ersichtlich - auch bisher nicht entschieden.

Nach Auffassung des Senats liegt eine Vorverurteilung im Sinne von § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB nicht vor, wenn in einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren lediglich eine Katalogtat mit einer niedrigeren Einzelstrafe neben einer Reihe von Nichtkatalogtaten enthalten ist. Für diese Auslegung sprechen sowohl der Wortlaut - "wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten" - als auch der Zweck der Norm. Denn mit der Regelung sollte die Unterbringung gefährlicher Straftäter in der Sicherungsverwahrung schon mit dem ersten Rückfall erleichtert werden, ohne daß damit der Charakter der Sicherungsverwahrung als ultima ratio im strafrechtlichen Sanktionensystem in Frage gestellt werden sollte. Das Korrektiv wurde unter anderem in der Anknüpfung an gewichtige Straftaten und an die Höhe der Vorverurteilung gesehen. Dabei kann zwar die Gefährlichkeit des Täters auch in dem Gesamtgewicht eines mehrfachen strafbaren Verhaltens begründet sein, wie es in einer Mehrzahl von Katalogtaten zum Ausdruck kommt, für die jeweils zwar Einzelstrafen unter drei Jahren verhängt wurden, aus denen aber eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei oder mehr Jahren gebildet worden ist (BGHSt 48, 100, 104, 105). Ist aber in der Gesamtstrafe lediglich einer Katalogtat als Vortat mit einer Einzelstrafe - wie hier - von einem Jahr und sechs Monaten enthalten, fehlt es an einer ausreichenden Grundlage für die Gefährlichkeitsbeurteilung, die nach dem Wortlaut des Gesetzes an Katalogtaten anknüpfen muß.

Wie zu verfahren wäre, wenn einer Gesamtfreiheitsstrafe von (mindestens) drei Jahren mehrere Katalogtaten neben Nichtkatalogtaten zugrunde lägen - etwa Bildung einer fiktiven Gesamtstrafe, Abstellen auf die Summe der Einzelstrafen für die Katalogtaten - muß der Senat anläßlich dieses Falls nicht entscheiden.

Da auch die formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 1, Abs. 2 oder Abs. 3 Satz 2 StGB nicht vorliegen und weiter ausgeschlossen werden kann, daß sie noch festgestellt werden können, hat der Senat gemäß § 354 Abs. 1 StPO selbst entschieden, daß die Anordnung der Sicherungsverwahrung entfällt.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung trägt dem Umstand Rechnung, daß der Angeklagte mit seinem Rechtsmittel einen Teilerfolg erzielt hat (§§ 473 Abs. 4, 472 Abs. 1 StPO).

Ende der Entscheidung

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