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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 24.06.2009
Aktenzeichen: 2 StR 215/09
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

nach Anhörung des Generalbundesanwalts und

des Beschwerdeführers

am 24. Juni 2009

gemäß § 349 Abs. 4 StPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 29. Januar 2009 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung unter Einbeziehung einer früher verhängten Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10 Euro zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und zwei Wochen verurteilt. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision führt zur Aufhebung des Urteils, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtlicher Prüfung nicht standhält.

1.

Nach den Feststellungen des Landgerichts begab sich der damals 28-jährige Angeklagte, der zur Tatzeit bei der Familie eines Freundes in G. zu Besuch war, am Tatabend im Anschluss an eine Feier der Bewohner des Mehrfamilienhauses im Hof in eine Nachbarwohnung, wo die damals 13-jährige Nebenklägerin mit ihrem Vater wohnte. Der Vater der Nebenklägerin war betrunken zu Bett gegangen; die Nebenklägerin hatte sich in Schlafkleidung auf eine Couch im Wohnzimmer gelegt, wo sie fernsah. Sie hatte zuvor den Angeklagten, den sie bei dem Hoffest kennengelernt hatte, eingeladen, sie noch zu besuchen, da sie sich weiter mit ihm unterhalten wollte; die Wohnungstür hatte sie deshalb offen gelassen.

Der Angeklagte, der das kindliche Alter der Geschädigten nicht erkannte oder billigend in Kauf nahm, unterhielt sich zunächst eine Weile mit der Nebenklägerin; dann legte er sich hinter sie. Er führte gegen ihren Willen den Analverkehr und "vermutlich zeitlich danach" Vaginalverkehr aus. Den entgegenstehenden Willen der Geschädigten, den diese "nonverbal" durch Wegrücken und dann auch durch Hilferufe ausdrückte, erkannte der Angeklagte nach den Feststellungen "spätestens" zum Zeitpunkt des Analverkehrs. Der Angeklagte hielt die Geschädigte fest und verhinderte so, dass sie sich ihm entzog. Die Geschädigte erlitt eine Verletzung im Analbereich, die für den Angeklagten "vorhersehbar" war und die er "daher zumindest billigend in Kauf" nahm (UA S. 7).

2.

Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Das Landgericht hat ihn aufgrund der Aussage der Geschädigten für überführt gehalten. Über diese ist unter anderem mitgeteilt, die erste Beschuldigung des Angeklagten bei der Polizei ein Jahr nach der Tat sei bei einer Vernehmung der Geschädigten im Rahmen eines anderen Verfahrens wegen mehrfacher Vergewaltigung durch einen anderen Täter erfolgt; zur Anzeigeerstattung habe sie ihr damaliger Freund gedrängt (UA S. 16). Die Geschädigte habe über die Tat nicht gesprochen und sich anderen gegenüber "normal verhalten"; sie habe sich aber "die Arme und Beine mit einer Rasierklinge aufgeschnitten" (UA S. 13).

a)

Das Landgericht hat im Grundsatz nicht verkannt, dass in Anbetracht der schwierigen Beweislage bei der Konstellation "Aussage gegen Aussage" eine besonders eingehende und sorgfältige Prüfung der belastenden Aussage erforderlich war; zu Recht hat es auch angenommen, dass hier Besonderheiten vorlagen, die die Zuziehung eines Sachverständigen bei der Beurteilung der Aussage nahe legten.

b)

Nicht rechtsfehlerfrei sind aber Darstellung und Würdigung der Aussage des Sachverständigen Prof. Dr. B. in den Urteilsgründen. Das Landgericht teilt eingangs mit, die Angaben der Geschädigten seien bei ihren polizeilichen Vernehmungen vom 15. Mai 2006 und 5. April 2007, ihrer Exploration durch den Sachverständigen am 1. März 2008 und in der Hauptverhandlung im Januar 2009 "durchgängig nahezu gleichlautend" gewesen (UA S. 13). Sodann gibt das Urteil das Gutachten des Sachverständigen wieder, der die genannten Aussagen mit den Buchstaben A, B, C und D bezeichnet hat und sodann einzelne Aussageteile aufführt und ihnen jeweils die mit Buchstaben bezeichneten Vernehmungen zuordnet (UA S. 14 f.).

Eine Prüfung dieser Zuordnungen ergibt aber, dass die Schlussfolgerung uneingeschränkter Konstanz der wesentlichen Aussageinhalte, welche das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen zieht, durch die Zusammenstellung nicht ohne Weiteres getragen wird. So erscheint die zweite polizeiliche Vernehmung (Aussage B) nur bei zwei von 20 aufgeführten Aussageinhalten, nämlich bei der Bekundung, die Geschädigte habe versucht, sich körperlich zur Wehr zu setzen, und bei der Bekundung, es sei auch zu einer vaginalen Penetration gekommen (UA S. 14). Die Bedeutung dieser Einzelheiten für die Gesamttat legt die Annahme nicht nahe, bei der zitierten Vernehmung "B" habe es sich nur um eine ergänzende Nachvernehmung zu eher unwesentlichen Details oder zum Randgeschehen gehandelt. Es konnte daher nicht offen bleiben und bedurfte näherer Darlegung, aus welchen Gründen die Geschädigte das Erzwingen (auch) vaginalen Geschlechtsverkehrs nur bei dieser Gelegenheit behauptet hat, obgleich sie bei den anderen drei Vernehmungen ersichtlich intensiv zum Ablauf des Tatgeschehens befragt wurde.

Unverständlich bleibt auch die vom Landgericht wiedergegebene Darlegung des Sachverständigen, da bei den Vernehmungen "C" und "D" detaillierter nachgefragt worden sei, seien "die hier zu verzeichnenden Aussageerweiterungen nicht als kritisch einzustufen" (UA S. 15). Weder aus der vorangehenden Auflistung von Aussageinhalten noch aus dem sonstigen Urteilsinhalt ergibt sich, worin diese Aussageerweiterungen bestanden haben und inwieweit sie tatrelevante Einzelheiten betroffen haben. Das Revisionsgericht kann daher die Rechtsfehlerfreiheit der Wertung, sie seien "nicht kritisch", nicht überprüfen.

Soweit das Landgericht das Sachverständigengutachten insoweit wiedergibt, als der Sachverständige eine hypothesengestützte Aussageanalyse durchgeführt und dem Gericht erläutert hat (UA S. 15), ist die Darstellung nicht geeignet, eine Prüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen. Die bloße schlagwortartige Aufzählung von "Hypothesen", "Analysen" und Glaubhaftigkeitskriterien und die zusammenfassende Beurteilung, die Aussage der Geschädigten erfülle die Voraussetzungen, "um bei entsprechender Würdigung durch das Gericht als Beweismittel gewertet werden zu können" (UA S. 15), bleibt inhaltlich nichtssagend und gestattet keinerlei Prüfung, ob die Schlussfolgerung uneingeschränkter Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage auf rechtsfehlerfreier Grundlage beruht.

c)

Schon aus den genannten Gründen hat das Urteil daher keinen Bestand. Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass die Beurteilung des Landgerichts, das den den Angeklagten entlastenden Aussagen der Zeugen K., G. und N. im Ergebnis kein Gewicht beigemessen hat (UA S. 18), nicht gänzlich bedenkenfrei ist. Die Geschädigte hatte ausgesagt, sie habe diesen Zeugen über Vergewaltigungen durch den gemeinsamen Bekannten Kö. und in diesem Zusammenhang auch über die Vergewaltigung durch den Angeklagten berichtet. Die Zeugen haben dies nicht bestätigt. Das Landgericht führt hierzu aus, dies sei zwar "zunächst bedenklich"; es sei aber nicht auszuschließen, dass die Vergewaltigung durch den Angeklagten nur ein "Detail" der damaligen Schilderungen der Geschädigten gewesen sei, die "im Bewusstsein der Zeugen unterging" (UA S. 18). Das lässt jedenfalls außer Betracht, dass die Berichte der Geschädigten gegenüber den Zeugen bei verschiedenen Gelegenheiten erfolgten (UA S. 13). Die Schilderung einer (erstmaligen) Vergewaltigung eines damals 13 Jahre alten Kindes als "Detail" anzusehen, das drei verschiedenen Zeugen nach Mitteilung bei unterschiedlichen Gelegenheiten entfallen sein könne, weil die zugleich geschilderten späteren Vergewaltigungen durch einen anderen Mann den Zeugen wichtiger waren, ist nicht ausgeschlossen, bedarf aber jedenfalls sorgfältiger Prüfung und Begründung.

d)

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auch darauf hin, dass die ausdrücklich strafschärfende Berücksichtigung des Vaginalverkehrs hier rechtsfehlerhaft war, weil dieser nach den Feststellungen des Landgerichts möglicherweise zeitlich vor dem Analverkehr stattfand und Tatvorsatz im Sinne der Kenntnis des entgegenstehenden Willens der Geschädigten erst "spätestens" bei Ausführung des Analverkehrs vorlag, also möglicherweise bei dem nicht ausschließbaren vorangegangenen Vaginalverkehr noch nicht gegeben war.

Ende der Entscheidung

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