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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.10.1999
Aktenzeichen: 2 StR 451/99
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2 und 4
StGB § 52
StGB § 53
StGB § 180 Abs. 1 Nr. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

2 StR 451/99

vom

27. Oktober 1999

in der Strafsache

gegen

wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u.a.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 27. Oktober 1999 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 20. April 1999

a) im Schuldspruch dahin geändert, daß die Angeklagte in zwei Fällen der Beihilfe zum sexuellen Mißbrauch eines Kindes in Tateinheit mit Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger schuldig ist,

b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte - unter Freisprechung im übrigen - wegen Beihilfe zum sexuellen Mißbrauch eines Kindes in Tateinheit mit Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in fünf Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt. Die Revision der Angeklagten führt zur Änderung des Schuldspruchs wie im Beschlußtenor dargelegt, und Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist sie i.S.v. § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift vom 22. September 1999 ausgeführt:

"Die Annahme des Landgerichts, die Angeklagte habe durch Unterlassen zumutbarer Maßnahmen bedingt vorsätzlich zum sexuellen Mißbrauch eines Kindes Beihilfe geleistet und tateinheitlich sexuelle Handlungen Minderjähriger gefördert, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Dagegen hält die Verurteilung wegen fünf selbständiger Handlungen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Einheit und Mehrheit der Beihilfe hängen von der Anzahl der Beihilfehandlungen und der vom Gehilfen geförderten Haupttaten ab. Eine Beihilfe im Sinne des § 52 StGB liegt vor, wenn der Gehilfe mit einer einzigen Unterstützungshandlung zu mehreren Haupttaten eines anderen Hilfe leistet. Demgegenüber ist Tatmehrheit nach § 53 StGB anzunehmen, wenn durch mehrere Hilfeleistungen mehrere Taten unterstützt werden (vgl. Leipziger Kommentar-Roxin, StGB, 11. Aufl., § 27 Rdn. 54 f.).

Diese Grundsätze gelten nicht nur für aktive Unterstützungshandlungen des Gehilfen, sondern auch für die durch garantenpflichtwidriges Unterlassen geleistete Beihilfe (vgl. BGH NStZ 1993, 584). Darüber hinaus sind sie zur Beurteilung der Konkurrenzverhältnisse im Rahmen des § 180 Abs. 1 Nr. 2 StGB heranzuziehen, sofern der Täter - wie vorliegend - zur Vornahme sexueller Handlungen dadurch Vorschub leistet, daß er es entgegen der ihn treffenden Rechtspflicht unterläßt, die tatbestandlich mißbilligten Handlungen zu verhindern. Auch insoweit handelt es sich der Sache nach um Beihilfehandlungen, die normativ zu einer selbständigen Straftat erhoben wurden (vgl. BGHSt 6, 46/48; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB 25. Aufl., § 180 Rdn. 11). Ausgehend hiervon ist nur eine Tat im Sinne des § 52 StGB gegeben, wenn sich der Garant dazu entschließt, global erwartete, aber zeitlich nicht näher konkretisierte sexuelle Übergriffe des Haupttäters geschehen zu lassen. Der Umstand, daß der Garant mit mehreren Gesetzesverletzungen des Haupttäters rechnet, begründet für jenen keine Tatmehrheit, da er sich innerlich einmal für das Untätigbleiben entscheidet und im Anschluß daran dem Geschehen seinen Lauf läßt. Hingegen liegt Tatmehrheit vor, sofern sich der Garant in Ansehung bestimmter Umstände, die jeweils auf eine konkret bevorstehende sexuelle Handlung des Haupttäters hindeuten, zur Passivität entschließt. In derartigen Fällen ist dem Garanten die ihn treffende Handlungspflicht nicht nur durchgängig latent bewußt; vielmehr werden an ihn wiederholt Verhaltensappelle herangetragen, die ihn in Ansehung konkret bevorstehender Rechtsgutsverletzungen die situativ zu treffende Willensentscheidung zum Untätigbleiben stets aufs Neue abverlangen.

Beurteilt man die Konkurrenzverhältnisse nach den vorstehenden Abgrenzungskriterien, so erweist sich die von der Angeklagten durch Unterlassen bewirkte Förderung des Geschlechtsverkehrs in den von der Kammer festgestellten vier Fällen (UA S. 11) rechtlich als eine einzige Tat im Sinne des § 52 StGB:

Nach den Urteilsfeststellungen hat sich die Angeklagte Anfang Mai 1995 entschlossen, sexuelle Übergriffe des gesondert abgeurteilten M. auf ihre Tochter Ma. hinzunehmen. Der Umstand, daß sie davon ausging, M. werde mit ihrer Tochter künftig mehrfach geschlechtlich verkehren, vermag die Annahme von Tatmehrheit nicht zu rechtfertigen, weil sich die Vorstellung der Angeklagten nicht auf zeitlich konkret erwartete sexuelle Übergriffe richtete. Auch die vom Landgericht angeführte Erwägung, wonach das sichtbar andauernde aktiv gelebte sexuelle Verhältnis zwischen M. und Ma. für die Angeklagte immer wieder aufs Neue eine Handlungsaufforderung dargestellt habe (UA S. 25), ist zur Begründung von Tatmehrheit rechtlich nicht geeignet. Den Urteilsfeststellungen ist eine zeitliche Abfolge zwischen entsprechenden Beobachtungen der Angeklagten und darauf folgenden konkreten sexuellen Übergriffen nicht zu entnehmen, so daß eine Zuordnung einzelner sexueller Vorgänge zu bestimmten, die Garantenpflicht der Angeklagten wiederholt auslösenden "Appellsituationen" nicht möglich ist. Insbesondere kann nicht ausgeschlossen werden, daß die vier von der Kammer festgestellten sexuellen Übergriffe allesamt zwischen zwei Beobachtungszeitpunkten erfolgten und damit weitere, die Garantenpflicht auslösende Wahrnehmungen der Angeklagten rechtlich ins Leere gingen.

Im Ergebnis fehlt es damit an den Voraussetzungen für die Annahme tatmehrheitlich geleisteter Beihilfe, so daß die Förderung des in vier Fällen vollzogenen Geschlechtsverkehrs für die Angeklagte lediglich als eine Beihilfe nach § 52 StGB zu bewerten ist.

Das garantenpflichtwidrige Zulassen des Betastens der Brust des Tatopfers (UA S. 10, 30) steht hierzu in Tatmehrheit (§ 53 StGB), da die Angeklagte diesem Vorgang beiwohnte, ohne ihn - was ihr möglich gewesen wäre - zu verhindern.

Nach den rechtsfehlerfreien Urteilsfeststellungen hat sich die Angeklagte mithin der Beihilfe zum sexuellen Mißbrauch eines Kindes in Tateinheit mit Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger in zwei Fällen schuldig gemacht. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils bedarf einer Berichtigung dahingehend, da die im Urteilstenor festgesetzte Anzahl der Fälle von "fünf" in "zwei" abgeändert wird. Der Schuldspruchberichtigung steht § 265 StPO nicht entgegen, da nicht ersichtlich ist, daß sich die geständige Angeklagte gegen den neuen Tatvorwurf anders als geschehen hätte verteidigen können."

Der Senat schließt sich diesen Ausführungen an.

Die Änderung des Schuldspruchs führt zur Aufhebung der vier Einzelstrafen, die in den Fällen verhängt wurden, die nach dem geänderten Schuldspruch als eine Tat zu bewerten sind, sowie zur Aufhebung der Gesamtstrafe. Der Senat hat auch die von der Schuldspruchänderung nicht unmittelbar betroffene Einzelstrafe aufgehoben, da nicht auszuschließen ist, daß sie von den Überlegungen zur Strafzumessung im übrigen beeinflußt worden ist.

Der neu entscheidende Tatrichter wird bei der Strafrahmenbestimmung zu beachten haben, daß die Frage, ob ein minder schwerer Fall, bzw. eine Ausnahme vom Regelbeispiel vorliegt, für jeden Tatbeteiligten gesondert zu entscheiden ist. Bei der Beurteilung von Beihilfe sind nicht die Taten des Haupttäters entscheidend. Maßgeblich ist vielmehr, ob sich die Beihilfe als solche unter Berücksichtigung aller in der Person des Täters und in der Beihilfehandlung liegenden Umstände - unter Beachtung der Haupttat - als minder schwer darstellt.

Ende der Entscheidung

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