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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.05.2008
Aktenzeichen: 3 StR 123/08
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 358 Abs. 2
StGB § 46
StGB § 57
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 123/08

vom 8. Mai 2008

in der Strafsache

gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. Mai 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 28. November 2007 im Strafausspruch aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen dadurch entstanden notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen und Besitz kinderpornographischer Schriften sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung materiellen Rechts beanstandet wird, führt zur Aufhebung des Strafausspruchs; denn das Landgericht hat die festgestellte Verletzung des Gebots einer zügigen Verfahrenserledigung nicht gemäß den Grundsätzen der neueren Rechtsprechung kompensiert. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

Das Landgericht hat eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung von insgesamt 16 Monaten festgestellt. Es hat diese Verzögerung dadurch ausgeglichen, dass es zunächst die an sich verwirkten Einzelstrafen und die hieraus gebildete Gesamtstrafe benannt hat; sodann hat es niedrigere Einzelstrafen festgesetzt und aus diesen eine verminderte Gesamtstrafe gebildet.

Diese Verfahrensweise ("Strafabschlagslösung") entspricht nicht der - nach dem Erlass der angefochtenen Entscheidung - geänderten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Kompensation des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK ("Vollstreckungsmodell"; vgl. BGH - GS - NJW 2008, 860). Dadurch ist der nicht vorbestrafte Angeklagte - wie die Revision zu Recht geltend macht - beschwert, weil sich durch das Vollstreckungsmodell der Zeitpunkt, zu dem ein Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden kann, nach vorne verlagert. Der Angeklagte könnte deshalb - bei Vorliegen der übrigen, hier nicht von vornherein ausgeschlossenen Voraussetzungen des § 57 StGB - früher als nach dem Strafabschlagsmodell aus dem Strafvollzug entlassen werden.

Bei der nunmehr gebotenen Durchführung der Kompensation im Wege des Vollstreckungsmodells wird Folgendes zu beachten sein (s. im Einzelnen BGH aaO S. 866 f.):

Der neue Tatrichter wird zunächst nach den Kriterien des § 46 StGB schuldangemessene, die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung außer Acht lassende Einzelstrafen festzusetzen und aus diesen eine Gesamtstrafe zu bilden haben. Dabei wird zu prüfen sein, inwieweit der zeitliche Abstand zwischen den begangenen Taten und dem Urteil sowie die Verfahrensdauer als solche bei der Straffestsetzung mildernd zu berücksichtigen sind. Die entsprechenden Erörterungen sind als bestimmende Zumessungsfaktoren in den Urteilsgründen kenntlich zu machen (§ 267 Abs. 3 Satz 1 StPO); einer Bezifferung des Maßes der Strafmilderung bedarf es nicht.

Für den - hier nahe liegenden - Fall, dass allein die Feststellung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als Kompensation nicht ausreichen wird (vgl. dazu BGH aaO S. 864, 866), ist daran anschließend im Urteilstenor festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Entscheidend für diese Festlegung sind die Umstände des Einzelfalls wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Dabei muss im Auge behalten werden, dass die mit der Verfahrensdauer als solcher verbundenen Belastungen des Angeklagten bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen sind und es nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Der neue Tatrichter ist durch § 358 Abs. 2 StPO nicht gehindert, höhere Einzelstrafen als die bisher erkannten zu verhängen und auch eine höhere Gesamtstrafe auszusprechen. Indes dürfen die neuen Strafen die im angefochtenen Urteil als an sich verwirkt und - ohne Kompensationsabschlag - als schuldangemessen ausgewiesenen nicht übersteigen. Außerdem darf die im Falle vollständiger Vollstreckung zu verbüßende Strafe (schuldangemessene Gesamtfreiheitsstrafe abzüglich des als vollstreckt geltenden Teils) nicht höher sein, als die im angefochtenen Urteil ausgesprochene Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten. Damit wird sichergestellt, dass der Angeklagte, auch wenn der neue Tatrichter auf eine höhere Gesamtfreiheitsstrafe erkennt, durch die Kompensation in Form der Vollstreckungslösung im Ergebnis nicht schlechter steht; denn die höchst mögliche Gesamtverbüßung kann im Vergleich zum bisherigen Straferkenntnis auch dann nicht länger dauern.

3. Die Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Der neue Tatrichter ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, die indes zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen dürfen.

Ende der Entscheidung

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