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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 16.06.2005
Aktenzeichen: 3 StR 338/04
Rechtsgebiete: BtMG, StGB, StPO


Vorschriften:

BtMG § 31
StGB § 49 Abs. 2
StGB § 73 a Satz 1
StGB § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt.
StPO § 301
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 StR 338/04

vom 16. Juni 2005

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. Juni 2005, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Tolksdorf, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Miebach, Pfister, Becker, Hubert als beisitzende Richter,

Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin,

Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Verden vom 2. April 2004 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zehn Fällen, wegen gewerbsmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in zehn Fällen sowie wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in einem Fall" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt, sichergestelltes Betäubungsmittel eingezogen und 2.428,64 € für verfallen erklärt. Von dem Vorwurf, die Nebenklägerin in vier Fällen vergewaltigt zu haben, hat es ihn freigesprochen, weil es nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit festzustellen vermochte, daß der Angeklagte die ihm zur Last gelegten Straftaten tatsächlich begangen hat. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer Revision gegen den Freispruch und gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

1. Der Freispruch des Angeklagten hält rechtlicher Überprüfung stand.

a) Die zahlreichen Verfahrensrügen der Staatsanwaltschaft sind offensichtlich unbegründet. Zu näherer Erörterung geben lediglich folgende Beanstandungen Anlaß: Das Landgericht hat den Antrag, durch Vernehmung der Nebenklägervertreterin Beweis darüber zu erheben, was die Nebenklägerin zuvor in der Hauptverhandlung bekundet hatte, zu Recht als unzulässig zurückgewiesen. Die in der Hauptverhandlung vorausgegangene Beweiserhebung kann nicht selbst wieder Gegenstand des tatrichterlichen Strengbeweises sein (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 1 Unzulässigkeit 12 m. w. N.) Damit bleibt auch die hierauf gerichtete Aufklärungsrüge (Rüge 1.1.4) erfolglos. Soweit beanstandet wird (Rüge 1.1.6), das Landgericht habe die Hinzuziehung eines Sachverständigen zur "persönlichen und aussagespezifischen Situation sexuell mißbrauchter Frauen" zu Unrecht unterlassen, sind keine Besonderheiten erkennbar, die für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit die Hinzuziehung eines Sachverständigen geboten hätten. Zuletzt (Rüge 1.2.5) bestehen auch gegen die Ablehnung der Vernehmung der (sachverständigen) Zeugin F. keine rechtlichen Bedenken. Eine unzulässige Verkürzung des Beweisthemas vermag der Senat nicht zu erkennen; vielmehr hat sich das Landgericht mit den behaupteten Details der Aussage der Nebenklägerin gegenüber der Zeugin ausdrücklich auseinandergesetzt und weitere Widersprüche zu anderen Aussagen der Zeugin gefunden.

b) Die Erwägungen, mit denen das Landgericht den Freispruch begründet, enthalten keinen Rechtsfehler, der den Eingriff des Revisionsgerichts in die tatrichterliche Beweiswürdigung ermöglichen würde (vgl. BGH StV 2001, 440; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 25 m. w. N.; zuletzt BGH, Urt. vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04). Die Beanstandungen der Beschwerdeführerin sind teilweise auf urteilsfremde Umstände gestützt und beschränken sich weitgehend auf den Versuch, die Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene zu ersetzen. Soweit der Generalbundesanwalt rügt, das Landgericht habe es unterlassen, die Detailarmut der Angaben der Nebenklägerin mit dem Zeitablauf und einem Verdrängungsprozeß zu erklären, bedurfte es dieser Erwägung angesichts der sonst umfangreichen Auseinandersetzung mit der Aussage der einzigen Belastungszeugin im Urteil nicht.

Keinen Erfolg kann die Revision auch insofern haben, als sie die Beweiswürdigung des Landgerichts mit dem Hinweis darauf beanstandet, daß sich - wie sich aus den Strafzumessungsgründen ergibt - die Staatsanwaltschaft, die Verteidiger und die Kammer am ersten Verhandlungstag "für den Fall eines Freispruchs von dem Vorwurf der Vergewaltigung und der Verurteilung des Angeklagten wegen der in der Anklageschrift vom 4. August 2003 aufgeführten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz ... im Falle einer geständigen Einlassung" auf eine Strafrahmenobergrenze von zwei Jahren und vier Monaten "verständigt" hatten. Dieser Verfahrenssachverhalt ist für die sachlichrechtliche Nachprüfung der Beweiswürdigung ohne Belang. Insofern kann dahin gestellt bleiben, ob sich aus der Zusage der Strafobergrenze "für den Fall des Freispruchs vom Vorwurf der Vergewaltigung" unter den gegebenen Umständen eine unzulässige vorzeitige Festlegung des Landgerichts auf diesen Verfahrensausgang entnehmen ließe (zum Verbot einer Verständigung über den Schuldspruch vgl. BGHSt 43, 195; BGH Großer Senat für Strafsachen NJW 2005, 1440). Sollte nämlich - wofür das Urteil keinen Anhalt bietet und die Beschwerdeführerin nichts vorträgt - beim Zustandekommen der Verständigung der Eindruck entstanden sein, daß die Strafkammer nicht mehr bereit gewesen wäre, über den Vorwurf der Vergewaltigung unvoreingenommen zu verhandeln und zu entscheiden, hätte die Beschwerdeführerin dies zum Anlaß eines Ablehnungsantrags machen können und, so dies aus ihrer Sicht erforderlich war, zur Sicherung einer unbefangenen Beweiswürdigung müssen.

2. Soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, zeigt die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat der Angeklagte in zehn Fällen Kokain in Mengen von jeweils 50 bis 200 g angekauft und mit einem Gewinn von 5 DM/g weiterverkauft (Gesamtgewinn: 4.250 DM). Nach einer durch die Inhaftierung seines Lieferanten verursachten Unterbrechung der Handelstätigkeit für ein knappes Jahr hat er in zehn weiteren Fällen jeweils 10 g Kokain angekauft und mit einem Gewinn von 2,50 €/g weiterverkauft (Gesamtgewinn: 250 €). Im Mai 2003 hat er 2,1 g Kokain in seinem Besitz gehabt. In allen Fällen betrug der Wirkstoffgehalt 40% KHC.

a) Das Landgericht hat in allen Fällen des Handeltreibens den nach § 31 BtMG, § 49 Abs. 2 StGB gemilderten Strafrahmen zugrunde gelegt, weil der Angeklagte die Person des Abnehmers hinsichtlich aller seiner Betäubungsmittelverkäufe benannt hat. Gegen diese Person ist deshalb von der Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Damit hat das Landgericht seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß die Angaben des Angeklagten zu einem voraussichtlich erfolgreichen Abschluß der Strafverfolgung gegen den Abnehmer beitragen. Dies reicht aus.

b) Die Strafrahmenwahl des Landgerichts ist allerdings insofern rechtsfehlerhaft, als der nach § 49 Abs. 2 StGB (im Urteil fälschlicherweise mit "§ 49 Abs. 1" bzw. "§ 49 Abs. 2 Nr. 2 und 3" bezeichnet) gemilderte Strafrahmen nicht - wie das Landgericht meint - von drei Monaten bis zu elf Jahren drei Monaten Freiheitsstrafe reicht, sondern von Geldstrafe bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Der Senat kann indes ausschließen, daß die verhängten Einzelstrafen (in den Fällen 1 bis 10 [§ 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG] zwischen einem Jahr und drei Monaten und einem Jahr und zehn Monaten, in den Fällen 11 bis 20 [§ 29 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG] jeweils zehn Monate) von diesem Fehler zu Gunsten oder - was im Hinblick auf § 301 StPO von Bedeutung ist - zum Nachteil des Angeklagten beeinflußt sind.

c) Die Gesamtstrafe kann bestehen bleiben. Das Landgericht hat zwar die Einsatzstrafe von einem Jahr und zehn Monaten (bei weiteren Einzelstrafen von einmal einem Jahr und zehn Monaten, einmal einem Jahr und sechs Monaten, siebenmal einem Jahr und drei Monaten, zehnmal zehn Monaten sowie einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen; Summe der Einzelstrafen: über 22 Jahre) auf nur zwei Jahre und vier Monate erhöht und eine angesichts der Menge des insgesamt gehandelten Kokains von knapp einem Kilogramm recht milde Strafe verhängt. Diese entspricht auch genau der Strafrahmenobergrenze, auf die sich die Staatsanwaltschaft, die Verteidiger und die Kammer am ersten Verhandlungstag wie dargestellt verständigt hatten und an die sich die Strafkammer "gebunden fühlte" (UA S. 37), obwohl die Verständigung nicht in der Hauptverhandlung protokolliert worden war (vgl. zur Bindung für diese Konstellation BGH Großer Senat für Strafsachen NJW 2005, 1440; BGH NJW 2005, 445; NStZ 2004, 342; 2003, 563). Der Senat besorgt indes aus dieser eher beiläufigen Erwähnung in den Strafzumessungsgründen nicht, daß die Gesamtstrafenbildung nur die Verhängung einer versprochenen Strafe gewesen wäre und ein die Taten und die Persönlichkeit des Angeklagten insgesamt würdigender Zumessungsprozeß, der durch eine Verständigung nicht ersetzt werden kann (vgl. BGH NStZ 2004, 493; 2005, 162), nicht stattgefunden hätte.

d) Soweit das Landgericht einen Härteausgleich vorgenommen hat, weil die im Urteil des Amtsgerichts Verden vom 5. März 2003 verhängte Geldstrafe von 20 Tagessätzen bereits erledigt ist, hat zwar eine des Ausgleichs bedürftige Härte nicht vorgelegen. Das Urteil des Amtsgerichts Verden hätte nämlich, wäre die mit ihm verhängte Geldstrafe noch nicht bezahlt gewesen, eine Zäsur gebildet und die Einbeziehung der hier für den Besitz von Betäubungsmitteln (Tatzeit: 26. Mai 2003) verhängten Einzelstrafe von 30 Tagessätzen in die Gesamtstrafe verhindert. Indes kann der Senat ausschließen, daß der Gesamtstrafausspruch zum Vorteil des Angeklagten hierauf beruht.

e) Die Angriffe gegen die Höhe des angeordneten Wertersatzverfalls gehen fehl. Das Landgericht hat nicht verkannt, daß bei der Entscheidung vom Bruttoprinzip, mithin von einem Gesamtbetrag des im Sinne von § 73 a Satz 1 StGB aus den Betäubungsmittelgeschäften Erlangten von 32.126,70 € auszugehen war. Von einer den Betrag von 2.428,64 € übersteigenden Verfallsanordnung hat es unter Hinweis darauf abgesehen, daß ansonsten die weitere Resozialisierung des Angeklagten nach Verbüßung der Haftstrafe gefährdet wäre. Damit hat die Strafkammer, zumal sie ausdrücklich feststellt, daß der Angeklagte vermögenslos ist, derzeit von elterlicher Unterstützung lebt und aus der Zeit seiner beruflichen Selbständigkeit Schulden von 30.000 € hat, erkennbar (vgl. BGH NStZ-RR 2003, 75) eine Ermessensentscheidung nach § 73 c Abs. 1 Satz 2 1. Alt. StGB getroffen. Daß sich als Folge dessen im Ergebnis der Wertersatzverfall in etwa auf die Summe reduziert, die bei Anwendung des Nettoprinzips für verfallen zu erklären gewesen wäre, begründet keinen revisionsrechtlich beachtlichen Fehler.

Ende der Entscheidung

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