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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.02.2008
Aktenzeichen: 3 StR 416/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StGB § 51 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StR 416/07

vom 14. Februar 2008

in der Strafsache

gegen

wegen Bestechlichkeit

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 14. Februar 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das ihn betreffende Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 20. April 2007 aufgehoben, soweit die Entscheidung über eine angemessene Kompensation der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung unterblieben ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bestechlichkeit in 45 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und den Verfall eines Geldbetrages von 30.000 € als Wertersatz angeordnet. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er beanstandet zu Recht, dass das gegen ihn gerichtete Verfahren in einer mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht zu vereinbarenden Weise verzögert worden ist. Im Übrigen ist die Revision aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts liegt eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung vor. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt:

"Zwischen dem Eingang der Anklageschrift vom 3. Februar 2004 bei Gericht am 18. Februar 2004 (UA S. 44) und dem ersten Tag der Hauptverhandlung am 7. November 2006 (UA S. 2) lagen mehr als zwei Jahre und acht Monate. Das ist auch unter Berücksichtigung der Besonderheiten des vorliegenden Falles mit der Verpflichtung des Staates, Strafverfahren innerhalb angemessener Zeit zu erledigen (vgl. nur BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 29 m.w.N.), nicht vereinbar. Zwar liegt auf der Hand, dass die Kammer eine nicht unerhebliche Zeitspanne zur Einarbeitung in das Umfangverfahren und zur Vorbereitung der Hauptverhandlung benötigte. Dieser Zeitbedarf wurde noch erhöht durch die Verbindung mit den Verfahren gegen die Mitangeklagten H. und B. wegen Bestechung sowie wegen Betrugsvorwürfen zum Nachteil der Stadtwerke Ha. (UA S. 45). Dieser zusätzliche Zeitaufwand relativiert sich allerdings erheblich im Hinblick darauf, dass das wegen der Zahlungen an den Angeklagten S. geführte Verfahren gegen die beiden Mitangeklagten keine neuen Lebenssachverhalte betraf, sondern spiegelbildlich die bereits verfahrensgegenständlichen Taten des Angeklagten S. , soweit die beiden Mitangeklagten die Vorteilsgeber waren. Im Hinblick auf das weiterhin verbundene Verfahren der Betrugsvorwürfe hat die Strafkammer im Verbindungsbeschluss, den die Revision mitgeteilt hat (RB S. 30 f.), ausgeführt, dass dieser im Kern auch den gleichen Sachverhalt bzw. einen gleichgelagerten Sachverhalt betreffe wie das Ausgangsverfahren (RB S. 30). Anhaltspunkte dafür, dass diese Einschätzung sich im weiteren Verfahrensverlauf als unzutreffend herausgestellt hätte, sind nicht ersichtlich, lassen sich insbesondere den Urteilsgründen nicht entnehmen."

Dem tritt der Senat bei.

2. Die somit gebotene Kompensation für die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung hat das Landgericht unterlassen. Sie ist nachzuholen. Dabei wird der nunmehr zur Entscheidung berufene Tatrichter den Beschluss des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs vom 17. Januar 2008 (GSSt 1/07) zu beachten haben. Danach ist bei Vorliegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung anstelle der bisher gewährten Strafminderung in der Urteilsformel auszusprechen, dass zur Entschädigung für die überlange Verfahrensdauer ein bezifferter Teil der verhängten Strafe als vollstreckt gilt.

Der neu erkennende Tatrichter wird zunächst Art und Ausmaß der Verzögerung sowie ihre Ursachen zu ermitteln und im Urteil konkret festzustellen haben. Hieran anschließend wird zu prüfen sein, ob vor diesem Hintergrund zur Kompensation die ausdrückliche Feststellung der rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung genügt; ist dies der Fall - was hier angesichts des aus den Gründen des angefochtenen Urteils hervorgehenden Umfangs der Verzögerung nicht in Betracht kommen dürfte -, so muss diese Feststellung in den Urteilsgründen klar hervortreten. Reicht sie dagegen als Entschädigung nicht aus, so hat der neue Tatrichter festzulegen, welcher bezifferte Teil der Gesamtfreiheitsstrafe zur Kompensation der Verzögerung als vollstreckt gilt. Allgemeine Kriterien für diese Festlegung lassen sich nicht aufstellen; entscheidend sind stets die Umstände des Einzelfalls, wie der Umfang der staatlich zu verantwortenden Verzögerung, das Maß des Fehlverhaltens der Strafverfolgungsorgane sowie die Auswirkungen all dessen auf den Angeklagten. Jedoch muss der neue Tatrichter im Auge behalten, dass in dem angefochtenen Urteil die Verfahrensdauer als solche bereits mildernd in die Strafbemessung eingeflossen ist (vgl. UA S. 43, 53) und es daher in diesem Punkt der Rechtsfolgenbestimmung nur noch um einen Ausgleich für die rechtsstaatswidrige Verursachung dieser Umstände geht. Dies schließt es aus, etwa den Anrechnungsmaßstab des § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB heranzuziehen und das Maß der Anrechnung mit dem Umfang der Verzögerung gleichzusetzen; vielmehr wird sich die Anrechnung hier auf einen eher geringen Teil der Strafe zu beschränken haben (vgl. BGH GSSt aaO, S. 28 f.).

3. Der Senat konnte gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO durch Beschluss entscheiden. Der allein auf die rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung gestützte und vor Erlass der genannten Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen gestellte Antrag des Generalbundesanwalts ist zwar der damaligen ständigen Rechtsprechung entsprechend auf die Aufhebung des Strafausspruchs gerichtet. In der Begründung des Antrags hat der Generalbundesanwalt jedoch ausdrücklich auf das vom Senat mit Beschluss vom 23. August 2007 (NJW 2007, 3294) vorgeschlagene Anrechnungs- bzw. Vollstreckungsmodell hingewiesen und ausgeführt, dass danach das Urteil nur insoweit aufzuheben wäre, als die Festsetzung einer angemessenen Kompensation unterblieben ist. Der Strafausspruch könne nur deshalb keinen Bestand haben, weil eine entsprechende Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen noch nicht vorliege. Hieraus ergibt sich eindeutig, dass der Generalbundesanwalt die Aufhebung des Urteils nur in demjenigen Umfang begehrt, der erforderlich ist, damit der neue Tatrichter die gebotene Kompensation nach den Grundsätzen der Entscheidung des Großen Senats vornehmen kann.

Ende der Entscheidung

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