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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.06.2004
Aktenzeichen: 4 StR 160/04
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StGB § 23
StGB § 49 Abs. 1
StGB § 69
StGB § 69 a
StGB § 211 Abs. 1
StGB § 315 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 160/04

vom

8. Juni 2004

in der Strafsache

gegen

wegen versuchten Mordes u. a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 8. Juni 2004 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 18. Dezember 2003 im Schuldspruch dahin geändert, daß hinsichtlich der zum Nachteil des Stephan G. begangenen Tat die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr entfällt.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (Tat zum Nachteil G. ) sowie des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (Tat zum Nachteil L. ) für schuldig befunden und ihn zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es Maßregeln nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er allgemein die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führt hinsichtlich der zum Nachteil des Nebenklägers Stephan G. begangenen Tat zu einer Änderung des Schuldspruchs. Im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben, soweit es ihn hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Nebenklägers Stephan G. des versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und soweit es ihn wegen der weiteren Tat zum Nachteil des Nebenklägers Hans-Jürgen L. verurteilt hat.

2. Dagegen hält der Schuldspruch der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, soweit das Landgericht den Angeklagten hinsichtlich der zum Nachteil des Stephan G. begangenen Tat auch des tateinheitlich verwirklichten vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB) für schuldig befunden hat. Insoweit fehlt es nach den Feststellungen an der für die Anwendung des § 315 b StGB vorausgesetzten Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs.

Geschütztes Rechtsgut der Bestimmung des § 315 b StGB ist die Sicherheit des Straßenverkehrs. Sie bezieht sich nur auf den öffentlichen Verkehrsraum und setzt daher voraus, daß durch die Tathandlung in den Verkehr auf Wegen und Plätzen, die jedermann oder allgemein bestimmten Gruppen dauernd oder vorübergehend zur Benutzung offen stehen, eingegriffen worden ist (st. Rspr.; BGHSt 16, 7, 9 f., BGH VRS 61, 122 f.; OLG Düsseldorf NJW 1982, 2391). Daran fehlt es hier.

a) Nach den Feststellungen beobachtete der Angeklagte von seinem in Fahrtrichtung gesehen am rechten Straßenrand der Pfarrer-Findl-Straße in E. gegenüber dem dortigen Polizeigebäude stehenden Pkw heraus, daß der später Geschädigte Stephan G. auf den Haupteingang des Polizeigebäudes zuging und dabei die zwischen dem Polizeiparkplatz und dem zum Eingang führenden gepflasterten Weg befindliche, mehrere Meter breite (Zier-)Rasenfläche überquerte. "In diesem Moment beschloß der Angeklagte in seiner sich steigernden Aufwallung von Wut und Verärgerung, sich an Stephan G. (...) zu rächen und (ihn) durch den Einsatz seines Pkw zu verletzen, wobei er auch den möglichen Tod des Stephan G. billigend in Kauf nahm" (UA 10/11). Er fuhr deshalb vom rechten Straßenrand "mit aufheulendem Motor beschleunigend" nach links über die Straße und den angrenzenden Gehweg auf den "Grünstreifen", wo er den Geschädigten von hinten erfaßte, der nach links weggeschleudert wurde und auf dem Grünstreifen verletzt liegen blieb.

b) Nach ständiger Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er entweder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsberechtigten für jedermann oder aber für eine allgemein bestimmte größere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutzt wird (zuletzt Senatsurteil vom 4. März 2004 - 4 StR 377/03 - m.w.N., zur Veröffentlichung in BGHSt vorgesehen). In diesem Sinne gehörte die Rasenfläche vor dem Polizeigebäude, auf der sich der Nebenkläger befand, nicht mehr zum öffentlichen Verkehrsraum. Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn - wozu das Urteil sich nicht verhält - tatsächlich einzelne Besucher den Weg vom Parkplatz zum Polizeigebäude über den Rasen "aus Bequemlichkeit" abkürzen; denn die vereinzelte Inanspruchnahme der Rasenfläche, die ersichtlich nicht als Zuweg zum Polizeigebäude diente, würde auch eine bloß faktische Öffentlichkeit der Fläche nicht begründen (vgl. BGH NZV 1998, 418; OLG Köln VM 2000, 86; zu Grünstreifen als nicht-öffentlicher Verkehrsraum OLG Köln VRS Bd. 65, 156 f.).

c) Bei dieser Sachlage scheidet eine Strafbarkeit nach § 315 b StGB aus. Dem steht nicht entgegen, daß die Tat ihren Ausgang vom öffentlichen Straßenverkehr aus genommen hat, indem der Angeklagte mit seinem Pkw über die Straße und den angrenzenden Gehweg (insoweit noch öffentlicher Verkehrsraum; vgl. BGHSt 22, 365, 367) hinweg auf die Rasenfläche fuhr (wie hier BGH VRS 61, 122 f.; OLG Düsseldorf NJW 1982, 2391; Hentschel, Straßenverkehrsrecht 37. Aufl. StGB § 315 b Rdn. 2). Allerdings wird die Anwendbarkeit der Strafvorschrift des § 315 b StGB nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß die konkrete Gefahr oder gar der Schaden erst außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums eintreten. So hätte der Senat keine Bedenken, einen tatbestandsmäßigen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr nach § 315 b StGB auch dann zu bejahen, wenn der Täter mit seinem Pkw das Opfer bereits auf der Straße verfolgt, er es aber erst außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums erfaßt. Befindet sich wie hier das Opfer dagegen von vorneherein - d.h. in dem Zeitpunkt, in dem sich der Täter zur Tatbegehung entschließt und sein Fahrzeug zweckwidrig als Waffe oder Schadenswerkzeug einsetzt ("pervertiert") - außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums, fehlt es an einer Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs und damit an einer tatbestandlichen Voraussetzung für die Anwendbarkeit des § 315 b StGB. Daß die Tathandlung in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Straßenverkehr steht, führt zu keinem anderen Ergebnis (unklar König in LK-StGB 11. Aufl. § 315 b Rdn. 61). Kriminalpolitische Überlegungen (vgl. Landsberg NStZ1983, 223) haben dabei außer Betracht zu bleiben.

3. Der Senat ändert daher den Schuldspruch entsprechend der Beschlußformel ab.

Die Schuldspruchänderung läßt den Rechtsfolgenausspruch unberührt. Der Wegfall der tateinheitlichen Verurteilung nach § 315 b StGB ändert den Schuldgehalt der zum Nachteil des Nebenklägers Stephan G. begangenen Tat nicht. Der Senat schließt auch aus, daß das Schwurgericht bei dem auf die Verurteilung wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung beschränkten Schuldspruch auf eine niedrigere Einzelstrafe erkannt hätte. Denn das Landgericht hat bei der Bemessung der dem gemäß §§ 23, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 211 Abs. 1 StGB entnommenen Strafe die angenommene tateinheitliche Verwirklichung des § 315 b StGB nicht mit herangezogen; vielmehr hat es strafschärfend allein auf die nicht unerheblichen Verletzungen und erheblichen psychischen Folgen der Tat für das Opfer abgestellt (UA 53).

Die Schuldspruchänderung gibt keinen Anlaß, den Angeklagten teilweise von den Kosten und Auslagen seines Rechtsmittels freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

Ende der Entscheidung

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