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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 25.09.2002
Aktenzeichen: 4 StR 173/02
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

-
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 StR 173/02

vom

25. September 2002

in der Strafsache

gegen

wegen Mordes

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. September 2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Nebenklägers Bernhard S. wird das Urteil des Landgerichts Münster vom 13. November 2001 mit den Feststellungen aufgehoben.

2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf des Mordes aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Nach der Anklage lag ihm zur Last, am Abend des 5. Februar 2001 den 37-jährigen selbständigen Bauunternehmer Uwe S. heimtückisch aus nächster Nähe mit zwei Schüssen aus einem Schrotgewehr getötet zu haben. Von seiner Täterschaft konnte sich das Landgericht nicht überzeugen.

Mit seiner Revision, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, erstrebt der Nebenkläger die Aufhebung des freisprechenden Urteils. Das Rechtsmittel hat Erfolg, da die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung rechtlicher Nachprüfung nicht standhält.

II.

1. Nach den Urteilsfeststellungen war der Angeklagte in leitender Funktion in einer Fensterbaufirma tätig, die in regelmäßiger Geschäftsverbindung mit dem Bauunternehmen S. stand, an dem neben weiteren Familienmitgliedern der später getötete Uwe S. beteiligt war. Zwischen dem Angeklagten und den in dem Bauunternehmen tätigen Mitgliedern der Familie S. war über die Jahre der Geschäftsverbindung ein freundschaftliches Verhältnis entstanden. Insbesondere der im Büro der Firma S. beschäftigten Birgit S. , der Ehefrau des Uwe S. , mit der er bei geschäftlichen Besuchen auch über private Fragen sprach, brachte der Angeklagte sichtbar Sympathien entgegen.

Für den Abend des 5. Februar 2001 hatte der Angeklagte mit Uwe S. einen geschäftlichen Besprechungstermin vereinbart, der in den Räumen der Fensterbaufirma stattfinden sollte und an dem neben Uwe S. noch dessen Vettern Jörg und Ralf S. teilnehmen sollten. Da Jörg und Ralf S. aus privaten Gründen den Termin letztlich nicht wahrnehmen konnten, fuhr Uwe S. gegen 19.30 Uhr mit seinem Pkw allein zu dem ca. 35 bis 40 Fahrminuten entfernten Betriebsgebäude der Fensterbaufirma, in welchem sich zu dieser Zeit nur der Angeklagte aufhielt. Zu welchem Zeitpunkt der Angeklagte frühestens erfahren hatte, daß Uwe S. allein zu dem Termin erscheinen werde, konnte das Landgericht nicht sicher feststellen. Spätestens anläßlich eines Anrufs auf dem Handy von Uwe S. um 19.58 Uhr erhielt er jedoch hiervon Kenntnis. Nachdem Uwe S. den Betrieb des Angeklagten erreicht und seinen Pkw vor diesem abgestellt hatte, wurde er zwischen 20.15 Uhr und 20.20 Uhr unmittelbar vor dem linken Seiteneingang des Firmengebäudes durch zwei Schüsse aus einer Schrotwaffe, die maximal aus einer Entfernung von 10 cm abgegeben worden waren, getötet. Gegen 20.42 Uhr forderte der Angeklagte telefonisch über die Notrufnummer 112 einen Rettungswagen und Rettungskräfte an.

2. Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten, der bestreitet auf Uwe S. geschossen zu haben, nicht zu überzeugen vermocht. Es hat hierbei im wesentlichen folgende den Angeklagten be- und entlastende Umstände berücksichtigt:

Gegen den Angeklagten spreche zunächst, daß er in Anbetracht des Tatorts und der Tatzeit "über die idealen Voraussetzungen [verfügte], um die Tat zu begehen". Ein zufälliges Zusammentreffen des Uwe S. mit dem Täter, etwa mit einem Dieb oder Einbrecher, sei angesichts der ungewöhnlichen Tatwaffe und des Umstandes, daß bei dem Tatopfer Bargeld in Höhe von über 690.- DM vorgefunden werden konnte, äußerst unwahrscheinlich. Auch Widersprüche im Aussageverhalten des Angeklagten, etwa zur optischen und akustischen Wahrnehmung der Schüsse, sowie sein Bestreben, den Tatverdacht durch unwahre Behauptungen auf einen Dritten zu lenken, könnten für dessen Täterschaft sprechen. Als "auffällig" hat es das Landgericht zudem bezeichnet, daß der Angeklagte um ca. 20.19 Uhr und nochmals um etwa 20.36 Uhr jeweils aus seinem Büro Birgit S. angerufen hat, um nach dem Verbleib Ihres Ehemannes zu fragen, zumal da er spätestens um 20.20 Uhr den ihm bekannten Pkw des Uwe S. vor der Firma geparkt wahrgenommen hatte und damit jedenfalls vor dem zweiten Gespräch wußte, daß dieser bereits eingetroffen sein mußte. Schließlich sei auch als belastendes Indiz zu werten, daß der Angeklagte sich in "auffälliger zeitlicher Nähe vor dem Tatgeschehen" Bargeld in Höhe von 120.000 DM verschafft habe. Die - wechselnden - Erklärungen, die der Angeklagte zur Verwendung dieses Geldes abgegeben hat, hat das Landgericht hierbei sämtlich für widerlegt erachtet. Es ist vielmehr zu dem Schluß gekommen, daß "gewichtige Anhaltspunkte" dafür sprächen, daß die Beschaffung des Geldbetrages in Verbindung mit der Tat gestanden habe. Die - wie das Landgericht ausführt - naheliegendste Möglichkeit, daß das Geld als Auftragslohn für die Tötung des Uwe S. durch einen Dritten benötigt wurde, hat es jedoch letztlich als "eher fernliegend" verworfen, da der Angeklagte sich in unmittelbarer Tatortnähe aufgehalten habe und der Zweck der Beauftragung eines Dritten gerade darin liege, daß der Auftraggeber sich zur Tatzeit unter Verschaffung eines Alibis fern vom Tatort aufhalte.

Gegen eine Täterschaft des Angeklagten spreche, daß ein Motiv für die Tat nicht ersichtlich sei. Insbesondere habe ein Liebesverhältnis zwischen ihm und der Ehefrau des Opfers nicht bestanden. Daß der Angeklagte einseitig an Birgit S. interessiert und möglicherweise heimlich in sie verliebt war, könne nicht als ein plausibles Motiv für die Tat angesehen werden. Zudem seien unmittelbare Beweismittel und Tatspuren bei dem Angeklagten nicht vorgefunden worden. So hätten - trotz sofortiger und intensiver Nachsuche - weder die Tatwaffe aufgefunden werden noch bei einer Schußabgabe durch den Angeklagten zu erwartende Schmauchspuren an dessen Händen oder - in Anbetracht der kurzen Schußentfernung - serologische Anhaftungen des Opfers an seiner Kleidung oder seinen Schuhen festgestellt werden können. Zu Gunsten des Angeklagten spreche auch, daß es von vorneherein stets sein ausdrücklicher Wunsch gewesen sei, daß Jörg und Ralf S. ebenfalls zu dem Termin erscheinen sollten. Unter der Voraussetzung, daß der Angeklagte erst seit dem Telefonat um 19.58 Uhr sicher davon ausgehen konnte, daß Uwe S. allein zu dem Treffen erscheinen werde, habe er zudem nur einen kurzen Zeitraum von ca. einer Viertelstunde bis zur Tatbegehung zur Verfügung gehabt. Gegen eine Täterschaft des Angeklagten spreche schließlich auch der von Zeugen geschilderte aufgelöste, von Panik gekennzeichnete Zustand des Angeklagten nach der Tat sowie der Umstand, daß die brutale, einer Hinrichtung gleichkommende Tat für den nach Zeugenaussagen weichen, gefühlsbetonten und bisher nicht durch Gewalttätigkeit auffälligen Angeklagten eher persönlichkeitsfremd sei.

Zusammenfassend ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, daß zwar eine Vielzahl von Indizien für die Täterschaft des Angeklagten spräche, jedoch weder jedes einzelne Indiz noch deren Gesamtheit den sicheren Schluß auf die Schuld des Angeklagten zuließen, "wenngleich die dafür sprechende Wahrscheinlichkeit ... auch hoch [sei]" (UA 69). Letztlich seien die gegen die Täterschaft des Angeklagten sprechenden Umstände aber auch nicht von so untergeordnetem Gewicht, daß darauf gestützt nicht letzte Zweifel an der Schuld des Angeklagten verblieben.

3. Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht überwinden kann, so ist dies vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen; denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der revisionsrechtlichen Beurteilung unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16 m.w.N.). Insbesondere muß die Beweiswürdigung erschöpfend sein: Der Tatrichter muß sich mit allen festgestellten Umständen auseinandersetzen, die den Angeklagten be- oder entlasten (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).

4. Hieran gemessen hält die dem Freispruch zugrundeliegende Beweiswürdigung der rechtlichen Nachprüfung nicht stand, da sie in einem wesentlichen Punkt lückenhaft und nicht erschöpfend ist.

Das Landgericht ist zu dem Ergebnis gelangt, gewichtige Anhaltspunkte sprächen dafür, daß die Beschaffung des Geldbetrages von 120.000.- DM durch den Angeklagten in Verbindung mit der Tat gestanden habe. Die vom Landgericht selbst zunächst als am naheliegendsten bezeichnete Möglichkeit, daß es sich um den Auftragslohn für die Tatbegehung durch einen Dritten gehandelt haben könnte, hat es schließlich allein aufgrund des Umstandes verworfen, daß der Angeklagte - was für eine Auftragstat untypisch sei - sich zur Tatzeit in Tatortnähe aufgehalten habe. Diese Argumentation greift zu kurz; sie wird den Besonderheiten des Falles nicht gerecht.

Das Landgericht hat nämlich insoweit nicht bedacht, daß der Angeklagte auf andere Weise als durch eine Abwesenheit vom Tatort versucht haben könnte, sich für die Tatzeit ein Alibi zu verschaffen. Hierauf könnte die - auch vom Landgericht als "auffällig" bezeichnete - Häufung von Telefongesprächen hinweisen, die der Angeklagte in der als Tatzeit in Betracht kommenden Zeitspanne vom Festanschluß in seinem Büro aus geführt hat. Nach den Feststellungen rief der Angeklagte gegen 19.58 Uhr das Tatopfer auf dessen Handy an (UA 15). Er wußte damit, daß Uwe S. sich zu diesem Zeitpunkt schon auf der Anfahrt befand. Bereits um ca. 20.15 Uhr folgte ein weiterer Anruf des Angeklagten auf denselben Handy-Anschluß, den Uwe S. - möglicherweise weil er "zu diesem Zeitpunkt seinem Mörder bereits gegenüber stand" - nicht mehr entgegennahm (UA 16). Den Grund dieses Anrufs konnte das Landgericht nicht "sicher aufklären". Einige Minuten später, um ca. 20.19 Uhr, rief der Angeklagte nunmehr die Ehefrau des Tatopfers, Birgit S. , auf deren Festnetzanschluß an, "möglicherweise um ihr mitzuteilen, daß Uwe S. immer noch nicht eingetroffen sei" (UA 18). Obgleich das Gespräch nach kurzer Zeit wegen des für den Angeklagten unerwarteten Eintreffens des Zeugen R. beendet werden mußte, blieb die Verbindung zum Festnetzanschluß S. für die Dauer von weiteren 13 Minuten und 52 Sekunden aufrechterhalten, "wobei der Grund hierfür nicht aufgeklärt werden konnte" (UA 19). Schließlich rief der Angeklagte gegen 20.36 Uhr erneut Birgit S. an. Den Zweck dieses Anrufes hat das Landgericht als "nur schwerlich nachvollziehbar" bezeichnet (UA 52), zumal da der Angeklagte nach seiner eigenen Einlassung das ihm bekannte Fahrzeug des Uwe S. bereits um 20.20 Uhr wahrgenommen hatte, mithin zum Zeitpunkt des Anrufes bereits wußte, daß Uwe S. auf dem Firmengelände eingetroffen war.

Aufgrund dieser Auffälligkeiten hätte daher das Landgericht bei der Prüfung der Frage, ob die Tat im Auftrag des Angeklagten durch einen Dritten begangen worden ist, in seine Überlegungen die Möglichkeit miteinbeziehen müssen, daß der Angeklagte bestrebt war, sich durch die festgestellten zahlreichen Telefonanrufe, deren fernmeldetechnische Erfassung und Aufzeichnung ihm naheliegend bekannt war, für den in Betracht kommenden Tatzeitraum ein Alibi zu konstruieren. In diesem Zusammenhang hätte gegebenenfalls auch der Umstand berücksichtigt werden können, daß der Angeklagte seit seiner Jugend ein starkes Interesse an der Ermittlungstätigkeit der Polizei hat, Ordner über Kriminalfälle anlegte, sich einen Spurensicherungskoffer verschaffte und durch Straftaten zum Nachteil seines früheren Arbeitgebers Polizeieinsätze provoziert hat, um anschließend "als Tatentdecker" die polizeiliche Ermittlungsarbeit beobachten zu können (UA 4/5).

Der Senat kann nicht ausschließen, daß das Landgericht, das in seiner zusammenfassenden Würdigung die Wahrscheinlichkeit einer Täterschaft des Angeklagten als hoch bezeichnet hat, bei Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten überwunden und eine Strafbarkeit als (Mit-) Täter oder jedenfalls als Anstifter bejaht hätte. Dies gilt umso mehr, als einer Reihe von Umständen, die das Landgericht als entlastend gewertet hat, - wie etwa das Nichtauffinden der Tatwaffe, das Fehlen von Tatspuren am Körper und an der Kleidung des Angeklagten und die als eher persönlichkeitsfremd gewertete Art der Tatausführung - bei Ausführung der Tat durch einen Dritten entweder überhaupt kein oder aber nur ein geringeres Gewicht zukommen würde.

Die Sache bedarf daher der erneuten Verhandlung und Entscheidung.

Ende der Entscheidung

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