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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.05.2001
Aktenzeichen: 4 StR 412/00
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2
StPO § 154 Abs. 2
StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 a
StGB § 250 Abs. 1 Nr. 1 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES Urteil

4 StR 412/00

vom

17. Mai 2001

in der Strafsache

gegen

wegen schweren Raubes

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Mai 2001, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Meyer-Goßner,

die Richter am Bundesgerichtshof Maatz, Dr. Kuckein, Athing,

die Richterin am Bundesgerichtshof Solin-Stojanovic,

als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt ,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 19. Mai 2000 wird verworfen.

2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt; außerdem hat es drei Schußwaffen, Munition sowie Waffenzubehör eingezogen. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und beanstandet das Verfahren. Der Generalbundesanwalt hält einige der Verfahrensrügen für durchgreifend. Dem folgt der Senat nicht. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

I.

Nach den getroffenen Feststellungen faßte der - einschlägig vorbestrafte - Angeklagte im März 1999 den Entschluß, gemeinsam mit seinem Cousin und früheren Mittäter Marek K. und mindestens einer weiteren bislang nicht ermittelten Person ein Kreditinstitut zu überfallen, da er dringend finanzielle Mittel benötigte. Am 25. März 1999 hielt sich der Angeklagte in S auf. Dort suchte er zunächst die Filiale der Commerzbank auf, wo er sich um 8.39 Uhr am Automaten einen Kontoauszug ausdrucken ließ, um sich ein Alibi zu verschaffen. Um 8.52 Uhr betraten sodann der mit den dortigen Verhältnissen vertraute Angeklagte und zwei weitere Mittäter die Zweigstelle der Kreissparkasse H. . Die drei Männer waren maskiert und führten eine Pump-Gun sowie zwei Pistolen mit sich; es konnte nicht geklärt werden, ob die Schußwaffen geladen waren. Die beiden Mittäter bedrohten die in den Geschäftsräumen der Bank anwesenden Angestellten der Sparkasse - den stellvertretenden Geschäftsführer W. und die Mitarbeiterin D. - mit vorgehaltenen Waffen. Einer der Täter dirigierte den stellvertretenden Geschäftsführer in den neben der Kundenhalle gelegenen Tresorraum und veranlaßte den um sein Leben fürchtenden Mann, den Kassenschrank zu öffnen. Das dort deponierte Bargeld - mindestens 209.000 DM - nahm der Täter an sich und verstaute es in einem mitgeführten Behältnis. Die Bankangestellte mußte sich auf Geheiß des zweiten Täters im Kassenraum auf den Boden legen. Der Angeklagte, der sich zunächst im Hintergrund gehalten hatte, griff in das Geschehen erst ein, als eine Kundin die Geschäftsräume des Kreditinstituts betrat. Er hielt nun die Angestellte mit der Pump-Gun in Schach, während einer seiner Mittäter die Kundin mit vorgehaltener Pistole zwang, sich in den Tresorraum zu begeben und dort neben dem stellvertretenden Geschäftsführer auf den Boden zu kauern. Sodann verließen die Täter mit ihrer Beute die Sparkasse und ergriffen mit einem vor dem Gebäude abfahrbereit abgestellten Pkw, mit dem sie bereits zum Tatort gefahren waren, die Flucht.

II.

Die Verfahrensbeschwerden dringen nicht durch.

1. Erfolglos bleibt die Rüge der Verletzung des § 261 StPO. Zwar beanstandet der Beschwerdeführer zu Recht, daß das Ergebnis des in der Hauptverhandlung verlesenen Gutachtens des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen vom 30. September 1999 hinsichtlich der Spuren am Lenkrad des Fluchtfahrzeugs mit dem Kennzeichen OS im Urteil nicht richtig wiedergegeben ist. Die Strafkammer führt im Rahmen der Beweiswürdigung aus, daß sich ausweislich dieses Gutachtens Fingerspuren von Marek K. am Lenkrad des Fluchtfahrzeugs befänden (UA 32). Demgegenüber stellt das Gutachten lediglich fest, es handele sich um eine Mischspur von mindestens drei Personen, wobei der Cousin des Angeklagten als Mitspurenleger nicht auszuschließen sei. Damit liegt ein Verstoß gegen § 261 StPO vor (vgl. BGHSt 29, 18, 21; BGHR StPO § 261 Inbegriff der Verhandlung 6, 10 und 18; BGH NStZ 1998, 51 f.).

Der Senat schließt jedoch ein Beruhen des Urteils auf diesem Verfahrensfehler aus. Das Landgericht sieht in den am Lenkrad des Fluchtfahrzeugs festgestellten Fingerspuren nämlich ersichtlich kein tragfähiges Indiz zur Überführung des Angeklagten. Vielmehr stellt es insoweit lediglich ergänzende Erwägungen zu Kontakten zwischen dem Angeklagten und weiteren Mittätern des Überfalls an, die bereits durch die Einlassung des Angeklagten im Verlauf einer früheren - später ausgesetzten - Hauptverhandlung und andere Indizien belegt sind. Der Angeklagte hat eingeräumt, sein Cousin Marek K. , dessen Täterschaft in dem Urteil festgestellt ist und auch von der Revision nicht ausdrücklich in Zweifel gezogen wird, habe sich im Zeitraum vom 22. März 1999 bis 25. März 1999 in seiner - des Angeklagten - Wohnung aufgehalten. Schon dies bildet eine ausreichende Grundlage für die Annahme, es bestehe eine enge Verbindung des Angeklagten zu den Mittätern des Überfalls.

2. Vergeblich rügt die Revision die Verletzung des § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO. Die Verteidigung hatte beantragt, die bei einem am 8. März 1999 durchgeführten Überfall auf die Sparkasse in B. entstandenen Aufnahmen der Raumüberwachungskamera durch einen Sachverständigen auswerten zu lassen; dieses Gutachten werde ergeben, daß der Angeklagte schon aufgrund seiner Körpergröße als Täter dieses Banküberfalls nicht in Betracht komme. In der Anklage vom 5. August 1999 war dem Angeklagten auch dieser Überfall zur Last gelegt worden. Im Verlauf der später ausgesetzten Hauptverhandlung ist das Verfahren wegen der Tat vom 8. März 1999 nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden.

Die Strafkammer hat die zu beweisende Tatsache in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise als für die Entscheidung ohne Bedeutung zurückgewiesen. Ohne Bedeutung ist eine Tatsache dann, wenn ein Zusammenhang zwischen ihr und der abzuurteilenden Tat nicht besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs nicht geeignet ist, die Entscheidung irgendwie zu beeinflussen (BGH StV 1997, 338; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 244 Rdn. 54 m.w.N.). Die Strafkammer geht im Rahmen ihrer Beweiswürdigung nicht von einer Beteiligung des Angeklagten an dem Überfall vom 8. März 1999 aus. Zwar stellt sie fest, daß die drei beim Angeklagten sichergestellten Schußwaffen, an denen sich zahlreiche Fingerspuren des Angeklagten befanden, bei diesem Überfall verwendet worden sind, und daß zwei dieser Waffen auch bei der Tat vom 25. März 1999 zum Einsatz kamen. Auch sieht sie, daß identische Faserspuren sowohl in dem privaten Pkw des Angeklagten als auch in den Fluchtfahrzeugen beider Überfälle gefunden wurden. Dennoch hält die Strafkammer lediglich "eine überaus enge Verbindung des Angeklagten zur Tat und zu den Tätern der Banküberfälle vom 8. März 1999 und vom 25. März 1999 für wahrscheinlich", stuft diesen Gesichtspunkt aber nur als schwaches Indiz ein, das "für sich allein betrachtet nicht geeignet wäre, sichere Rückschlüsse auf die Täterschaft des Angeklagten zuzulassen" (UA 31/32).

Selbst wenn daher die Auswertung der Aufnahmen ergeben hätte, daß die abgebildeten Täter deutlich kleiner als der Angeklagte waren, hätte dies für das Landgericht Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten am Überfall vom 25. März 1999 nicht zu begründen vermocht. Die Größe der Täter, die die Sparkasse in B. betreten haben und die auf den Aufnahmen der Überwachungskamera abgebildet sind, läßt - wie das Landgericht zutreffend ausführt - keine sicheren Rückschlüsse darauf zu, daß sämtliche an diesem Überfall beteiligten Personen kleiner als der Angeklagte waren, da die Aufnahmen lediglich die in den Geschäftsräumen der Sparkasse agierenden Täter zeigen; Erkenntnisse über die Statur der an dem Überfall vom 25. März 1999 beteiligten Täter können aus den Lichtbildern nicht gewonnen werden.

3. Mit einer Aufklärungsrüge beanstandet die Revision, die Strafkammer habe es unterlassen, sämtliche beim Überfall am 8. März 1999 im Schalterraum anwesenden Kunden und Angestellten sowie vor dem Gebäude befindlichen Passanten, die in der ersten Hauptverhandlung geladen worden waren und von der Revision jetzt namentlich aufgeführt worden sind, als Zeugen darüber zu vernehmen, daß sich außerhalb des Gebäudes keine weiteren Täter befanden, die an dem Überfall beteiligt waren; denn hieraus hätte sich ergeben, daß der Angeklagte nicht an dem Überfall vom 8. März 1999 beteiligt war.

Das Landgericht mußte sich zur Vernehmung dieser Zeugen jedoch nicht gedrängt sehen, denn eine Beteiligung an dem auf ähnliche Art und Weise durchgeführten Überfall vom 8. März 1999 wird dem Angeklagten nicht angelastet und auch in der Beweiswürdigung nicht zu seinem Nachteil herangezogen. Vielmehr stellt die Strafkammer in ihrer Beweiswürdigung - neben einer Vielzahl weiterer Indizien - auf die gleichartige Begehungsweise des Überfalls auf die Volksbank in Hö. im Jahr 1992 ab, der zu einer rechtskräftigen Verurteilung des Angeklagten geführt hat und an dem Marek K. ebenfalls beteiligt gewesen ist. Im übrigen hätte auch durch die von der Revision vermißte Beweiserhebung eine Beteiligung des Angeklagten an dem Überfall nicht ausgeschlossen werden können. Es erscheint durchaus nachvollziehbar, daß sich der Angeklagte - wie auch zunächst bei dem Überfall vom 25. März 1999 - im Hintergrund gehalten hat.

4. Mit einer weiteren Aufklärungsrüge macht die Revision geltend, die Strafkammer habe das vom Angeklagten angegebene Alibi für die Tatzeit des Banküberfalls nicht ausreichend überprüft. Der Polizei gegenüber hatte der Angeklagte nach seiner Verhaftung konkrete Angaben über sein angebliches Alibi für die Tatzeit gemacht und vorgebracht, im Bereich der Schulstraße hätten ihn unter anderem zwei Personen beim Spaziergang mit seinem Hund gesehen haben müssen, nämlich eine ältere Frau in einem konkret bezeichneten Gebäude und ein älterer Mann, der vor dem gegenüberliegenden Haus gestanden habe. Im Zuge der Ermittlungen hatte die Polizei eine ältere Frau aus dem bezeichneten Haus und einen Nachbarn befragt, die angaben, den Angeklagten am Vortag nicht gesehen zu haben; der Mann hatte ergänzend hinzugefügt, daß sein Hund mit hoher Wahrscheinlichkeit angeschlagen hätte, wenn eine andere Person vor dem Haus mit einem Hund vorbeigegangen wäre. Weitere Befragungen von Anwohnern wurden nicht durchgeführt.

Die Verpflichtung zur umfassenden Sachaufklärung gebietet es dem Gericht nicht, voraussichtlich nutzlose Beweiserhebungen bzw. Ermittlungen anzustellen. Das ist aber anzunehmen, wenn sich ein - hier noch zu ermittelnder - Zeuge nach feststehender allgemeiner Lebenserfahrung unmöglich mit einiger Zuverlässigkeit an die Beweistatsache wird erinnern können, über die er aussagen soll (vgl. BGH bei Dallinger MDR 1973, 372). In Fällen, in denen Ermittlungen über länger zurückliegende Vorgänge anzustellen sind, ist die Eignung der Ermittlungen anhand allgemeiner Lebenserfahrung unter Berücksichtigung aller Umstände, die dafür oder dagegen sprechen, daß die Zeugen die in ihr Wissen gestellten Wahrnehmungen gemacht und im Gedächtnis behalten haben, zu beurteilen (vgl. BGH NStZ 2000, 156 f.). Maßgebend sind hier unter anderem die Bedeutung des Vorgangs für den Zeugen, die Häufigkeit ähnlicher Vorgänge und die Länge des Zeitablaufs. Unter den hier gegebenen Umständen war eine zusätzliche Sachaufklärung nicht angezeigt. Es greifen gleich mehrere Gesichtspunkte ein, die sich gegenseitig verstärken: Der Vorfall lag mehr als ein Jahr zurück, es handelte sich um einen für die potentiellen Zeugen unbedeutenden - zudem kurzen - Vorgang und die Zeugen müßten sich nicht nur an die Person des Angeklagten und den Tag, sondern auch noch exakt an die Uhrzeit erinnern.

5. Die weiteren Verfahrensrügen greifen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 20. Februar 2001 zutreffend dargelegten Gründen - auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz der Verteidigung vom 3. Mai 2001 - nicht durch. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers ist eine "lückenhafte Beweiswürdigung" nicht gegeben, da das Landgericht es lediglich als "wahrscheinlich", aber damit eben nicht als sicher angesehen hat, daß die drei in einem Pkw gesichteten Personen mit den Tätern des Banküberfalls identisch waren.

III.

Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge deckt keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

1. Die Beweiswürdigung der Strafkammer ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Allein dem Tatrichter ist die Aufgabe übertragen, ohne Bindung an Beweisregeln eigenverantwortlich zu prüfen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Geschehen überzeugen kann (BGHSt 10, 208, 209). Beachtet er dabei die ihm gezogenen Grenzen, so hat das Revisionsgericht die so gewonnene Überzeugung hinzunehmen (vgl. Engelhardt in KK 4. Aufl. § 261 Rdn. 51 m.w.N.). Die Beweiswürdigung ist hier jedoch nicht fehlerhaft, sie ist insbesondere nicht widersprüchlich, unklar oder nicht erschöpfend und verstößt auch nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze. Die Überzeugungsbildung der Strafkammer beruht auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage. Alle von ihr gezogenen Schlußfolgerungen sind plausibel, zwingend brauchen sie nicht sein.

2. Der Angeklagte hat sich jedoch entgegen der rechtlichen Wertung des Landgerichts nicht eines schweren Raubes nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 a StGB, sondern eines solchen nach § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB schuldig gemacht, da die Strafkammer nicht feststellen konnte, daß eine der von den Tätern während des Überfalls mitgeführten Waffen geladen war. Die vom Angeklagten und seinen Mittätern eingesetzten Tatwaffen stellen damit unter den hier gegebenen Umständen keine Waffen oder andere gefährliche Werkzeuge dar, sondern sind Werkzeuge oder Mittel im Sinne des § 250 Abs. 1 Nr. 1 b StGB (vgl. BGHSt 44, 103, 106; 45, 249, 250, 251; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 244 Rdn. 3 m.w.N.). Einer Schuldspruchänderung bedarf es jedoch insoweit nicht.

Auch der Strafausspruch hat Bestand, denn die abweichende rechtliche Würdigung läßt den Strafrahmen unverändert; zudem hat das Landgericht bei der Strafzumessung den Ladezustand der Waffen strafmildernd berücksichtigt.



Ende der Entscheidung

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