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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.10.2008
Aktenzeichen: 4 StR 440/08
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 323c
StPO § 266
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin

am 21. Oktober 2008

gemäß § 349 Abs. 4 StPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 27. Mai 2008

b) dahin ergänzt, dass die Angeklagte von dem Vorwurf der versuchten schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zehn rechtlich zusammentreffenden Fällen freigesprochen wird.

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe:

Das Landgericht hat die Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 50 Euro verurteilt. Mit ihrer Revision rügt die Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1.

Die unverändert zugelassene Anklage hatte der Angeklagten zur Last gelegt, am 19. November 2007 gegen 6.00 Uhr die Matratze ihres Bettes im Schlafzimmer an zwei Stellen und auf dem Boden ihres Wohnzimmers aufgehäuftes Papier angezündet zu haben, um ihre Wohnung und das gesamte Haus in Brand zu setzen. Der sich nach der anschließenden Flucht der Angeklagten entwickelnde Schwelbrand, der noch vor Ausbruch eines offenen Feuers und Eintritt von Gebäudeschäden habe gelöscht werden können, habe dazu geführt, dass zehn der sich in dem Haus aufhaltenden Personen Rauchgasverletzungen erlitten.

Das Landgericht hat es nicht als erwiesen angesehen, dass die Angeklagte, die in der Hauptverhandlung von ihrem Schweigerecht Gebrauch gemacht hat, die Matratze in ihrem Schlafzimmer und das in ihrem Wohnzimmer angehäufte Papier angezündet hat, bevor sie am Tattage ihre Wohnung verließ. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme könne nicht hinreichend sicher ausgeschlossen werden, dass der Brand in ihrer Wohnung durch eine andere Person gelegt worden sei. Das Landgericht hat, den Angaben der Angeklagten bei den polizeilichen Vernehmungen und der Vernehmung durch den Haftrichter folgend, der Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung folgende Feststellungen zu Grunde gelegt:

Die Angeklagte hatte den Entschluss gefasst, ihre Wohnung zu verlassen und sich im Sauerland eine neue Bleibe, gegebenenfalls in einem Altenheim oder einem Kloster, zu suchen. Unter Mitnahme von Teilen ihrer Habe u.a. ihres Bargeldes von mehr als 250.000 Euro und ihrer Sparbücher mit einem Gesamtguthaben von 250.000 Euro machte sie sich mit ihrem Fahrrad, das sie mit ihrer Habe bepackt hatte, auf den Weg. Kurz darauf bemerkte sie, dass sie ihr Gebiss vergessen hatte, stellte das Fahrrad ab und ging zurück zu ihrer Wohnung. Als sie diese öffnete, kam ihr Rauch entgegen. Weil sie Angst hatte, dass sich eine andere Person in der Wohnung befinden könnte, verzichtete sie darauf, ihr Gebiss aus dem Badezimmer zu holen, zog die Tür zu und verließ das Haus. Sie informierte über die Rauchentwicklung in ihrer Wohnung weder die Mitbewohner noch die Feuerwehr.

2.

Die Verurteilung wegen unterlassener Hilfeleistung kann nicht bestehen bleiben, weil die ihr zu Grunde liegende Tat vom Eröffnungsbeschluss nicht erfasst war und es deshalb insoweit an einer Verfahrensvoraussetzung fehlt.

Zwar kann ein Angeklagter, wenn unaufklärbar bleibt, ob er sich in strafbarer Weise an der einen Unglücksfall bildenden Brandstiftung beteiligt hat, nach § 323 c StGB bestraft werden, wenn er die erforderliche, ihm mögliche und zumutbare Hilfe nicht geleistet hat (vgl. BGHSt 39, 164). Voraussetzung ist jedoch, dass der Lebensvorgang, der der Anklage wegen der Begehungstat zu Grunde liegt, und das als unterlassene Hilfeleistung zu wertende Geschehen bei natürlicher Betrachtungsweise als einheitlicher geschichtlicher Vorgang (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 264 Rdn. 2 m.N.) und damit als eine Tat im prozessualen Sinne (§ 264 Abs. 1 StPO) anzusehen sind. Das ist ohne Weiteres dann der Fall, wenn die Begehungstat, wie in dem der Entscheidung BGHSt 39, 164 zu Grunde liegenden Fall, wäre sie als erwiesen anzusehen, den dann zugleich verwirklichten Straftatbestand des § 323 c StGB als subsidiäres Delikt verdrängen würde (vgl. BGH aaO S. 166). So liegt es hier jedoch nicht. Vielmehr handelt es sich bei dem Lebensvorgang, der der Anklage zu Grunde liegt (Brandlegung durch die Angeklagte und anschließende Flucht aus der Wohnung), und dem abgeurteilten Geschehen (Verlassen der Wohnung vor der Brandlegung und anschließende Rückkehr zur Wohnung, nachdem der Brand bereits gelegt und der Unglücksfall damit eingetreten war), um verschiedene Taten im prozessualen Sinne. Da letzteres Geschehen im konkreten Anklagesatz nicht erwähnt worden ist, hätte es insoweit einer Nachtragsanklage gemäß § 266 StPO bedurft.

Das Urteil ist daher aufzuheben, soweit die Angeklagte wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt worden ist. Insoweit ist das Verfahren gemäß § 206 a Abs. 1 StPO einzustellen.

3.

Da nicht erwiesen ist, dass die Angeklagte sich in dem Haus aufhielt, als der Brand gelegt wurde, war sie von dem Vorwurf der schweren Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zehn rechtlich zusammentreffenden Fällen freizusprechen. Der Senat ergänzt das Urteil entsprechend.

4.

Die hinsichtlich der Entschädigung der Angeklagten für die in dieser Sache erlittene Freiheitsentziehung getroffene Entscheidung bleibt aufrechterhalten.

5.

Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen ist gegenstandslos, weil ihre Revision zur teilweisen Einstellung des Verfahrens und zum Freispruch führt.

Ende der Entscheidung

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