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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 01.02.2007
Aktenzeichen: 4 StR 9/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 4
StPO § 354 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt.
StGB § 78 b Abs. 1 Nr. 1
StGB § 174
StGB § 174 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 176 Abs. 1
StGB § 176 a Abs. 1 Nr. 1 a.F.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

4 StR 9/07

vom 1. Februar 2007

in der Strafsache

gegen

wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 1. Februar 2007 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 20. September 2006

a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 27 Fällen, davon in 21 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, des sexuellen Missbrauchs eines Kindes in 29 Fällen, davon in 24 Fällen in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen, sowie des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 14 Fällen und darüber hinaus des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in weiteren vier Fällen schuldig ist,

b) im gesamten Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zur vollständig erhaltenen Schuldfähigkeit des Angeklagten aufrechterhalten.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Jugendschutzkammer des Landgerichts Hagen zurückverwiesen.

3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in 27 Fällen, wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen in 29 Fällen sowie wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 14 Fällen unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer einschlägigen früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten und wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in vier Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils bedarf schon deshalb der Änderung, weil - wie das Landgericht selbst nachträglich erkannt hat (UA 17) - in den Fällen II. 1 bis 10 der Urteilsgründe neben der rechtsfehlerfreien Verurteilung in jeweils fünf Fällen nach § 176 Abs. 1 StGB und nach § 176 a Abs. 1 Nr. 1 StGB a.F. die jeweils tateinheitliche Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen (§ 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB) wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung entfallen muss.

Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. Januar 2007 zutreffend ausgeführt hat, muss darüber hinaus auch in den Fällen II. 11 bis 38 in einem Fall die tateinheitliche Verurteilung nach § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB wegen Verfolgungsverjährung entfallen. Denn da der Beginn des Tatzeitraums insoweit allgemein mit "April 1999" (UA 10) festgestellt ist, ist zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen, dass eine der erfassten Taten am 1. April 1999 begangen worden ist. Die für Straftaten nach § 174 StGB geltende fünfjährige Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB) hätte mithin mit Ablauf des 31. März 2004 geendet (vgl. BGH NStZ-RR 1996, 163; Jähnke in LK, StGB 11. Aufl. § 78 Rdn. 7). Die Änderung der Ruhensregelung des § 78 b Abs. 1 Nr. 1 StGB, die nunmehr auch Straftaten nach § 174 StGB erfasst, ändert daran nichts, weil das Änderungsgesetz vom 27. Dezember 2003 (BGBl I 3007) erst am 1. April 2004, mithin nach Eintritt der Verjährung, in Kraft getreten ist (vgl. BGHR StGB § 78 b Abs. 1 Ruhen 12). Insoweit abweichend von der Antragsschrift des Generalbundesanwalts geht der Senat zu Gunsten des Angeklagten aber davon aus, dass dieser eine auch nach § 174 StGB ausgeurteilte Fall aus den Fällen II. 11 bis 38 einen Fall des schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes (§ 176 a StGB) erfasst, weil dies zur Aufhebung einer höheren Einzelstrafe führen muss, als sie das Landgericht in den tateinheitlich mit (einfachem) sexuellen Missbrauch eines Kindes begangenen Fällen verhängt hat.

2. Die Änderung des Schuldspruchs hat in den davon betroffenen 11 Fällen die Aufhebung der Einzelstrafaussprüche zur Folge. Der Generalbundesanwalt hat insoweit in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:

"Die Revision weist zu Recht darauf hin, dass sich die Jugendschutzkammer zum maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilsfindung gerade nicht bewusst war, dass das im Sinne des § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB (a.F.) tatbestandsmäßige Verhalten des Angeklagten insoweit bereits verfolgungsverjährt war und deshalb nicht ausgeschlossen werden kann, dass die tateinheitliche Begehung eines sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in elf Fällen in unzulässiger - weil eben nicht den Umstand der Verjährung berücksichtigender - Weise zu einer Erhöhung der jeweiligen Einzelstrafen beigetragen hat (RB S. 5). Diese Besorgnis ist nicht zuletzt deshalb begründet, weil die Jugendschutzkammer die tateinheitliche Verwirklichung des Tatbestandes des sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen gemäß § 174 Abs. 1 Nr. 1 StGB ausdrücklich mitberücksichtigt hat (UA S. 21). Es liegt nahe, dass sich diese Berücksichtigung unter Verkennung der Verjährungsproblematik zum Zeitpunkt der Urteilsfindung auf alle verurteilungsgegenständlichen Taten bezog".

Über den Antrag des Generalbundesanwalts hinaus hebt der Senat den Strafausspruch des angefochtenen Urteils insgesamt auf. Mit Blick auf das umfassende, sogar über die zunächst erhobene Anklage hinausgehende Geständnis des Angeklagten und die weiteren zu seinen Gunsten sprechenden Umstände muss dem neuen Tatrichter Gelegenheit gegeben werden, insgesamt die Strafen neu zuzumessen. Das gilt zumal deshalb, weil das Gesamtstrafübel aus beiden Gesamtstrafen hinsichtlich seiner Angemessenheit Bedenken begegnet. Die Feststellungen zur vollständig erhaltenen Schuldfähigkeit des Angeklagten bleiben von den aufgezeigten Rechtsfehlern unberührt; sie können deshalb bestehen bleiben.

3. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Nr. 1 2. Alt. StPO Gebrauch und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Hagen zurück.

Ende der Entscheidung

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