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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 11.07.2006
Aktenzeichen: 5 StR 113/06
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 66b Abs. 1
StGB § 66b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL

5 StR 113/06

vom 11. Juli 2006

in der Strafsache

gegen

wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 11. Juli 2006, an der teilgenommen haben:

Richter Basdorf als Vorsitzender,

Richter Häger, Richterin Dr. Gerhardt, Richter Dr. Brause, Richter Schaal als beisitzende Richter,

Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,

Rechtsanwalt als Verteidiger,

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 30. August 2005 wird verworfen.

Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Betroffenen dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

- Von Rechts wegen -

Gründe:

Das Landgericht hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung (§ 66b Abs. 1 StGB) abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft, die von der Bundesanwaltschaft nicht vertreten wird, bleibt ohne Erfolg.

I.

Der Verurteilte war durch das Landgericht Frankfurt (Oder) am 22. Februar 2000 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen, begangen am 27. April 1998 und am 6. August 1999, zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten sowie - infolge der Zäsurwirkung einer weiteren Verurteilung - zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt worden. In dem damaligen Verfahren war der Verurteilte im Wesentlichen geständig. Eine Begutachtung durch einen psychiatrischen Sachverständigen erfolgte nicht.

Die Strafhaft wegen der Anlassverurteilung endete am 5. März 2005. Nach der Verbüßung einer sich anschließenden Ersatzfreiheitsstrafe wurde der Verurteilte am 24. März 2005 aus der Haft entlassen. Seitdem wohnt er bei seinen Eltern. Vier Tage in der Woche ist er "auswärts auf Montage". Er hält regelmäßig Kontakt zu seinem Bewährungshelfer, der im Rahmen der Führungsaufsicht bestellt worden ist.

Die beiden eingeholten psychiatrischen Gutachten kommen zum Ergebnis, dass der Verurteilte ausgeprägte dissoziale Merkmale wie fehlende Empathie, Rücksichtslosigkeit, kriminelle Vielseitigkeit, hohe Selbstbezogenheit, Omnipotenzfantasien und nachhaltige Kränkbarkeit aufweise. Es sei nicht erkennbar, dass es während der Haft zu einer positiven Veränderung bei dem Verurteilten gekommen sei. Er habe es trotz seines 13-monatigen Aufenthalts in der sozialtherapeuthischen Abteilung der Haftanstalt abgelehnt, eine Therapievereinbarung zu unterschreiben, und habe deshalb in den geschlossenen Vollzug zurückverlegt werden müssen. Insgesamt sei aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur von einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen.

Das Landgericht hat die Unterbringung des Verurteilten in der Sicherungsverwahrung abgelehnt, weil während des Vollzuges keine wesentlichen Änderungen eingetreten seien, die als "neue Tatsachen" im Sinne des § 66b Abs. 1 StGB zu beurteilen wären.

II.

Das angefochtene Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung stand.

Die von den Sachverständigen festgestellten Persönlichkeitsdefizite des Verurteilten sind keine "neuen Tatsachen" im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB.

"Neue Tatsachen" der in § 66b StGB genannten Art sind nur solche, die nach der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz und vor Ende des Vollzugs der verhängten Freiheitsstrafe bekannt oder erkennbar geworden sind (vgl. BGHSt 50, 180, 187; BGH NJW 2006, 1442, 1444). Ob diese Tatsachen bereits im Ausgangs- oder einem früheren Verfahren Grundlage einer sachverständigen Bewertung waren, ist ohne Belang (vgl. BGH NStZ 2006, 276, 278). Maßgeblich ist nicht die neue oder - wie hier - sogar erstmalige Bewertung von Tatsachen. Entscheidend ist vielmehr, ob die dieser Bewertung zugrunde liegenden Anknüpfungstatsachen im Zeitpunkt der Aburteilung oder der letzten Möglichkeit Sicherungsverwahrung anzuordnen, bereits vorlagen und bekannt oder erkennbar waren (vgl. BGHSt 50, 275, 278; BGH NJW 2006, 1442, 1444).

Hierzu hat die Bundesanwaltschaft im Terminsantrag vom 18. April 2006 zutreffend ausgeführt:

"Die von den Gutachtern getroffenen Schlussfolgerungen beruhen nicht auf konkreten 'neuen' Anknüpfungstatsachen. Vielmehr belegen die Sachverhalte, die der Verurteilung vom 22. Februar 2000 zugrunde lagen, dass die nunmehr festgestellten Persönlichkeitsdefizite des Betroffenen und sein Gefährlichkeitspotenzial bereits zum Zeitpunkt der Verurteilung vorgelegen haben und erkennbar waren. Hierfür spricht insbesondere die offensichtliche Steigerung seiner Gewaltbereitschaft bei Begehung der Taten innerhalb von knapp eineinhalb Jahren."

Zu Recht hat die Strafkammer es für die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auch nicht für ausreichend erachtet, dass sich der Verurteilte letztlich geweigert hat, eine Therapievereinbarung zu unterschreiben. Zwar kann die Verweigerung oder der Abbruch einer Therapie grundsätzlich zu den in § 66b Abs. 1 StGB genannten "neuen Tatsachen" gehören (vgl. BGHSt 50, 121, 126; 275, 280 f.), auch wenn dieser Umstand allein für die Anordnung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung grundsätzlich nicht genügt (vgl. BT-Drucks. 15/2887 S. 13; BGHSt 50, 121, 126 f.). Die Therapieverweigerung kann allerdings nur dann als berücksichtigungsfähige "neue Tatsache" angesehen werden, wenn das Ursprungsgericht zum Zeitpunkt seiner Verurteilung begründet annehmen konnte, der Verurteilte werde sich im Vollzug einer erfolgversprechenden Therapie unterziehen (vgl. BGHSt 50, 275, 281; BGH, Beschluss vom 19. Januar 2006 - 4 StR 393/05). Hiervon kann im vorliegenden Fall jedoch nicht ausgegangen werden, weil die Frage der Therapiewilligkeit im Urteil vom 22. Februar 2000 nicht erörtert worden ist, so dass eine grundlegende nachträgliche Haltungsänderung nicht erkennbar ist (vgl. hierzu BGHSt 50, 275, 280 f.; BGH, Beschluss vom 8. Dezember 2005 - 1 StR 482/05). Im Übrigen beruhte die Weigerung des Verurteilten nicht auf einer generellen Ablehnung therapeutischer Maßnahmen, sondern auf - jedenfalls aus Sicht eines Strafgefangenen nicht einmal unverständlichen - taktischen Erwägungen; denn im Hinblick auf die vorgesehene Dauer einer solchen Therapie befürchtete er, die Chance einer vorzeitigen Entlassung aus der Strafhaft zu verlieren.

Da somit "neue Tatsachen" im Sinne von § 66b Abs. 1 StGB nicht vorliegen, ist es unerheblich, dass die Strafkammer abweichend von der Auffassung der Sachverständigen eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit verneint hat. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass sie in diesem Zusammenhang auch die als positiv zu bewertende Lebensführung des Verurteilten nach seiner Entlassung in ihre Erwägungen einbezogen hat.



Ende der Entscheidung

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