Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 13.07.2006
Aktenzeichen: 5 StR 154/06
Rechtsgebiete: StPO, GG


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 26a Abs. 1 Nr. 2
StPO § 338 Nr. 3
StPO § 27
StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2
GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

5 StR 154/06

vom 13. Juli 2006

in der Strafsache

gegen

1.

2.

3.

wegen Untreue u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2006 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten R. W. wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 14. November 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten betrifft.

2. Die Revisionen der Angeklagten K. W. und L. gegen das genannte Urteil werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Diese Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.

3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels des Angeklagten R. W. , an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten R. W. wegen Untreue in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlich unterlassener Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, und wegen Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Angeklagte K. W. hat es wegen Beihilfe zur Untreue in Tateinheit mit Beihilfe zur vorsätzlich unterlassenen Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, den Angeklagten L. wegen Beihilfe zur Untreue in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Begünstigung und mit Beihilfe zur vorsätzlich unterlassenen Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt; die Vollstreckung der beiden letztgenannten Strafen hat das Landgericht zur Bewährung ausgesetzt.

1. Die mit Verfahrens- und Sachrügen begründeten Revisionen der Angeklagten K. W. und L. sind aus den von der Bundesanwaltschaft in ihrer Antragsschrift benannten Gründen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der ergänzenden Ausführungen dieser Angeklagten im Anschluss an den Antrag der Bundesanwaltschaft. Insbesondere lässt die - revisionsrechtlich nur eingeschränkt überprüfbare - Beweiswürdigung des Landgerichts Rechtsfehler nicht erkennen, weil die von der Kammer gezogenen Schlüsse angesichts des Gesamtzusammenhangs der Feststellungen jedenfalls möglich sind. Auch die vornehmlich dem Tatrichter obliegende Strafzumessung hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Das vom Angeklagten L. gerügte Absehen von weiterer Strafmilderung nach bereits erfolgter Strafrahmenverschiebung erfolgte ersichtlich in Berücksichtigung der hierzu einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 266 Rdn. 80 m.w.N.). Angesichts des komplexen Sachverhalts war der seit Eröffnung des Tatvorwurfs verstrichene Zeitraum nicht so erheblich, dass eine Strafmilderung wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hätte erfolgen müssen.

2. Die Revision des Angeklagten R. W. hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

a) Dies geht auf folgendes Verfahrensgeschehen zurück:

Der Verurteilung des Angeklagten R. W. liegt im Kern der Vorwurf zugrunde, er habe sich als geschäftsführender Alleingesellschafter der M -P. - gesellschaft (nachfolgend: M. -P. ) spätestens im Januar 2001 dazu entschlossen, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft einzustellen, in Aushöhlungsabsicht ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 2 Mio. DM entgegen einem Rangrücktritt zurückzuführen sowie der Gesellschaft rechtswidrig weitere liquide Mittel zu entziehen. In Ausführung dieses Plans entzog der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts durch Auszahlung erheblicher Bankguthaben der Gesellschaft das Stammkapital und führte ihre Zahlungsunfähigkeit herbei, so dass Fremdgläubiger mit Forderungen von insgesamt rund 3,2 Mio. DM ausfielen; zudem verkaufte er später auf eigene Rechnung Waren der Gesellschaft und vereinnahmte die Erlöse. Der Angeklagte verteidigte sich u. a. damit, dass er zu den Auszahlungen an sich berechtigt gewesen sei, weil er bezüglich seines Gesellschafterdarlehens nie einen Rangrücktritt erklärt habe und einen das Darlehen übersteigenden Betrag von 100.000 DM als vorweggenommene Gewinnausschüttung habe vereinnahmen dürfen.

Die Verteidigung des Angeklagten stellte in der Hauptverhandlung mehrere Beweisanträge, in denen jeweils behauptet wurde, dass Ende 2000/Anfang 2001 fällige Zahlungsforderungen (u. a. aus Retourendifferenzen) gegen andere bestanden hätten. Mit zwei Beschlüssen vom 26. September 2005 lehnte die Kammer die Beweisanträge - überwiegend wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit - ab. Im Rahmen der Begründung heißt es u. a.:

"Wie die angebliche Retourendifferenzforderung in der Handels- oder gar in der Steuerbilanz zu behandeln und zu bewerten ist, interessiert für die Untreuevorwürfe aus Fall 15 der Anklage im Hinblick auf die Auszahlung der 1.350.000 DM entgegen dem Rangrücktritt und aus den Fällen 16 und 17 der Anklage sowie für den Insolvenzverschleppungsvorwurf nicht... Es bleibt dabei, dass der Angeklagte W. auch die weiteren 100.000 DM aus der M. -P. ohne Rechtsgrund und nicht etwa als Bilanzgewinnvorschuss entnommen hat... Selbst wenn die Zeugen Sch und K diese in ihr Wissen gestellten Behauptungen bestätigen würden, ändert dies nichts daran, dass der Angeklagte W. die Verkaufserlöse im Zeitraum Juli bis September 2001 ohne Rechtsgrund privat vereinnahmt hat und damit die M. -P. schädigte. Auch für den Untreuevorwurf im Fall 15 sind diese Behauptungen ohne Belang. Selbst wenn sich der Angeklagte W. nicht bereits im Februar 2001, sondern erst im Juli 2001 dazu entschied, die in den Rechnungen vom 14.02.2001 und 21.02.2001 enthaltenen DVDs und Videos auf eigene Rechnung zu verkaufen, ändert dies im Rahmen der Gesamtschau aller maßgeblichen Indizien nichts an dem Schluss der Kammer, dass sich der Angeklagte W. deutlich vor dem 22.01.2001 dazu entschied, den Betrieb der M. -P. einzustellen und die M. -P. zu liquidieren und nach seiner Gesamtstrategie die M. -P. beginnend mit den ersten Auszahlungen ab dem 22.01.2001 auszuhöhlen... Daneben kommt dem glaubhaft gestandenen Abverkauf von 2.770 DVDs und Videos unter der Firma der V am 14.02.2001 an das Pressezentrum Lübeck entscheidende Bedeutung zu, mithin zwei Tage, bevor sich der Angeklagte W. nach seiner nicht glaubhaften Einlassung einen Bilanzgewinnvorschuss von 100.000 DM errechnet haben will und über seine damalige Lebensgefährtin War. und seinen 'Abwickler' L. ohne Rechtsgrund weitere 450.000 DM aus der M. -P. entnommen hat."

Am nächsten Tag lehnte der Angeklagte W. die an den Beschlüssen beteiligten Berufsrichter wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung des Ablehnungsantrags stellte er wesentlich darauf ab, dass er die Besorgnis der Befangenheit nicht in der seines Erachtens rechtsfehlerhaften Behandlung der Beweisanträge sehe, sondern dass die Argumentation und Wortwahl der Beschlussbegründung aus seiner Sicht eine endgültige Festlegung der Richter zu seinen Lasten nahe lege. Zum Beleg führte der Ablehnungsantrag Teile der oben zitierten Beschlussbegründung an.

Diesen Ablehnungsantrag beschied die Kammer unter Mitwirkung der abgelehnten Richter einstimmig als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO. Die angegebene Begründung sei - auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005 (2 BvR 625 und 638/01) - aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet, was dem Fehlen einer Begründung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleichstehe. Denn vermeintlich oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Entscheidungen in der Hauptverhandlung könnten für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht begründen, wenn nicht Umstände hinzuträten, die nach den konkreten Umständen des Einzelfalls die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochten. Der Befangenheitsantrag enthalte nur eine "Formalbegündung". Das Ablehnungsgesuch werde allein aus der Begründung von Beschlüssen hergeleitet, mit denen Beweisanträge zurückgewiesen worden seien, und aus dem Ablehnungsantrag ergebe sich nicht der behauptete "eklatante" Verstoß gegen strafprozessuale Regeln. Die Begründungen der Beschlüsse, die sich - wie strafprozessual geboten - eingehend nach zehn Verhandlungstagen mit der Sach- und Rechtslage mit der nötigen Klarheit auseinandersetzten, ließen bei einem besonnenen Angeklagten nicht die Besorgnis der Befangenheit aufkommen. Gerügte Formulierungen seien in ähnlichen Passagen aus einem früheren Beschluss der Kammer unbeanstandet geblieben.

b) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO liegt vor. Die Rüge ist - wie die Bundesanwaltschaft in ihrem Terminsantrag näher ausgeführt hat - zulässig erhoben. Sie ist auch begründet. Bei dem angegriffenen Urteil haben Richter mitgewirkt, nachdem ein gegen sie gerichtetes Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen wurde. Wie die Bundesanwaltschaft zutreffend ausgeführt hat, durfte die Strafkammer vorliegend nicht nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verfahren (aa). Das Landgericht hat damit auch die Grenzen dieser Norm in einer im Hinblick auf die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbaren Weise überschritten, weshalb das Urteil gemäß § 338 Nr. 3 StPO aufgehoben werden muss (bb).

aa) Das Befangenheitsgesuch war vorliegend nach § 27 StPO zu behandeln, damit sich die abgelehnten Richter nicht zum "Richter in eigener Sache" machten.

(1) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Kammer. Die Gleichsetzung eines Ablehnungsgesuchs, dessen Begründung aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet ist, mit einem Ablehnungsgesuch ohne Angabe eines Ablehnungsgrundes (§ 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StPO) ist grundsätzlich und auch aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich (BGHSt 50, 216, 220; BVerfG - Kammer - StraFo 2006, 232, 234). Entscheidend für die Abgrenzung zu "offensichtlich unbegründeten" Ablehnungsgesuchen, die von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO nicht erfasst werden, sondern nach § 27 StPO zu behandeln sind, ist die Frage, ob das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst von den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist (BVerfG - Kammer - StraFo 2006, 232, 235). Jenseits dieser bloß formalen Prüfung darf sich der abgelehnte Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ablehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO zum "Richter in eigener Sache" machen (BVerfG - Kammer - aaO). Die Auslegung des Ablehnungsgesuchs muss darauf ausgerichtet sein, es seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend auszulegen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begründetheitsprüfung einzutreten (BVerfG - Kammer - aaO).

(2) Danach ist die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs unbedenklich, das lediglich damit begründet worden ist, der Richter sei an einer Vorentscheidung zu Lasten des Angeklagten beteiligt gewesen (BGHSt 50, 216, 221; vgl. auch Leitsatzentscheidung des Senats vom 29. Juni 2006 - 5 StR 485/05). Dies gilt namentlich auch für die Ablehnung von Beweisanträgen (BGHSt 50, 216, 221). Gerade die Zurückweisung eines Beweisantrags wegen Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2 StPO gebietet es, die Tatsachen anzugeben, aus denen sich ergibt, warum die unter Beweis gestellte Tatsache, wenn sie erwiesen wäre, die Entscheidung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 26 m.w.N.). Die damit einhergehende Mitteilung einer auch für den Angeklagten nachteiligen Beweiswürdigung des Gerichts vor Urteilsverkündung ist prozessimmanent und demnach vom Angeklagten hinzunehmen. Beweiswürdigende sachliche Erwägungen - seien sie auch geeignet, eine den Schuldvorwurf begründende Subsumtion erkennen zu lassen - können für sich nicht zum Gegenstand eines zulässigen Befangenheitsantrags erhoben werden. Darauf beschränkte Gesuche können daher nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO beschieden werden.

Anders verhält es sich allerdings beim Hinzutreten besonderer Umstände, die über die Tatsache einer negativen Vorentscheidung als solcher sowie die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hinausgehen (vgl. BGHSt 50, 216, 221). Dies kann etwa der Fall sein, wenn Äußerungen in Vorentscheidungen nach der Sachlage unnötige und sachlich unbegründete Werturteile enthalten oder ein Richter sich bei einer Vorentscheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten oder seines Verteidigers äußert (vgl. BGHSt 50, 216, 222). Trägt der Antragsteller neben der Vorbefassung oder Vorentscheidung und den damit notwendig einhergehenden inhaltlichen Aussagen besondere Umstände vor und macht sie glaubhaft, die eine inhaltliche Prüfung erfordern und den abgelehnten Richter bei einer Beteiligung an der Entscheidung über den Ablehnungsantrag zum "Richter in eigener Sache" machen würden, darf der Befangenheitsantrag nicht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO beschieden werden.

(3) Dies war vorliegend der Fall. Der Angeklagte R. W. hat seinen - im Ausdruck allerdings vielfach überschießend harsch begründeten - Befangenheitsantrag gerade nicht maßgeblich auf die Tatsache der Ablehnung seiner Beweisanträge gestützt, sondern entscheidend die Besorgnis einer in der Ablehnungsbegründung deutlich zum Ausdruck kommenden endgültigen Vorverurteilung durch die Kammer geltend gemacht. Ein solches Ansinnen beruhte nicht auf einer völlig haltlosen Bewertung der Ablehnungsbegründung (vgl. hierzu BGHSt 50, 216, 222), sondern war vielmehr durch die getroffene Auswahl von Formulierungen aus den Ablehnungsbeschlüssen nicht gänzlich unschlüssig belegt. Die Kammer musste aufgrund dieser konkreten Beanstandungen das Ablehnungsgesuch inhaltlich daraufhin prüfen, ob der Art der getroffenen Formulierungen eine Festlegung zum Beweisergebnis im Sinne der Anklage zu entnehmen war, die aus Sicht eines verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit begründen konnte. Eine derartige inhaltliche Prüfung ist dem von der Ablehnung betroffenen Richter indes gerade verwehrt (vgl. auch BVerfG - Kammer - StraFo 2006, 232, 235).

Dem Gericht müssen zwar in jeder Lage des Verfahrens, namentlich bei der Ablehnung von Beweisanträgen wegen tatsächlicher Bedeutungslosigkeit, offene Worte zu einer vorläufigen Einschätzung der Beweislage und deutliche Hinweise auf das nach dem gegebenen Sachstand zu erwartende Verfahrensergebnis erlaubt sein (vgl. auch BGHR StPO § 24 Abs. 2 Befangenheit 4). Ein Befangenheitsgesuch, das - wie hier belegt durch einzelne Zitate - nicht allein die Tatsache der Voreinschätzung, sondern eine darüber hinausgehende unumstößliche Festlegung der Richter im Sinne einer Vorverurteilung beanstandet, kann indes in aller Regel nicht als aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet angesehen werden, weil es eine inhaltliche und keine rein formale Prüfung der zur Befangenheit angebrachten Gründe erfordert.

bb) Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch des Angeklagten in einer die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Weise nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig verworfen. Dies begründet nach der Rechtsprechung des Senats den absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO (BGHSt 50, 216; vgl. auch BGH NStZ 2006, 51 m. Anm. Meyer-Goßner; BVerfG - Kammer - StraFo 2006, 232, 236; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05).

(1) Die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO muss durchgreifen, wenn die Voraussetzungen für die Behandlung des Ablehnungsantrags als unzulässig offenkundig nicht gegeben sind (Meyer-Goßner NStZ 2006, 53), also die Entscheidung des Gerichts auf einem Fall klarer Fehlanwendung des Gesetzesrechts beruht und daher in der Sache offensichtlich unhaltbar ist, weshalb das Gericht bei der Rechtsanwendung Bedeutung und Tragweite des von der Verfassung garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) grundlegend verkannt hat (BGHSt 50, 216, 219 f.). Ob ein solcher Fall vorliegt, kann nur anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls beurteilt werden (BGHSt 50, 216, 220). Zudem kann im Einzelfall Anlass zur Prüfung bestehen, ob das Ablehnungsgesuch nicht aus einem anderen der in § 26a Abs. 1 StPO genannten Gründe als unzulässig zurückzuweisen war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2006 - 3 StR 429/05; vgl. auch BVerfG - Kammer - StraFo 2006, 232, 236).

(2) Nach diesen Kriterien liegt hier ein absoluter Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO vor.

Kern des Ablehnungsgesuchs war aus hinreichend deutlich vorgetragener Sicht des Angeklagten die näher belegte Behauptung einer unverrückbaren Festlegung der Kammer auf ein ihm nachteiliges Beweisergebnis in den Gründen und den Formulierungen der Beschlüsse, mit denen das Landgericht die begehrten Beweiserhebungen abgelehnt hat, nicht die Ablehnung der Beweisanträge als solche. Eine über das Ablehnungsgesuch getroffene Entscheidung des Landgerichts, das vornehmlich auf den letzten Gesichtspunkt abgestellt hat, hätte bei sachgerechter Behandlung eines solchen Antragsbegehrens nicht ohne inhaltliche Prüfung der Berechtigung der vorgebrachten Ablehnungsgründe erfolgen dürfen. Indem die abgelehnten Richter die Entscheidung selbst getroffen und damit eine inhaltliche Bewertung des Ablehnungsgesuchs vorgenommen - oder sie in Nichtausschöpfung des Gesuchs versagt - haben, ist der Anwendungsbereich des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO in einer Weise überspannt worden, die letztlich in Hinblick auf die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar war. In Fällen, in denen der abgelehnte Richter derart eindeutig in die inhaltliche Sachprüfung einsteigen muss, um das Befangenheitsgesuch vollständig zu bescheiden, begründet die Fehlanwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO letztlich den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO.

An diesem im Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebotenen Ergebnis vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass das Ablehnungsgesuch ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter gemäß § 27 StPO wohl als unbegründet zu verwerfen gewesen wäre. In diesem Rahmen hätten die beanstandeten Formulierungen - nahe liegend nach dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter (§ 26 Abs. 3 StPO; vgl. dazu BGHR StPO § 338 Nr. 3 Revisibilität 1; BGH NStZ 2006, 49) - als notwendig vorläufige, für die Urteilsfindung nicht etwa bereits verbindlich gemeinte Bewertungen im Rahmen der Beweisantragsablehnung interpretiert werden können.



Ende der Entscheidung

Zurück