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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.06.2001
Aktenzeichen: 5 StR 245/01
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 4
StPO § 349 Abs. 2
StPO § 154 Abs. 2
StGB § 177
StGB § 21
StGB § 64
StGB § 24 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

5 StR 245/01

vom

27. Juni 2001

in der Strafsache

gegen

wegen Vergewaltigung u. a.

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Juni 2001 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Görlitz vom 14. Dezember 2000 nach § 349 Abs. 4 StPO

a) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen versuchter Vergewaltigung verurteilt worden ist - Fall II 2.2 -;

b) in den Fällen II 1.1 bis 5 jeweils im Schuldspruch dahin abgeändert, daß die Verurteilung wegen tateinheitlicher sexueller Nötigung - Fälle II 1.1 bis 4 - bzw. Vergewaltigung - Fall II 1.5 - entfällt;

c) im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

1. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs seiner Stieftochter - Fälle II 1.1 bis 5: vier Fälle (1 bis 4) der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch eines Kindes und mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen, ein Fall (5) der Vergewaltigung in Tateinheit mit schwerem sexuellen Mißbrauch eines Kindes und mit sexuellem Mißbrauch einer Schutzbefohlenen - sowie wegen Straftaten zum Nachteil seiner Ehefrau - Fälle II 2.1 und 2: ein Fall (1) der Vergewaltigung, ein Fall (2) der versuchten Vergewaltigung - zu fünf Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat aufgrund der Sachrüge den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg. Im übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO: Die Verfahrensrüge ist unzulässig. Die sachlichrechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung, des Schuldspruchs im Fall II 2.1 und der verbleibenden Schuldsprüche in den Fällen II 1.1 bis 5 ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

1. Im Fall II 2.2 liegt nach den Urteilsfeststellungen nahe, daß der Angeklagte vom unbeendeten Versuch der Vergewaltigung seiner Ehefrau zurückgetreten ist (vgl. UA S. 11, 23 ff., 52). Der Tatrichter läßt § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB unerörtert. Daß es bereits zu sexuellen Handlungen gekommen ist, bevor der Angeklagte von seiner Ehefrau abließ, ergibt sich aus den Urteilsfeststellungen nicht, läßt sich indes nicht ausschließen. Sollte der neue Tatrichter diesen Fall nicht gemäß § 154 Abs. 2 StPO einstellen, wird er dies aufzuklären haben, ferner bei wieder gleichen Feststellungen klären müssen, ob die Verfahrensvoraussetzungen für eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung (§ 230 Abs. 1 Satz 1 StGB) vorliegen.

2. In sämtlichen Fällen des sexuellen Mißbrauchs der Stieftochter - Fälle II 1.1 bis 5 - reichen die Urteilsfeststellungen zum Beleg der Voraussetzungen eines tateinheitlich begangenen Gewaltverbrechens nach § 177 StGB nicht aus. Das Landgericht hat seine Subsumtion auch im Rahmen der rechtlichen Würdigung nicht näher begründet.

Zwar ist festgestellt, daß der Angeklagte häufig in alkoholisiertem Zustand seine Ehefrau und seine Stieftochter geschlagen hat. In keinem Fall ist aber festgestellt, daß der Angeklagte eine Sexualhandlung gewaltsam durchgesetzt hätte. Soweit im Zusammenhang mit weiteren nicht abgeurteilten Übergriffen leichte Gewalt oder ausdrückliche Drohungen festgestellt sind (UA S. 14, 18, vgl. auch S. 41), erfolgte deren Einsatz aus Verärgerung oder zur Durchsetzung eines Schweigegebots, nicht zur Erzwingung sexueller Handlungen. Zudem hat der Tatrichter hervorgehoben, der Angeklagte habe bei Widerstand von der Geschädigten abgelassen und nicht den Versuch unternommen, weitere Handlungen mit körperlicher Gewalt zu erzwingen (UA S. 47, 51).

Vor diesem Hintergrund ist zwar plausibel, daß die Stieftochter aus Angst vor möglichen Schlägen des auch bei den Taten alkoholisierten Angeklagten dessen Aufforderung, sich zu entkleiden und zu ihm zu kommen, befolgte und sich seinen sexualbezogenen Berührungen nicht zu entziehen suchte. Indes ist damit nicht zugleich hinreichend belegt, daß der Angeklagte durch sein Gesamtverhalten seiner Stieftochter bewußt schlüssig mit dem Einsatz körperlicher Gewalt für den Weigerungsfall gedroht hätte, sich auch nur bewußt gewesen wäre, daß das Mädchen die Sexualhandlungen nur aus Angst vor Gewalthandlungen hinnahm, oder eine Lage bewußt ausgenutzt hätte, in der das Mädchen ihm schutzlos ausgeliefert war. Dies gilt jedenfalls angesichts dessen, daß der Tatrichter wiederholt ausgeführt hat, bei Widerstand der Geschädigten habe der Angeklagte von ihr abgelassen.

Da weitergehende Feststellungen, die den Vorsatz auch der sexuellen Nötigung in einem der Fälle belegen könnten, nicht besonders naheliegen und die Geschädigte, wie festgestellt, durch die Erinnerung an die Taten schwer belastet ist, damit aber selbstverständlich auch durch weitere Vernehmungen erheblich belastet werden würde, sieht sich der Senat veranlaßt, den Schuldspruch jeweils mit der Folge zu ändern, daß die Verurteilung wegen tateinheitlicher sexueller Nötigung bzw. - im Fall II 1.5 - Vergewaltigung entfällt.

3. Die Schuldspruchänderungen haben die Aufhebung der zugehörigen Einzelstrafaussprüche zur Folge. Deren Aufhebung und die Aufhebung der Verurteilung wegen versuchter Vergewaltigung ziehen die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich. Der Senat hebt auch die verbleibende Einzelstrafe zum aufrechterhaltenen Schuldspruch wegen Vergewaltigung - Fall II 2.1 - auf, schon weil sie von der Höhe der übrigen, neu festzusetzenden Einzelstrafen beeinflußt sein kann.

Zudem ist die Argumentation, mit der die Strafkammer eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten verneint hat, bedenklich, wenngleich das Ergebnis im Einklang mit der Beurteilung durch den medizinischen Sachverständigen steht. Dies gilt zumal angesichts der Feststellung, daß der Angeklagte - auch um hiermit Krankheitssymptome zu betäuben - üblicherweise täglich erhebliche Mengen Alkohol konsumierte, und zwar bis zu drei Flaschen Korn (UA S. 6, 13, 20 f., 25, 47; vgl. auch S. 7 f.), sowie vor dem Hintergrund der Bekundungen seiner Ehefrau über seine nur noch in angetrunkenem Zustand vorhandenen sexuellen Bedürfnisse (UA S. 23). Soweit die Strafkammer wiederholt auf "komplexe Handlungsweisen" des Angeklagten verwiesen hat (UA S. 47 ff.), wird dies durch die Feststellungen zu den - fraglos nicht im Vollrausch verübten - Straftaten kaum ausreichend belegt.

Zur Frage des Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB wird der neue Tatrichter wiederum einen Sachverständigen heranzuziehen haben. Mit dessen Hilfe wird auch erneut die Frage einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu prüfen sein. Ein Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 StGB liegt nach den bisherigen Befunden auf der Hand. Die Begründung, mit der die Strafkammer in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen die erforderliche Erfolgsaussicht (BVerfGE 91, 1) verneint hat (UA S. 49), erscheint im Blick auf die immerhin vorhandene begrenzte Therapiemotivation des Angeklagten - deren Bestärkung auch Aufgabe des Maßregelvollzuges ist - bedenklich.



Ende der Entscheidung

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