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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 06.05.2009
Aktenzeichen: EnVR 16/08
Rechtsgebiete: EnWG, GVG, StromNEV, VwGO


Vorschriften:

EnWG § 75 Abs. 4
EnWG § 10 Abs. 3
EnWG § 23a Abs. 3
GVG § 17a Abs. 3
GVG § 17a Abs. 4
GVG § 17a Abs. 5
StromNEV § 4 Abs. 1
StromNEV § 4 Abs. 4
VwGO § 83
VwGO § 83
Die Kosten einer Werbemaßnahme, mit der Haushaltskunden Gutscheine für den vergünstigten Bezug energieeffizienter Haushaltsgeräte angeboten werden, dürfen nur insoweit dem Elektrizitätsverteilernetz zugeordnet werden, als konkrete Anhaltspunkte die Erwartung rechtfertigen, dass die Einlösung der Gutscheine zu geringeren Kosten der Elektrizitätsverteilung, insbesondere durch die Vermeidung eines andernfalls notwendigen Netzausbaus, führen wird.
Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2009

durch

den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Tolksdorf und

die Richter Dr. Raum, Prof. Dr. Meier-Beck, Dr. Strohn und Dr. Grüneberg

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des 3. Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 19. Dezember 2007 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens übertragen wird.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 210.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin betreibt ein Elektrizitätsverteilernetz. Daneben ist sie für die E.ON Thüringer Energie AG als Stromkommissionärin tätig. Am 28. Oktober 2005 beantragte sie die Genehmigung ihrer Entgelte für den Netzzugang gemäß § 23a EnWG. Die Bundesnetzagentur, die im Wege der Organleihe für das Land Thüringen das Entgeltgenehmigungsverfahren durchführte, kürzte einzelne Rechnungspositionen. Hiergegen hat die Antragstellerin Beschwerde bei der Bundesnetzagentur eingelegt, die das Verfahren dem Oberlandesgericht Düsseldorf zugeleitet hat. Die Antragstellerin hat die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Düsseldorf gerügt und in mehreren Punkten die von der Bundesnetzagentur vorgenommenen Kürzungen angegriffen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat den Verweisungsantrag abgelehnt und die Beschwerde der Antragstellerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde rügt sie die fehlende Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Weiterhin greift sie die Entscheidung des Beschwerdegerichts auch in der Sache hinsichtlich der Rechnungsposition "sonstige betriebliche Kosten - Energieeinsparungsaktion" und bezüglich der Höhe des in Ansatz gebrachten Fremdkapitalzinssatzes an.

II.

Die Rüge der fehlenden Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Düsseldorf bleibt ohne Erfolg.

Der hier gerügte Mangel betrifft die örtliche Zuständigkeit gemäß § 75 Abs. 4 EnWG (vgl. BGHZ 176, 256 - Organleihe). Ob diese vom Gericht erster Instanz zutreffend angenommen wurde, ist vom Rechtsbeschwerdegericht nicht mehr zu prüfen, weil die Rechtsbeschwerde nicht darauf gestützt werden darf, dass das Ausgangsgericht seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Dieser Grundsatz, der für den Zivilprozess (§ 545 Abs. 2 ZPO) ausdrücklich geregelt ist (vgl. BGHZ 114, 277, 279) , findet auch auf Verfahren nach der Verwaltungsgerichtsordnung Anwendung (vgl. Geiger in Eyermann, VwGO, 12. Aufl., § 83 Rdn. 12). Im Verwaltungsprozess prüft das Rechtsmittelgericht nach § 83 Satz1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG nicht mehr, ob das Ausgangsgericht örtlich zuständig war. Diese Prüfung entfällt - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - unabhängig davon, ob das Ausgangsgericht nach § 17a Abs. 3 GVG vorab seine Zuständigkeit bejaht hat. Die Vorabentscheidung unterliegt nämlich gleichfalls keiner Kontrolle durch das Rechtsmittelgericht, weil § 83 Satz 2 VwGO nicht auf die Anfechtungsmöglichkeiten nach § 17a Abs. 4 GVG verweist. Daraus wird deutlich, dass nicht nur nach der Zivilprozessordnung, sondern ebenso nach der Verwaltungsprozessordnung in der Rechtsmittelinstanz die örtliche Zuständigkeit nicht mehr geprüft werden soll (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.10.1994 - 11 AV 1/94, NVwZ-RR 1995, 300). Dieser übergreifende Rechtsgedanke, eine Sache aus Gründen der Verfahrensökonomie nicht allein wegen eines Zuständigkeitsmangels in die erste Instanz zurückzuverweisen, gilt auch für das energiewirtschaftsrechtliche Verfahren.

III.

Die Rechtsbeschwerde der Antragstellerin ist im Hinblick auf die Höhe des von der Bundesnetzagentur angesetzten Fremdkapitalzinssatzes begründet; sie bleibt jedoch ohne Erfolg, soweit sich die Antragstellerin gegen die Nichtberücksichtigung der Kosten für ihre Energiesparaktion wendet.

1. Energiesparaktion "Nicht verstecken"

Die Bundesnetzagentur hat im Entgeltgenehmigungsverfahren die von der Antragstellerin angesetzten Kosten der Energiesparaktion "Nicht verstecken" nicht berücksichtigt. Im Rahmen dieser Aktion, welche die Antragstellerin auch in der laufenden Kalkulationsperiode fortzusetzen beabsichtigt, wurden im gesamten Verteilungsgebiet der Antragstellerin zunächst bis zum 31. Dezember 2005 gültige "Energiespargutscheine" verteilt, die beim Kauf besonders energieeffizienter Haushaltsgegenstände eingelöst oder im Servicebüro der Antragstellerin gegen ein Energiesparset eingetauscht werden konnten. Dabei sind nach Angaben der Antragstellerin Aufwendungen in Höhe von 73.000 Euro entstanden.

a) Das Beschwerdegericht hat diese Kürzung der Bundesnetzagentur gebilligt. Die Antragstellerin habe nicht darlegen können, dass die Kosten der Gutscheine dem Netzbetrieb zuzurechnen seien. Der unmittelbaren Aufrechterhaltung des Netzbetriebs diene die Werbemaßnahme nicht. Ihr Zweck bestehe darin, die Bindung der Stromabnehmer an die Antragstellerin zu stärken. Sie nutze deshalb in erster Linie dem Geschäftsbereich des Vertriebs von Strom an Endkunden. Zudem habe die Antragstellerin nicht darlegen können, inwieweit durch die Aufwendungen eine Minderbelastung des Netzes erreicht oder Netzausbauten zurückgestellt oder erspart hätten werden können. Da diese Ungewissheit zu Lasten der Antragstellerin gehe, dürften die entstandenen Kosten dem Netzbetrieb auch nicht anteilig zugerechnet werden.

b) Diese Beurteilung lässt keinen Rechtsfehler erkennen.

aa) Ansatzfähig sind gemäß § 4 Abs. 1 StromNEV Kosten nur dann, wenn sie Kosten des Netzbetriebs sind und in ihrer Höhe denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Netzbetriebs entsprechen. Erschöpft sich die Geschäftstätigkeit des Unternehmens nicht allein im Betrieb des Netzes, ist eine getrennte Erfassung der Netzkosten und der Kosten der anderweitigen Geschäftstätigkeiten vorzunehmen (§ 10 Abs. 3 EnWG). Dabei müssen die Einzelkosten des Netzes dem Netz direkt zugeordnet werden (§ 4 Abs. 4 Satz 1 StromNEV). Ist eine direkte Zuordnung nicht möglich, sind die betreffenden Kosten als Gemeinkosten zu behandeln. Das Unternehmen hat in diesem Fall eine verursachungsgerechte Schlüsselung vorzunehmen. Bei der Ermittlung des den Netzkosten zuzurechnenden entsprechenden Anteils an den Gemeinkosten (vgl. § 4 Abs. 4 Satz 2 StromNEV) hat der Netzbetreiber die sachgerechte Aufteilung für sachkundige Dritte nachvollziehbar und vollständig zu dokumentieren (§ 4 Abs. 4 Satz 4 StromNEV). Ihn trifft demnach eine sich aus diesen Regelungen der Stromnetzentgeltverordnung i.V.m. § 23a Abs. 3 EnWG ergebende Darlegungspflicht, wenn er Aufwendungen als Kosten des Netzbetriebs in Ansatz bringen will. Der Netzbetreiber muss sowohl die Zuordnung der Kosten zum Netzbetrieb als auch die Sachgerechtigkeit ihrer Aufteilung nachweisen.

bb) Das Beschwerdegericht hat den Bezug der Energiesparaktion zum Netzbetrieb der Antragstellerin verneint. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Bei der Energiesparaktion handelt es sich um eine Werbemaßnahme. Deren Zuordnung bestimmt sich in erster Linie danach, welche geschäftlichen Aktivitäten hierdurch gefördert werden sollen und welche Vorteile für das Unternehmen daraus entstehen können.

Die Energiesparaktion diente - wie das Beschwerdegericht rechtsfehlerfrei angenommen hat - der Stärkung der Kundenbindung und allgemein der Verbesserung des Images der Antragstellerin, die sich ihren Haushaltskunden als modernes, sparsames und umweltfreundliches Energieversorgungsunternehmen präsentieren wollte. Solche Werbemaßnahmen werden ergriffen, wenn sich das Unternehmen in einer Konkurrenzsituation befindet. Einem Wettbewerb ausgesetzt war die Antragstellerin nur in Bezug auf ihre Geschäftstätigkeit als Stromkommissionärin. Dort belieferte sie nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts Endverbraucher mit Strom und erhielt hierfür Provisionen. Im Blick auf diesen Absatzmarkt erfolgte die Werbeaktion, die sich an Haushaltskunden richtete.

cc) Entgegen der Auffassung der Antragstellerin lassen sich die Kosten der Energiesparaktion auch nicht deshalb dem Netz zuordnen, weil sie einen Energieeinsparungseffekt haben. Zwar hat der Netzbetreiber nach § 14 Abs. 2 EnWG bei der Planung des Verteilnetzausbaus die Möglichkeiten von Energieeffizienz- und Nachfragesteuerungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Diese Berücksichtigungspflicht bedeutet jedoch lediglich, dass der Netzbetreiber vor einem Netzausbau alternativ Einsparungspotenziale prüfen muss (vgl. Salje, EnWG § 14 Rdn. 13). Dass der Netzbetreiber Möglichkeiten zur Einsparung in Betracht zu ziehen hat, rechtfertigt dagegen nicht schon ohne weiteres den Aufwand für eine Energiesparaktion. Maßgeblich hierfür ist, dass dieser Aufwand im Hinblick auf die für den Netznutzer zu erwartenden Kostenersparnisse angemessen ist.

Eine solche zu erwartende Kostenersparnis hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsverstoß verneint. Die Antragstellerin hat - trotz eines Hinweises des Beschwerdegerichts - nicht dargelegt, dass die Werbeaktion einen Kostenvorteil für das Elektrizitätsverteilernetz erwarten lässt. Die Rechtsbeschwerde zeigt weder auf, dass die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren die zu erwartenden Effekte auf den Stromverbrauch dargetan hat, noch macht sie geltend, dass konkrete Anhaltspunkte für die Auswirkung einer solchen Energieeinsparung auf die Netzkosten dargelegt worden sind. Eine kostensenkende Wirkung würde allenfalls dann bestehen, wenn durch die Energieeinsparungen Erweiterungsinvestitionen vermieden werden könnten, was nicht festgestellt ist. Soweit die Antragstellerin mit ihrer Rechtsbeschwerdebegründung dazu weiteres Zahlenmaterial vorlegt, muss dieser neue Tatsachenvortrag im Rechtsbeschwerdeverfahren unberücksichtigt bleiben.

2. Fremdkapitalzinssatz

Hinsichtlich der Höhe des Fremdkapitalzinssatzes halten die Erwägungen des Beschwerdegerichts rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Das Beschwerdegericht hat angenommen, dass der die zugelassene Eigenkapitalquote übersteigende Anteil des Eigenkapitals lediglich mit 4,8 % p.a. zu verzinsen sei. Dieser Zinssatz errechne sich aus der durchschnittlichen Umlaufrendite festverzinslicher Papiere inländischer Emittenten der letzten zehn abgeschlossenen Kalenderjahre; für den Ansatz eines Risikozuschlags bestehe kein Raum.

b) Diese Beurteilung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.

Wie der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 14. August 2008 (KVR 42/07, WuW/E DE-R 2395 Tz. 50 ff. - Rheinhessische Energie) entschieden hat, ist ein angemessener Risikozuschlag vorzunehmen. Für die Risikobewertung sind aus der Sicht eines fiktiven Kreditgebers die Einschätzung der Bonität des Emittenten und die Art der Emission maßgeblich, wobei jedoch keine unternehmensscharfe Risikobewertung vorgenommen werden muss. Aus Gründen der Vereinfachung und Praktikabilität ist die Bildung sachgerecht abgegrenzter Risikoklassen geboten (vgl. BGH, Beschl. v. 14.8.2008 - KVR 42/07, aaO). Für die Bemessung des Risikozuschlags bedarf es noch weiterer Feststellungen des Beschwerdegerichts.



Ende der Entscheidung

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