Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 01.12.1999
Aktenzeichen: I ZR 169/96
Rechtsgebiete: UWG, BGB, MarkenG, ZPO


Vorschriften:

UWG § 13 Abs. 2 Nr. 2
UWG § 1
BGB § 242
MarkenG § 24 Abs. 2
ZPO § 97 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 169/96

Verkündet am: 1. Dezember 1999

Führinger Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. Dezember 1999 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Prof. Dr. Mees, Dr. v. Ungern-Sternberg, Dr. Bornkamm und Pokrant

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 10. September 1996 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist ein Verein, der die Interessen der überwiegenden Mehrheit der VW- und Audi-Vertragshändler wahrnimmt. Ausweislich seiner Satzung verfolgt er das Ziel, die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs im Kraftfahrzeuggewerbe zu überwachen und Verstöße zu verfolgen.

Die Beklagte, die mit VW und Audi vertraglich nicht verbunden ist, bietet ständig Neuwagen insbesondere der Marken VW und Audi an. Dabei handelt es sich um Fahrzeuge, die unter Ausnutzung des Preisgefälles innerhalb der Europäischen Union nach Deutschland (re-)importiert werden.

Der Kläger hat dieses Verhalten als wettbewerbswidrig beanstandet. Er hat - soweit hier von Bedeutung - vorgetragen, Fahrzeuge der Marken VW und Audi würden ausschließlich über ein lückenloses selektives Vertriebssystem abgesetzt. Die Beklagte könne sich daher diese Fahrzeuge nur im Wege des Schleichbezugs oder dadurch beschafft haben, daß sie einen gebundenen Händler zum Vertragsbruch verleitet oder dessen Vertragsbruch zumindest ausgenutzt habe.

Der Kläger hat - soweit im Revisionsverfahren noch von Bedeutung - beantragt, es der Beklagten zu untersagen,

solche VW- und Audi-Neufahrzeuge gewerbsmäßig zu verkaufen und/oder für den Verkauf zu bewerben, deren Erstauslieferung durch VW bzw. Audi an Händler innerhalb der EU erfolgte, bezüglich deren die V.A.G einem Vertrieb an andere Wiederverkäufer als Vertragshändler nicht schriftlich zugestimmt hat und die die Beklagte von Kraftfahrzeughändlern als Wiederverkäufer erworben hat.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat sich darauf berufen, daß das Vertriebssystem von VW und Audi nicht lückenlos sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.

Mit der Revision verfolgt der Kläger den oben wiedergegebenen Klageantrag weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Mit Recht ist das Berufungsgericht von der Prozeßführungsbefugnis des klagenden Verbandes nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 UWG ausgegangen. Aus dem Tatbestand des landgerichtlichen Urteils ergibt sich, daß der Kläger über mehr als 160 Mitglieder verfügt, die im Postleitzahlbezirk 4 (Düsseldorf) ihren Sitz haben. Der räumlich relevante Markt für das Angebot von Kraftfahrzeugen ist nicht auf das Stadtgebiet von Neuss begrenzt. Selbst wenn der Markt nicht den gesamten Postleitzahlbezirk 4 umfaßt, verfügt der Kläger in Düsseldorf und Umgebung - hierzu gehört auch Neuss, wo die Beklagte tätig ist - über eine hinreichend große Zahl von Mitgliedern (vgl. BGH, Urt. v. 19.6.1997 - I ZR 72/95, GRUR 1998, 170 f. = WRP 1997, 1070 - Händlervereinigung).

II. Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers aus § 1 UWG verneint. Die vom Kläger angestrengte Außenseiterklage könne nur Erfolg haben, wenn das V.A.G-Vertriebssystem theoretisch und praktisch lückenlos sei. Hieran habe auch die Rechtsprechung des EuGH nichts geändert. Ob das System gedanklich lückenlos sei, könne offenbleiben, da jedenfalls seine praktische Lückenhaftigkeit - wie durch zahlreiche Vorgänge belegt - nicht zu verkennen sei.

III. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben im Ergebnis keinen Erfolg. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten kein Unterlassungsanspruch aus § 13 Abs. 2 Nr. 2 i.V. mit § 1 UWG zu.

Der Kläger möchte der Beklagten den Vertrieb von Fahrzeugen untersagen lassen, die ursprünglich an einen Vertragshändler ausgeliefert worden sind. Da solche Fahrzeuge nach den vertraglichen Vereinbarungen nicht an systemfremde Wiederverkäufer abgegeben werden dürfen, kann die Beklagte sie nur durch Schleichbezug, durch Verleiten zum Vertragsbruch oder durch Ausnutzen des Vertragsbruchs eines gebundenen VW/Audi-Händlers erwerben. Da die getroffenen Feststellungen, aber auch der Klagevortrag keine Anhaltspunkte für einen Schleichbezug oder für ein Verleiten zum Vertragsbruch bieten, kann der Antrag nur Erfolg haben, wenn ein Unterlassungsanspruch auch für den Fall zu bejahen wäre, daß die Beklagte lediglich durch Ausnutzen des Vertragsbruchs eines gebundenen VW/Audi-Händlers in den Besitz der VW- und Audi-Fahrzeuge gelangt ist. In der Vergangenheit hat der Bundesgerichtshof dem Hersteller - Anspruchsteller hätte ebenso ein vertriebsgebundener Händler oder wie vorliegend ein Händlerverband sein können - einen solchen Anspruch gegenüber dem Außenseiter unter der Voraussetzung zugesprochen, daß es sich um ein gedanklich und praktisch lückenloses Vertriebssystem handelt.

An dieser Rechtsprechung wird in Übereinstimmung mit dem Kartellsenat nicht festgehalten (vgl. die im Verfahren I ZR 130/96 erfolgte Anfrage beim Kartellsenat vom 15.7.1999, GRUR 1999, 1113 = WRP 1999, 1022 - Außenseiteranspruch I, auf die der Kartellsenat - wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat erörtert - am 28.9.1999 mitgeteilt hat, daß er an der früheren Beurteilung ebenfalls nicht festhalte). Zwar kam dem auf § 1 UWG gestützten Anspruch gegenüber dem Außenseiter in den vergangenen Jahren keine große Bedeutung zu, weil die strengen Anforderungen an die praktische Lückenlosigkeit im allgemeinen zur Verneinung dieses Merkmals führten. Die praktische Lückenlosigkeit ist aber entgegen der früheren Rechtsprechung weder Voraussetzung für die Wirksamkeit eines Vertriebsbindungssystems, noch kann der Anspruch gegenüber dem Außenseiter von diesem Erfordernis abhängig gemacht werden (dazu 1.). Dies zwingt zur Beantwortung der an sich vorrangigen Frage, ob es gerechtfertigt ist, das Verhalten des Außenseiters, der lediglich den Vertragsbruch eines Dritten ausnutzt, nach § 1 UWG als wettbewerbswidrig zu beurteilen; dies ist - ebenfalls entgegen der früheren Rechtsprechung - zu verneinen (dazu 2.). Der Schutz selektiver Vertriebssysteme, der durch die frühere Rechtsprechung bewirkt werden sollte, kann auf andere Weise erreicht werden (dazu 3.).

1. Dem Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit des Vertriebsbindungssystems ist keine entscheidende Bedeutung beizumessen.

a) Zunächst ist hervorzuheben, daß die kartellrechtliche Beurteilung eines selektiven Vertriebssystems nicht maßgeblich von der Frage der gedanklichen oder gar praktischen Lückenlosigkeit des Systems abhängt. Dies gilt nicht nur für die Wettbewerbsregeln des EG-Vertrages (EuGH, Urt. v. 13.1.1994 - Rs. C-376/92, Slg. 1994, I-15 = GRUR 1994, 300, 302 Tz. 28 f. - Metro/Cartier; Urt. v. 5.6.1997 - Rs. C-41/96, Slg. 1997, I-3123 = GRUR Int. 1997, 907, 908 Tz. 12 - VAG-Händlerbeirat/SYD-Consult), sondern auch für das autonome deutsche Kartellrecht: Die kartellrechtliche Wirksamkeit eines selektiven Vertriebsbindungssystems bzw. der zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarungen hängt auch hier nicht von der Lückenlosigkeit des Systems ab (vgl. BGH, Urt. v. 15.7.1999 - I ZR 14/97, GRUR 1999, 1109, 1111 f. = WRP 1999, 1026 - Entfernung der Herstellungsnummer, zur Veröffentlichung in BGHZ 142, 192 vorgesehen). Aus EG-Kartellrecht kann sich freilich - ebenso wie aus dem nationalen Kartellrecht (vgl. § 20 Abs. 1 und 2 GWB) - eine Notwendigkeit zum diskriminierungsfreien Einsatz eines Vertriebsbindungssystems ergeben (vgl. EuGH, Urt. v. 25.10.1983 - Rs. 107/82, Slg. 1983, 3151 = GRUR Int. 1984, 28, 29 Tz. 36 bis 38 - AEG-Telefunken; BGH, Urt. v. 10.11.1987 - KZR 15/86, WuW/E 2451, 2457 = GRUR 1988, 327 - Cartier-Uhren; Urt. v. 12.5.1998 - KZR 23/96, WuW/E DE-R 206, 208 = GRUR 1999, 276 - Depotkosmetik).

b) Die lückenlose Einhaltung eines Vertriebsbindungssystems ist von der Rechtsprechung in den Fällen, in denen ein Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs in Rede stand, als eine Voraussetzung dafür angesehen worden, daß der Hersteller einen systemfremden Außenseiter unter dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Behinderung in Anspruch nehmen kann.

aa) Steht - wie regelmäßig und auch im Streitfall - nicht fest, welcher gebundene Händler die Ware unter Verstoß gegen das Verbot der Abgabe an (systemfremde) Wiederverkäufer veräußert hat, kann nur dann davon ausgegangen werden, die Ware sei entweder aufgrund des Vertragsbruchs eines Vertragshändlers oder aufgrund Täuschung in die systemfremden Vertriebskanäle gelangt, wenn der Hersteller mit allen Abnehmern eine entsprechende Bindung vereinbart hat, wenn das System also gedanklich lückenlos ist. Ist die Lückenlosigkeit in diesem Sinne im Prozeß gegen den Außenseiter dargetan, spricht eine tatsächliche Vermutung dafür, daß dieser die Waren nur durch fremden Vertragsbruch oder auf Schleichwegen erlangt haben kann (RGZ 151, 239, 255; BGHZ 36, 370, 376 - Rollfilme; 40, 135, 140 - Trockenrasierer II; BGH, Urt. v. 10.12.1957 - I ZR 175/56, GRUR 1958, 240, 245 = WRP 1958, 88 - Markenschokolade; Urt. v. 9.11.1967 - KZR 9/65, GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III; Urt. v. 9.5.1985 - I ZR 99/83, GRUR 1985, 1059 = WRP 1985, 555 - Vertriebsbindung; Urt. v. 22.6.1989 - I ZR 126/87, GRUR 1989, 832, 833 = WRP 1990, 321 - Schweizer Außenseiter). Hierin liegt die beweisrechtliche Bedeutung der Lückenlosigkeit.

bb) Die sachlich-rechtliche Bedeutung der Lückenlosigkeit ist von der Rechtsprechung zunächst in Fällen der - damals generell für Markenwaren zulässigen - Preisbindung betont worden. Sie beruht auf der Erwägung, daß dem gebundenen Händler die Einhaltung der ihm obliegenden Verpflichtung dann nicht mehr zugemutet werden kann, wenn seine Mitbewerber ohne eine entsprechende rechtliche oder tatsächliche Bindung Wettbewerb treiben können (BGHZ 36, 370, 375 f. - Rollfilme; 40, 135, 139 - Trockenrasierer II; BGH GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III). Dies kann zum einen der Fall sein, wenn nicht alle Mitbewerber in derselben Weise gebunden werden, wenn das System also schon gedanklich lückenhaft ist. Eine solche Situation kann aber zum anderen auch eintreten, wenn gegen gebundene Mitbewerber, die vertragsbrüchig werden, von seiten des Herstellers nicht vorgegangen wird, wenn das System also in seiner praktischen Handhabung Lücken aufweist. Dahinter verbirgt sich die Erwägung, daß in Fällen, in denen schon dem gebundenen Händler die Einhaltung der sich aus der Bindung ergebenden Verpflichtungen nicht mehr zugemutet werden kann, die Mißachtung des Bindungssystems schon gar nicht dem nichtgebundenen Außenseiter als eine sittenwidrige Handlungsweise zur Last zu legen ist (vgl. BGH GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III). Hinzu tritt die Erwägung, daß in einem auf diese Weise praktisch lückenhaften System auch der Bezug der Ware vom an sich gebundenen Händler nicht mehr notwendig einen Vertragsbruch oder einen Schleichbezug voraussetzt (BGH, Urt. v. 7.2.1991 - I ZR 104/89, GRUR 1991, 614, 616 = WRP 1991, 391 - Eigenvertriebssystem).

c) Daß eine solche Lückenhaftigkeit den an sich vertragstreuen Händler von seinen Pflichten entbinden kann, ist eine Erwägung, die in Fällen der Preisbindung nicht fern liegt. Dem Begehren des Herstellers, der auf einer Einhaltung der Preisbindung besteht, kann der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegenstehen, wenn die Mitbewerber des gebundenen Händlers die gleiche Ware zu einem niedrigeren Preis veräußern können - sei es, daß sie keiner Bindung unterliegen, oder sei es, daß gegen sie nicht vorgegangen wird (BGHZ 36, 370, 376 - Rollfilme; BGH, Urt. v. 10.1.1964 - Ib ZR 78/62, GRUR 1964, 320, 321 = WRP 1964, 161 - Maggi; Urt. v. 3.6.1964 - Ib ZR 49/63, GRUR 1964, 629, 631 = WRP 1964, 315 - Grauer Markt; Urt. v. 26.4.1967 - Ib ZR 22/65, GRUR 1968, 95, 99 = WRP 1967, 367 - Büchereinachlaß; hierzu Knöpfle, NJW 1969, 1001 ff.).

In der Vergangenheit sind diese Grundsätze vom Bundesgerichtshof uneingeschränkt auch auf Vertriebsbindungssysteme angewandt worden (BGHZ 40, 135, 137 f. - Trockenrasierer II; BGH GRUR 1968, 272, 274 f. - Trockenrasierer III; BGH, Urt. v. 21.2.1968 - Ib ZR 11/66, GRUR 1969, 222, 223 - Le Galion; GRUR 1985, 1059 - Vertriebsbindung; GRUR 1991, 614, 616 - Eigenvertriebssystem; Urt. v. 19.3.1992 - I ZR 122/90, GRUR 1992, 627, 629 = WRP 1992, 553 - Pajero). An dieser Gleichstellung kann nicht festgehalten werden. Denn die materiell-rechtlichen Wirkungen der Lückenhaftigkeit eines derartigen Vertriebssystems sind nicht notwendig die gleichen wie in Fällen der Preisbindung: Im Hinblick auf die Bedeutung des Preises im Wettbewerb kann dem gebundenen Händler eine Einhaltung der Preisvorgaben des Herstellers häufig schon dann nicht mehr zugemutet werden, wenn seine Preise nicht nur kurzfristig durch nichtgebundene oder durch die Bindung mißachtende Händler unterboten werden und er dadurch Nachteile im Wettbewerb erleidet. Ganz anders verhält es sich dagegen, wenn der im Rahmen eines selektiven Vertriebs gebundene Händler im Wettbewerb auf einen nichtgebundenen Mitbewerber trifft. In diesem Fall kann nicht ohne weiteres angenommen werden, die Einhaltung der dem gebundenen Händler auferlegten Verpflichtungen werde nur deswegen unzumutbar, weil die Waren auch von systemfremden Händlern angeboten werden. Bleibt aber die vertragliche Verpflichtung der gebundenen Händler - wovon hier im allgemeinen auszugehen ist - durch das Angebot der Außenseiter unberührt, entfällt die materiell-rechtliche Wirkung, die sich aufgrund möglicher Lücken des Vertriebsbindungssystems ergeben kann. Damit ist der entscheidenden Begründung für das Merkmal der praktischen Lückenlosigkeit der Boden entzogen.

d) Es kommt hinzu, daß das Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit im Zuge der Schaffung größerer Wirtschaftsräume kaum noch oder nur noch unter Verzicht auf wesentliche Absatzmärkte erfüllt werden kann. Steht ein Bezug der Waren aus dem Ausland in Rede, ergeben sich nach der bisherigen Rechtsprechung bereits dann nicht mehr zu schließende praktische Lücken, wenn die Ware sich dort rechtmäßig im Verkehr befindet und - unbeeinträchtigt vom Vertriebsbinder - rechtmäßig bezogen werden konnte (BGH GRUR 1989, 832 - Schweizer Außenseiter). Ein solcher rechtmäßiger Bezug ist etwa in der Schweiz, aber auch in Österreich möglich, da dort der Außenseiter, der Ware von einem gebundenen Händler unter Ausnutzung des von diesem begangenen Vertragsbruchs erwirbt, vom Vertriebsbinder nicht in Anspruch genommen werden kann (zur Rechtslage in der Schweiz BGE 114 II 91 = GRUR Int. 1988, 706 - Dior-Vertriebsbindung; BGH GRUR 1989, 832, 833 - Schweizer Außenseiter; zur Rechtslage in Österreich OGH ÖBl. 1985, 68 = GRUR Int. 1986, 210 - Grundig-Vertriebsbindung).

2. Entfällt das Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit, das in der Vergangenheit eine kaum überwindbare Schranke für die Inanspruchnahme des Außenseiters durch den Vertriebsbinder dargestellt hat, stellt sich die Frage, ob generell an der Möglichkeit einer solchen Inanspruchnahme auch in Fällen festgehalten werden kann, in denen lediglich ein Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs, nicht dagegen ein Verleiten zum Vertragsbruch oder ein Schleichbezug in Rede steht. Dies ist zu verneinen.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes handelt der Kaufmann, der den Vertragsbruch eines Vertragspartners seines Wettbewerbers nur ausnutzt, ohne den Gebundenen zu dem Vertragsbruch zu verleiten, nicht wettbewerbswidrig, solange nicht besondere die Unlauterkeit begründende Umstände hinzutreten (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 30.1.1976 - I ZR 108/74, GRUR 1976, 372, 374 = WRP 1976, 237 - Möbelentwürfe; Urt. v. 4.10.1990 - I ZR 139/89, GRUR 1991, 449, 453 - Betriebssystem, insoweit nicht in BGHZ 112, 264; Urt. v. 24.2.1994 - I ZR 74/92, GRUR 1994, 447, 449 = WRP 1994, 511 - Sistierung von Aufträgen; Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., § 1 UWG Rdn. 703 ff. m.w.N.). Dem liegt der Gedanke zugrunde, daß die schuldrechtliche Bindung zwischen dem Wettbewerber und seinem Vertragspartner Dritten gegenüber im allgemeinen keine rechtlichen Wirkungen zu entfalten vermag und daß die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes schon bei einem Ausnutzen fremden Vertragsbruchs gewissermaßen zu einer - im Interesse der Verkehrsfähigkeit unerwünschten - Verdinglichung der schuldrechtlichen Verpflichtungen führen würde.

b) Allein darin, daß der Außenseiter den Vertragsbruch eines gebundenen Händlers ausnutzt, liegen keine besonderen Umstände zur Begründung der Unlauterkeit.

aa) In den Fällen der Preisbindung hat die Rechtsprechung ein solches zusätzliches Unlauterkeitsmerkmal in der Weiterveräußerung der Ware unter dem gebundenen Preis gesehen (vgl. BGHZ 37, 30, 34 - Selbstbedienungsgroßhandel; BGH GRUR 1968, 272, 274 f. - Trockenrasierer III). Dabei wurde berücksichtigt, daß jede Preisunterbietung durch einen Außenseiter das Bindungssystem gefährdet, weil dem Gebundenen die Einhaltung der vorgegebenen Preise nicht mehr zugemutet werden kann, wenn seine Preise von ungebundenen Wettbewerbern unterboten werden. Ob diese Umstände in Fällen der Preisbindung für die Annahme eines Wettbewerbsverstoßes ausreichen, bedarf im Streitfall keiner Klärung.

bb) Bei der Vertriebsbindung ist lediglich auf den wettbewerblichen Vorsprung abgestellt worden, den der Außenseiter in zweifacher Weise erziele: zum einen im Verhältnis zu anderen ungebundenen Mitbewerbern dadurch, daß er im Gegensatz zu ihnen sein Sortiment durch die Waren des Vertriebsbinders vervollständigen könne (BGHZ 37, 30, 34 f. - Selbstbedienungsgroßhandel; BGH GRUR 1968, 272, 275 - Trockenrasierer III), und zum anderen im Verhältnis zu den gebundenen Händlern, die verpflichtet seien, die Vorgaben des Vertriebsbinders einzuhalten (vgl. Baumbach/Hefermehl aaO § 1 Rdn. 803 a.E., 804). Beide Gesichtspunkte reichen nach Ansicht des Senats bei wertender Betrachtung nicht aus, um eine Unlauterkeit zu begründen.

(1) Was zunächst das Verhältnis zu anderen ungebundenen Wettbewerbern angeht, ist es diesen unbenommen, sich ebenfalls mit der Ware einzudecken, die - ohne daß dies der Vertriebsbinder zu verhindern vermochte - in den ungebundenen Handel gelangt ist und damit ungeachtet vertraglicher Beschränkungen, die zwischen dem Vertriebsbinder und seinen Händlern bestehen, ein verkehrsfähiges Wirtschaftsgut darstellt. Ihnen gegenüber scheidet daher ein lauterkeitsrechtlich bedenklicher Wettbewerbsvorsprung aus. Würde der Vorwurf des sittenwidrigen Verhaltens allein daran anknüpfen, daß ein Händler die Ware auf einer vorgelagerten Absatzstufe entgegen einer vertraglichen Verpflichtung an einen Wiederverkäufer veräußert hat, haftete der Ware trotz eines in sachenrechtlicher Hinsicht einwandfreien Erwerbs ein Makel an, der ihre Verkehrsfähigkeit beeinträchtigen würde. Der vertraglichen Bindung zwischen dem Hersteller und seinem Abnehmer würde damit zu Unrecht eine quasi-dingliche Wirkung zugebilligt (vgl. die Kritik an der bisherigen Rechtsprechung bei Emmerich in Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., § 16 Rdn. 138; Klosterfelde/Metzlaff in Langen/Bunte, Kartellrecht, 8. Aufl., § 16 GWB Rdn. 122; Möschel, Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, Rdn. 401).

(2) Aber auch im Verhältnis zu den gebundenen Händlern verschafft sich der Außenseiter keinen die Unlauterkeit begründenden Vorsprung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß er eine unbeschränkt verkehrsfähige Ware erwirbt und daß er in der Art und Weise, wie er mit dieser Ware weiter verfährt, an keinerlei Verpflichtungen gebunden ist, die ohne seine Beteiligung im Zuge eines vorangegangenen Erwerbsvorgangs schuldrechtlich vereinbart worden sind. Ihn treffen die Verpflichtungen gerade nicht, deren Beachtung der systemgebundene Händler vertraglich übernommen hat. Der gebundene Händler bedarf auch nicht des lauterkeitsrechtlichen Schutzes. Ihm steht es frei, ob er sich gegenüber dem Hersteller bindet, u.a. weil er auf eine zuverlässige Belieferung oder auf sonstige Vorzüge Wert legt, in deren Genuß nur die systemangehörigen Händler kommen, oder ob er sich bemüht, sich mit der fraglichen Ware wie der Außenseiter auf dem freien Markt einzudecken. Wählt er den Weg in die Vertriebsbindung, können Störungen, die sich aufgrund des Wettbewerbs durch ungebundene Händler ergeben, nur im Verhältnis zum Vertragspartner, also zum Hersteller, beseitigt werden, den der Abnehmer beispielsweise dazu anhalten kann, alle Abnehmer den gleichen Bindungen zu unterwerfen und die Einhaltung der von den Abnehmern übernommenen Verpflichtungen zu kontrollieren. Auch der Hersteller, der sich durch das Verhalten des Außenseiters beeinträchtigt sieht, ist auf die Vertragsbeziehungen zu seinen Abnehmern zu verweisen, denen gegenüber ihm vertragliche Erfüllungs- und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche zustehen (vgl. hierzu Kraßer, Der Schutz von Preis- und Vertriebsbindungen gegenüber Außenseitern, 1972, S. 208 ff., 270 ff.).

(3) Bei der Bejahung des Außenseiteranspruchs hat in der Vergangenheit noch ein weiterer - unausgesprochen gebliebener - Gesichtspunkt eine Rolle gespielt. Im Hinblick auf das von der Rechtsprechung in der Vergangenheit geforderte Merkmal der praktischen Lückenlosigkeit wurde jedes Vertriebsbindungssystem schon durch das Auftreten eines Außenseiters in seinem Bestand gefährdet. Denn dieses Erfordernis beruhte auf der Annahme, daß den gebundenen Abnehmern die Einhaltung der vertraglichen Pflichten nicht mehr zuzumuten sei, wenn sie dem Wettbewerb ungebundener Händler ausgesetzt seien. Wird aber an dem Erfordernis der praktischen Lückenlosigkeit ohnehin nicht festgehalten, entfällt auch das beschriebene besondere Schutzbedürfnis (vgl. dazu die Vorschläge von Schricker, GRUR 1976, 528, 543; ferner Fezer, GRUR 1990, 551, 553 ff.).

3. Die selektiven Vertriebsbindungssysteme werden bei dem zugrundegelegten Verständnis nicht schutzlos gestellt. Handelt es sich um ein nach deutschem und europäischem Kartellrecht unbedenkliches System und ist - beispielsweise aufgrund einer diskriminierungsfreien Behandlung aller Abnehmer innerhalb des in Rede stehenden Wirtschaftsraums - ein Mißbrauch nicht zu erwarten, steht es dem Hersteller frei, die Einhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch ein Nummernsystem zu kontrollieren (vgl. BGH GRUR 1999, 1109, 1112 f. - Entfernung der Herstellungsnummer, m.w.N.). Wird dem Hersteller die Kontrolle eines solchen nicht zu beanstandenden Systems durch die Entfernung oder durch das Unkenntlichmachen der Kontrollnummern erschwert, steht ihm auch gegenüber dem Außenseiter, der eine solche veränderte Ware vertreibt, unter dem Gesichtspunkt einer wettbewerbswidrigen Behinderung ein Unterlassungsanspruch nach § 1 UWG zur Seite. Außerdem wird die Entfernung oder Veränderung der - legitimen Zwecken dienenden - Kontrollnummer im allgemeinen dazu führen, daß eine Erschöpfung nicht eintritt (§ 24 Abs. 2 MarkenG), so daß dem Hersteller insoweit auch markenrechtliche Ansprüche gegen die Weiterverbreitung der veränderten Ware zustehen werden. Dem stehen die Senatsentscheidungen "Entfernung von Kontrollnummern I bis IV" (BGHZ 104, 185; BGH, Urt. v. 5.5.1988 - I ZR 179/86, GRUR 1988, 826 = WRP 1988, 725; Urt. v. 1.6.1988 - I ZR 83/87, WRP 1989, 369; Urt. v. 26.5.1988 - I ZR 238/86, WRP 1989, 366) nicht entgegen. Dort ist lediglich ausgesprochen, daß die Entfernung derartiger Nummern wettbewerbsrechtlich dann nicht untersagt werden kann, wenn sie der Durchsetzung eines Systems dienen, das den Schutz der Rechtsordnung nicht für sich in Anspruch nehmen kann (vgl. BGH GRUR 1999, 1109, 1112 - Entfernung der Herstellungsnummer).

IV. Danach ist die Revision des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

Zurück