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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 29.04.1999
Aktenzeichen: I ZR 232/97
Rechtsgebiete: ADSp, BGB, ZPO, ADSp a.F., HGB, VVG, HGB a.F.


Vorschriften:

ADSp § 54 lit. a Nr. 1
BGB § 404
BGB § 412
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 254
BGB § 242
BGB § 182 Abs. 1
ZPO § 287 Abs. 1
ZPO § 543 Abs. 2
ADSp a.F. § 51 lit. b Satz 2
ADSp a.F. § 2 lit. a
ADSp a.F. § 54 lit. a Nr. 1
HGB §§ 407 ff.
VVG § 67 Abs. 1
HGB a.F. § 407 Abs. 2
HGB a.F. § 390 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 232/97

Verkündet am: 29. April 1999

Walz Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 29. April 1999 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Prof. Dr. Mees, Dr. v. Ungern-Sternberg, Starck und Pokrant

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 16. Juli 1997 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin, eine Versicherungsgesellschaft, ist nach ihrem Vortrag führender Transportversicherer der R. GmbH & Co. KG in N. (im folgenden: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte, die bundesweit einen Paket-Schnell-Lieferdienst betreibt, aus abgetretenem und übergegangenem Recht auf Schadensersatz wegen des Verlustes von Transportgut in Anspruch.

Die Beklagte befördert seit über zehn Jahren im Auftrag der Versicherungsnehmerin in größerem Umfang Waren. Zwischen den Parteien ist streitig, ob es sich bei den zugrundeliegenden Beförderungsaufträgen um Fracht- oder Speditionsverträge handelt. Seit Bestehen der Geschäftsbeziehungen ist es im Verantwortungsbereich der Beklagten wiederholt zu Warenverlusten gekommen, für die die Beklagte auf der Grundlage der Höchsthaftungssätze der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (ADSp) Schadensersatz geleistet hat. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits sind 39 Schadensfälle aus den Jahren 1995 und 1996. Die Klägerin macht die Differenzbeträge zwischen dem geleisteten Schadensersatz und dem von ihr behaupteten Warenwert der in Verlust geratenen Sendungen geltend.

Sie hat die Auffassung vertreten, die Beklagte könne sich nicht auf eine Haftungsbegrenzung berufen, weil ihr Frachtaufträge erteilt worden seien. Aber auch wenn es sich um Speditionsaufträge gehandelt haben sollte, hafte die Beklagte unbegrenzt, da ihr wegen schwerwiegender Organisationsmängel grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Die Beklagte führe weder die erforderlichen Schnittstellenkontrollen durch noch dokumentiere sie den Transportablauf lückenlos. Bei Übernahme der Sendungen zur Beförderung finde keine Vollständigkeitsüberprüfung und bei Weitergabe der Packstücke an die Nahverkehrsunternehmer im Auslieferungsdepot kein Soll-Ist-Vergleich statt. Die Beklagte erstatte auch keine Diebstahlsanzeigen und unterlasse es, über den Verbleib verlorengegangener Sendungen Ermittlungen durchzuführen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zur Zahlung von 72.341,85 DM nebst Zinsen zu verurteilen.

Die Beklagte ist dem nach Grund und Höhe entgegengetreten. Sie hat bestritten, daß für die streitgegenständlichen Schadensfälle Versicherungsschutz bei der Klägerin bestanden habe. Darüber hinaus hat die Beklagte geltend gemacht, es müsse berücksichtigt werden, daß sie einen Schnell-Lieferdienst betreibe und ausschließlich auf der Grundlage der ADSp arbeite, wie der Versicherungsnehmerin aus der langjährigen Geschäftsbeziehung auch bekannt sei.

Grobe Fahrlässigkeit könne ihr nicht vorgeworfen werden. Bei einem Massenumschlag von 170.000 bis 250.000 Paketen täglich seien ihre Kontrollen angemessen und ausreichend. Die Klägerin handele mit ihrem Klagebegehren zudem rechtsmißbräuchlich. Sie müsse sich entgegenhalten lassen, daß die Versicherungsnehmerin die Geschäftsbeziehung trotz der ihr bekannten angeblich groben Organisationsmängel bislang aufrechterhalten habe. Überdies sei zu berücksichtigen, daß die Versicherungsnehmerin von ihrem, der Beklagten, Angebot, den stärker kontrollierten - allerdings auch teureren - "Vertraulichkeitsdienst" in Anspruch zu nehmen, keinen Gebrauch gemacht habe.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben.

Mit ihrer Revision, deren Zurückweisung die Beklagte beantragt, verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat die Aktivlegitimation der Klägerin bejaht und die Auffassung vertreten, die Beklagte könne ihrer Inanspruchnahme den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung unter dem Gesichtspunkt des Verbotes widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) entgegenhalten. Dazu hat es ausgeführt:

Bei den den streitgegenständlichen Schadensersatzansprüchen zugrundeliegenden Vertragsverhältnissen handele es sich um Speditionsverträge. Die Klägerin könne daher vollen Schadensersatz nur verlangen, wenn die Beklagte die in Rede stehenden Schäden durch grobe Fahrlässigkeit verursacht habe (§ 51 lit. b Satz 2 ADSp). Ob dies der Fall sei, könne jedoch offenbleiben, da das Klagebegehren in krassem Widerspruch zu dem fortdauernden Geschäftsgebaren der Versicherungsnehmerin stehe und deshalb gegen die Grundsätze von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoße.

Die Versicherungsnehmerin sei seit über zehn Jahren Großkunde der Beklagten. Nach der glaubhaften Aussage des Zeugen B., eines Mitarbeiters der Versicherungsnehmerin, habe diese vor Abschluß der den streitgegenständlichen Schadensfällen zugrundeliegenden Speditionsaufträge Kenntnis davon gehabt, daß wiederholt Ware im Verantwortungsbereich der Beklagten abhanden gekommen sei, wobei die Verluste nach der Würdigung der Klägerin durch grob fahrlässige Organisationsmängel der Beklagten entstanden sein sollen. Der Zeuge habe weiter bekundet, daß die Problematik des Abhandenkommens von Ware immer wieder Gegenstand von Gesprächen zwischen der Beklagten und der Versicherungsnehmerin gewesen sei. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Beklagten habe es vor dem anhängigen Rechtsstreit zwischen 1991 und 1995 mindestens 14 weitere Gerichtsverfahren wegen vergleichbarer Schadensfälle gegeben. Bei der Versicherungsnehmerin habe gleichwohl zu keinem Zeitpunkt die Absicht bestanden, die Geschäftsbeziehung zur Beklagten zu beenden.

Aufgrund dieser Umstände stehe zur Überzeugung des Gerichts fest, daß die Versicherungsnehmerin in Kenntnis derjenigen Umstände, aus denen die Klägerin das angeblich grobe Organisationsverschulden herleite, der Beklagten nach wie vor massenweise Sendungen zur Weiterbeförderung übergeben und entsprechende Speditionsaufträge erteilt habe, ohne die Beklagte zu einer Behebung der behaupteten organisatorischen Mängel zu veranlassen. Die Beklagte habe sich aufgrund des über Jahre andauernden Verhaltens der Versicherungsnehmerin zu Recht darauf eingerichtet, daß die Schadensersatzansprüche wegen der auftretenden Schadensfälle nicht auf deren angebliche Organisationsmängel gestützt, sondern nur gemäß § 54 lit. a Nr. 1 ADSp geltend gemacht würden. Aufgrund des jahrelang anhaltenden Duldens der angeblichen Organisationsmängel sei zwischen der Beklagten und der Versicherungsnehmerin ein Vertrauenstatbestand in der Weise geschaffen worden, daß die Beklagte habe annehmen können, die Versicherungsnehmerin sei mit ihren Kontroll- und Sicherungsmaßnahmen in jeder Hinsicht einverstanden. Es sei deshalb auch - wie hilfsweise ausgeführt werde - der Gesichtspunkt der Verwirkung anzuwenden; danach verstoße das Klagebegehren ebenfalls gegen die Grundsätze von Treu und Glauben.

Das Verhalten ihrer Versicherungsnehmerin müsse sich die Klägerin als deren Rechtsnachfolgerin nach § 404 BGB (bei Abtretung der streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche) oder gemäß §§ 412, 404 BGB (bei gesetzlichem Forderungsübergang nach § 67 Abs. 1 VVG) entgegenhalten lassen.

Es könne weiter offenbleiben, ob das Verhalten der Versicherungsnehmerin unter dem Gesichtspunkt des "Handelns auf eigene Gefahr" gemäß § 254 Abs. 1 BGB zu würdigen sei. Denn die festgestellten Umstände, insbesondere die jahrelange Duldung der angeblich grob fahrlässigen Organisationsfehler, führten zu einer vollständigen Freistellung der Beklagten in bezug auf die geltend gemachten Schadensersatzansprüche und nicht nur zu einer quotenmäßigen Herabsetzung der Haftung nach § 254 BGB i.V. mit § 287 Abs. 1 ZPO.

II. Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

1. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsverstoß angenommen, daß die Beförderung der streitgegenständlichen Warensendungen auf der Grundlage von zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geschlossenen Speditionsverträgen durchgeführt worden ist.

Die Auslegung privatrechtlicher Vereinbarungen ist grundsätzlich dem Tatrichter vorbehalten. Das Revisionsgericht kann die Vertragsauslegung nur darauf überprüfen, ob sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln oder Denkgesetze verstößt, erfahrungswidrig ist, wesentlichen Tatsachenstoff außer acht läßt oder von einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung beeinflußt wird (BGH, Urt. v. 14.5.1998 - I ZR 95/96, TranspR 1998, 475, 476). Solche Rechtsfehler läßt das Berufungsurteil nicht erkennen.

a) Die Revision beanstandet ohne Erfolg, die Annahme des Berufungsgerichts, die in Verlust geratenen Warensendungen hätten auf der Grundlage von Speditionsverträgen befördert werden sollen, entbehre einer tragfähigen Grundlage, weil ein zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten offenbar bestehender schriftlicher Rahmenvertrag nicht vorgelegt worden sei.

Das Landgericht hatte der für den Abschluß eines Frachtvertrages darlegungs- und beweispflichtigen Klägerin bereits aufgegeben, "den Rahmenvertrag im Original oder zumindest in beglaubigter Fotokopie vollständig vorzulegen". Dieser Auflage ist die Klägerin nicht nachgekommen. Das Berufungsgericht hatte keine Veranlassung, erneut die Vorlage des Rahmenvertrages zu verlangen, da die Klägerin in der Berufungsinstanz nicht mehr konkret zur rechtlichen Bewertung der streitgegenständlichen Beförderungsaufträge als Frachtverträge vorgetragen hat. Sie ist in ihrer Berufungsbegründung vielmehr selbst von einer unbeschränkten Haftung der Beklagten gemäß § 51 lit. b Satz 2 ADSp a.F. ausgegangen.

b) Entgegen der Auffassung der Revision konnte das Berufungsgericht auf der vorhandenen Tatsachengrundlage auch rechtsfehlerfrei zu der Annahme gelangen, daß es sich bei den in Rede stehenden Beförderungsaufträgen um Speditionsverträge gehandelt hat.

Das Landgericht, dessen Ausführungen sich das Berufungsgericht durch Bezugnahme gemäß § 543 Abs. 2 ZPO in zulässiger Weise zu eigen gemacht hat, hat bei der rechtlichen Bewertung der streitgegenständlichen Vertragsverhältnisse mit Recht maßgeblich darauf abgestellt, daß die Versicherungsnehmerin die Beklagte als Großverladerin beauftragt hat. Denn Auftraggeber, die als Großverlader tätig sind und ein Unternehmen beauftragen, das im Rechtsverkehr ersichtlich als Spediteur i.S. von § 2 lit. a ADSp a.F. auftritt, müssen grundsätzlich davon ausgehen, daß der Auftragnehmer den ihm erteilten Auftrag im Zweifel als Speditionsauftrag gemäß §§ 407 ff. HGB (in der bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung) versteht (vgl. BGH TranspR 1998, 475, 476; OLG München TranspR 1992, 185, 186; OLG Düsseldorf VersR 1993, 1426, 1427; Koller, Transportrecht, 3. Aufl., HGB, § 407 Rdn. 19). Das Landgericht hat unangegriffen festgestellt, daß die Beklagte auf ihren Geschäftspapieren darauf hinweist, daß sie nur unter Zugrundelegung der ADSp tätig wird und daß sie dies auch im Geschäftsverkehr mit der Versicherungsnehmerin so gehalten hat. Unter diesen Umständen hätte es der Auftraggeberin oblegen, bei der Auftragserteilung ausdrücklich klarzustellen, daß sie die Beklagte als Frachtführerin beauftragen wolle und von ihr die Erbringung einer eigenen Beförderungsleistung erwarte. Das ist nach den tatrichterlichen Feststellungen nicht geschehen.

Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß es der Versicherungsnehmerin, wie die Revision geltend macht, allein auf eine Beförderung ihrer Waren und nicht auf eine Besorgung der Transporte angekommen sei, da sie dies gegenüber der Beklagten nicht zum Ausdruck gebracht hat. Aus der von der Beklagten übernommenen Verpflichtung, die ihr übergebenen Güter binnen 24 Stunden an die Empfänger auszuliefern, ergibt sich entgegen der Annahme der Revision ebenfalls nicht zwingend, daß zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten jeweils Frachtverträge abgeschlossen wurden. Dagegen spricht schon, daß die Beklagte, wie dargelegt, gegenüber der Versicherungsnehmerin zum Ausdruck gebracht hat, daß sie nur auf der Grundlage der ADSp tätig wird. Im übrigen kann die wesentliche Leistung der Beklagten auch in der Organisation eines schnellen und reibungslosen Transportablaufs bestehen (vgl. BGH, Urt. v. 6.12.1990 - I ZR 138/89, TranspR 1991, 114, 117 = VersR 1991, 480; BGH TranspR 1998, 475, 477).

2. Die Revision rügt aber mit Erfolg, daß das Berufungsgericht die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches wegen groben Organisationsverschuldens der Beklagten als rechtsmißbräuchlich angesehen hat.

Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, daß es gegen Treu und Glauben verstoßen kann, wenn ein Auftraggeber, der die Geschäftsbeziehung zu einem Spediteur, in dessen Betrieb es, wie er weiß, aufgrund grober Organisationsmängel zu Verlusten gekommen ist, zwar unbeanstandet und unverändert fortsetzt, von dem Spediteur aber wegen später infolge grober Organisationsmängel eintretender Verluste Schadensersatz verlangt. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts hätte ein solcher Verstoß gegen Treu und Glauben jedoch nicht zur Folge, daß ein Schadensersatzanspruch wegen Rechtsmißbrauchs nicht durchsetzbar ist.

Für den von Rechtsprechung und Lehre aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) abgeleiteten Einwand des Rechtsmißbrauchs ist im allgemeinen kein Raum, wenn der zu beurteilende Sachverhalt von gesetzlich normierten Bestimmungen erfaßt wird. In § 254 BGB ist auch für den vertraglichen Bereich geregelt, unter welchen Voraussetzungen ein Geschädigter im Fall mitwirkenden Verschuldens auf Ersatzleistungen des Schädigers keinen oder nur einen verminderten Anspruch hat. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine konkrete gesetzliche Ausprägung des in § 242 BGB enthaltenen allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben (vgl. BGHZ 34, 355, 363; 135, 235, 240; BGH, Urt. v. 12.1.1993 - X ZR 87/91, NJW 1993, 1191, 1192; BGH TranspR 1998, 475, 477). Dem Geschädigten ist es danach verwehrt, seinen Vermögensschaden in dem Umfang von dem Schädiger ersetzt zu verlangen, wie er seinem eigenen früheren Verhalten zuzurechnen ist (BGH TranspR 1998, 475, 477). Im allgemeinen obliegt dem Unternehmer, der die entgeltliche Erbringung von Leistungen anbietet, im Verhältnis zu seinem Auftraggeber die alleinige Verantwortung für eine ordnungsgemäße Vertragsdurchführung. Somit war es ausdrücklich Sache der Beklagten, den Transportablauf - in den der Auftraggeber in der Regel keinen bis ins einzelne gehenden Einblick hat - so zu organisieren, daß dabei die ihm anvertrauten Güter weder Schaden nehmen noch in Verlust geraten (BGH TranspR 1998, 475, 477 f.).

In einen nach § 254 Abs. 1 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch kann ein Auftraggeber etwa dann geraten, wenn er Arbeiten, von denen er weiß, daß sie mit Gefahren verbunden sind, die nur von einem Fachmann beherrscht werden können, an eine Person vergibt, deren mangelnde Sachkunde ihm bekannt ist oder an deren Fähigkeiten zu zweifeln auch aus seiner Sicht hinreichend konkreter Anlaß bestand (BGH NJW 1993, 1191, 1192; TranspR 1998, 475, 477). In gleicher Weise ist auch das Verhalten eines Auftraggebers zu werten, der mit der Transportdurchführung einen Spediteur beauftragt, von dem er weiß oder zumindest hätte wissen müssen, daß es in dessen Unternehmen aufgrund grober Organisationsmängel immer wieder zu Verlusten kommt. Die Auftragserteilung beinhaltet unter solchen Umständen die Inkaufnahme eines Risikos, dessen Verwirklichung allein dem Schädiger anzulasten unbillig erscheint und mit dem § 254 BGB zugrundeliegenden Gedanken von Treu und Glauben unvereinbar ist (vgl. BGH NJW 1993, 1191, 1192). Die Durchsetzbarkeit von Schadensersatzansprüchen des Auftraggebers bleibt hiervon jedoch grundsätzlich unberührt. Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht nicht genügend beachtet.

3. Auf der Grundlage der bislang vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht abschließend darüber befinden, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der Klägerin ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht.

a) In dem wiedereröffneten Berufungsrechtszug wird - soweit es darauf ankommen sollte - insbesondere auch die Aktivlegitimation der Klägerin zu prüfen sein. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann bislang nicht davon ausgegangen werden, daß der Klägerin die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche aus abgetretenem Recht ihrer Versicherungsnehmerin zustehen. Die Beklagte hat eine Abtretung bestritten. Tatrichterlich ist nicht festgestellt worden, daß diese tatsächlich vorgenommen wurde. Eine schriftliche Abtretungserklärung hat die Klägerin nicht vorgelegt.

Eine Anspruchsberechtigung der Klägerin kann sich daher nach dem jetzigen Stand nur aus gemäß § 67 Abs. 1 VVG übergegangenem Recht der Versicherungsnehmerin ergeben. Die Klägerin hat dazu behauptet, sie sei bei Eintritt der hier in Rede stehenden Schäden zusammen mit den H.-Versicherungen und der T.-Versicherungs AG Transportversicherer der Versicherungsnehmerin gewesen, wobei ihr Anteil 50 % betrage, so daß sie der führende Versicherer sei. Die Beklagte hat dies bestritten. Sie hat zudem in Abrede gestellt, daß die Klägerin Schadensregulierungen zugunsten der Versicherungsnehmerin vorgenommen hat. Den von der Klägerin angebotenen Zeugenbeweis hat der Tatrichter bislang nicht erhoben. Das wird in dem wiedereröffneten Berufungsrechtszug gegebenenfalls nachzuholen sein. Denn die von der Klägerin in Ablichtung vorgelegten Schadensersatzquittungen (Anlage K 15) und die Kopie der Versicherungspolice (Anlage K 14) reichen entgegen der Auffassung des Landgerichts, die sich das Berufungsgericht durch Bezugnahme gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zu eigen gemacht hat, zum Nachweis der Aktivlegitimation der Klägerin nicht aus. Insbesondere kann den Schadensersatzquittungen nicht entnommen werden, daß die darin genannten Ersatzleistungen auf die streitgegenständlichen Schäden erbracht wurden. Zudem hat auch nicht die Klägerin, sondern eine Tr. A. Versicherung AG in der Versicherungspolice für die Führung und einen Anteil von 50 % gezeichnet.

Die Revisionserwiderung weist überdies zutreffend darauf hin, daß bei einer Mehrheit von Versicherern die Ersatzansprüche nur entsprechend der Beteiligungsquote auf die einzelnen Mitversicherer übergehen (vgl. Römer/Langheid, VVG, § 67 Rdn. 27; Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 67 Rdn. 26). Die auf die Mitversicherer - H.-Versicherungen und T.-Versicherungs AG - übergegangenen Anspruchsteile könnte die Klägerin daher nur im Wege der gewillkürten Prozeßstandschaft geltend machen. Denn sie hat nicht dargetan, daß die Mitversicherer ihre Ansprüche an sie abgetreten haben. Das Berufungsgericht wird daher gegebenenfalls zu prüfen haben, ob die Mitversicherer die Klägerin ermächtigt haben, die ihnen gegen die Beklagte möglicherweise zustehenden Ansprüche im eigenen Namen einzuklagen und ob die Klägerin ein schutzwürdiges Eigeninteresse an der Geltendmachung des fremden Rechts hat (vgl. BGHZ 125, 196, 199 m.w.N.).

Die Mitversicherungsklausel in Nr. 17.4.1 der Versicherungspolice gibt hierfür nichts her, weil sie - worauf die Revisionserwiderung ebenfalls zutreffend hinweist - die Rechtsbeziehungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer regelt. Die Klägerin hat jedoch unter Beweisantritt weiter vorgetragen, am Zeichnungsort des Versicherungsscheins in München gebe es einen Handelsbrauch, wonach der führende Versicherer übergegangene Ersatzansprüche im eigenen Namen in vollem Umfang geltend machen könne. Diese Behauptung ist - entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung - nicht deshalb unerheblich, weil die Beklagte im Geltungsbereich des regionalen Handelsbrauchs weder ihren Hauptsitz noch eine Niederlassung hat. Erteilung, Wirksamwerden und Fortbestand der Prozeßführungsermächtigung richten sich, obgleich sie nicht bürgerliches Rechtsgeschäft, sondern Prozeßhandlung sind, nach privatrechtlichen Grundsätzen (vgl. Stein/Jonas/Bork, ZPO, 21. Aufl., Vor § 50 Rdn. 43; Zöller/Vollkommer, ZPO, 21. Aufl., Vor § 50 Rdn. 45). Demzufolge konnte eine Ermächtigung zur Prozeßführung im Innenverhältnis entsprechend § 182 Abs. 1 BGB unter den Mitversicherern wirksam erteilt werden, die sämtlich in München ihren Sitz haben. Ob die Prozeßführungsermächtigung auch die materiell-rechtliche Einziehungsbefugnis umfaßt, bleibt der Klärung des Tatrichters vorbehalten. Dies ist maßgeblich für die Beurteilung, ob die Klägerin Zahlung an sich selbst verlangen darf oder eine den Beteiligungsquoten entsprechende Zahlung an sich und die Mitversicherer fordern muß.

b) Beim gegenwärtigen Sach- und Streitstand lassen sich auch Grund und Höhe des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs noch nicht abschließend beurteilen.

aa) Nach § 407 Abs. 2, § 390 Abs. 1 HGB a.F. i.V. mit § 51 lit. b Satz 2 ADSp a.F. haftet die Beklagte für den in ihrem Gewahrsam eingetretenen Schaden nur dann unbeschränkt, wenn dieser durch Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Spediteurs oder seiner leitenden Angestellten verursacht worden ist. Dazu hat das Berufungsgericht bislang keine Feststellungen getroffen. Gegenwärtig kann eine Haftung der Beklagten, die die Höchsthaftungssätze des § 54 lit. a Nr. 1 ADSp a.F. übersteigt, jedenfalls nicht ausgeschlossen werden. Insbesondere steht einem weitergehenden Schadensersatzverlangen nicht der Einwand der Verwirkung entgegen. Die Revision weist zutreffend darauf hin, daß das Berufungsgericht den dafür erforderlichen Vertrauenstatbestand nicht festgestellt hat. Ein Recht ist verwirkt, wenn sich der Schuldner wegen der Untätigkeit seines Gläubigers über einen gewissen Zeitraum hin bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen, und deswegen die verspätete Geltendmachung gegen Treu und Glauben verstößt (st. Rspr.; vgl. BGHZ 25, 47, 51 f.; 92, 184, 187; 105, 250, 256; 122, 308, 315). Hiervon kann im Streitfall schon deshalb nicht ausgegangen werden, weil das Berufungsgericht festgestellt hat, daß es vor diesem Rechtsstreit in den Jahren 1991 bis 1995 mindestens 14 weitere Gerichtsverfahren zwischen den Prozeßparteien wegen vergleichbarer Schadensfälle gegeben habe. Deutlicher als durch die geführten Schadensersatzprozesse konnte die Klägerin nicht zum Ausdruck bringen, daß sie die von ihr behaupteten groben Organisationsmängel im Bereich der Beklagten nicht hinnehme. Unter diesen Umständen konnte ein Vertrauenstatbestand, wonach die Beklagte hätte annehmen dürfen, die Klägerin werde die durch Verlust von Transportgut entstandenen Schäden nicht in vollem Umfang ersetzt verlangen, nicht entstehen.

bb) Auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen kann schließlich nicht abschließend beurteilt werden, ob die streitgegenständlichen Schadensersatzansprüche wegen mitwirkenden Verschuldens der Versicherungsnehmerin insgesamt oder zumindest teilweise ausgeschlossen sind. Eine Anspruchsminderung käme etwa dann in Betracht, wenn es vor Erteilung der in Rede stehenden Beförderungsaufträge im Betrieb der Beklagten wegen grober Organisationsmängel bereits zu Verlusten gekommen wäre und die Versicherungsnehmerin dies gewußt hätte oder hätte wissen müssen (vgl. oben unter II. 2.). Hierzu fehlen jedoch bislang Feststellungen. Es ist insbesondere auch nicht ersichtlich, woraus die Versicherungsnehmerin hätte ableiten müssen, die Beklagte sei mit der ordnungsgemäßen Durchführung der ihr in Auftrag gegebenen Güterbeförderungen überfordert und nicht in der Lage oder bereit, ihre Betriebsabläufe besser zu organisieren und sicherer zu gestalten. In diesem Zusammenhang ist unter anderem auch zu berücksichtigen, daß der seit 1987 bei der Versicherungsnehmerin beschäftigte Zeuge B. bekundet hat, er habe von der Beklagten verlangt - etwa wenn komplette Paletten abhanden gekommen seien -, daß den Verlusten nachgegangen werde. Er sei davon ausgegangen, daß die Beklagte tatsächlich Nachforschungen angestellt habe. Häufig habe sie jedoch mitgeteilt, daß die in Verlust geratene Ware nicht mehr habe aufgefunden werden können. Nach den weiteren Bekundungen des Zeugen B. hat sich die Versicherungsnehmerin auch um Ersatz für die Beklagte bemüht. Da jedoch kein Unternehmen habe garantieren können, daß Verlustschäden ausgeschlossen seien, habe für die Versicherungsnehmerin keine Veranlassung bestanden, die Geschäftsbeziehung zur Beklagten aufzukündigen.

III. Danach war das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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