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Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.11.2001
Aktenzeichen: I ZR 284/99
Rechtsgebiete: AGBG


Vorschriften:

AGBG § 5
Der Kunde eines Spediteurs (Paketdienstunternehmens) verzichtet aufgrund der Klausel

"Der Kunde erklärt sein ausdrückliches Einverständnis damit, daß eine Kontrolle des Transportweges durch schriftliche Ein- und Ausgangsdokumentation an den einzelnen Umschlagstellen von U. nicht durchgeführt wird."

nicht generell auf die Durchführung der erforderlichen Schnittstellenkontrollen selbst.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

I ZR 284/99

Verkündet am: 15. November 2001

in dem Rechtsstreit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2001 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Erdmann und die Richter Dr. v. Ungern-Sternberg, Pokrant, Dr. Büscher und Dr. Schaffert

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin und die Anschlußrevision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Oktober 1999 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte, die einen Paketbeförderungsdienst betreibt, als Transportversicherungsassekuradeur aus übergegangenem Recht der E. GmbH in Nordhorn (im folgenden: Versicherungsnehmerin) wegen Verlustes von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.

Die Versicherungsnehmerin ist Großkunde der Beklagten. Sie beauftragte die Beklagte im Zeitraum von Dezember 1996 bis März 1998 zu festen Kosten mit dem Transport von Paketsendungen zu Empfängern in Deutschland. Auf der Fernverkehrsstrecke setzte die Beklagte jeweils Fremdunternehmer ein. Den einzelnen Beförderungsverträgen lagen die Beförderungsbedingungen der Beklagten zugrunde, die neben dem Hinweis auf die Geltung der Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen u.a. folgende Bestimmungen enthielten:

1. Allgemeines

...

Alle Pakete, die auf einem U.-Frachtbrief oder Absendebeleg mit dem selben Datum, Adresse und Serviceart dokumentiert werden, werden als eine Sendung angesehen.

...

10. Haftung

...

U. haftet bei Verschulden für nachgewiesene direkte Schäden bis zu einer Höhe von ... 1.000,-- DM pro Sendung in der Bundesrepublik Deutschland oder bis zu dem nach § 54 ADSp ... ermittelten Erstattungsbetrag, je nachdem, welcher Betrag höher ist, es sei denn, der Versender hat, wie im folgenden beschrieben, einen höheren Wert angegeben.

Die Wert- und Haftungsgrenze wird angehoben durch die korrekte Deklaration des Wertes der Sendung ...

Diese Wertangabe gilt als Haftungsgrenze. Der Versender erklärt durch die Unterlassung der Wertangabe, daß sein Interesse an den Gütern die oben genannte Grundhaftung nicht übersteigt. ...

Vorstehende Haftungsgrenzen gelten nicht bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit von U., seiner gesetzlichen Vertreter oder Erfüllungsgehilfen.

Im Verlauf der Geschäftsbeziehungen übersandte die Beklagte der Versicherungsnehmerin in der Zeit vom 8. August 1996 bis 6. Oktober 1997 drei mit "Preisvereinbarung" überschriebene Schreiben, die außer den jeweils gültigen Preisen für Standardsendungen, die die Versicherungsnehmerin nach Zugang der Schreiben jeweils akzeptierte, unter Ziffer 6 folgenden Wortlaut hatten:

Der Kunde erklärt sein ausdrückliches Einverständnis damit, daß eine Kontrolle des Transportweges durch schriftliche Ein- und Ausgangsdokumentation an den einzelnen Umschlagstellen von U. nicht durchgeführt wird.

Der in den Schreiben gleichzeitig enthaltenen Bitte, der Beklagten eine unterzeichnete Ausfertigung zukommen zu lassen, kam die Versicherungsnehmerin erst nach Erhalt des dritten Schreibens vom 6. Oktober 1997 nach.

In der Revisionsinstanz begehrt die Klägerin noch restlichen Schadensersatz für insgesamt 16 von ursprünglich 17 Verlustfällen, in denen die von der Versicherungsnehmerin zwischen Dezember 1996 und März 1998 aufgegebenen Pakete im Gewahrsamsbereich der Beklagten abhanden kamen. In allen Schadensfällen hatte die Versicherungsnehmerin den Wert der Versandstücke nicht besonders deklariert, weshalb die Beklagte die Ersatzleistung unter Berufung auf Nr. 10 ihrer Beförderungsbedingungen auf 1.000,-- DM beschränkt hat.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei in allen Verlustfällen zu uneingeschränktem Schadensersatz verpflichtet, weil ihr grob fahrlässiges Organisationsverschulden anzulasten sei. Die Beklagte habe nur unzulänglich dazu vorgetragen, wie sie die ihr anvertrauten Sendungen im Einzelfall gegen Verlust schütze. Zudem folge aus dem Vorbringen zu ihrer allgemeinen Betriebsorganisation, daß sie an den einzelnen Schnittstellen ihrer Umschlagslager keine Ein- und Ausgangserfassung durchführe. Die Klausel zum Dokumentationsverzicht sei wegen Verstoßes gegen Bestimmungen des AGBG unwirksam.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 71.144,84 DM nebst Zinsen zu zahlen.

Die Beklagte ist dem entgegengetreten. Sie hat den Inhalt und den Wert der einzelnen Pakete bestritten. Ferner hat sie in Abrede gestellt, daß ihr grobes Verschulden anzulasten sei. An einen Paketdienst könnten keine höheren Sorgfaltsanforderungen als an die Post gestellt werden. Da die Versicherungsnehmerin es unterlassen habe, den wirklichen Wert der Sendungen zu deklarieren, sei ihr der Vorwurf des groben Organisationsverschuldens nach §§ 242, 254 BGB versagt. Zudem habe die Versicherungsnehmerin wirksam auf eine Transportwegkontrolle durch schriftliche Ein- und Ausgangskontrollen verzichtet. Die Klägerin verhalte sich bei der Erhebung des Vorwurfs groben Organisationsverschuldens auch deshalb treuwidrig, weil der Versicherungsnehmerin das Fehlen von Schnittstellenkontrollen bereits vor Erteilung der streitgegenständlichen Beförderungsaufträge bekannt gewesen sei.

Das Landgericht hat der Klage unter Klageabweisung im übrigen lediglich in Höhe von 1.350,-- DM nebst Zinsen (Schadensfall Nr. 17) stattgegeben.

Die Berufung der Klägerin hatte nur in den Schadensfällen Nr. 1 und Nr. 12, in denen das Berufungsgericht der Klägerin jeweils 1.000,-- DM zuerkannt hat, Erfolg.

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, soweit diesem bislang noch nicht entsprochen worden ist. Die Beklagte wendet sich mit ihrer (unselbständigen) Anschlußrevision gegen ihre Verurteilung in den Schadensfällen Nr. 1 und Nr. 12 durch das Berufungsgericht. Beide Parteien beantragen, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Das Berufungsgericht hat eine Haftung der Beklagten über den in Nr. 10 ihrer Beförderungsbedingungen festgelegten Betrag von 1.000,-- DM je Sendung hinaus verneint. Dazu hat es ausgeführt:

Die Haftung der Beklagten richte sich nach dem dispositiven HGB-Frachtrecht (§ 413 Abs. 1 und Abs. 2 in der bis zum 30. Juni 1998 geltenden Fassung, im folgenden: HGB a.F.) und - soweit dieses abbedungen sei - nach ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sowie den darin ergänzend in Bezug genommenen Allgemeinen Deutschen Spediteurbedingungen (Stand: 1. Januar 1993, im folgenden: ADSp a.F.). Denn die Beklagte habe - auch wenn die geschlossenen Beförderungsverträge als Speditionsverträge zu qualifizieren seien - die Rechte und Pflichten einer Frachtführerin, da sie sich mit ihren Kunden über einen bestimmten Satz der Beförderungskosten geeinigt habe und sie die Versendung der Pakete im Sammelladungsverkehr durchführe. Die zwingende KVO-Haftung greife nicht ein, weil die Beklagte auf der Fernverkehrsstrecke nicht selbst befördere.

In den Schadensfällen Nr. 1, 2 und 4-16 stehe ein Verlust der Sendungen während des vertraglichen Gewahrsams der Beklagten fest. Da die Versenderin in allen Fällen eine Wertdeklaration unterlassen habe, hafte die Beklagte aufgrund der Haftungsbeschränkung in Nr. 10 ihrer AGB, die einer Inhaltskontrolle nach dem AGBG standhalte, grundsätzlich nur in Höhe von 1.000,-- DM je Sendung. In den Schadensfällen Nr. 1 und 12 habe die Beklagte jeweils nur 1.000,-- DM Ersatz geleistet, obwohl in beiden Fällen zwei Pakete in Verlust geraten seien. Die Beklagte schulde daher noch weitere 2.000,-- DM Ersatz. Insoweit habe die Berufung der Klägerin Erfolg. Die Beklagte benutze die Ausdrücke "Sendung" und "Paket" in ihren AGB weitgehend synonym. An einer Stelle in ihren AGB (Nr. 9 lit. b) sowie in der Zuschlagsliste für Zusatzleistungen heiße es zwar, daß eine Sendung aus mehreren Paketen bestehen könne. Daraus lasse sich indes nicht herleiten, daß unter "Sendung" im Sinne der Haftungsbeschränkung nicht auch das einzelne Paket zu verstehen sei.

Eine darüber hinausgehende Haftung der Beklagten bestehe nicht. Es fehle zwar jegliches Vorbringen dazu, ob und welche Schnittstellen die hier betroffenen Sendungen durchlaufen hätten und wo sie außer Kontrolle geraten seien. Aus der von der Beklagten vorgetragenen allgemeinen Betriebsorganisation folge zudem, daß sie die vom Bundesgerichtshof geforderten Schnittstellenkontrollen jedenfalls nicht in der gebotenen Weise durchführe. Das rechtfertige im Streitfall jedoch nicht den Vorwurf eines groben Organisationsverschuldens, weil die Versicherungsnehmerin konkret auf bestimmte, normalerweise einzufordernde Sorgfaltsstandards ausdrücklich verzichtet habe. Ausweislich der jeweils gleichlautenden Ziffer 6 in den mit "Preisvereinbarung" überschriebenen Schreiben der Beklagten habe die Versicherungsnehmerin sich damit einverstanden erklärt, daß eine Kontrolle des Transportweges durch schriftliche Eingangs- und Ausgangsdokumentation an den einzelnen Umschlagstellen von der Beklagten nicht durchgeführt werde. Der Verzicht auf eine schriftliche Dokumentation des Ein- und Ausgangs an den einzelnen Umschlagstellen beinhalte zugleich einen Verzicht auf die Schnittstellenkontrollen selbst, da eine Ein- und Ausgangskontrolle ohne die Möglichkeit, den Transportverlauf im nachhinein reproduzieren zu können, keinerlei Sinn ergebe. Der in Rede stehende Verzicht verstoße nicht gegen Bestimmungen des AGBG, da die Klausel weder unklar noch überraschend sei und auch nicht zu grundlegenden Wertungen des Gesetzgebers in Widerspruch stehe.

Der Vortrag der Beklagten zu ihrer allgemeinen Betriebsorganisation, die unbestritten in allen vom jeweiligen regulären Lauf der streitigen Sendungen betroffenen Lagern umgesetzt sei und kontrolliert werde, lasse für den Vorwurf groben Organisationsverschuldens im übrigen keinen Raum.

Die Versicherungsnehmerin müsse sich zudem den Vorwurf des treuwidrigen widersprüchlichen Verhaltens machen lassen, da sie gewußt habe, daß die Beklagte an den Schnittstellen keine konkreten Ein- und Ausgangskontrollen durchführe - woraus gerade der Vorwurf groben Organisationsverschuldens hergeleitet werde - und sie der Beklagten dennoch die hier streitigen Aufträge erteilt habe. Denn die Versicherungsnehmerin habe sich bereits im Jahre 1994 in einem Rechtsstreit vor dem Amtsgericht Bad Homburg darauf berufen, daß die Beklagte keine konkreten Ein- und Ausgangskontrollen durchführe. Darüber hinaus sei ihr durch die in den Preisvereinbarungsschreiben enthaltene Ziffer 6 nochmals deutlich gemacht worden, daß die Beklagte keine Schnittstellenkontrollen dokumentiere. Wenn die Versicherungsnehmerin die Beklagte unter diesen Umständen gleichwohl weiter beauftrage, sei es ihr nach Treu und Glauben verwehrt, den Vorwurf groben Organisationsverschuldens zu erheben. Das gelte allemal für die Schadensfälle Nr. 12, 15-16, in denen die Beklagte erst nach Einleitung des streitigen Verfahrens beauftragt worden sei. Jedenfalls sei aus den vorgenannten Erwägungen ein Schadensersatzanspruch gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen deutlich überwiegenden Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin ausgeschlossen.

Im Schadensfall Nr. 3 stehe der Klägerin schon deshalb kein Schadensersatzanspruch zu, weil ihre Versicherungsnehmerin den Schaden zu spät angezeigt habe (§ 60 ADSp a.F.).

II. Diese Beurteilung hält den Revisionsangriffen der Parteien nicht stand. Sie führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

Mit Erfolg wendet sich die Revision der Klägerin gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Verlust der Sendungen nicht durch grob fahrlässiges Verschulden verursacht, weil die Versicherungsnehmerin wirksam auf die Durchführung von Schnittstellenkontrollen verzichtet habe (A 1.); jedenfalls sei ein Schadensersatzanspruch gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen deutlich überwiegenden Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin ausgeschlossen (A 2.).

Die Anschlußrevision der Beklagten wendet sich mit Erfolg dagegen, daß das Berufungsgericht angenommen hat, unter "Sendung" im Sinne von Nr. 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten sei das einzelne Paket zu verstehen (B).

A. Zur Revision der Klägerin

Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsverstoß und von der Revision unbeanstandet davon ausgegangen, daß die Beklagte von der Versicherungsnehmerin der Klägerin als Fixkostenspediteurin i.S. des § 413 Abs. 1 HGB a.F. beauftragt wurde mit der Folge, daß sich ihre Haftung grundsätzlich nach §§ 429 ff. HGB a.F. und - aufgrund vertraglicher Einbeziehung - ihren Allgemeinen Beförderungsbedingungen sowie den Bestimmungen der ADSp a.F. beurteilt.

1. Die Revision der Klägerin wendet sich aber mit Erfolg gegen die weitere Annahme des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Verlust der Sendungen i.S. von § 51 Buchst. b Satz 2 ADSp a.F. sowie Nr. 10 ihrer Allgemeinen Beförderungsbedingungen nicht durch grob fahrlässiges Verschulden verursacht. Dies ist nicht nur in den Schadensfällen 1, 2 sowie 4 bis 16 zu berücksichtigen, sondern auch im Schadensfall 3, da ein Erlöschen des Ersatzanspruchs nach § 60 ADSp a.F., von dem das Berufungsgericht insoweit ausgegangen ist, in den Fällen grob fahrlässiger Schädigung i.S. des § 51 Buchst. b Satz 2 ADSp a.F. nicht in Betracht kommt (vgl. Koller, Transportrecht, 3. Aufl., § 60 ADSp Rdn. 5 a.E.).

a) Grobe Fahrlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden und unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem einleuchten mußte (BGH, Urt. v. 17.4.1997 - I ZR 131/95, TranspR 1998, 25, 27 = VersR 1998, 82; Urt. v. 28.5.1998 - I ZR 73/96, TranspR 1998, 454, 456 = VersR 1998, 1264; Urt. v. 16.7.1998 - I ZR 44/96, TranspR 1999, 19, 21 = VersR 1999, 254). Davon ist auch das Berufungsgericht zu Recht ausgegangen.

Die Revisionserwiderung beruft sich demgegenüber ohne Erfolg darauf, bei der Bestimmung der Sorgfaltspflichten der Beklagten sei bereits der durch das Transportrechtsreformgesetz vom 25. Juni 1998 (BGBl. I 1588) in § 435 HGB neu eingeführte Haftungsmaßstab der leichtfertigen Schadensverursachung zu beachten.

Eine unmittelbare Anwendung des § 435 HGB scheidet im Streitfall schon deshalb aus, weil das zum 1. Juli 1998 in Kraft getretene Transportrechtsreformgesetz auf die hier zugrundeliegenden, spätestens seit März 1998 abgeschlossenen Lebenssachverhalte nicht zurückwirken kann. Dies folgt insbesondere aus dem allgemein anerkannten, in Art. 170 und Art. 232 § 1 EGBGB enthaltenen Rechtsgrundsatz, wonach sich Inhalt und Wirkung eines Schuldverhältnisses nach der zum Zeitpunkt seiner Entstehung geltenden Rechtslage richten, sofern - wie im Streitfall - kein Dauerschuldverhältnis betroffen ist (BGHZ 10, 391, 394; 44, 192, 194; BGH, Urt. v. 12.10.1995 - I ZR 118/94, TranspR 1996, 66, 67 = VersR 1996, 259 zum Tarifaufhebungsgesetz; BGH TranspR 1999, 19, 21 = VersR 1999, 254; BGH, Urt. v. 14.12.2000 - I ZR 213/98, TranspR 2001, 256, 257 = VersR 2001, 785; Urt. v. 22.2.2001 - I ZR 282/98, TranspR 2001, 372, 374, zur Anwendbarkeit der Vorschriften des HGB a.F. auf Gütertransportschäden, die vor dem 1. Juli 1998 eingetreten sind; Staudinger/Merten, Bearb. 1998, Einl. zu Art. 153 f. EGBGB Rdn. 4 ff.; Staudinger/Hönle, Bearb. 1998, Art. 170 EGBGB Rdn. 1; vgl. auch Piper, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Speditions- und Frachtrecht, 7. Aufl., Rdn. 232, 330).

Eine Rückwirkung des neuen Transportrechts läßt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des Senats zur richtlinienkonformen Auslegung wettbewerbsrechtlicher Generalklauseln herleiten (vgl. dazu BGHZ 138, 55 - Testpreis-Angebot; BGH, Urt. v. 23.4.1998 - I ZR 2/96, GRUR 1999, 69 = WRP 1998, 1065 - Preisvergleichsliste II). An einer vergleichbaren Situation, einem gewandelten Verkehrsverständnis durch richterliche Rechtsfortbildung Rechnung zu tragen, fehlt es hier. Die Vorschrift des § 51 Buchst. b Satz 2 ADSp a.F. beschreibt den zur unbeschränkten Haftung des Spediteurs führenden Haftungsmaßstab eindeutig mit dem anerkannten Rechtsbegriff der groben Fahrlässigkeit. Damit haben die beim Zustandekommen der ADSp beteiligten Verkehrskreise den Weg versperrt, im Geltungsbereich des § 51 Buchst. b Satz 2 ADSp a.F. den Verschuldensmaßstab unter Berufung auf ein geändertes Verkehrsverständnis gegen den Wortlaut der Bestimmung rechtsfortbildend im Lichte des § 435 HGB auszulegen.

Danach kommt es im Streitfall schon wegen des Rückwirkungsverbots nicht auf die von der Revisionserwiderung aufgeworfene Frage an, ob der Begriff des qualifizierten Verschuldens im Blick auf die Neufassung des § 435 HGB inhaltlich anders als bisher zu bestimmen ist.

b) Das Berufungsgericht hat - von der Revisionserwiderung unbeanstandet - festgestellt, die Beklagte habe lediglich ihre allgemeine Betriebs- und Lagerorganisation näher dargelegt, nicht hingegen, welche Sorgfaltsvorkehrungen sie für die in Verlust geratenen Sendungen konkret getroffen habe. Es fehle jegliches Vorbringen dazu, welche Schnittstellen die abhanden gekommenen Pakete durchlaufen hätten und wo sie außer Kontrolle geraten seien. Aus der von der Beklagten vorgetragenen allgemeinen Betriebsorganisation folge zudem, daß die vom Bundesgerichtshof geforderten Schnittstellenkontrollen, die grundsätzlich auch von Paket- und Expreßdiensten bei Beförderung von Standardsendungen mit einem Wert bis zu 1.000,-- DM vorgenommen werden müßten, jedenfalls nicht in der erforderlichen Weise durchgeführt würden.

Das Berufungsgericht hat gleichwohl eine Haftung der Beklagten auf vollen Schadensersatz gemäß § 429 Abs. 1, § 413 Abs. 1 HGB a.F. i.V. mit § 2 Buchst. a, § 51 Buchst. b Satz 2 ADSp a.F. verneint. Es hat gemeint, die tatsächlich fehlenden Ein- und Ausgangskontrollen an den einzelnen Schnittstellen rechtfertigten im Streitfall nicht den Vorwurf groben Organisationsverschuldens, weil die Versicherungsnehmerin sich ausweislich der Ziffer 6 in den mit "Preisvereinbarung" überschriebenen Schreiben der Beklagten damit einverstanden erklärt habe, daß eine Kontrolle des Transportweges durch schriftliche Ein- und Ausgangsdokumentation an den einzelnen Umschlagstellen nicht durchgeführt werde; der AGB-rechtlich unbedenkliche Verzicht auf eine schriftliche Dokumentation des Ein- und Ausgangs an den einzelnen Umschlagstellen beinhalte zugleich einen Verzicht auf die Schnittstellenkontrollen selbst. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

c) Das Berufungsgericht hat den in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannten Grundsatz, daß in AGB niedergelegte Klauseln, die den Verwender von an sich bestehenden Vertragspflichten freizeichnen, eng auszulegen sind und daß Unklarheiten in AGB gemäß § 5 AGBG grundsätzlich zu Lasten desjenigen gehen, der die AGB verwendet hat (BGHZ 24, 39, 44; 54, 299, 305; 62, 83, 88 f.; MünchKommBGB/Basedow, 4. Aufl., § 5 AGBG Rdn. 10; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl., § 5 AGBG Rdn. 9; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG, 4. Aufl., § 5 Rdn. 37), nicht genügend beachtet.

Bei der Verzichtsklausel gemäß Ziffer 6 in den Preisvereinbarungsschreiben der Beklagten handelt es sich um eine einseitig aufgestellte Allgemeine Geschäftsbedingung i.S. von § 1 Abs. 1 AGBG. Denn das Berufungsgericht hat unbeanstandet festgestellt, daß die Beklagte den in Rede stehenden "Verzicht" mit zahlreichen Großkunden vereinbart hat, ohne daß darüber zuvor - was unstreitig ist - im einzelnen verhandelt wurde. Die Klausel findet auch über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus Verwendung (vgl. die Urteile des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main v. 9.6.1999 - 21 U 228/98 - und 29.9.1999 - 21 U 283/98), so daß deren Auslegung durch das Berufungsgericht uneingeschränkter revisionsgerichtlicher Nachprüfung unterliegt (vgl. BGHZ 22, 109, 112; 47, 217, 220; 98, 256, 258).

aa) Bei der Bestimmung des maßgeblichen Klauselinhalts ist zunächst vom Wortlaut der Klausel auszugehen. Danach erklärt sich der Kunde der Beklagten damit einverstanden, daß die Beklagte "eine Kontrolle des Transportweges durch schriftliche Ein- und Ausgangsdokumentation" nicht durchführt. Der Verzicht bezieht sich nach dem Sprachverständnis mithin lediglich auf die schriftliche Dokumentation. Wenn es der Beklagten um den Verzicht auf die Durchführung von Kontrollen selbst gegangen wäre, hätte es nahegelegen, daß sie dies durch eine unmißverständliche Formulierung zum Ausdruck gebracht hätte.

bb) Das Berufungsgericht hat gemeint, der Verzicht auf eine schriftliche Dokumentation des Ein- und Ausgangs an den einzelnen Umschlagstellen gebe nur einen Sinn, wenn damit zugleich auf die Schnittstellenkontrollen selbst verzichtet werde. Dem ist nicht beizutreten.

Das Verständnis des Berufungsgerichts widerspricht schon der Betriebsorganisation der Beklagten, wonach sie an den Schnittstellen 1 und 4 Ein- und Ausgangskontrollen durchführt. Das Defizit der Umschlagskontrollen besteht nicht in einem vollständigen Fehlen derartiger Kontrollen, sondern darin, daß die Beklagte gemäß ihrer Organisationsbeschreibung bei der Übergabe der Sendungen an die U. Transport GmbH (Schnittstelle 2) und bei der erneuten Übernahme des Transportguts durch sie beim Eingang in das Auslieferungsdepot (Schnittstelle 3) keine Ein- und Ausgangskontrollen durchführt. Bei dieser Sachlage ist kein naheliegender Grund ersichtlich, weshalb die Beklagte das Einverständnis ihrer Kunden zum Fehlen einer Maßnahme einholen sollte, die sie offensichtlich erbringt.

Mit dem Verzicht auf die schriftliche Dokumentation von Ein- und Ausgangskontrollen entfällt auch nicht jedwede Möglichkeit zur Rekonstruktion des Transportverlaufs. Dieser kann ebenso effektiv durch den Einsatz elektronischer Medien zurückverfolgt werden. Aus der Sicht des objektiven Verständnisses der mit der Klausel angesprochenen Versender liegt es mithin nicht fern, daß die Beklagte in der Vertragsbestimmung ihre Absicht hat zum Ausdruck bringen wollen, künftig statt der schriftlichen Dokumentation elektronische Medien zur Kontrolle des Transportverlaufs zum Einsatz zu bringen, um sich, worauf die Revisionserwiderung in anderem Zusammenhang hinweist, die aus ihrer, der Beklagten, Sicht unzumutbare Aufzeichnung und komplette Aufbewahrung der Dokumentation von täglich etwa 800.000 Paketen zu ersparen.

Es erscheint auch nicht zwingend, daß eine tatsächlich durchgeführte Kontrolle ohne gleichzeitige Dokumentation auf die Sicherheit des Transports keine positiven Auswirkungen hat. Der Zweck schriftlicher Dokumentationen besteht vor allem darin, die Entdeckungsmöglichkeit eines durch fahrlässiges oder vorsätzliches Verhalten entstandenen Verlustes zu erhöhen. Mithin erreicht die lückenlose Dokumentation des Transportverlaufs eine verbesserte Sicherheit für die zu befördernden Güter, und zwar dadurch, daß sie die mit den Gütern befaßten Personen in die Selbstverantwortung nimmt. Dieser Erwägung liegt die Rechtsprechung des Senats zugrunde, wonach eine den Anforderungen des Geschäftsverkehrs entsprechende Umschlagskontrolle nicht zwingend einen lückenlosen Abgleich aller umzuschlagenden Güter erfordert, sondern daß sich das Kontrollsystem auch auf stichprobenartige Kontrollen beschränken kann, sofern das Speditionsunternehmen durch die Umsetzung geeigneter Sicherheits- und Überwachungsmaßnahmen eine hinreichende Kontrolldichte des Warenumschlags an den einzelnen Schnittstellen erzielen kann (BGHZ 129, 345, 350 f.; BGH, Urt. v. 9.11.1995 - I ZR 122/93, TranspR 1996, 303 = VersR 1996, 782; Urt. v. 26.9.1996 - I ZR 165/94, TranspR 1997, 377 = VersR 1997, 133; Urt. v. 25.9.1997 - I ZR 156/95, TranspR 1998, 262, 264 = VersR 1998, 657).

Daß die lückenlose Dokumentation des gesamten Transportverlaufs nicht notwendige Voraussetzung für eine wirksame Schnittstellenkontrolle zu sein braucht, zeigt schließlich auch die Regelung in § 7 Buchst. b Ziff. 2 ADSp a.F., wonach die Pflicht zur Dokumentation an den Schnittstellen ausdrücklich auf Unregelmäßigkeiten beschränkt ist, die sich bei der Kontrolle der Frachtstücke ergeben.

d) Da die AGB-rechtliche Inhaltskontrolle zu dem Ergebnis führt, daß sich die Versicherungsnehmerin in der fraglichen Vertragsklausel lediglich mit einem Verzicht auf die schriftliche Dokumentation der tatsächlich durchzuführenden Kontrollen einverstanden erklärt hat (ebenso OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 9.6.1999 - 21 U 228/98; Urt. v. 29.9.1999 - 21 U 283/98), ist der Annahme des Berufungsgerichts, weder die objektiv tatsächlich fehlende konkrete Ein- und Ausgangskontrolle an den einzelnen Schnittstellen noch die fehlende Darlegung der Beklagten zu der konkret aufgewendeten Sorgfalt in den streitgegenständlichen Einzelfällen rechtfertigten den Vorwurf groben Organisationsverschuldens, die tragende Grundlage entzogen. Auf der Grundlage der von der Revisionserwiderung nicht angegriffenen Feststellung des Berufungsgerichts, daß die Beklagte die erforderlichen Schnittstellenkontrollen jedenfalls nicht in der gebotenen Weise durchführt, ist vielmehr davon auszugehen, daß die streitgegenständlichen Verluste durch ein grobes Organisationsverschulden der Beklagten verursacht worden sind.

e) Das Vorbringen der Revisionserwiderung der Beklagten steht dieser Beurteilung nicht entgegen.

aa) Sie macht ohne Erfolg geltend, der Beklagten könne nicht vorgeworfen werden, daß sie ihrer Einlassungsobliegenheit nicht nachgekommen sei. Der Versicherungsnehmerin sei die Betriebsorganisation der Beklagten seit Jahren bekannt. Von einem unterschiedlichen Informationsstand der Vertragsparteien, der die Grundlage für die Einlassungsobliegenheit des Spediteurs bilde, könne daher keine Rede sein.

Damit vermag die Revisionserwiderung die Annahme eines groben Organisationsverschuldens der Beklagten nicht auszuräumen. Sie läßt unberücksichtigt, daß sich dieser Vorwurf bereits aus dem unstreitigen Fehlen von ausreichenden Ein- und Ausgangskontrollen rechtfertigt. Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob die Beklagte - wie die Revisionserwiderung des weiteren geltend macht - aufgrund ihrer Betriebsorganisation in der Lage ist, für jede einzelne in Verlust geratene Sendung den regelgerechten Transportweg darzulegen.

bb) Das weitere Vorbringen der Revisionserwiderung, das Berufungsgericht habe übersehen, daß auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Ein- und Ausgangskontrollen nicht zwingend vorgeschrieben seien, so daß stichprobenartige Abgleichungen und Untersuchungen genügen könnten, bleibt ebenfalls erfolglos.

Der Spediteur ist gemäß § 7 Buchst. b Nr. 1 ADSp a.F. verpflichtet, die Packstücke an Schnittstellen auf Vollzähligkeit und Identität sowie auf äußerlich erkennbare Schäden zu überprüfen. Diese seit 1. Januar 1993 geltende Regelung beruht auf der in der Rechtsprechung des Senats wiederholt hervorgehobenen Erwägung, daß es sich beim Umschlag von Transportgütern, wie er im Streitfall in Rede steht, um einen besonders schadensanfälligen Bereich handelt, der deshalb so organisiert werden muß, daß in der Regel Ein- und Ausgang der Güter kontrolliert werden, damit Fehlbestände frühzeitig festgehalten werden können. Denn ohne ausreichende Ein- und Ausgangskontrollen, die im Regelfall einen körperlichen Abgleich der papier- bzw. EDV-mäßig erfaßten Ware erfordern, kann ein verläßlicher Überblick über Lauf und Verbleib der in den einzelnen Umschlagstationen ein- und abgehenden Güter nicht gewonnen werden. Das Erfordernis von Schnittstellenkontrollen wird vorliegend noch dadurch verstärkt, daß rechtlich selbständige Drittunternehmen in die Erbringung der Transportleistung eingebunden sind. Dies rechtfertigt den Schluß, daß im Regelfall von einem grob fahrlässigen Verschulden auszugehen ist, wenn der Spediteur den schadensanfälligen Umschlag ohne ausreichende Ein- und Ausgangskontrollen organisiert (BGH, Urt. v. 16.11.1995 - I ZR 245/93, TranspR 1996, 72, 74 = NJW-RR 1996, 545; BGH TranspR 1997, 377, 378; BGH, Urt. v. 27.2.1997 - I ZR 221/94, TranspR 1997, 440, 442 = VersR 1997, 1513; Urt. v. 8.12.1999 - I ZR 230/97, TranspR 2000, 318, 321 = VersR 2000, 1043).

Das Berufungsgericht hat entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht verkannt, daß die erforderlichen Ein- und Ausgangskontrollen nicht zwingend lückenlos alle umzuschlagenden Sendungen erfassen müssen, um den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit auszuschließen. Im Einzelfall kann vielmehr auch eine stichprobenartige Kontrolle genügen, sofern auf diese Weise eine hinreichende Kontrolldichte gewährleistet wird, um der Gefahr des Abhandenkommens von Sendungen wirksam entgegenzuwirken (BGHZ 129, 345, 350 f.). Das setzt jedoch voraus, daß die Umstände der Stichprobenkontrolle, ihr genauer Ablauf, ihre Häufigkeit und Intensität nachvollzogen werden können. Daran fehlt es hier aber gerade. Das Berufungsgericht hat die Durchführung wirksamer Stichproben nicht festgestellt. Die Revisionserwiderung zeigt nicht auf (§ 554 Abs. 3 Nr. 3b ZPO), daß das Berufungsgericht insoweit verfahrensfehlerhaft entscheidungsrelevanten Sachvortrag übergangen hat.

Eine ausreichende Kontrolle des Warenumschlags wird entgegen der Annahme der Revisionserwiderung auch nicht durch den Einsatz des sog. DIAD-Systems erreicht. Zu Recht weist das Berufungsgericht darauf hin, daß das DIAD-Gerät die Kontrollücke deshalb nicht schließen kann, weil es erst nach Passieren der Schnittstelle 3 bei der Übergabe der Sendung an den Zusteller zum Einsatz kommt. Es ist daher nicht in der Lage, den exakten Schadensort innerhalb des Beförderungssystems zu lokalisieren. Dieses systembedingte Defizit wird entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht dadurch ausgeglichen, daß der Versender spätestens nach 24 oder 48 Stunden Gewißheit darüber erlangen kann, ob die Sendung angekommen ist. Dieses Vorbringen der Revisionserwiderung überzeugt schon deshalb nicht, weil nicht ersichtlich ist, weshalb ein relevanter Teil der Versender Veranlassung haben sollte, unmittelbar nach Ablauf der normalen Zustellzeit Nachforschungen über das Schicksal der Sendung anzustellen. Zudem verbessert selbst ein Zeitraum von nur 24 Stunden die Möglichkeit, mit Aussicht auf Erfolg nach dem Verbleib der Sendung zu forschen, in Anbetracht des unbekannten Schadensorts nach der allgemeinen Lebenserfahrung nur unwesentlich.

cc) Der Revisionserwiderung ist auch nicht darin beizutreten, daß die Rechtsprechungsgrundsätze des Senats zum grob fahrlässigen Organisationsverschulden auf Paketdienstunternehmen, bei denen es auf Massenumschlag, Massenlagerung und Massenbeförderung ankomme und deren Kunden eine kostengünstige Abholung und Zustellung binnen 24 oder 48 Stunden erwarteten, nicht anwendbar seien.

(1) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung läßt sich ein Absenken der Sorgfaltsanforderungen nicht aus denselben Gründen rechtfertigen, die den im Postgesetz von 1969 verwirklichten Haftungsbeschränkungen bei postalischer Briefbeförderung zugrunde lagen. Denn die dort angestellte Erwägung, daß durch die Haftungsbeschränkungen des Postgesetzes im Interesse einer möglichst schnellen und billigen Massenbeförderung von Briefen umfangreiche und kostspielige Überwachungs- und Sicherungsmaßnahmen vermieden werden, die ohne Haftungsbeschränkung zur Abwendung hoher Schadensersatzforderungen notwendig wären (BGH, Beschl. v. 7.5.1992 - III ZR 74/91, NJW 1993, 2235), ist nicht ohne weiteres auf die Interessenlage des Paketversenders zu übertragen. Ein wesentlicher Unterschied zum Paketversand besteht darin, daß dem Versender eines Briefes, der im Regelfall keinen eigenen wirtschaftlichen Wert hat, aus dem Verlust des Briefes grundsätzlich kein materieller Schaden erwächst. Er wird daher in vielen Fällen kein unmittelbares wirtschaftliches Interesse daran haben, daß die postalisch verschickte Mitteilung den Empfänger gerade in Form des konkreten Briefes erreicht. Dies war der tragende Grund für den bis zur Neufassung des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3294) in § 12 Abs. 1 PostG a.F. enthaltenen völligen Haftungsausschluß für Schäden, die aus einer nicht ordnungsgemäßen Behandlung von gewöhnlichen Briefen und Postgut entstanden waren (Altmannsperger, Gesetz über das Postwesen, 8. ErgLief. 1989, § 12 Rdn. 15). Demgegenüber kommt es einem Versender von Paketen gerade auf den Zugang der konkreten Sendung an, da deren Verlust im allgemeinen einen unmittelbaren Vermögensschaden verursacht.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die Haftungsbeschränkungen nach den Bestimmungen des Postgesetzes a.F. auch insoweit vom Haftungssystem des allgemeinen Transportrechts abwichen, als der Haftungsausschluß gemäß § 12 PostG a.F. bis zur Einführung von § 12 Abs. 6 PostG a.F. im Jahre 1989 selbst den durch vorsätzliches Handeln eines Postbediensteten entstandenen Verlust erfaßte. Es ist daher aus Sachgründen nicht ohne weiteres gerechtfertigt, die in der Vergangenheit für den Sonderfall der postalischen Briefbeförderung gültigen Haftungsregelungen allgemein auf alle Arten der Massenbeförderung zu übertragen.

Die Sonderstellung der für die postalische Güterversendung in der Vergangenheit gültigen Haftungsgrundsätze wird insbesondere auch durch einen Vergleich mit dem geltenden Recht deutlich: Nach der Privatisierung der Postdienste bestimmt sich die Haftung des Erbringers postalischer Dienste gegenüber dem Kunden nunmehr nach dem im Handelsgesetzbuch geregelten allgemeinen Transportrecht, da das geltende Postgesetz keine eigenen vertraglichen Haftungsvorschriften mehr enthält und der Verordnungsgeber von seiner in § 18 PostG normierten Ermächtigung, Haftungsbeschränkungen in einer Rechtsverordnung zu regeln, bislang keinen Gebrauch gemacht hat (Beck'scher Komm. zum PostG/Stern, § 18 Rdn. 28). Demnach unterliegt auch die Post AG nach dem neuen Transportrecht bei der Erbringung ihrer Dienstleistungen im Grundsatz den für alle Spediteure und Frachtführer gültigen Regelungen; privilegiert ist nur die Beförderung von Briefen und briefähnlichen Sendungen, bei der sich der Frachtführer/Spediteur aus den dargestellten Gründen in stärkerem Umfang freizeichnen kann (§§ 449, 466 HGB).

(2) Soweit die Revisionserwiderung die Zumutbarkeit einer weitergehenden Schnittstellenkontrolle mit der Überlegung in Frage stellt, es könne von der Beklagten nicht verlangt werden, den Transportverlauf von täglich 800.000 Paketen komplett zu dokumentieren und über Jahre hinweg aufzubewahren, ist dem entgegenzuhalten, daß eine jahrelange Dokumentations- und Aufbewahrungspflicht nicht besteht; auch § 7 Buchst. b Nr. 2 ADSp a.F. verlangt nur eine Dokumentation in den Fällen, in denen Unregelmäßigkeiten auftreten.

(3) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ergibt sich aus § 7 Buchst. c ADSp a.F. nicht, daß die Beklagte mit der Kontrolle der verplombten Container den in den ADSp a.F. aufgestellten Anforderungen an eine Schnittstellenkontrolle schon deshalb nachgekommen sei, weil mit Packstücken, die gemäß § 7 Buchst. b Nr. 1 ADSp a.F. an Schnittstellen auf Vollständigkeit und Identität zu überprüfen sind, auch Container gemeint seien. Nach dem klaren Wortlaut des § 7 Buchst. c ADSp a.F. sind Container nur dann Packstücke i.S. des § 7 Buchst. b Nr. 1 ADSp a.F., wenn sie vom Auftraggeber zur Abwicklung des Auftrags zusammengestellt wurden. Daran fehlt es hier, da die Container für die Fernverkehrsstrecke nicht von den Versendern, sondern von der Beklagten beladen werden.

2. Die Revision der Klägerin wendet sich auch mit Erfolg gegen die Annahme des Berufungsgerichts, ein Schadensersatzanspruch der Klägerin sei jedenfalls gemäß § 254 Abs. 1 BGB wegen deutlich überwiegenden Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin ausgeschlossen, weil diese der Beklagten trotz Kenntnis, daß an den Schnittstellen konkrete Ein- und Ausgangskontrollen nicht durchgeführt würden, woraus gerade der Vorwurf groben Organisationsverschuldens hergeleitet werde, die streitgegenständlichen Aufträge erteilt habe.

a) Das Berufungsgericht ist allerdings rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, daß eine Anspruchsminderung gemäß § 254 Abs. 1 BGB, bei dem es sich um eine konkrete gesetzliche Ausprägung des in § 242 BGB enthaltenen allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben handelt (vgl. BGH, Urt. v. 14.5.1998 - I ZR 95/96, TranspR 1998, 475, 477 = VersR 1998, 1443, m.w.N.), dann in Betracht kommen kann, wenn der Versender einen Spediteur mit der Transportdurchführung beauftragt, von dem er weiß oder zumindest hätte wissen müssen, daß es in dessen Unternehmen aufgrund von Organisationsmängeln immer wieder zu Verlusten kommt. Die Auftragserteilung beinhaltet unter solchen Umständen die Inkaufnahme eines Risikos, dessen Verwirklichung allein dem Schädiger anzulasten unbillig erscheint und mit dem § 254 BGB zugrundeliegenden Gedanken von Treu und Glauben unvereinbar ist (BGH, Urt. v. 29.4.1999 - I ZR 70/97, TranspR 1999, 410, 411 = VersR 2000, 474).

b) Die Revision beanstandet aber mit Recht, daß das Berufungsgericht bei der im Rahmen des § 254 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge zu einem deutlich überwiegenden Mitverschulden der Versicherungsnehmerin gelangt ist, hinter das der Verschuldensbeitrag der Beklagten vollständig zurücktreten soll.

Das Berufungsgericht hat unangegriffen festgestellt, die Versicherungsnehmerin habe sich bereits 1994 in einem gegen die Beklagte geführten Rechtsstreit wegen Verlustes von Transportgut darauf berufen, daß die Beklagte Ein- und Ausgangskontrollen nicht durchführe und darauf gerade den Vorwurf eines groben Organisationsverschuldens gestützt. Demzufolge hatte die Versicherungsnehmerin schon vor der Erteilung der hier in Rede stehenden Transportaufträge, die im Zeitraum von Dezember 1996 bis März 1998 erfolgt sind, konkrete Kenntnis von der risikoerhöhenden Unzulänglichkeit der Betriebsorganisation der Beklagten, die es grundsätzlich rechtfertigte, ihr das bewußt eingegangene Schadensrisiko zumindest anteilig zuzurechnen.

Die Berücksichtigung eines Mitverschuldens wegen der vom Berufungsgericht festgestellten Kenntnis ist entgegen der Auffassung der Revision nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Beklagte ihrerseits nicht dargelegt und bewiesen hat, daß die Versicherungsnehmerin bei einem anderen Spediteur mit geringeren Verlusten zu rechnen gehabt hätte. Denn das mit der Beauftragung des mangelhaft arbeitenden Spediteurs übernommene Risiko, dessen Ausgleich die Anrechnung eines Mitverschuldens gerade dient, wird nicht dadurch kleiner, daß sich das gleiche Risiko bei einem Dritten ereignet haben könnte. Die Berücksichtigung eines Mitverschuldens setzt insbesondere nicht voraus, daß der Auftraggeber einen anderen Spediteur hätte finden können, der das Auftreten von Verlustschäden im Sinne einer Garantie ausgeschlossen hätte. Eine derartige Voraussetzung erscheint schon deshalb wenig praktikabel, weil es auch bei Einhaltung der nach der Rechtsprechung des Senats erforderlichen Sorgfaltsmaßnahmen keinen absoluten Schutz vor Verlust geben kann.

Soweit die Revision rügt, das Berufungsgericht habe übersehen, daß die Klägerin vorgetragen habe, die Versicherungsnehmerin habe die Verluste mehrfach gegenüber Verkaufsmitarbeitern der Beklagten angesprochen, worauf ihr ausdrücklich versichert worden sei, daß sich die Beklagte um Abhilfe bemühen werde, steht das der Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Versicherungsnehmerin ebenfalls nicht entgegen. Die Revisionserwiderung weist mit Recht darauf hin, daß der Vortrag der Klägerin in Anbetracht des langen Schadenszeitraums ohne die Angabe, bei welcher konkreten Gelegenheit die Versicherungsnehmerin die Gespräche mit der Beklagten geführt hat, nicht genügend substantiiert ist.

Das Berufungsurteil hält der revisionsrechtlichen Überprüfung aber deshalb nicht stand, weil es nicht erkennen läßt, ob und welche Umstände das Berufungsgericht bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverschuldensbeiträge zu Lasten der Beklagten berücksichtigt hat. Insbesondere ist nicht ohne weiteres ersichtlich, daß das Berufungsgericht auf seiten der Beklagten - wovon es bei seiner Hilfsbegründung hätte ausgehen müssen - grobe Fahrlässigkeit, also einen gesteigerten Verschuldensmaßstab, in Ansatz gebracht hat.

Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird das Berufungsgericht zudem Gelegenheit haben, den Mitverschuldenseinwand auch unter dem - von der Beklagten angeführten - weiteren, selbständigen Gesichtspunkt zu prüfen, daß die Versicherungsnehmerin in den streitgegenständlichen Verlustfällen von einer Wertdeklaration abgesehen hat. Denn ein Versender kann in einen nach § 254 Abs. 1 BGB beachtlichen Selbstwiderspruch geraten, wenn er trotz Kenntnis, daß der Spediteur die Sendung bei zutreffender Wertangabe mit größerer Sorgfalt behandelt, von einer Wertdeklaration absieht und bei Verlust gleichwohl vollen Schadensersatz verlangt (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.2001 - I ZR 158/99, Umdr. S. 22 ff.).

B. Zur Anschlußrevision der Beklagten

Das (unselbständige) Rechtsmittel der Beklagten hat ebenfalls Erfolg, weil das Berufungsgericht (in den Schadensfällen Nr. 1 und 12) zu Unrecht angenommen hat, die Beklagte verwende die Begriffe "Sendung" und "Paket" in ihren Beförderungsbedingungen weitgehend synonym mit der Folge, daß unter "Sendung" im Sinne von Nr. 10 der Beförderungsbedingungen das einzelne Paket zu verstehen sei.

Die Beklagte weist bereits in Nr. 1 ihrer Beförderungsbedingungen darauf hin, daß unter bestimmten Voraussetzungen mehrere Pakete als eine Sendung anzusehen sind. Es findet danach eine deutliche Unterscheidung zwischen den Begriffen "Paket" und "Sendung" statt. Gleiches ergibt sich aus Nr. 2 Buchst. b der Beförderungsbedingungen, wo vom Wert "pro Paket einer Sendung" die Rede ist und aus Nr. 5 der Beförderungsbedingungen, in der es heißt, daß die Beklagte den Transport "eines Paketes oder einer Sendung" nach eigenem Ermessen unterbrechen kann, wenn im einzelnen genannte Voraussetzungen vorliegen. Schließlich findet auch noch in Nr. 9 der Beförderungsbedingungen - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - eine deutliche Abgrenzung zwischen den Begriffen "Paket" und "Sendung" statt. Der Begriff der "Sendung" wird entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts durchweg in dem Sinn verwendet, daß eine Sendung mehrere Pakete umfassen kann. Dieses Verständnis ist auch dem Begriff der "Sendung" in Nr. 10 der Beförderungsbedingungen der Beklagten zugrunde zu legen.

III. Danach war das Berufungsurteil auf die Rechtsmittel der Parteien aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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