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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.02.1998
Aktenzeichen: II ZB 15/97
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 236 C
ZPO § 294
ZPO §§ 236 C, 294

Zur Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes mittels Indizien genügt es, daß die auf Hilfstatsachen gestützte Schlußfolgerung überwiegend wahrscheinlich erscheint, ohne daß dadurch bereits alle anderen Möglichkeiten praktisch ausgeschlossen sein müssen.

BGH, Beschl. v. 9. Februar 1998 - II ZB 15/97 - OLG Frankfurt/Main LG Hanau


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

II ZB 15/97

vom

9. Februar 1998

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 9. Februar 1998 durch den Vorsitzenden Richter Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze, Prof. Dr. Goette, Dr. Kapsa und Dr. Kurzwelly

beschlossen:

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluß des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 13. August 1997 aufgehoben.

Der Klägerin wird Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist erteilt.

Für das Beschwerdeverfahren wird der Klägerin Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung Rechtsanwalts Dr. von M. gewährt.

Beschwerdewert: 50.000,-- DM

Gründe:

I. Die Klägerin nimmt als Verwalterin im Konkurs über das Vermögen der B. GmbH die Beklagte auf Zahlung einer restlichen Stammeinlage in Anspruch. Das klageabweisende Urteil des Landgerichts wurde der Klägerin am 14. Februar 1997 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 18. Februar 1997, beim Oberlandesgericht eingegangen am 20. Februar 1997, hat die Klägerin für die Durchführung des Berufungsverfahrens Prozeßkostenhilfe beantragt und, ohne die Entscheidung hierüber abzuwarten, unter dem 12. März 1997 auch Berufung eingelegt und sie zugleich begründet. Die Berufungsschrift ist erst am 17. März 1997 beim Gericht eingegangen. Auf einen Hinweis des Berufungsgerichts, zugestellt am 29. April 1997, hat die Klägerin fristgemäß Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt und dazu vorgetragen, die Berufungsschrift vom 12. März 1997 sei noch am selben Tage zur Post gegeben worden. Das werde durch die Eintragungen im Portibuch ihres Prozeßbevollmächtigten sowie dadurch belegt, daß eine Abschrift der Berufungsschrift die Klägerin bereits am 13. März 1997 erreicht habe. Zur Glaubhaftmachung hat sich die Klägerin auf eine eidesstattliche Versicherung ihres Prozeßbevollmächtigten bezogen. Nachdem der Berichterstatter am 12. Mai 1997 dieses Vorbringen telefonisch als unzureichend beanstandet hatte, hat der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin am 15. Mai 1997 seinen Vortrag dahin ergänzt und durch weitere eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht, die versandfertig gemachte Post seiner Kanzlei werde im Postausgangskorb gesammelt. Weder am Abend des 12. März 1997 noch an den folgenden Tagen sei ihm im Büro oder in seinem Pkw ein zurückgebliebenes Poststück aufgefallen. Die ausgehende Post werde üblicherweise von ihm selbst vor 18 Uhr zur Post gebracht. So müsse es auch am fraglichen Tage gewesen sein, ohne daß er sich hieran konkret erinnern könne.

Das Berufungsgericht hat der Klägerin Prozeßkostenhilfe verweigert, durch den angefochtenen weiteren Beschluß den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und zugleich die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin.

II. Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Es kann auf sich beruhen, ob der Klägerin bereits im Hinblick auf die behauptete Masseunzulänglichkeit und ihren darauf gestützten Prozeßkostenhilfeantrag für die Berufung Wiedereinsetzung zu gewähren ist, was das Berufungsgericht wegen der unabhängig von seiner Entscheidung über den Antrag eingelegten Berufung unter Hinweis auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27. Oktober 1965 - IV ZR 229/64 (NJW 1966, 203) verneint und was die Beschwerde zur Nachprüfung stellt. Denn jedenfalls die nicht der Klägerin anzulastende verzögerte Postlaufzeit vom 12. März 1997 bis zum Ablauf der Berufungsfrist am 14. März 1997 rechtfertigt ihren Wiedereinsetzungsantrag.

1. Nach § 233 ZPO ist einer Partei, die ohne ihr Verschulden verhindert war, die Berufungsfrist (als Notfrist, § 516 ZPO) einzuhalten, auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dabei steht das Verschulden des Prozeßbevollmächtigten dem eigenen Verschulden der Prozeßpartei gleich (§ 85 Abs. 2 ZPO). In aller Regel darf der Rechtsanwalt allerdings auf die Einhaltung der normalen Postlaufzeiten vertrauen. Versagen ausnahmsweise die betrieblichen Vorkehrungen der Post, ist der Partei darum Wiedereinsetzung zu bewilligen (vgl. BVerfG - 3. Kammer des 2. Senats - NJW 1995, 1210, 1211; Senat in BGHZ 105, 116, 118 f.; Beschl. v. 25. Januar 1993 - II ZB 18/92, NJW 1993, 1333 m.w.N.).

2. Zu Recht ist deswegen das Berufungsgericht unausgesprochen davon ausgegangen, daß der Klägerin Wiedereinsetzung erteilt werden muß, wenn glaubhaft gemacht ist (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO), daß ihr Prozeßbevollmächtigter die Berufungsschrift vom 12. März 1997 noch am Abend desselben Tages am Sitz des Oberlandesgerichts in den Briefkasten eingeworfen hat. Das Berufungsgericht hält allerdings die erste Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs für unzureichend und die am 15. Mai 1997 eingegangene Ergänzung für verspätet, im übrigen ebenfalls für ungenügend, weil auch damit nicht zuverlässig ausgeschlossen werden könne, daß die postfertig gemachte Berufungsschrift am 12. März 1997 nicht in den Postausgangskorb gelangt sei.

3. Dem vermag der Senat nicht zu folgen. Das Berufungsgericht überspannt die Anforderungen an eine substantiierte Begründung des Wiedereinsetzungsantrags.

a) Es trifft schon nicht zu, daß das ergänzende Vorbringen im Schriftsatz der Klägerin vom 12. Mai 1997 unberücksichtigt bleiben muß, weil es erst nach Ablauf der Wiedereinsetzungsfrist am 15. Mai 1997 beim Berufungsgericht eingegangen ist. Ausgeschlossen bleibt nach Fristablauf, wie auch das Oberlandesgericht im Ansatz nicht verkennt, nur gänzlich neuer Sachvortrag, während erkennbar unklare oder unvollständige Tatsachenkomplexe auch nachträglich erläutert und vervollständigt werden dürfen (ständige Rechtsprechung; vgl. BGH, Beschl. v. 13. Juni 1996 - VII ZB 13/96, NJW 1996, 2513, 2514; v. 8. April 1997 - VI ZB 8/97, NJW 1997, 2120, 2121). Von einer nur ergänzungsbedürftigen Begründung ist aber entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hier auszugehen, weil der Schriftsatz vom 12. Mai 1997 dem bereits im Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin vom 7. Mai 1997 enthaltenen Vorbringen ihres Prozeßbevollmächtigten, die Berufungsschrift vom 12. März 1997 am selben Tage auch zur Post gegeben zu haben, nur wenige weitere Indiztatsachen hinzugefügt hat.

b) Die Klägerin hat sich zur Glaubhaftmachung des Postausgangs, da ihr Prozeßbevollmächtigter keine konkrete Erinnerung mehr an die Vorgänge des 12. März 1997 hatte, auf eine Indizienkette berufen; das Berufungsgericht hat den Schluß für nicht zwingend und aus diesem Grunde für unzureichend erachtet. Damit verkennt es den gegenüber einem Vollbeweis bei bloßer Glaubhaftmachung (§ 294 ZPO) verminderten Grad der Wahrscheinlichkeit in der Überzeugungsbildung des Richters.

Nach § 286 ZPO hat das Gericht aufgrund der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine Behauptung für wahr oder nicht wahr hält. Der Tatrichter darf sich dann nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit begnügen, sondern muß sich persönliche Gewißheit verschaffen (BGHZ 53, 245, 255 f.; 61, 165, 169; BGH, Urt. v. 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91, NJW 1993, 935, 937). Soll der Beweis nur mittelbar durch tatbestandsfremde Hilfstatsachen, die erst durch ihr Zusammenwirken mit anderen Tatsachen einen Schluß auf das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals rechtfertigen können (Indizien), geführt werden, ist deswegen zum Vollbeweis erforderlich, daß andere Schlüsse ernstlich nicht in Betracht kommen (BGHZ 53, 246, 260; BGH, Urt. v. 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91, NJW 1993, 935, 938; v. 2. Februar 1996 - V ZR 239/94, NJW 1996, 1339).

Demgegenüber begnügt sich das Gesetz bei einem Wiedereinsetzungsantrag mit bloßer Glaubhaftmachung der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen (§ 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Richtigkeit des Parteivorbringens muß damit nicht gewiß, sondern nur überwiegend wahrscheinlich sein (vgl. BGH, Beschl. v. 13. Dezember 1995 - XII ZB 173/95, BGHR ZPO § 236 Abs. 2 Satz 1 Glaubhaftmachung 5; v. 20. März 1996 - VIII ZB 7/96, NJW 1996, 1682; Zöller/Greger, ZPO, 20. Aufl., § 294 Rdn. 1). Entsprechend vermindern sich in solchen Fällen auch die Anforderungen an die Führung eines Indizienbeweises: Die Haupttatsache ist glaubhaft gemacht, wenn die auf die Hilfstatsachen gestützte Schlußfolgerung überwiegend wahrscheinlich erscheint, ohne daß dadurch bereits alle anderen Möglichkeiten praktisch ausgeschlossen sein müssen.

c) Mindestens unter diesem Blickwinkel ist der von der Klägerin zur Glaubhaftmachung angetretene Indizienbeweis schlüssig. Ist es richtig - wovon auch das Berufungsgericht ausgeht -, daß die Berufungsschrift vom 12. März 1997 am selben Tage postversandfertig gemacht wurde, jedenfalls die für die Klägerin bestimmte Abschrift noch am Abend des 12. März 1997 hinausging, weil sie die Klägerin einen Tag später erreicht hat, und daß ihrem Prozeßbevollmächtigten weder an dem fraglichen Abend noch an den folgenden Tagen ein liegengebliebener Brief aufgefallen ist, so entspricht es der Lebenserfahrung, daß der Rechtsanwalt gleichzeitig mit dem Schreiben an die Klägerin auch das an das Oberlandesgericht adressierte Original der Berufungsschrift in den Briefkasten eingeworfen hat. Das gilt zumal dann, wenn gemäß § 570 ZPO im Beschwerdefahren zusätzlich die jetzt vorgelegten weiteren eidesstattlichen Versicherungen der Kanzleiangestellten berücksichtigt werden, auch sie hätten später keine derartigen Schriftsätze aufgefunden. Es mag sein, daß hierdurch noch immer nicht völlig ausgeschlossen wird, daß der Brief trotzdem an verdeckter Stelle gelegen hat oder übersehen wurde und von dort erst verspätet in den Postausgang gelangt ist, wie das Berufungsgericht meint. Ein solch ungewöhnlicher Verlauf, für den es konkrete Anhaltspunkte nicht gibt, muß unter Wahrscheinlichkeitsgesichtspunkten jedoch außer Betracht bleiben. Das ist hier anders als in dem Beschluß des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 1982 - VIII ZB 40/82 (NJW 1983, 884), auf den das Berufungsgericht verweist, weil dort schon nicht glaubhaft gemacht war, daß die Berufungsschrift überhaupt zum Postversand fertiggestellt worden war.

3. Durch die Wiedereinsetzung verliert die Verwerfung der Berufung ihre Grundlage.

4. Auf ihren Antrag war der Klägerin gemäß §§ 114, 116 Satz 1 Nr. 1 ZPO zugleich Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen.

Ende der Entscheidung

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