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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 08.02.1999
Aktenzeichen: II ZR 261/97
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 139
ZPO § 156
ZPO § 278 Abs. 3
ZPO §§ 139, 156, 278 Abs. 3

a) Weist das Berufungsgericht eine Partei erstmals und für diese überraschend in der (letzten) mündlichen Verhandlung auf aus seiner Sicht fehlendes Vorbringen hin, so kann es von ihr jedenfalls zu geraume Zeit zurückliegenden Vorgängen keinen sofortigen detaillierten Sachvortrag und Beweisantritt verlangen.

b) Erfolgt die Stellungnahme der darlegungsbelasteten Partei zu einem solchen späten Hinweis erst in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz und ergibt sich daraus auch die Unzulänglichkeit der bisherigen Ausübung der Hinweispflicht durch das Gericht, so ist die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO geboten.

BGH, Urt. v. 8. Februar 1999 - II ZR 261/97 - OLG Naumburg LG Magdeburg


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

II ZR 261/97

Verkündet am: 8. Februar 1999

Boppel Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 8. Februar 1999 durch den Vorsitzenden Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Dr. Hesselberger, Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und Kraemer

für Recht erkannt:

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 13. August 1997 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung von mehr als 133.596,91 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. Mai 1996 an den Kläger verurteilt worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem am 21. April 1994 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der B. H. GmbH (nachfolgend: Gemeinschuldnerin), deren Geschäftsführer der Beklagte und deren Alleingesellschafterin dessen Ehefrau ist. Durch Vertrag vom 15. Januar 1991 verpachtete der Beklagte mit Zustimmung seiner Ehefrau das Anlagevermögen des von ihm betriebenen Einzelunternehmens "Ba. R. H. " zu einem monatlichen Pachtzins von 20.000,-- DM an die Gemeinschuldnerin. Mit dem vom Beklagten für beide Vertragsparteien unterzeichneten Nachtrag vom 3. Februar 1992 wurde der Pachtzins ab Beginn des Jahres 1992 auf die amtlichen Jahresabschreibungsbeträge für die verpachteten Anlagegegenstände erhöht. Die wechselseitigen Forderungen des Einzelunternehmens des Beklagten und der Gemeinschuldnerin wurden auf der Grundlage eines bei dieser geführten Verrechnungskontos einvernehmlich jährlich gegeneinander verrechnet. Zum 31. Dezember 1992 bestand - unter anderem unter Berücksichtigung der Pachtzinsen für 1992 gemäß der Nachtragsvereinbarung in Höhe des rechnerisch unstreitigen Jahresabschreibungsbetrages von 462.807,02 DM brutto - ein Saldo zugunsten der Gemeinschuldnerin in Höhe von 733.321,50 DM, der bis zum 31. Oktober 1993 auf 504.873,85 DM zurückgeführt wurde. Gegenüber diesem mit der Klage geltend gemachten Betrag hat der Beklagte Ende April 1994 die Aufrechnung mit einer Pachtzinsforderung für das Jahr 1993 erklärt, die er auf der Grundlage der Pachtzinserhöhung mit dem unstreitigen Abschreibungssatz von 371.276,94 DM beziffert. Das Landgericht hat der Klage - unter Zurückweisung der als eigenkapitalersetzend angesehenen Aufrechnungsforderung - stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht den Beklagten erstmals in der Berufungsverhandlung vom 16. Juli 1997 darauf hingewiesen, "daß der Nachtrag zum Pachtvertrag vom 3. Februar 1992 wegen eines Insichgeschäfts unwirksam sein dürfte". Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 22. Juli 1997 hat der Beklagte sich unter Vorlage entsprechender Protokolle über Gesellschafterbeschlüsse für die Jahre 1992 und 1993 auf eine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB berufen und die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Das Oberlandesgericht hat, ohne dem Antrag zu entsprechen, den Beklagten unter teilweiser Abänderung des landgerichtlichen Urteils zur Zahlung von 264.873,85 DM nebst Zinsen verurteilt, wobei es die Aufrechnung in Höhe der ursprünglich vereinbarten Jahrespacht von 240.000,-- DM für das Jahr 1993 für begründet erachtet hat. Der Beklagte wendet sich mit der Revision gegen das Berufungsurteil, soweit er zur Zahlung von mehr als 133.596,91 DM verurteilt worden, mithin die Pachtzinserhöhung unberücksichtigt geblieben ist.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet und führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dem Beklagten stehe gegenüber dem der Gemeinschuldnerin als Darlehen geschuldeten Saldo von 504.873,85 DM für 1993 keine den ursprünglich vereinbarten Betrag von jährlich 240.000,-- DM übersteigende aufrechenbare Pachtzinsforderung bis zur Höhe des Abschreibungsbetrages von 371.276,94 DM zu, weil der Nachtragspachtvertrag vom 3. Februar 1992 wegen Verstoßes gegen § 181 BGB als schwebend unwirksam zu behandeln sei. Das nachträgliche Vorbringen des Beklagten über die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens habe unberücksichtigt zu bleiben, da angesichts des gerichtlichen Hinweises auf § 181 BGB in der Berufungsverhandlung kein Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung bestanden habe; zu einer weitergehenden Nachfrage nach einer etwaigen Gestattung des Selbstkontrahierens sei das Gericht nicht befugt gewesen, da es sich um eine unzulässige Anregung völlig neuen Sachvortrags gehandelt hätte. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

II. Die Revision beanstandet zu Recht, daß das Berufungsgericht in der Verhandlung vom 16. Juli 1997 seiner Hinweispflicht nicht ausreichend nachgekommen ist und zudem die sich daraus im Zusammenhang mit dem nachgereichten Schriftsatz des Beklagten ergebende Pflicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO) verletzt hat.

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt das Gericht seiner Hinweispflicht nach den §§ 139, 278 Abs. 3 ZPO nur dann, wenn es die Parteien auf den fehlenden Sachvortrag, der von seinem materiell-rechtlichen Standpunkt aus gesehen entscheidungserheblich ist, unmißverständlich hingewiesen und ihnen die Möglichkeit eröffnet hat, ihren Sachvortrag sachdienlich zu ergänzen (vgl. BGHZ 127, 254, 260; BGH, Urt. v. 27. November 1996 - VIII ZR 311/95, NJW-RR 1997, 441 - jew. m.w.N.). Gemessen daran war der für beide Parteien völlig überraschende, lediglich pauschale Hinweis des Berufungsgerichts, "daß der Nachtrag zum Pachtvertrag vom 3. Februar 1992 wegen eines Insichgeschäfts unwirksam sein dürfte", nicht ausreichend. Bis zu diesem Zeitpunkt war zwischen den Parteien die Wirksamkeit der Pachtzinserhöhung jedenfalls unter dem Gesichtspunkt des § 181 BGB nicht umstritten. Da selbst der Kläger lediglich zunächst die Höhe der Abschreibungsbeträge als unangemessen bezeichnet hatte, im übrigen aber der Klage im Anschluß an den Jahresabschluß 1992 eine Saldoforderung per 31. Oktober 1993 in Höhe von 504.873,85 DM zugrunde legte, war insbesondere die Wirksamkeit der Pachtzinserhöhung außer Streit. Damit hätte das Berufungsgericht im Rahmen seiner Hinweispflicht nicht nur eine Befreiung des Beklagten von den Beschränkungen des § 181 BGB, sondern insbesondere auch eine zumindest konkludente Genehmigung des schwebend unwirksamen Rechtsgeschäfts durch die Ehefrau des Beklagten als Alleingesellschafterin (vgl. hierzu Sen.Urt. v. 29. November 1993 - II ZR 107/92, ZIP 1994, 129, 131) in Betracht ziehen müssen. Jedenfalls vor diesem Hintergrund war die Annahme des Berufungsgerichts verfehlt, ihm sei die weitere Sachaufklärung durch Ausübung des Fragerechts nach einer - aufgrund des bisherigen Prozeßverlaufs naheliegenden - Gestattung oder Genehmigung des Selbstkontrahierens verboten; angesichts der überraschenden Konfrontation der Parteien mit dem im vorliegenden Fall komplexen Sachverhalt des Selbstkontrahierens war vielmehr ein unmißverständlicher Hinweis des Gerichts auf die nach seiner Ansicht notwendig gewordene Ergänzung des Beklagtenvorbringens zur Gestattung im Rahmen von § 181 BGB geboten. Die Annahme des Berufungsgerichts, der Beklagte habe sich wegen der Unterzeichnung des Nachtrags zum Pachtvertrag ohne formale Beteiligung seiner Ehefrau der Unzulässigkeit des Insichgeschäfts stets - so auch in der Berufungsverhandlung - bewußt sein müssen, entbehrt jeglicher Tatsachengrundlage. Aus dem Schweigen des Beklagten auf den allgemeinen gerichtlichen Hinweis des § 181 BGB durfte das Oberlandesgericht daher nicht einseitig zu dessen Lasten den Schluß ziehen, eine Einwilligung oder Genehmigung des Selbstkontrahierens durch den Geschäftsherrn liege nicht vor. Da das diesbezügliche Schweigen des Beklagten ersichtlich verschiedene Ursachen haben konnte (z.B. aktuelle Nichterinnerung an den länger zurückliegenden Vorgang infolge des Überraschungseffekts; Annahme der Zulässigkeit schriftsätzlicher Äußerung), war auch insoweit die Ausübung des Fragerechts zur Aufklärung der Unklarheit des prozessualen Verhaltens des Beklagten geboten. Diese Hinweispflicht entfiel auch nicht deshalb, weil der Beklagte anwaltlich vertreten war; da der Beklagte lediglich durch eine amtlich bestellte Vertreterin seiner Prozeßbevollmächtigten im Termin vertreten wurde, mußte das Gericht um so mehr deren fehlende Sachinformation und mögliche Fehleinschätzung der prozessualen Situation aufgrund des unerwarteten Hinweises - wie sie später aufgrund des nachgereichten Schriftsatzes auch offenbar geworden ist - in Betracht ziehen (vgl. hierzu BGHZ 127, 254, 260).

Abgesehen von der dargelegten mangelhaften Handhabung der Aufklärungspflicht ist auch die weitere Verfahrensgestaltung des Berufungsgerichts im Termin vom 16. Juli 1997 zu beanstanden. Das Sitzungsprotokoll und die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils lassen nicht erkennen, daß dem Beklagten auch nur in bezug auf den tatsächlich erteilten allgemeinen Hinweis zu § 181 BGB die hinreichende Möglichkeit zur sachdienlichen Ergänzung seines Sachvortrags, ggf. durch Beibringung weiterer Unterlagen, eröffnet worden wäre. Nach Aktenlage ist vielmehr davon auszugehen, daß das Berufungsgericht dem Kläger verfahrenswidrig diese Möglichkeit verwehrt hat, indem es unmittelbar nach Erteilung des Hinweises die mündliche Verhandlung geschlossen, einen Verkündungstermin anberaumt und schließlich die von diesem beantragte Wiedereröffnung der Verhandlung abgelehnt hat; bei einer solchen Verfahrensweise war der Hinweis sinnlos und verfehlte den mit der gerichtlichen Hinweispflicht (§ 139 ZPO) und dem Verbot von Überraschungsentscheidungen (§ 278 Abs. 3 ZPO) verfolgten Zweck (vgl. BGH, Urt. v. 27. November 1996 aaO, S. 441 m.N.).

2. Daneben liegt ein selbständiger Verfahrensfehler auch in der Ablehnung der vom Beklagten mit Schriftsatz vom 22. Juli 1997 beantragten Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Gericht zur Wiedereröffnung der bereits geschlossenen Verhandlung verpflichtet, wenn sich aus dem neuen Vorbringen der Partei ergibt, daß die bisherige Verhandlung lückenhaft war und in der letzten mündlichen Verhandlung bei sachgemäßem Vorgehen Veranlassung zur Ausübung des Fragerechts bestanden hätte (vgl. BGH, Urt. v. 7. Oktober 1992 - VIII ZR 199/91, NJW 1993, 134 m.w.N.). So lag es hier. Aus dem nachgereichten Schriftsatz des Beklagten vom 22. Juli 1997, mit dem dieser seine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB aufgrund von Gesellschafterbeschlüssen aus den Jahren 1992 und 1993 vortrug und unter Beweis stellte, ergab sich für das Berufungsgericht mit hinreichender Deutlichkeit, daß seine Verfahrensweise in der Verhandlung vom 16. Juli 1997 - wie bereits vorstehend unter II. 1. dargelegt - wegen unzureichender Beachtung der Hinweispflicht fehlerhaft war. Hätte das Berufungsgericht sich nicht mit dem allgemeinen Hinweis auf § 181 BGB begnügt, sondern ihn deutlich auch auf die Konsequenzen erstreckt, die es aus dem Fehlen eines Sachvortrags zu diesem Punkt ziehen würde, so hätte der Beklagte jedenfalls Antrag auf Vertagung oder auf Einräumung eines Schriftsatznachlasses gestellt. Dem hätte das Gericht entsprechen müssen, da vom Beklagten angesichts der erstmaligen überraschenden Konfrontation mit dem Problem nicht verlangt werden konnte, daß er dem Gericht noch in derselben Verhandlung sofort die diesbezüglich relevanten Fakten, die sich auf längere Zeit zurückliegende Vorgänge bezogen, präsentierte und unter Beweis stellte. Kam nämlich das Berufungsgericht selbst erst so spät zu der neuen Erkenntnis der Rechtslage, daß es nicht mehr - wie grundsätzlich geboten - bereits geraume Zeit vor dem Termin den erforderlichen Hinweis erteilen konnte (vgl. hierzu BVerfG NJW 1992, 678, 679), so konnte es billigerweise von der Partei, die erst im Termin damit überrascht wurde, nicht sogleich eine detaillierte Stellungnahme erwarten.

III. Das angefochtene Urteil beruht auch auf den aufgezeigten Verfahrensfehlern. Die Entscheidung erweist sich - entgegen der Ansicht des Klägers - nicht etwa aus anderen materiell-rechtlichen Gründen als richtig im Sinne des § 563 ZPO. Insbesondere war auf der Grundlage der Feststellungen des Berufungsgerichts dessen Ansicht vertretbar, der Beklagte sei bezüglich der Aufrechnung der Pachtzinsforderung nicht Dritter im Sinne des § 32 a Abs. 3 GmbHG, da allein die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Beklagten als Geschäftsführer und seiner Ehefrau als Alleingesellschafterin und die zwischen den beiden Unternehmen getätigten Geschäfte die Gleichstellung im Sinne des Eigenkapitalersatzrechts nicht zwangsläufig rechtfertigten. Soweit der Kläger diese Wertung unter Hinweis auf eine angeblich unstreitige "Verkettung" des Beklagten mit der wirtschaftlichen Situation der Gemeinschuldnerin durch gemeinsam mit der Ehefrau für die Gemeinschuldnerin übernommene Bürgschaften zu widerlegen versucht, steht seine diesbezüglich erhobene Gegenrüge im Widerspruch zu den Feststellungen des Berufungsurteils.

IV. Mangels Endentscheidungsreife ist die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit der Tatrichter auf der Grundlage einer erneuten Tatsachenverhandlung unter Berücksichtigung des Vorbringens des Beklagten zur Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB, zu dem nunmehr dem Kläger rechtliches Gehör zu gewähren ist, die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann. Damit erhält der Kläger zugleich Gelegenheit, seinen mit der Gegenrüge erhobenen Sachvortrag zu § 32 a Abs. 3 GmbH zu präzisieren.

Ende der Entscheidung

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