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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.10.2008
Aktenzeichen: III ZB 31/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 234 Abs. 1 A
Der Rechtsanwalt ist, auch nachdem die Berufungsbegründungsfrist nicht mehr mit der Einlegung der Berufung (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F.), sondern mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten erstinstanzlichen Urteils (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F.) beginnt, verpflichtet, bei Vorlage der Handakten im Zusammenhang mit der Abfassung der Berufungsbegründung zu prüfen, ob die Berufung innerhalb der Frist des § 517 ZPO eingelegt worden ist (Fortführung von BGH, Beschluss vom 25. Mai 1994 XII ZB 57 und 92/94 - VersR 1995, 69).
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

III ZB 31/08

vom 16. Oktober 2008

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Herrmann, Wöstmann und Hucke

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 8. April 2008 - 8 U 42/07 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 27.366,76 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen, allerdings inzwischen von ihr für erledigt erklärten, Anspruch auf Auskunftserteilung geltend und verlangt die Freistellung von einer Rechtsanwaltsgebührenforderung. Die Beklagte hat Widerklage auf Verurteilung der Klägerin zur Zahlung von 25.143 € erhoben. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Das Urteil ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 20. November 2007 zugestellt worden. Die Klägerin hat mit auf den 14. Dezember 2007 datiertem anwaltlichen Schriftsatz gegen dieses Urteil Berufung eingelegt. Die Rechtsmittelschrift ging am 27. Dezember 2007 beim Berufungsgericht ein. Mit am 3. Januar 2008 abgesendetem Schreiben hat dessen Geschäftsstelle den Prozessbevollmächtigten beider Parteien das Eingangsdatum der Berufungsschrift mitgeteilt. Die Klägerin hat ihre Berufung mit an Montag, dem 21. Januar 2008 beim Oberlandesgericht eingegangenem, vom selben Tag datierendem Schriftsatz begründet. Die Beklagte hat in ihrer Berufungserwiderung vom 7. Februar 2008 unter Hinweis auf das Eingangsdatum der Berufungsschrift die Verwerfung des Rechtsmittels beantragt. Dieser Schriftsatz ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 13. Februar 2008 zugegangen. Daraufhin haben sie mit am 27. Februar 2008 eingegangenem Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der versäumten Berufungsfrist beantragt und auf die Berufungseinlegung Bezug genommen.

Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags hat die Klägerin ausgeführt, der sachbearbeitende Rechtsanwalt habe die Berufungsschrift am 14. Dezember 2007 diktiert. Sie sei noch am selben Tage gegen 17.00 Uhr ordnungsgemäß frankiert in einen Briefkasten der Deutschen Post AG eingeworfen worden. Die gerichtliche Mitteilung über den Eingang der Berufungsschrift am 27. Dezember 2007 sei in der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten am 4. Januar 2008 eingegangen. Bei der Durchsicht der Post, die aufgrund der vorangegangenen Weihnachtspause in der Kanzlei in großem Umfange aufgelaufen sei, habe die ansonsten stets zuverlässig arbeitende Kanzleiangestellte der Prozessbevollmächtigten, der die Kontrolle über den Eingang fristgebundener Schriftsätze bei Gericht hinsichtlich der Fristeinhaltung übertragen sei, die Mitteilung des Gerichts über den Zugang der Berufungsschrift nur kurz überflogen und ohne weitere Verfügung und Vorlage an den Rechtsanwalt abgeheftet. Hierbei habe sie übersehen, dass dieser Schriftsatz nicht, wie erwartet, am 17., sondern erst am 27. Dezember 2007 beim Berufungsgericht eingegangen sei. Der verspätete Eingang der Berufungsschrift sei erst aufgrund der Berufungserwiderung der Beklagten bemerkt worden.

Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag für unzulässig erachtet und die Berufung im Beschlusswege verworfen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 und § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 2, § 575 ZPO). In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.

1. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der bei ihm am 27. Februar 2008 eingegangene Wiedereinsetzungsantrag sei nach Ablauf der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt worden. Die Wiedereinsetzungsfrist (§ 234 Abs. 2 ZPO) beginne mit dem Tag, an dem die Versäumung der Frist hätte erkannt werden müssen. Dies sei spätestens am 21. Januar 2008, dem Tag, an dem der Prozessbevollmächtigte der Klägerin den Berufungsbegründungsschriftsatz verfasst habe, der Fall gewesen. Aufgrund der in seiner Akte befindlichen Mitteilung der Geschäftsstelle über den Eingang der Berufungsschrift hätte er bereits zu diesem Zeitpunkt erkennen können und müssen, dass die Monatsfrist des § 517 ZPO nicht eingehalten gewesen sei. Er hätte anlässlich der Fertigung der Berufungsbegründung die zu den Akten gelangten Schriftstücke einschließlich dieser Mitteilung zur Kenntnis nehmen müssen. Hätte er dies getan, wäre ihm ohne weiteres aufgefallen, dass die Berufungsschrift verspätet eingegangen sei. Der Rechtsanwalt hätte gelegentlich der Fertigung der Berufungsbegründung ohnehin auch nachprüfen müssen, ob die Berufungsfrist gewahrt worden sei.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Der am 27. Februar 2008 bei Gericht eingegangene Wiedereinsetzungsantrag war nicht mehr fristgerecht angebracht.

a) Die Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO beginnt mit Ablauf des Tages, an dem das Hindernis, das der Einhaltung der versäumten Frist entgegenstand, behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist dann der Fall, wenn das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Die Frist beginnt daher in Fällen, in denen - wie hier - ein Verschulden der Partei persönlich ausscheidet, spätestens mit dem Zeitpunkt, in dem der von ihr beauftragte Prozessbevollmächtigte, dessen Verschulden dem des Auftraggebers gemäß § 85 Abs. 2 ZPO gleich steht, bei Anwendung der unter den gegebenen Umständen von ihm zu erwartenden Sorgfalt die Fristversäumung hätte erkennen können (BGH, Beschluss vom 25. Mai 1994 - XII ZB 57 und 92/94 - VersR 1995, 69, 70). Dies war im hier zu beurteilenden Sachverhalt bereits zu dem Zeitpunkt der Fall, als dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Akten zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt wurden.

b) Zwar durfte er die Kontrolle, ob die - rechtzeitig abgesandte - Berufungsschrift tatsächlich noch innerhalb der Frist des § 517 ZPO beim Berufungsgericht eingegangen war, zunächst seinem Büropersonal überlassen (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Mai 1992 - VIII ZB 3/92 - NJW 1992, 2098, 2099). Die Kontrolle des Fristlaufs stellt jedoch mit der Vorlage der Handakten an den Anwalt zur Vorbereitung oder Durchführung einer fristgebundenen Prozesshandlung keine routinemäßige Büroarbeit mehr dar, sondern erfordert die Prüfung der Zulässigkeitsvoraussetzungen für das beabsichtigte oder bereits eingelegte Rechtsmittel, die in den Verantwortungsbereich des Rechtsanwalts fällt (z.B.: BGH, Beschlüsse vom 25. Mai 1994 aaO m.w.N. und vom 21. März 1990 - XII ZB 131/89 - VersR 1991, 119, 120). Diese Prüfung beschränkt sich, auch wenn die Akten zur Abfassung der Berufungsbegründung vorgelegt werden, nicht auf die Kontrolle, ob die hierfür laufende Frist noch gewahrt ist. Da dies nur ein Teilakt für die Zulässigkeit des Rechtsmittels ist, hat sich der Rechtsanwalt vielmehr auch zu vergewissern, dass die Berufung zuvor rechtzeitig eingelegt worden ist (BGH, Beschluss vom 25. Mai 1994 aaO). Dem widerspricht das Urteil des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 4. Mai 2001 (V ZR 434/00 - NJW 2001, 2236) nicht, da der Rechtsanwalt in dem dortigen Streitfall ohne Vorlage der Handakten lediglich mit einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist befasst war, nicht aber mit der Berufungsbegründung selbst.

c) Die vorgenannte Entscheidung des XII. Zivilsenats ist zwar, wie die Rechtsbeschwerde geltend macht, zu der bis zur Neufassung des Dritten Buchs der Zivilprozessordnung durch Art. 2 Abs. 1 Nr. 72 des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887, 1895 f) maßgebenden Gesetzeslage ergangen. Danach begann die einmonatige Berufungsbegründungsfrist mit der Einlegung des Rechtsmittels (§ 519 Abs. 2 Satz 2 ZPO a.F.), so dass der Anwalt im Rahmen der Prüfung der Berufungsbegründungsfrist ohnehin den Zeitpunkt des Eingangs der Berufungsschrift bei Gericht kontrollieren musste. Dadurch, dass nunmehr gemäß § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO n.F. die Berufungsbegründungsfrist mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten erstinstanzlichen Urteils beginnt, hat sich jedoch an der Pflicht des Rechtsanwalts, die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Berufung insgesamt zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Fertigung der Berufungsbegründung vorgelegt werden, nichts geändert. Die insoweitigen Erwägungen des XII. Zivilsenats in dem Beschluss vom 25. Mai 1994, die der erkennende Senat teilt, gelten unabhängig von der Änderung des Anknüpfungspunktes für den Beginn der Berufungsbegründung fort.

d) Hierdurch werden entgegen der Ansicht der Beschwerde auch keine unzumutbaren Anforderungen an den Rechtsanwalt gestellt. Dieser hat vor Abfassung der Berufungsbegründung ohnehin den Inhalt seiner Handakten durchzuarbeiten und dabei wegen der ihm obliegenden Kontrolle, ob die Berufungsbegründungsfrist eingehalten ist, auch den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Urteils zu festzustellen (vgl. § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Bei der weiteren Durchsicht der Akte kann er auch die - regelmäßig kurz hinter der Durchschrift der Berufungsschrift abgeheftete - Mitteilung des Berufungsgerichts über deren Eingang ohne weiteres in den Blick nehmen. Der anschließende Abgleich des Eingangsdatums der Berufungsschrift mit dem Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Urteils bereitet keine nennenswerte Mühe mehr.

e) Hätte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin diese Sorgfaltspflichten eingehalten, wäre ihm bereits am 21. Januar 2008 die Versäumung der Berufungsfrist aufgefallen, so dass ab diesem Tag die Frist für die Beantragung der Wiedereinsetzung zu laufen begann. Die Klägerin hat keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass ihrem Rechtsanwalt ausnahmsweise das Eingangsdatum der Berufungsschrift auf der entsprechenden Mitteilung des Gerichts nicht auffallen musste.

Ende der Entscheidung

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