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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 27.10.2005
Aktenzeichen: III ZB 76/05
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 236 Abs. 2 C
Zur Glaubhaftmachung der unverschuldeten Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch eidesstattliche Versicherung des Prozessbevollmächtigten, der die Aufgabe der Notierung, Überwachung und Erledigung von Fristen nicht an Büroangestellte übertragen hat, sondern selbst vornimmt.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

III ZB 76/05

vom 27. Oktober 2005

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Streck, Dörr und Dr. Herrmann

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 12. Mai 2005 - 12 U 1375/04 - wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 14.500 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist der Klägerin am 13. Oktober 2004 zugestellt worden. Hiergegen hat sie am 15. November 2004, einem Montag, fristgerecht Berufung eingelegt. Am 17. Dezember 2004 wies sie der Vorsitzende des Berufungssenats darauf hin, dass eine Berufungsbegründung noch nicht zu den Akten gelangt sei. Am 23. Dezember 2004 ging die auf den 9. Dezember 2004 datierte Berufungsbegründung ein. Mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2004, eingegangen am 28. Dezember 2004, beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin vorsorglich Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte die versäumte Prozesshandlung durch einen auf den 9. November 2004 datierten Schriftsatz nach. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags führte er aus, er habe den Berufungsbegründungsschriftsatz am 9. Dezember 2004 in den Abendstunden in H. in einen bestimmten, für Autofahrer vorgesehenen Briefkasten eingeworfen. Der verspätete Eingang könne nur auf Beförderungsschwierigkeiten der Post in H. zurückgeführt werden, worüber auch in der örtlichen Presse berichtet worden sei.

Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen und ihren Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

1. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Berufungsbegründung nicht innerhalb der am 13. Dezember 2004 abgelaufenen Frist eingegangen ist. Die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts nachgewiesen (§ 418 Abs. 1 ZPO), wobei der im Wege des Freibeweises zu führende Gegenbeweis zulässig ist (§ 418 Abs. 2 ZPO). Die Klägerin hat zwar geltend gemacht, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung so rechtzeitig zur Beförderung gegeben, dass sie bei normalem Verlauf der Dinge fristgerecht bei Gericht hätte eingehen müssen. Angesichts des Umstands, dass der Eingangsstempel auf eine mindestens zehntägige Verspätung der Beförderung hinwies und keine Anhaltspunkte dafür sprechen, der Schriftsatz habe sich schon tagelang ohne Eingangsstempel im Bereich des Gerichts befunden, bestand zu der von der Beschwerde vermissten Vernehmung des Prozessbevollmächtigten als Zeugen kein hinreichender Anlass. Anders als in den Fällen, die den Beschlüssen des Bundesgerichtshofs vom 4. Juni 1992 (IX ZB 10/92 - NJW-RR 1992, 1338, 1339), vom 27. November 1996 (XII ZB 177/96 - NJW 1997, 1312), vom 27. Februar 2002 (I ZB 23/01 - NJW-RR 2002, 1070), vom 21. Juni 2004 (II ZB 18/03 - NJW-RR 2005, 75, 76) und dem Urteil vom 14. Oktober 2004 (VII ZR 33/04 - NJW-RR 2005, 75) zugrunde lagen und in denen jeweils der im Widerspruch zum Eingangsstempel stehende fristgerechte Einwurf in den Gerichtsbriefkasten behauptet war, wäre hier eine Vernehmung des Prozessbevollmächtigten nicht geeignet gewesen, die Richtigkeit des Eingangsstempels zu widerlegen.

2. Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht der Klägerin die Erteilung von Wiedereinsetzung versagt hat.

Das Berufungsgericht stellt nicht den Grundsatz in Frage, dass einer Partei Wiedereinsetzung zu erteilen ist, wenn eine Fristversäumung nicht auf ihrem Verschulden oder demjenigen ihres Prozessbevollmächtigten beruht, sondern auf Unregelmäßigkeiten bei der Postbeförderung, die außerhalb ihrer Einflussnahme stehen. Das Letztere ist für das Berufungsgericht jedoch offen geblieben. Zwar steht dem die Darstellung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin entgegen, deren Richtigkeit er an Eides Statt versichert hat. Das Berufungsgericht hält sich aber im Rahmen fehlerfreier Würdigung, wenn es ein Verschulden des Anwalts für nicht ausgeräumt hält.

Die Zeitungsberichte über Zustellprobleme in H. betreffen den krankheits- oder urlaubsbedingten Ausfall von Zustellbeamten vor Ort, die nicht darauf hinweisen, dass auch eingelieferte Postsendungen unbearbeitet liegen geblieben sind. Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme, dass bereits ein weihnachtsbedingter Beförderungsstau bei dem behaupteten Einwurf der Sendung am 9. Dezember 2004 - anders als ein Zeitungsbericht vom 22. Dezember 2004 ausweist - vorgelegen habe, liege nicht nahe. Auch die vorgelegte Bestätigung der Post lässt Unregelmäßigkeiten in dieser Richtung nicht erkennen.

Was die Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin angeht, hat das Berufungsgericht eine Gesamtbewertung vorgenommen, die Besonderheiten seiner Praxisführung, Widersprüche im Vortrag und die ungewöhnliche Dauer der Verspätung berücksichtigt. Hervorzuheben ist vor allem der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Notierung von Fristen und deren Überwachung und Erledigung selbst vornimmt und nicht an Büroangestellte übertragen hat. Dabei wird weder ein Postausgangsbuch noch ein Fristenkalender im eigentlichen Sinn geführt. In dem vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin geführten Kalender werden Fristen nur "zumeist" eingetragen. Unter dem 9. Dezember 2004 findet sich zwar ein Hinweis auf die Berufungsbegründung in dieser Sache, hervorgehoben ist diese Eintragung jedoch nicht. Vor allem nutzt der Prozessbevollmächtigte in seinem Kalender vorgesehene gesonderte Eintragungsräume für Fristen und Wiedervorlagen nicht. Vor diesem Hintergrund ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht ein mögliches Versehen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin durch dessen eidesstattliche Versicherung nicht als ausgeräumt und sein Erinnern als nicht hinreichend verlässlich angesehen hat. Die Berufsausübungsfreiheit des Einzelanwalts gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verlangt nicht, wie die Beschwerde meint, dass das Gericht - ohne Rücksicht auf weitere Umstände - seiner eidesstattlich versicherten Darstellung der Abläufe folgen müsste, wenn andere büroorganisatorische Maßnahmen oder sonstige objektiven Umstände sie nicht zu belegen vermögen. Der Senat hätte zwar Bedenken, eine Glaubhaftmachung durch eidesstattliche Versicherung in der Regel für nicht ausreichend zu halten, wenn hinsichtlich der Fristen keine objektiven Kontrolleinrichtungen vorhanden und auch Dritte nicht in die Aufgabe der Fristenwahrung eingebunden sind, wie das Berufungsgericht am Ende seiner Entscheidung ausführt. Die Begründung der angefochtenen Entscheidung im Ganzen zeigt jedoch, dass sie nicht auf einem solchen Rechtssatz beruht, sondern auf der umfassenden tatrichterlichen Würdigung, die als solche nicht zu beanstanden ist.

Ende der Entscheidung

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