Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 09.07.1998
Aktenzeichen: III ZR 158/97
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 276 Fa
BGB § 278
BGB §§ 276 Fa; 278

Zur Haftung einer Lebensversicherungsgesellschaft wegen unzureichender Risikoaufklärung eines Interessenten durch den Vermittler einer Kapitalanlage in Gestalt einer fremdfinanzierten Lebensversicherung.

BGH, Urt. v. 9. Juli 1998 - III ZR 158/97 - OLG München LG München I

LG München I Entsch. v. 8.2.96 - 26 0 16938/93

OLG München Entsch. v. 7.11.96 - 1 U 2456/96

III ZR 158/97


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

III ZR 158/97

Verkündet am: 9. Juli 1998

Freitag Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 2. Juli 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne, die Richter Streck, Schlick, Dörr und die Richterin Ambrosius

für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 7. November 1996 aufgehoben und das Urteil des Landgerichts München I, 26. Zivilkammer, vom 8. Februar 1996 abgeändert.

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 276.598,10 DM nebst 10,59 v.H. Zinsen seit dem 30. April 1993 zu zahlen.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der beklagten Versicherungsgesellschaft aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes Schadensersatz wegen unterlassener Aufklärung über das Risiko einer Kapitalanlage in Gestalt einer fremdfinanzierten Lebensversicherung.

Der Zeuge H., der für die frühere Streithelferin, eine mit der Beklagten zusammenarbeitende Anlagevermittlungsgesellschaft, als Untervermittler tätig war, schlug im Jahre 1989 dem Ehemann der Klägerin, einem Zimmerer, vor, bei einer Schweizer Bank einen Kredit aufzunehmen und damit eine Kapitallebensversicherung bei der Beklagten zu finanzieren; die Differenz zwischen den vergleichsweise niedrigen Kreditzinsen in der Schweiz und der höheren Rendite der Lebensversicherung verspreche einen hohen Gewinn. Die frühere Streithelferin verwendete einen Werbeprospekt, in dem von einem auf acht Jahre festgeschriebenen Kreditzins von 5,5 v.H. ausgegangen und nach zwölf Jahren Versicherungslaufzeit ein steuerfreier Gewinn von rund 300.000 DM ausgewiesen wurde. Dieses Modell war bis zu einem Kreditzinssatz von 5,75 v.H. gewinnträchtig und ab 6 v.H. verlusterzeugend. Durch Vermittlung des Zeugen H. nahm der Ehemann der Klägerin bei der L.-bank einen jederzeit kündbaren Basiskredit in Höhe von 870.000 SF zu einem Anfangszinssatz von 6,5 v.H. auf, für den er eine Sicherheitszahlung von 200.000 DM leisten mußte. Diesen Betrag liehen sich die Eheleute bei der Stadtsparkasse München gegen Bestellung einer Grundschuld auf ihrem Hausgrundstück. Sodann schloß der Ehemann der Klägerin, ebenfalls durch Vermittlung des Zeugen Hausmann, bei der Beklagten eine Lebensversicherung mit einer Versicherungssumme von 1.426.754 DM ab. Die für den Zeitraum 1987 bis 1994 zu zahlenden jährlichen Beiträge von 156.714,66 DM leistete er in Gestalt einer Einmalprämie von 1 Mio DM, indem die Schweizer Bank die Nettokreditsumme direkt an die Beklagte überwies. Das Beitragsdepot sollte von der Beklagten verzinst werden. Der Zinssatz war dem Ehemann der Klägerin nicht bekannt; er betrug 6 v.H. Unter dem 4. Mai. 1990 verlangte die Schweizer Bank einen zusätzlichen Eigenmitteleinschuß von 100.000 DM. Der Ehemann der Klägerin konnte diesen Betrag nicht aufbringen. Er kündigte deshalb den Kreditvertrag, worauf sich die Schweizer Bank aus der eingezahlten Sicherheitssumme und der ihr zur Sicherheit abgetretenen Lebensversicherung befriedigte. Da der Rückkaufswert erheblich niedriger war als die an die Beklagte geleistete Einmalprämie, verblieben dem Ehemann der Klägerin Schulden bei der Stadtsparkasse München, die am 29. April 1993 276.598,10 DM betrugen und die er mit 10,59 v.H. verzinsen muß.

Die auf Schadensersatz in gleicher Höhe gerichtete Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihren Schadensersatzanspruch weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Die Beklagte hat der Klägerin aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß (Verletzung der Aufklärungspflicht) den geltend gemachten Schaden zu ersetzen.

I.

Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht eine Pflichtverletzung des Zeugen Hausmann bei der Vermittlung der Kapitalanlage.

1. Als Untervermittler der früheren Streithelferin, die den Vertrieb der Kapitalanlage als Vermittlerin übernommen hatte, war der Zeuge Hausmann zu richtiger und vollständiger Information über diejenigen Umstände verpflichtet, die für den Anlageentschluß des Ehemannes der Klägerin von besonderer Bedeutung waren (vgl. Senatsurteil vom 13. Mai 1993 - III ZR 25/92 - BGHR BGB § 676 Anlagevermittler 4 m.w.N.). Dazu gehörte die Aufklärung darüber, daß der für das Darlehen der Schweizer Bank zu entrichtende Anfangszinssatz von 6,5 v.H. unweigerlich zu einem Verlust führen mußte und daß ein solcher schon bei einem Zinssatz von 6 v.H. unvermeidbar war, die Lebensversicherung dem Ehemann der Klägerin vielmehr nur unter der Bedingung einen Gewinn bringen konnte, daß das Schweizer Zinsniveau künftig fallen und die Bank sich zur Senkung des Kreditzinses bereit finden würde.

2. Der Zeuge Hausmann hat es entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts pflichtwidrig unterlassen, den Ehemann der Klägerin über dieses besondere Risiko aufzuklären.

Das Berufungsgericht entnimmt der Aussage des Zeugen Hausmann, daß dieser mit der Klägerin und ihrem Ehemann die Bedeutung der weiteren Zinsentwicklung für die Rentabilität der in Aussicht genommenen Kapitalanlage erörtert hat. Der Zeuge hat bei seiner Vernehmung vor dem Landgericht bekundet:

"Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich mit Herrn und Frau Hoffmann besprochen habe, daß es die Möglichkeit gibt, während der Laufzeit auszusteigen, falls sich an der Zinsschere etwas ändert. Ich meine damit, daß ich Herrn und Frau Hoffmann darauf hingewiesen habe, daß es sich bei der Zeichnung der Darlehen um einen variablen Zins handelt. Ich habe die Eheleute Hoffmann ... ausdrücklich darauf hingewiesen. Ich kann mich deshalb daran erinnern, weil ich dies im Hinblick auf die Ausstiegsmöglichkeiten erklärt habe. Ich habe ihnen erläutert, daß, falls die Darlehenszinsen steigen und die Lebensversicherungsguthabenzinsen übersteigen würden, man das Risiko dadurch begrenzen könnte, indem man aus der Lebensversicherung aussteigt. Es ist richtig, daß ich geäußert habe, falls die Zinsen fallen, schreiben wir fest."

Ausgehend von diesen Angaben trifft das Berufungsgericht die Feststellung, es sei dem Ehemann der Klägerin bekannt gewesen, daß das Geschäft bei Fortbestand der hohen Zinsen nicht sinnvoll, sondern verlustbringend sein würde. Dabei handelt es sich um eine Schlußfolgerung, die in den Bekundungen des Zeugen keine Grundlage findet.

Die Verhandlungen zwischen dem Zeugen Hausmann und dem Ehemann der Klägerin bezogen sich nach den insoweit unmißverständlichen Angaben des Zeugen auf die Frage der Zinsgestaltung nach Abschluß der Verträge. Dabei wurde das Risiko (weiter) steigender Zinsen erörtert, auf das gegebenenfalls mit dem "Ausstieg" aus dem Geschäft reagiert werden könne. Derartige Überlegungen vermögen den vom Berufungsgericht gezogenen Schluß, die Eheleute Hoffmann hätten bei Abschluß der Verträge gewußt, daß das Geschäft bereits auf der Grundlage des bestehenden Zinsniveaus wirtschaftlich sinnlos war, offensichtlich nicht zu rechtfertigen. Die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts trägt deshalb die Klageabweisung nicht. Ist aber die rechtsfehlerhafte Schlußfolgerung des Berufungsgerichts unbeachtlich, so bleibt unter den gegebenen Umständen - auch bei Berücksichtigung des Parteivortrags in den Tatsacheninstanzen - kein Raum mehr für die Annahme, der Ehemann der Klägerin sei über die Risiken der beabsichtigten Kapitalanlage hinreichend unterrichtet gewesen.

II.

Das angefochtene Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig dar (§ 563 ZPO). Vielmehr sind auch die weiteren Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten aus dem Gesichtspunkt des Verschuldens bei Vertragsschluß erfüllt, so daß der Senat, ohne daß es weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf, in der Sache selbst entscheiden kann (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO).

1. Den Zeugen Hausmann trifft der Vorwurf des Verschuldens. Er mußte wissen, daß die von ihm vermittelte Kapitalanlage bei einem von der kreditgebenden Bank geforderten Anfangszinssatz von 6,5 v.H. von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Sollte ihm nicht klar gewesen sein, in welcher Weise sich das Zusammenspiel der verschiedenen Anlageelemente auf die Möglichkeit einer Gewinnerzielung auswirken konnte, so hätte er sich über diese zentrale Frage des von ihm vermittelten Geschäfts vorher informieren müssen (vgl. Senatsurteil vom 13. Mai 1993 aaO).

2. Die Beklagte muß sich das Verschulden des Zeugen Hausmann, ihres Verhandlungsgehilfen bei der Anbahnung des Vertragsverhältnisses zwischen ihr und dem Ehemann der Klägerin, gemäß § 278 BGB zurechnen lassen.

Zwar hatte die Beklagte mit dem Ehemann der Klägerin keinen persönlichen Kontakt; vielmehr hatte sie es der früheren Streithelferin und damit den von dieser eingeschalteten Untervermittlern überlassen, die das Anlagemodell betreffenden Vertragsverhandlungen bis zur Unterschriftsreife zu führen. Sie konnte jedoch der Verantwortung für die Vertragsverhandlungen nicht durch die Einschaltung eines selbständigen Vermittlers entgehen. Auch mußte sie damit rechnen, daß dieser Vermittler nicht nur eigene Mitarbeiter, sondern selbständige Untervermittler - wie hier den Zeugen Hausmann - einsetzte. Deren Verhalten bei den Vertragsverhandlungen muß sie sich deshalb ebenfalls gemäß § 278 BGB zurechnen lassen (vgl. BGH, Urteil vom 24. September 1996 - IX ZR 318/95 - NJW-RR 1997, 116).

Eine solche Zurechnung scheitert nicht daran, daß das in der Kapitalanlage angelegte Risiko nicht unmittelbar die von der Beklagten angebotene Lebensversicherung als solche betraf, sondern sich aus deren Finanzierung mittels eines Bankkredits ergab. Der Senat verweist insoweit auf die rechtsfehlerfreien Feststellungen des Berufungsgerichts zum engen sachlichen Zusammenhang zwischen den getroffenen Vereinbarungen, der diese insgesamt als einheitlichen Geschäftsvorgang erscheinen ließ. Der Beklagten war das Zusammenwirken der einzelnen Elemente der Kapitalanlage und damit das Verlustrisiko auch bekannt. Wie den insoweit unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zu entnehmen ist, wußte sie jedenfalls aufgrund eines von der früheren Streithelferin herausgegebenen Prospekts und ihrer Verhandlungen mit der Schweizer Bank, daß die ihr von der früheren Streithelferin vermittelten Kunden, also auch der Ehemann der Klägerin, die Lebensversicherung nicht aus vorhandenem Vermögen bezahlen, sondern ein fremdfinanziertes Anlagemodell eingehen wollten, dessen Rentabilität auf dem prospektierten Zinsgefälle zwischen der von ihr gewährten Effektivverzinsung der Versicherungsbeiträge und dem Schweizer Kreditzins beruhte (zur Frage der Zurechnung vgl. auch Senatsurteil BGHZ 72, 92, 99 f).

3. Der ursächliche Zusammenhang zwischen der schuldhaften Pflichtverletzung des Zeugen Hausmann und dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden ist gegeben. Liegt ein Verschulden bei Vertragsschluß vor, kann der Geschädigte verlangen, so gestellt zu werden, wie er ohne das schuldhafte Verhalten des anderen Teils gestanden hätte. Es spricht eine Vermutung bzw. der Beweis des ersten Anscheins dafür, daß der Ehemann der Klägerin, wenn er über das durch die Verlustträchtigkeit der Anlage aufgrund des hohen Anfangskreditzinssatzes begründete Risiko informiert worden wäre, die Kreditverträge und den Lebensversicherungsvertrag nicht geschlossen hätte. Dem tritt die Beklagte nicht entgegen.

4. Der geltend gemachte Anspruch ist schließlich auch der Höhe nach gerechtfertigt. Wie das Berufungsgericht unangegriffen feststellt, beliefen sich die nach Rückführung der Kapitallebensversicherung und des Schweizer Darlehens verbliebenen Kreditschulden des Ehemannes der Klägerin auf 276.598,10 DM. Diesen Betrag nebst den darauf entfallenden Zinsen kann die Klägerin von der Beklagten ersetzt verlangen.

5. Ein mitwirkendes Verschulden an der Entstehung des Schadens kann dem Ehemann der Klägerin nicht zur Last gelegt werden. Er brauchte aus den Angaben des Zeugen Hausmann über die mögliche künftige Zinsentwicklung und deren Einfluß auf die weitere Durchführbarkeit der Verträge nicht den Schluß zu ziehen, daß die Kapitalanlage schon bei Fortbestand des derzeitigen Zinssatzes zum Scheitern verurteilt war, zumal ihm Einzelheiten über die Rendite der Lebensversicherung nicht bekannt waren.

Ende der Entscheidung

Zurück