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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.06.2000
Aktenzeichen: III ZR 302/99
Rechtsgebiete: BGB, StVO


Vorschriften:

BGB § 839 Fm
StVO § 45
BGB § 839 Fm; StVO § 45

Die Verantwortung für das Anbringen vorschriftsmäßiger Verkehrszeichen trägt grundsätzlich allein die Straßenverkehrsbehörde. Dennoch kann im Einzelfall auch der Träger der Straßenbaulast als Verkehrssicherungspflichtiger verpflichtet sein, bei der Straßenverkehrsbehörde auf eine Änderung der Verkehrsregelung hinzuwirken, wenn er die von einer unzulänglichen Beschilderung ausgehenden Gefahren erkennt oder eine derartige Verkehrsgefährdung so offensichtlich ist, daß sich die Notwendigkeit alsbaldiger Maßnahmen geradezu aufdrängen.

BGH, Urteil vom 15. Juni 2000 - III ZR 302/99 - OLG Brandenburg LG Cottbus


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

III ZR 302/99

Verkündet am: 15. Juni 2000

Freitag Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 15. Juni 2000 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa, Dörr und Galke

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Beklagten zu 1 gegen das Urteil des 2. Zivilsenats des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 7. September 1999 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte zu 1 hat die Kosten des Revisionsrechtszuges zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

Am 6. April 1996 befuhr der Kläger zu 2 mit dem Motorrad des Klägers zu 1 die Naundorfer Straße in F. in Richtung der - aus seiner Sicht - von rechts in die Naundorfer Straße einmündenden Moritzstraße. Auf der Moritzstraße näherte sich der Einmündung zugleich ein Pkw, der vor dem geradeaus weiterfahrenden Kläger zu 2 nach links in die Naundorfer Straße einbog. Beide Fahrzeuge stießen im Einmündungsbereich zusammen. Die Naundorfer Straße war vor der Einmündung mit dem Zeichen 306 (Vorfahrtstraße) ausgeschildert, während auf der Moritzstraße vorfahrtregelnde Verkehrszeichen fehlten.

Mit der Klage nehmen die Kläger die Stadt F. und den Landkreis E., der die Aufstellung des Verkehrszeichens angeordnet hatte, aus dem Gesichtspunkt der Amtspflichtverletzung gesamtschuldnerisch auf Schadensersatz in Anspruch. Das Landgericht hat durch Teilurteil die Klage gegen die erstbeklagte Gemeinde abgewiesen, das Berufungsgericht hat sie insoweit - vorbehaltlich eines Mitverschuldens der Kläger - dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt und die Sache zur Entscheidung über die Höhe der Ansprüche an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die - zugelassene - Revision der Beklagten zu 1.

Entscheidungsgründe

Die Revision bleibt ohne Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat der Beklagten zu 1 (künftig: die Beklagte) als Amtspflichtverletzung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) angelastet, daß sie auf die durch die einseitige Vorfahrtbeschilderung geschaffene unklare und gefährliche Situation nicht reagiert habe. Zwar sei die Verkehrsregelung Aufgabe des zweitbeklagten Landkreises; die Straßenbaubehörden hätten grundsätzlich nur die Verpflichtung, dessen Anordnungen hinsichtlich der Beschilderung öffentlicher Straßen durchzuführen. Eine allgemeine Verpflichtung, diese auf ihre Richtigkeit und Zweckmäßigkeit zu überprüfen, bestehe nicht. Das gelte jedoch nicht uneingeschränkt. Die Beklagte hätte bei der Aufstellung des Verkehrszeichens erkennen können und müssen, daß eine widersprüchliche Vorfahrtregelung entstand. Aufgrund ihrer Verkehrssicherungspflicht sei sie deswegen verpflichtet gewesen, den Landkreis hierauf hinzuweisen. Diese Amtspflicht habe auch gegenüber dem Kläger zu 2 bestanden, selbst wenn dieser die Naundorfer Straße, wie die Beklagte behauptet hatte, entgegen einem Durchfahrtverbot nach Zeichen 260 und damit unbefugt benutzt hätte.

II.

Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung stand.

1. Mit Recht hat das Berufungsgericht die Beschilderung des Einmündungsbereichs Naundorfer Straße/Moritzstraße als widersprüchlich und daher amtspflichtwidrig angesehen. Da an der untergeordneten Moritzstraße eine auf das Zeichen 306 abgestimmte negative Beschilderung mit dem Gebot, dem Verkehr auf der Naundorfer Straße Vorfahrt zu gewähren (Zeichen 205 oder 206), fehlte, durften aus der Moritzstraße kommende Verkehrsteilnehmer aufgrund der allgemeinen Vorfahrtregelung in § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO (rechts vor links) ebenfalls annehmen, an der Einmündung vorfahrtberechtigt zu sein. Verkehrszeichen dürfen indessen nicht dazu beitragen, solche neuen Gefahren erst zu schaffen (Senatsurteil vom 1. Juli 1976 - III ZR 52/74 - LM § 823 [Dc] BGB Nr. 107).

2. Über die Anbringung von Verkehrszeichen entscheiden allerdings gemäß §§ 44 Abs. 1, 45 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 StVO die Straßenverkehrsbehörden; Sache der Straßenbaubehörden ist es im allgemeinen lediglich, diese Verkehrszeichen zu beschaffen, aufzustellen und zu unterhalten (§ 45 Abs. 3 Satz 2 StVO). Die Verantwortung für das Anbringen vorschriftsmäßiger Verkehrszeichen trägt deshalb grundsätzlich nicht der Verkehrssicherungspflichtige, sondern allein die Straßenverkehrsbehörde (RGZ 162, 273, 277 f; Senatsurteil vom 3. Juli 1952 - III ZR 120/51 - NJW 1952, 1214), hier also der zweitbeklagte Landkreis, jedoch nicht die beklagte Stadt.

3. Der Senat ist in dem genannten Urteil vom 3. Juli 1952 (aaO) auch Bestrebungen entgegengetreten, diese scharfe Trennung der Verantwortungsbereiche dadurch zu verwischen, daß dem Träger der Straßenbaulast eine allgemeine Pflicht zur Anregung notwendiger Verkehrszeichen bei der Straßenverkehrsbehörde auferlegt wird (ebenso OLG Hamburg VersR 1954, 20, 21; OLG Düsseldorf VersR 1990, 423 f.; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 35. Aufl., § 45 StVO Rn. 42; anders wohl OLG München NVwZ 1993, 505, 506; zustimmend Jagusch/Hentschel, § 45 StVO Rn. 51; K. Bauer in Kodal/Krämer, Straßenrecht, 6. Aufl., Kap. 42 Rn. 19.2). An diesem Grundsatz ist festzuhalten. Er muß auch für Fallgestaltungen wie die vorliegende gelten, in denen die Gefahr nicht aus der in den Verantwortungsbereich des Straßenbaulastpflichtigen fallenden Straßenführung, sondern erst aus verkehrsregelnden Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde entsteht. Solche Anordnungen der zuständigen Behörde muß der Verkehrssicherungspflichtige in aller Regel weder auf ihre Richtigkeit noch auf ihre Zweckmäßigkeit nachprüfen (Greger, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 3. Aufl., § 16 StVG Rn. 450; K. Bauer aaO Kap. 42 Rn. 19).

4. Diese Maßstäbe schließen es nicht aus, daß im Einzelfall der Träger der Straßenbaulast dennoch verpflichtet sein kann, bei der Verkehrsbehörde auf eine Änderung der Verkehrsregelung hinzuwirken. So liegt es hier. Der Beamte darf nicht "sehenden Auges" zulassen, daß der Bürger einen ohne weiteres vermeidbaren Schaden erleidet. Das ist in der Rechtsprechung des Senats als allgemeiner Grundsatz für kurze Hinweise oder Belehrungen gegenüber einem aufklärungsbedürftigen Bürger anerkannt (vgl. aus neuerer Zeit Senatsurteile vom 17. Juni 1999 - III ZR 248/98 - NJW-RR 1999, 1521, 1523 und vom 29. Juli 1999 - III ZR 234/97 - NJW 2000, 427, 432, für BGHZ 142, 259 vorgesehen; jeweils m.w.N.). Ebensowenig dürfen mit der Wahrung der Straßenverkehrssicherungspflicht betraute Amtsträger die Augen vor einer nicht in ihre Zuständigkeit fallenden Gefahrenquelle im Straßenbereich verschließen, wenn sie die Gefahr erkennen oder zumindest die Verkehrsgefährdung so offensichtlich ist, daß sich ihnen die Notwendigkeit alsbaldiger Abwehrmaßnahmen geradezu aufdrängen muß. Das bedeutet nicht, daß dem Träger der Straßenbaulast insoweit Pflichten aus dem Bereich der Verkehrsregelung, die allein Aufgabe der Straßenverkehrsbehörde ist, auferlegt werden; vielmehr folgt seine Verpflichtung, auf die Beseitigung der Gefahr hinzuwirken, an der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Eine in dieser Weise ganz offensichtliche Gefahrenquelle hat das Berufungsgericht hier sinngemäß festgestellt; sie liegt bei einer nur einseitigen Vorfahrtsregelung an Kreuzungen oder Einmündungen auch auf der Hand. Die Beklagte hätte deshalb die Anordnung der Straßenverkehrsbehörde zur isolierten Aufstellung des Zeichens 306 auf der Naundorfer Straße im Jahre 1994 schon nicht ohne Anmeldung von Bedenken ausführen dürfen, zumindest aber unverzüglich auf die Gefahrenlage hinweisen müssen. Bei richtiger Sachbehandlung durch die Straßenverkehrsbehörde, von der auszugehen ist, wäre es dann nicht zu dem Unfall vom 6. April 1996 gekommen.

5. Die Kläger fielen, wie das Berufungsgericht ebenfalls zutreffend ausgeführt hat und auch die Revision nicht in Frage stellt, selbst dann in den Schutzbereich dieser in Brandenburg öffentlich-rechtlich ausgestalteten Verkehrssicherungspflicht (vgl. § 10 Abs. 1 des Brandenburgischen Straßengesetzes), wenn die Naundorfer Straße mit dem Zeichen 260 für den Durchgangsverkehr gesperrt gewesen wäre und der Kläger zu 2 sie deswegen unbefugt benutzt hätte (vgl. Senatsurteil vom 26. Mai 1966 - III ZR 59/64 - NJW 1966, 1456 f.). Auch auf etwaige, vom Berufungsgericht nicht geprüfte Schadensersatzansprüche gegen den Unfallgegner als anderweitige Ersatzmöglichkeit (§ 839 Abs. 1 Satz 2 BGB) müssen sich die Kläger bei der Verletzung einer als hoheitliche Aufgabe wahrzunehmenden Straßenverkehrssicherungspflicht nicht verweisen lassen (s. Senatsurteile BGHZ 75, 134, 136 ff.; 123, 102, 104 f.), so daß offenbleiben kann, inwieweit solche Ersatzforderungen in der hier gegebenen Lage überhaupt bestehen können.

Ende der Entscheidung

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