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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 04.04.2002
Aktenzeichen: III ZR 70/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 839 Fe
Zu den Amtspflichten einer Gemeinde, bei der Erschließung eines Baugebiets vorläufige Sicherungsmaßnahmen gegen die Überschwemmung angrenzender Grundstücke durch Niederschlagswasser zu treffen.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

III ZR 70/01

Verkündet am: 4. April 2002

in dem Rechtsstreit

Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 4. April 2002 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Rinne und die Richter Streck, Schlick, Dr. Kapsa und Dörr

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 31. Januar 2001 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger sind Eigentümer eines mit einem Einfamilienhaus bebauten Hanggrundstücks in M. (V.). Das oberhalb liegende Gelände wurde bis zum Jahre 1992 landwirtschaftlich genutzt. Zwischen den Grundstücken der Kläger und ihrer seitlichen Nachbarn einerseits sowie den bergseits angrenzenden, damals im Eigentum der beklagten Gemeinde stehenden Parzellen andererseits befanden sich ursprünglich ein Erdwall und ein kleiner Graben, die Niederschlagswasser von den Unterliegern abhalten sollten.

1992 beschloß die Beklagte die Aufstellung eines Bebauungsplans, der die höher gelegenen Felder als Baugebiet auswies. Im Zuge der Bebauung ließ die Beklagte Erdwall und Graben beseitigen.

In den Nacht- und Morgenstunden des 23. August 1994 kam es in M. zu heftigen Niederschlägen, wie sie nur alle fünf, wenn nicht alle 50 Jahre einmal auftreten. Die abfließenden Wassermassen ergossen sich auf das Grundstück der Kläger und überschwemmten den Keller des Wohnhauses. Ihren auf 97.752,85 DM bezifferten Schaden machen die Kläger vorliegend geltend.

Landgericht und Oberlandesgericht haben, sachverständig beraten, die Klage abgewiesen. Mit der Revision verfolgen die Kläger ihre Schadensersatzforderung weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht verneint Amtshaftungsansprüche gegen die Beklagte wegen einer fehlerhaften Überplanung des Baugebiets, weil die Kläger insoweit - anders als in den sogenannten Altlastenfällen - jedenfalls nicht geschützte "Dritte" im Sinne des § 839 BGB seien. Auch Pflichtverletzungen bei der Sammlung und Beseitigung der Abwässer im Gemeindegebiet schieden aus, wobei dahingestellt bleiben könne, ob im Schadenszeitpunkt die Beseitigung des Abwassers nicht dem Zweckverband Wasser-Abwasser V. übertragen gewesen sei. Bei dem abfließenden Niederschlagswasser habe es sich nämlich nicht um Abwasser im Sinne des § 62 Abs. 1 des Sächsischen Wassergesetzes (SächsWG) gehandelt. Ebensowenig stehe den Klägern ein Schadensersatzanspruch unter den Gesichtspunkten des Hochwasserschutzes oder der Verkehrssicherung zu. Entwässerungssysteme, die derart große Niederschlagsmengen wie die hier angefallenen abführen könnten, brauche die Gemeinde grundsätzlich nicht zu schaffen. Die Kläger könnten sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, daß der bisherige Graben mit dem Erdwall ausreichend gewesen sei, um vor dem Hochwasser zu schützen, und daß deswegen die Beklagte verpflichtet gewesen sei, diese Einrichtungen vor Errichtung einer funktionsfähigen Kanalisation aufrechtzuerhalten. Denn aufgrund des vom Landgericht eingeholten Gutachtens des Sachverständigen Sch. stehe fest, daß selbst die Aufrechterhaltung des Wassergrabens und des Erdwalls die Überschwemmung vom 23. August 1994 nicht verhindert hätte. Die Berechnungen des Sachverständigen beruhten zwar - entgegen dem Berufungsvorbringen der Kläger - auf der Annahme, der Graben habe keine seitlichen Abflüsse gehabt. Der hiervon abweichende Parteivortrag sei jedoch im Berufungsverfahren neu und könne darum wegen Verspätung nicht mehr zugelassen werden. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 93 Abs. 3 SächsWG sei ebenfalls nicht begründet. Danach dürfe der natürliche Ablauf wild abfließenden Wassers nicht zum Nachteil eines tiefer liegenden Grundstücks verstärkt oder verändert werden. Gegen dieses Verbot habe jedoch die Beseitigung des Erdwalls nicht verstoßen, da die Beklagte nicht verpflichtet gewesen sei, künstliche Abflußhindernisse dieser Art zu errichten. Allerdings könne eine Verstärkung des Wasserablaufs dadurch erfolgen, daß wie im vorliegenden Fall Mutterboden abgetragen werde, der einen Teil des Niederschlagswassers binde, und Flächen versiegelt würden. Insoweit scheitere ein Ersatzanspruch der Kläger indes erneut daran, daß sie die Kausalität dieser Maßnahmen für die Überschwemmung nicht nachgewiesen hätten. Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff seien durch das in Sachsen damals noch geltende Staatshaftungsgesetz ausgeschlossen. Außerdem fehle es bereits an einer Darlegung oder an sonstigen Anhaltspunkten dafür, daß die Beklagte bei Durchführung der Bauarbeiten hoheitlich tätig geworden sei.

II.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.

1. Der Beklagten oblag gemäß § 123 BauGB nach Maßgabe der Vorschriften des Landesrechts die Erschließung des Baugebiets, insbesondere die Herstellung der Erschließungsanlagen wie der öffentlichen Straßen und der Einrichtungen zur Sammlung und Beseitigung des Abwassers; eine Verpflichtung zum Hochwasserschutz schied hingegen mangels Vorhandenseins eines Gewässers aus. Für Fehler bei der Planung oder der Errichtung derartiger Anlagen hat die Gemeinde nach Amtshaftungsgrundsätzen (§ 839 BGB, Art. 34 GG) einzustehen (vgl. für den Straßenbau Senatsurteile vom 13. Mai 1982 - III ZR 180/80 - VersR 1982, 772, 773 = NVwZ 1982, 700, 701 und vom 13. Juni 1996 - III ZR 40/95 - NJW 1996, 3208, 3209; für Entwässerungsanlagen Senatsurteil BGHZ 140, 380, 384).

2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war zum Schadenszeitpunkt die Straßen- und Grundstücksentwässerung im Erschließungsgebiet noch nicht vorhanden oder jedenfalls nicht funktionstüchtig. Derartige Unvollständigkeiten ergeben sich freilich aus der Natur der Sache und lassen sich der Beklagten darum grundsätzlich nicht zum Vorwurf machen. Das gilt unabhängig davon, inwieweit der im Neubaugelände aufkommende Niederschlag als Abwasser im Sinne der §§ 18 a WHG, 62 SächsWG anzusehen war, was das Berufungsgericht insgesamt (aber jedenfalls für die aus technischen Gründen notwendig schon vorhandenen Erschließungsstraßen unzutreffend; vgl. Czychowski, WHG, 7. Aufl., § 7 a Rn. 5) verneint. Es kann sich somit nur darum handeln, ob für das unmittelbar an das Baugebiet angrenzende Grundstück der Kläger vorläufige Sicherungsmaßnahmen gegen Überschwemmungen geboten waren (s. auch Senatsurteil vom 13. Mai 1982 aaO), wobei es sich aufgedrängt hätte, die schon existierenden Schutzvorkehrungen in Gestalt von Damm und Graben vor einem Anschluß der höher gelegenen Flächen an die Kanalisation der Beklagten nicht zu beseitigen.

Das Berufungsgericht nimmt zu diesem Fragenkreis nicht ausdrücklich Stellung, unterstellt allerdings im Zusammenhang mit dem "Hochwasserschutz" eine entsprechende Verpflichtung der Beklagten. Die Frage ist aus einem doppelten Grund zu bejahen: Zum einen war wegen der steilen Hanglage das Hausgrundstück der Kläger ohnehin bei stärkeren Niederschlägen von Überflutungen bedroht. Zum anderen hatte die Beklagte - und dies vor allem begründet ihre besondere, nicht an den Grenzen des Erschließungsgebiets endende Verantwortung - durch ihre Erschließungsmaßnahmen diese Gefahr deutlich vergrößert. Mit der Abtragung von Mutterboden, der einen Teil des Niederschlagswassers gebunden hätte, und der Versiegelung weiterer Flächen hatte die Gemeinde, wie das Berufungsgericht mit Blick auf § 93 Abs. 3 SächsWG bindend feststellt, den natürlichen Ablauf des wild abfließenden Wassers verstärkt. Nach der Rechtsprechung des Senats besteht aber eine allgemeine Amtspflicht der Gemeinde - auch gegenüber den betroffenen Grundstückseigentümern -, die Wohngrundstücke eines Baugebiets im Rahmen des Zumutbaren (auch) vor den Gefahren zu schützen, die durch Überschwemmungen auftreten können (BGHZ 140, 380, 388). Das gilt entsprechend für daran angrenzende Bereiche. Unzumutbarkeit für die Beklagte, insbesondere zwingende tatsächliche oder rechtliche Gründe für eine Beseitigung der das Grundstück der Kläger schützenden Einrichtungen, hat sie nicht geltend gemacht, vielmehr in erster Instanz sogar behauptet, vor dem Schadensereignis wieder einen Erdwall in zumindest der ursprünglichen Höhe aufgeschüttet zu haben, nachdem es bereits zwei Monate zuvor zu einer Überflutung dieser Parzelle gekommen war.

3. Das Berufungsgericht hat im Anschluß an die Berechnungen des Sachverständigen Sch. gemeint, jedenfalls sei die Kausalität jener Maßnahmen der Beklagten für den von den Klägern geltend gemachten Schaden nicht nachgewiesen. Diese Feststellungen sind freilich, wie die Revision mit Recht rügt, verfahrensfehlerhaft getroffen. Dabei kann offenbleiben, ob das Berufungsgericht das den Rechengrundlagen des Sachverständigen widersprechende Berufungsvorbringen der Kläger, das von dem Graben aufgenommene Niederschlagswasser habe links und rechts wieder abfließen können, zu Recht als verspätet zurückgewiesen hat. Selbst wenn man trotz Bedenken mit dem Oberlandesgericht von den im Sachverständigengutachten berechneten Wassermengen ausgeht, durfte das Berufungsgericht nicht ohne weitere Sachaufklärung annehmen, die Schäden wären in gleichem Umfang auch bei noch vorhandenem Wall und Graben entstanden. Der Sachverständige Sch. ist unter der Voraussetzung eines geringsten anzunehmenden Niederschlags von 476 m³ im Einzugsbereich und eines maximalen Retentionsvolumens durch Damm und Graben von 411 m³ zu dem Ergebnis gelangt, daß das Grundstück der Kläger (Anrainerlänge 20 m bei einer Gesamtlänge des Grabens von 75 m) auch bei den für die Kläger günstigsten Werten noch mit Wassermassen von 17 m³ überflutet worden wäre. Diese hypothetische Menge beläuft sich indes auf weniger als ein Siebtel des hiernach tatsächlich auf das Grundstück geflossenen Niederschlags von 127 m³. Angesichts dieses Mißverhältnisses liegt es nahe - läßt sich zumindest nicht ausschließen -, daß der Schaden bei Existenz von Wall und Graben trotz des ungewöhnlichen Starkregens jedenfalls erheblich geringer ausgefallen wäre, zumal nach dem Klagevortrag das Wasser im Keller des Wohnhauses lediglich 20 cm hoch gestanden hat.

III.

Hiernach ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit es die noch erforderlichen Feststellungen treffen kann.

Ende der Entscheidung

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