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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 19.05.2004
Aktenzeichen: IV ZR 114/03
Rechtsgebiete: GG, Umstellungsgesetz, LRVG, Einigungsvertrag, VVG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1 Bc
GG Art. 20 Abs. 1 (Sozialstaat)
Umstellungsgesetz vom 27.06.1948 § 24
LRVG i.d.F. vom 03.07.1964 § 1
LRVG i.d.F. vom 03.07.1964 § 2
LRVG i.d.F. vom 03.07.1964 § 3
LRVG i.d.F. vom 03.07.1964 § 10
LRVG i.d.F. vom 03.07.1964 § 15
Einigungsvertrag Anl. I Kap. III Sachgebiet D Abschnitt II
VVG § 159
Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, daß der Gesetzgeber im Einigungsvertrag das Geltendmachen von Lebens- und Rentenversicherungsansprüchen aus der Zeit vor der Währungsreform bis zu einer Abschlußgesetzgebung über Kriegsfolgen und Umstellungsansprüche ausgeschlossen hat.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 114/03

Verkündet am: 19. Mai 2004

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter Seiffert, Dr. Schlichting, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 2004

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts Jena vom 26. März 2003 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger fordern von der Beklagten die Versicherungssumme einer Handwerkerlebensversicherung, die ihr Vater im Jahre 1939 abgeschlossen hatte. Im Fall des Todes des Versicherungsnehmers sollten seine Ehefrau und seine Kinder begünstigt sein. Der Vater der Kläger starb am 1. Februar 1945. Seine Ehefrau, die Mutter der Kläger, starb am 13. Februar 1990; sie wurde von den Klägern allein beerbt.

Der Versicherungsanspruch wurde wegen des Wohnsitzes der Kläger und ihrer Mutter in der Deutschen Demokratischen Republik (im folgenden: DDR), der ursprünglichen sowjetischen Besatzungszone (im folgenden: SBZ), lange Zeit nicht geltend gemacht. Erst 1987 erlangte der Kläger zu 2) eine Reiseerlaubnis in den Westen und legte der Beklagten die den Anspruch begründenden Unterlagen vor. Diese verweigerte die Auszahlung unter Hinweis auf das Gesetz zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen vom 5. August 1955 (BGBl. I S. 474 ff.) in der Fassung vom 3. Juli 1964 (BGBl. I S. 433 ff.; im folgenden: LRVG). Nach dessen § 1 können Versicherungsunternehmen wegen ihrer Verbindlichkeiten aus Lebens- und Rentenversicherungen, die in Reichsmark zu erfüllen gewesen wären, nur nach Maßgabe des LRVG in Anspruch genommen werden. Danach konnten Ansprüche geltend gemacht werden, wenn der Versicherungsnehmer oder sonst aus der Versicherung Berechtigte den Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes oder in einem Staat hatte, der die Regierung der Bundesrepublik Deutschland (im folgenden: BRD) anerkannte (§§ 2 und 3 LRVG).

Das Landgericht hat die im Oktober 2000 erhobene Klage als derzeit unbegründet abgewiesen im Hinblick auf die Bestimmung des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 in Anlage I Kapitel III Sachgebiet D Abschnitt II (BGBl. II S. 889, 959). Die Vorschrift lautet:

Bundesrecht wird wie folgt geändert und ergänzt:

Gesetz zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Juli 1964 (BGBl. I S. 433, 806)

mit folgender Maßgabe:

Versicherungsunternehmen können nach diesem Gesetz wegen ihrer Verbindlichkeiten aus Lebens- und Rentenversicherungen, die nach den vor Inkrafttreten des Währungsgesetzes in Geltung gewesenen Vorschriften in Reichsmark zu erfüllen gewesen wären, bis zu einer besonderen oder allgemeinen Abschlußgesetzgebung über die Regelung von Kriegsfolgen und Umstellungsansprüchen nicht in Anspruch genommen werden.

Die Berufung der Kläger wurde zurückgewiesen. Sie verfolgen ihren Anspruch mit der Revision weiter.

Entscheidungsgründe:

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Die Klage ist mit Recht abgewiesen worden.

I. Das Berufungsgericht geht davon aus, daß die Kläger zwar noch nicht mit Abschluß des Grundlagenvertrages zwischen der DDR und der BRD vom 21. Dezember 1972, jedenfalls aber mit Inkrafttreten des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 einen Wohnsitz im Geltungsbereich des LRVG haben und damit den Anspruch an sich geltend machen könnten. Er sei jedoch aufgrund der zitierten Bestimmung in Anl. I zum Einigungsvertrag nicht durchsetzbar, weil eine Abschlußgesetzgebung über Kriegsfolgen und Umstellungsansprüche bisher fehle. Hierzu hat das Landgericht ausgeführt, das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz vom 21. Dezember 1992 (BGBl. I S. 2094) habe diese Aufgabe nur für einen bestimmten Teilbereich gelöst.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts handelt es sich bei den Bestimmungen des LRVG nicht etwa um Maßnahmen zur Erfüllung bestehender Verbindlichkeiten. Wie das Landgericht im einzelnen dargestellt habe, seien vielmehr die strikten Regelungen des Währungsumstellungsrechts, wonach Verbindlichkeiten von Versicherungsunternehmen gegenüber Personen außerhalb des Währungsgebietes der DM-West erloschen waren, durch das LRVG im Interesse der sozialen Eingliederung von Vertriebenen gemildert worden. Im Gegenzug seien den Versicherungsunternehmen Ausgleichsforderungen gegen die öffentliche Hand eingeräumt worden. Die Regelung des LRVG sei mithin dem Bereich der sozialen Sicherung und der Teilhabe an staatlichen Leistungen zuzuordnen. In diesem Bereich stehe dem Gesetzgeber ein weites Ermessen zu. Insbesondere seien solche Teilhaberechte auf das unter Berücksichtigung anderer Gemeinschaftsbelange finanziell Mögliche beschränkt. Mit Rücksicht darauf lasse sich nicht feststellen, daß der Gesetzgeber, weil er die im Einigungsvertrag vorbehaltene Abschlußgesetzgebung zu Kriegsfolgen und Umstellungsansprüchen immer noch nicht verwirklicht habe, dadurch gegen das Grundgesetz, insbesondere gegen Art. 3 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip, verstoße.

II. Dem stimmt der Senat zu. Die Revision macht einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 GG, jedenfalls aber gegen Art. 3 Abs. 1 sowie gegen das Sozialstaatsgebot geltend; diese Rügen greifen nicht durch.

1. Der Anspruch der Kläger aus dem mit der Beklagten bestehenden Versicherungsvertrag aus § 1 Abs. 1 Satz 2 VVG beruht zwar auf einem vermögenswerten Recht im Sinne des Art. 14 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 45, 142, 179; 68, 193, 222). Dieses Recht ist aber nicht unter den Schutz des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 und insbesondere seines Art. 14 Abs. 1 GG gelangt.

a) Der Anspruch ist mit dem Tod des Vaters der Kläger am 1. Februar 1945 entstanden. Er ist aufgrund der vorkonstitutionellen Gesetzgebung im Zusammenhang mit der Währungsreform 1948 erloschen.

aa) In der sowjetischen Besatzungszone, in der die Kläger und ihre Mutter seinerzeit lebten, erließ die Sowjetische Militär-Administration in Deutschland am 14. August 1946 den Befehl Nr. 247 (Regierungsblatt für das Land Thüringen III S. 82). Nach dessen Wortlaut wurde Personen, die durch den deutschen Staatsbankrott ihre in Lebensversicherungen angelegten Ersparnisse verloren hatten, wenn sie in der SBZ wohnten und die Versicherungsgesellschaft (wie hier die Beklagte) von der Besatzungsmacht in ihrem Herrschaftsbereich geschlossen worden war, die Möglichkeit gegeben, eine neue Versicherung bei den Versicherungsgesellschaften der Provinzen und der Länder unter Bewahrung ihrer alten Anrechte abzuschließen. Im Hinblick auf den Verlust des Deckungskapitals wurde zugleich geregelt, in welchem Umfang und zu welchem Zeitpunkt die Versicherungsgesellschaften in Provinzen und Ländern Versicherungssummen auszahlen konnten. Die Kläger meldeten ihren Versicherungsanspruch dort nicht an. Auf andere Weise konnte der Anspruch in der sowjetisch besetzten Zone nicht geltend gemacht werden, sondern allenfalls in den westlichen Besatzungszonen, in denen die Beklagte weiterbestand.

In den Ländern Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und Hansestadt Hamburg trat am 27. Juni 1948 das Umstellungsgesetz in Kraft (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 149). Nach dessen § 24 Abs. 1 wurden die aus Versicherungsverträgen entstandenen Verbindlichkeiten im Verhältnis von einer Deutschen Mark für je zehn Reichsmark umgestellt. Zugleich wurden die Länder in § 24 Abs. 2 verpflichtet, den Versicherungsunternehmen das notwendige Kapital für die fortbestehenden Verbindlichkeiten zur Verfügung zu stellen. § 24 Abs. 6 ordnete das Erlöschen von Verbindlichkeiten eines im Währungsgebiet ansässigen Versicherungsunternehmens an, die aufgrund eines außerhalb dieses Gebietes ergangenen Gesetzes einem anderen Unternehmen übertragen worden waren. In einer Verordnung des Zonenamts des Reichsaufsichtsamts für das Versicherungswesen vom 5. Juli 1948 (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 249) wurde in § 9 bestimmt, daß im Sinne des § 24 Abs. 6 des Umstellungsgesetzes alle Verbindlichkeiten der im Währungsgebiet zugelassenen Versicherungsunternehmen als erloschen gelten, wenn den Unternehmen der Weiterbetrieb des Versicherungsgeschäfts in einem Gebiet von Deutschland nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 außerhalb des Währungsgebietes untersagt oder unmöglich gemacht worden war und die Verbindlichkeiten für dieses Gebiet als ausstehend anzusehen waren. In einer zweiten Verordnung des Zonenamtes des Reichsaufsichtsamtes für das Versicherungswesen vom 27. Juli 1948 (Verordnungsblatt für die Britische Zone 1948 S. 257) wurde in § 2 Abs. 1 angeordnet, daß alle Verbindlichkeiten aus einem Versicherungsverhältnis als erloschen gelten, wenn der Versicherungsfall bis zum 20. Juni 1948 eingetreten war und der Versicherungsnehmer bei Eintritt des Versicherungsfalles seinen Wohnsitz in einem Gebiet von Deutschland nach dem Stande vom 31. Dezember 1937 außerhalb des Währungsgebietes hatte.

bb) Zweifel an der Ermächtigungsgrundlage und Rechtswirksamkeit der in den beiden Verordnungen des Zonenamtes getroffenen Regelungen hat der Bundesgerichtshof durch Urteil vom 13. Mai 1953 (II ZR 197/52 - VersR 1953, 249 f.) zurückgewiesen und ausgeführt, das Problem der Ostversicherungen sei durch die knappe Vorschrift des § 24 Abs. 6 des Umstellungsgesetzes noch nicht erschöpfend geregelt worden; diese Vorschrift sei aber nach ihrem Sinn und Zweck ergänzend in dem Sinne auszulegen, wie es die Versicherungsaufsichtsbehörde getan habe. Der innere Grund der Regelung liege darin, daß die Versicherer wegen der großen Vermögensverluste, die sie durch die Kriegs- und Nachkriegsereignisse insbesondere in Mittel- und Ostdeutschland erlitten hatten, sowie auf Grund der Neuordnung des Geldwesens nicht mehr die erforderlichen Vermögenswerte zur Deckung ihrer Verpflichtungen aus den Versicherungsverhältnissen gehabt hätten. Ihnen hätten daher gemäß § 24 Abs. 2 Umstellungsgesetz Ausgleichsforderungen gegen die Länder aus dem öffentlichen Steuereinkommen des Währungsgebietes zugeteilt werden müssen. Dies habe jedoch angesichts der beschränkten Steuerkraft dieses Gebiets nicht auch für solche Versicherungen geschehen können, die wegen des Wohnsitzes der Berechtigten am Währungsstichtag in keiner Beziehung zum Währungsgebiet standen; solche Versicherungen hätten daher mit Wirkung vom 21. Juni 1948 an als erloschen erklärt werden müssen.

Dem Ausgangspunkt dieser Rechtsprechung, nämlich dem durch Krieg und Nachkriegsverhältnisse verursachten Verlust der Deckungswerte, die zur Erfüllung von vor der Währungsreform entstandenen Ansprüchen durch die Versicherer angesammelt worden waren, halten die Kläger hier zwar die pauschale Behauptung entgegen, die Versicherer hätten Rücklagen in der Schweiz gebildet, auf die sie hätten zurückgreifen können. Davon ist der Gesetzgeber, auf dessen Auffassung es für die Auslegung des Umstellungsgesetzes ankommt, jedoch nicht ausgegangen. Er hat den Versicherungsunternehmen vielmehr Ausgleichsansprüche aus Steuermitteln für deren Aufwendungen zur Erfüllung der genannten Versicherungsansprüche eingeräumt (§ 24 Abs. 2 Umstellungsgesetz; so auch später § 10 Abs. 2 LRVG). Entscheidend für die Auslegung der vorkonstitutionellen Norm des § 24 Umstellungsgesetz war danach, für welche Versicherungsansprüche die westlichen Länder mit Hilfe von Ausgleichsansprüchen zugunsten der Versicherungsunternehmen aufkommen wollten. Es liegt auf der Hand, daß dies für Versicherungsansprüche von Deutschen mit Wohnsitz in der SBZ nicht vorgesehen und im Hinblick auf die dortige rechtliche und politische Entwicklung ebenso wenig beabsichtigt war wie später auf der Grundlage des LRVG (vgl. BT-Drucks. II/1142 S. 9). Das rechtfertigt die über den Wortlaut des § 24 Abs. 6 Umstellungsgesetz hinausgehende, auf Sinn und Zweck der Regelung gestützte Auslegung des Bundesgerichtshofs im Urteil vom 13. Mai 1953.

b) Daran hat das LRVG nichts geändert. Es hebt in § 15 zwar die beiden Verordnungen der Versicherungsaufsichtsbehörde vom 5. und 27. Juli 1948 mit Wirkung vom Tage ihres Inkrafttretens an auf. Das Erlöschen aller Versicherungsansprüche aus der Zeit vor der Währungsreform, wenn der Anspruchsberechtigte nicht im Währungsgebiet wohnte, ergibt sich auch nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Mai 1953 aber schon unmittelbar aus Sinn und Zweck des § 24 Umstellungsgesetz, hängt also nicht von der Wirksamkeit oder dem Fortbestehen der durch § 15 LRVG aufgehobenen Verordnungen ab. § 1 LRVG geht zwar von Verbindlichkeiten aus, die vor der Währungsreform in Reichsmark zu erfüllen gewesen wären und mit Inkrafttreten des LRVG gegenüber den Versicherungsunternehmen geltend gemacht werden könnten. Allerdings wurden solche Ansprüche nur für Personen eröffnet, die ihren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt im Geltungsbereich des Gesetzes oder in einem Staat hatten, dessen Regierung die Bundesrepublik Deutschland anerkannt hatte (vgl. §§ 2 und 3 LRVG). Damit sind der Sache nach Forderungen, die bereits aufgrund des Umstellungsgesetzes erloschen waren, wieder hergestellt worden. Soweit sich vom Wortlaut her ein Widerspruch zu den Verordnungen der Versicherungsaufsichtsbehörde vom 5. und 17. Juli 1948 ergab, wurde er durch die Aufhebung dieser Verordnungen in § 15 LRVG ausgeräumt. Das rechtfertigt indessen nicht den Schluß, die Verbindlichkeiten der Versicherungsunternehmen, von denen § 1 LRVG spricht, seien nicht durch das Umstellungsgesetz unwirksam geworden, sondern hätten über das Inkrafttreten des Grundgesetzes hinaus fortbestanden. Dafür kommt es vielmehr auf die Rechtslage an, wie sie sich aus dem Umstellungsgesetz bei sinnentsprechender Auslegung ergab. Daß der Gesetzgeber in § 1 LRVG von einem Fortbestehen dieser in Wahrheit erloschenen Verbindlichkeiten ausgeht, erklärt sich vielmehr aus dem Zweck, dem das LRVG diente.

Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung zwar auch der Kritik an der Auslegung des Umstellungsgesetzes durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Mai 1953 Rechnung tragen. Die Auswirkungen dieser Rechtsprechung auf Anspruchsberechtigte, die vor der Währungsreform im kommunistischen Machtbereich gewohnt hatten, inzwischen aber in die Bundesrepublik übergesiedelt waren, wurden als schwer erträglich empfunden (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen nebst Begründung, BT-Drucks. II/1142 S. 7). Das Aufgreifen dieser Kritik diente indessen allein dem eigentlichen Anliegen des LRVG, den Zustrom von Deutschen aus der DDR und den Ostgebieten, die erst nach der Währungsreform in die Bundesrepublik gekommen waren, hier erfolgreich einzugliedern. Deshalb sah sich die Bundesregierung zu einer Neuordnung der sich aus der Teilung Deutschlands ergebenden Probleme für die vor der Währungsreform abgeschlossenen Lebens- und Rentenversicherungen veranlaßt (vgl. den Entwurf eines Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen nebst Begründung, BT-Drucks. II/1142 S. 7 f.; Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes zur Regelung von Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherung mit Begründung, BT-Drucks. IV/1671 S. 5). Eine Geltendmachung von Versicherungsansprüchen durch Personen mit Wohnsitz in der DDR - wie die Kläger - blieb aber weiterhin ausgeschlossen. Dadurch sollten nach der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. II/1142 S. 9) insoweit Ansprüche zwar nicht endgültig versagt, wohl aber beschränkt werden. Dies wurde einerseits mit der Gefahr begründet, daß solchen Berechtigten eine Leistung des im Westen ansässigen Versicherungsunternehmens in Anbetracht der im Osten geltenden Gesetze möglicherweise vorenthalten werde. Andererseits sei es im Hinblick auf die Enteignung des Vermögens der privaten Versicherungsunternehmen in der SBZ nicht gerechtfertigt, die dortigen Behörden auch noch von den Verpflichtungen gegenüber den in ihrem Machtbereich ansässigen Berechtigten zu befreien, und das mit Hilfe von öffentlichen Mitteln der Bundesrepublik, mit denen die Leistungen der Versicherungsunternehmen finanziert wurden. Beide Argumente des Gesetzgebers weisen auf seine sozialstaatliche Orientierung hin.

c) Dagegen läßt sich die Regelung des LRVG nicht als Anerkennung von unter dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG stehender vermögenswerter Rechte sämtlicher Inhaber von Versicherungsansprüchen aus der Zeit vor der Währungsreform unabhängig von deren jeweiligem Wohnsitz verstehen. Der unter dem Grundgesetz handelnde Gesetzgeber des LRVG hatte weder den Verlust der Deckungswerte der Versicherer, die nach § 10 Abs. 2 LRVG aus öffentlichen Mitteln erstattet wurden, noch die vorkonstitutionelle Umstellungsgesetzgebung zu verantworten. Die Wiedergutmachung der vor Inkrafttreten des Grundgesetzes entstandenen Schäden läßt sich nicht, selbst wenn die Eigentumsgarantie berührt wäre, aus deren in Art. 79 Abs. 3 GG verbürgtem Kernbereich herleiten, sondern hat ihre Wurzeln ausschließlich im Rechts- und Sozialstaatsgedanken (BVerfGE 84, 90, 126 f.). Dem Eigentumsgrundrecht des Art. 14 GG sind keine Vorgaben für die Frage zu entnehmen, ob und in welchem Umfang die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, einen Ausgleich für Unrecht oder Vermögensschäden zu schaffen, die einer nicht an das Grundgesetz gebundenen früheren deutschen Staatsgewalt zuzurechnen sind (BVerfGE 102, 254, 297; 104, 74, 84). Soweit der Gesetzgeber das Ruhen von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die an sich den Schutz der Eigentumsgarantie genießen, für Deutsche angeordnet hatte, die nach reichsgesetzlichen Vorschriften versichert waren, sich aber außerhalb des Geltungsbereichs der Reichsversicherungsordnung aufhielten, konnte diese Regelung nicht an Art. 14 GG gemessen werden, weil sie der Bewältigung außergewöhnlicher Probleme diente, die ihren Ursprung in historischen Vorgängen aus der Zeit vor der Entstehung der Bundesrepublik hatten; insoweit hat das Grundgesetz den Ausgleich der politischen und wirtschaftlichen Lasten aus dem Krieg und dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches weitgehend der eigenverantwortlichen Gestaltung des Gesetzgebers überlassen (BVerfGE 53, 164, 175 f.). Die Aufgabe des Gesetzgebers, die Rechtsverhältnisse der Vertriebenen und Flüchtlinge denen der ständig im Bundesgebiet und Berlin (West) lebenden Bürger anzugleichen und sie in die Bundesrepublik einzugliedern, diente in hohem Maße der Verwirklichung des Sozialstaatsgebots (BVerfGE 43, 213, 226 f.; 53, 164, 179).

2. Die Regelung des LRVG hält auch einer Überprüfung an den Maßstäben des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG) sowie des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 2 GG) stand. Das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ist nicht verletzt, wenn sich der Gesetzgeber in Abwägung sozialer Prioritäten dafür entschieden hat, die Fürsorge für Deutsche in der DDR mit Rücksicht auf die dortigen Lebensverhältnisse zurückzustellen (BVerfGE 71, 66, 80). Die Gestaltungsfreiheit, die Art. 3 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber beläßt, ist besonders weit, wenn es sich um Regelungen handelt, die zur Beseitigung von Kriegsfolgelasten getroffen sind; er darf die Ausgleichsleistungen nach Maßgabe dessen bestimmen, was unter Berücksichtigung der übrigen Lasten und der finanziellen Bedürfnisse für bevorstehende Aufgaben möglich ist (BVerGE 71, 66, 76; 84, 90, 125; 95, 143, 155; 102, 254, 298 f.). Die unterschiedliche Behandlung im LRVG von versicherungsrechtlich Berechtigten, die wie die Kläger weiterhin in der DDR wohnten, gegenüber solchen, die ihren Wohnsitz in die BRD verlegt hatten, ist im Hinblick auf die Eingliederung der letzteren im Bundesgebiet verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

3. An den soeben dargestellten Grundsätzen zum Sozialstaatsprinzip und zu Art. 3 Abs. 1 GG ist auch die Bestimmung des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 in Anlage I Kapitel III Sachgebiet D Abschnitt II zu messen, durch die eine Inanspruchnahme der Versicherungsunternehmen bis zu einer Abschlußgesetzgebung über Kriegsfolgen und Umstellungsansprüche aufgeschoben worden ist.

Zur Rechtfertigung dieser Regelung und ihrer Fortgeltung hat die Beklagte ein Schreiben des Bundesministeriums der Justiz vom 19. Dezember 2000 (GA Anlage B 5) vorgelegt. Maßgebend sei danach der Gesichtspunkt gewesen, daß für Zahlungen wegen Ansprüchen aus Lebens- und Rentenversicherungen, die nach den vor der Währungsreform geltenden Vorschriften in Reichsmark zu erfüllen gewesen wären, wirtschaftlich nicht die in Anspruch genommenen Versicherungsunternehmen aufzukommen hätten; vielmehr stehe diesen Unternehmen eine entsprechende Ausgleichsforderung gegen den Bund zu. Aus Gründen des Vertrauensschutzes dürften die Versicherungsunternehmen weiterhin vom Gesetzgeber erwarten, daß Ansprüche aus Verträgen, deren Deckungswerte als Kriegsfolge untergegangen sind, nur unter gleichzeitiger Zubilligung einer Ausgleichsforderung gesetzlich eröffnet würden, zumal auch Verbindlichkeiten aus solchen Verträgen nach Trennung der Versicherungsbestände in Ost und West nicht mehr als Verbindlichkeiten der Versicherungsunternehmen in der Bundesrepublik zu berücksichtigen gewesen seien. Das Bundesministerium der Finanzen habe stets und auch in jüngster Zeit wieder die Auffassung vertreten, staatliche Leistungen zur Erfüllung der fraglichen Versicherungsverhältnisse wie auch zur Finanzierung einer darüber hinausgehenden Kriegsfolgenabschlußgesetzgebung des Bundes stünden nicht zur Verfügung. Im übrigen seien die Regelungen des LRVG nicht als Maßnahmen zur Erfüllung bestehender Verbindlichkeiten, sondern zur sozialen Eingliederung und Bewältigung von Kriegsfolgen zu sehen. Jeder Teil Deutschlands habe die Kriegsfolgen für sein Gebiet eigenständig zu regeln gehabt. Eine rückwirkende Gleichstellung und ein vollständiger Ausgleich der unterschiedlichen Entwicklungen in beiden Teilen Deutschlands sei nicht zu leisten.

Hinzu kommt nach Auffassung des Senats, daß der Gesetzgeber nach der Einigung Deutschlands wiederum vor der Aufgabe stand, Unterschiede in den Lebensverhältnissen der Deutschen in Ost und West, die letztlich auch Folgen des zweiten Weltkrieges und der Entwicklungen in der Nachkriegszeit waren, auszugleichen. Diese Aufgabe unterschied sich jedoch wesentlich von der Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in den fünfziger und sechziger Jahren. Damals hat der Gesetzgeber das Ziel einer Eingliederung im wesentlichen durch eine individuelle Unterstützung des einzelnen, aus dem Osten in den Westen gekommenen Deutschen zu erreichen gesucht. Seit 1990 geht es dagegen um eine allgemeine Entwicklung der Lebensverhältnisse in den neuen Bundesländern mit dem Ziel, sie den alten Ländern anzugleichen. Hierfür sind erhebliche Mittel aufgewandt worden, die in ihren Wirkungen auch den einzelnen Bürgern in den neuen Bundesländern zugute kommen.

Nach alledem erscheint die weitere Zurückstellung einer Erfüllung der von den Klägern geltend gemachten Ansprüche durch den Einigungsvertrag verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber ist nicht verpflichtet, Bürger, die im Beitrittsgebiet gelebt haben, nachträglich so zu stellen, als hätten sie unter dem Recht der Bundesrepublik Deutschland gelebt (BVerfGE 97, 89, 101; 100, 1, 40). Es muß dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben, zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang er unter Berücksichtigung seiner bisherigen, der Beseitigung von Kriegsfolgen dienenden Leistungen sowie der ihm für diesen Zweck etwa zur Verfügung stehenden Mittel die Erfüllung von Ansprüchen der hier geltend gemachten Art ermöglicht.



Ende der Entscheidung

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