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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.10.2001
Aktenzeichen: IV ZR 120/01
Rechtsgebiete: ZPO, VVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 3
ZPO § 6
VVG § 4 Abs. 1
BGB § 808
BGB § 808 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IV ZR 120/01

vom

10. Oktober 2001

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterin Ambrosius, den Richter Wendt und die Richterin Dr. Kessal-Wulf

am 10. Oktober 2001

beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Beklagten, den Wert ihrer Beschwer durch das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 29. März 2001 auf einen 60.000 DM übersteigenden Betrag festzusetzen, wird zurückgewiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren beträgt 50.000 DM.

Gründe:

I. Die Kläger verlangen von den Beklagten die Herausgabe eines Versicherungsscheins.

Sie sind die Erben ihres am 25. August 1999 tödlich verunglückten Vaters. Dieser hatte am 5. Juni 1986 bei der S.-Versicherung AG zur Versicherungsnummer 7.... eine Lebensversicherung über eine Versicherungssumme von 40.000 DM mit Unfallzusatzsumme von ebenfalls 40.000 DM abgeschlossen. Bezugsberechtigt für den Todesfall sollten seine Eltern, die Beklagten, sein und im Falle der Heirat sein" in gültiger Ehe lebender Ehegatte". Die am 23. Oktober 1987 geschlossene Ehe des Versicherungsnehmers wurde am 5. März 1998 geschieden. Nach Auffassung des Versicherers gehört die unter dem Datum vom 12. Januar 2000 mit insgesamt 94.971 DM abgerechnete Versicherungsleistung zum Nachlaß. Er macht gegenüber den Klägern die Auszahlung aber von der Vorlage des Originalversicherungsscheines abhängig, der sich im Besitz der Beklagten befindet. Die Beklagten verweigern die Herausgabe an die Kläger mit der Begründung, sie selbst könnten die Versicherungsleistung beanspruchen, da ihr ursprüngliches Bezugsrecht nach dem Scheitern der Ehe ihres Sohnes wiederaufgelebt sei.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und den Wert ihrer Beschwer gemäß § 3 ZPO auf 50.000 DM festgesetzt. Der Streit der Parteien gehe nur um das Recht zum Besitz an der Beweisurkunde für die Rechte aus dem Versicherungsvertrag. Gegenüber dem Wert des Rechts aus dem Versicherungsschein sei daher ein hälftiger Abschlag gerechtfertigt. Die Beklagten möchten mit der Revision ihr Ziel der Klagabweisung weiterverfolgen. Zu diesem Zwecke begehren sie die Festsetzung des Wertes ihrer Beschwer auf einen Betrag über 60.000 DM. Wirtschaftlich sei der Streit auf die Auszahlung der Versicherungsleistung von 94.971,10 DM gerichtet. Durch das Berufungsurteil drohe ihnen der Verlust des Betrages, so daß sie in dieser Höhe beschwert seien.

II. Der Antrag der Beklagten ist zulässig (§ 546 Abs. 2 Satz 2 ZPO). An den vom Berufungsgericht angenommenen Wert der Beschwer ist das Revisionsgericht im Bereich bis 60.000 DM nicht gebunden und daher nicht gehindert, diesen höher festzusetzen (BGH, Beschluß vom 15. Februar 2000 - X ZR 127/99 - NJW 2000, 1724 unter II 1). Indes ist die durch das Berufungsgericht erfolgte Wertfestsetzung in Höhe von 50.000 DM nicht zu beanstanden, so daß sich der Antrag als unbegründet erweist.

Das Berufungsgericht hat für die Wertfestsetzung zutreffend auf § 3 ZPO abgestellt. Die Vorschrift des § 6 ZPO kommt nicht in Betracht. Diese wird nur dann einschlägig, wenn der Besitz der Urkunde unmittelbar den Wert eines Rechts verkörpert, wie es insbesondere bei Inhaberpapieren der Fall ist (BGH, Beschluß vom 25. September 1991 - XII ZB 61/91 - FamRZ 1992, 169 unter 2; Beschluß vom 13. Juli 1993 - III ZB 26/93 - BGHR ZPO § 511a Wertberechnung 11 unter 2 a). Um ein solches handelt es sich hier nicht. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 seiner Allgemeinen Lebensversicherungsbedingungen kann der Versicherer den Inhaber des Versicherungsscheins als berechtigt ansehen, über die Rechte aus dem Versicherungsvertrag zu verfügen, insbesondere Leistungen in Empfang zu nehmen. Die damit vereinbarte Inhaberklausel macht den Versicherungsschein lediglich zu einem qualifizierten Legitimationspapier im Sinne der §§ 4 Abs. 1 VVG, 808 BGB (Senatsurteil vom 22. März 2000 - IV ZR 23/99 - VersR 2000, 709 unter II 1 c), nicht hingegen zu einem echten Inhaberpapier, das eine Wertbemessung nach den Grundsätzen des § 6 ZPO rechtfertigen könnte.

Maßgebend für die freiem Ermessen unterliegende Bewertung nach § 3 ZPO ist das Interesse der Beklagten, ihre Verurteilung zu beseitigen und die Versicherungspolice nicht herausgeben zu müssen (vgl. BGH, Beschluß vom 14. Oktober 1993 - IX ZR 104/93 - WM 1993, 2229). Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieses Interesse nicht mit dem wirtschaftlichen Wert der Versicherungsleistung in Höhe von 94.971,10 DM gleichzusetzen. Denn allein durch die Vorlage des Versicherungsscheins beim Versicherer können sie die Auszahlung der Versicherungssumme an sich nicht bewirken. Kennzeichnend für ein qualifiziertes Legitimationspapier ist gemäß § 808 Abs. 1 Satz 2 BGB, daß der Schuldner zwar an den Inhaber der Urkunde leisten darf, letzterer die Leistung jedoch nicht verlangen kann (Senatsurteil vom 22. März 2000 aaO). Die Leistungspflicht des Schuldners besteht nur gegenüber dem aus dem zugrunde liegenden Schuldverhältnis materiell-berechtigten Gläubiger der Forderung. Der Aussteller kann von demjenigen, der das Papier zur Einlösung vorlegt, den Nachweis dieser materiellen Berechtigung verlangen (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 ALB). Darin liegt der wesentliche Unterschied zum echten Inhaberpapier, bei dem der Aussteller zur Leistung an den Inhaber schlechthin verpflichtet sein soll, sofern er nicht seinerseits dessen mangelnde Berechtigung nachweist (Staudinger/Marburger [1997] § 808 BGB Rdn. 7, 21).

Durch sein Schreiben vom 4. April 2000 und das vorangegangene vom 28. Februar 2000 hat der Versicherer zu erkennen gegeben, daß nach seiner Auffassung die von ihm geschuldete Versicherungsleistung in den Nachlaß fällt und daher gegenüber den Klägern als Erben zu erbringen ist. Die materielle Berechtigung der Beklagten wird somit nicht anerkannt. Mit einem obsiegenden Urteil im vorliegenden Rechtsstreit vermögen sie den Nachweis ihrer materiellen Berechtigung nicht zu führen. Auch wenn für die rechtliche Beurteilung des Herausgabeanspruchs der Kläger die Bezugsberechtigung der Beklagten entscheidende Vorfrage ist, wird diese von der Rechtskraft der ohnehin nur im Verhältnis der Prozeßparteien wirkenden Entscheidung nicht erfaßt (vgl. BGHZ 123, 137, 140). Diese Umstände sind bei der Wertbemessung gemäß § 3 ZPO zu berücksichtigen, wobei die Beklagten gegen den vom Berufungsgericht vorgenommenen hälftigen Abschlag nichts erinnern.



Ende der Entscheidung

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