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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.11.2007
Aktenzeichen: IV ZR 129/05
Rechtsgebiete: ZPO, AVB, VVG


Vorschriften:

ZPO § 544 Abs. 7
AVB § 7 Abs. 3 Satz 5
VVG § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IV ZR 129/05

vom 21. November 2007

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter Seiffert, Dr. Schlichting, die Richterin Dr. Kessal-Wulf, die Richter Felsch und Dr. Franke

am 21. November 2007

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 28. April 2005 zugelassen.

Das vorbezeichnete Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: Bis 50.000 €

Gründe:

1. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt, weil es zu Unrecht den Antrag auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgelehnt hat zu ihrer Behauptung, die Vorerkrankungen, deren Verschweigen ihr angelastet werde, stünden in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem Eintritt des Versicherungsfalles. Dieser Verstoß führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung, weil nicht auszuschließen ist, dass das Urteil darauf beruht.

a) Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (BVerfG NJW 2005, 1487 m.w.N.). Von der Erhebung eines Beweises darf zwar abgesehen werden, wenn die unter Beweis gestellte Tatsache unerheblich ist. Dies setzt aber voraus, dass sie zugunsten des Beweisbelasteten als wahr unterstellt wird (BVerfG NJW 1993, 254, 255 und 1992, 1875, 1877). Dagegen darf ein Beweisangebot nicht deshalb abgelehnt werden, weil die Behauptung unwahrscheinlich erscheint, weil darin eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung liegt (BVerfG NJW-RR 2001, 1006, 1007). Setzt die Würdigung eines Sachverhalts spezielles Fachwissen voraus, hat der Richter nachvollziehbar darzulegen, dass er über solche eigene Sachkunde verfügt (BVerfG NJW 2003, 125, 127; BGH, Beschluss vom 16. Januar 2007 - VI ZR 166/06 - VersR 2007, 1008 unter II und Urteil vom 23. November 2006 - III ZR 65/06 - NJW-RR 2007, 357 Tz. 13, 14). In derartigen Fällen dürfen an den Vortrag einer Partei, die nur geringe Sachkunde hat, keine hohen Anforderungen gestellt werden, vielmehr darf sie sich auf den Vortrag von ihr zunächst nur vermuteter Tatsachen beschränken (BGH, Urteile vom 19. Februar 2003 - IV ZR 321/02 - VersR 2004, 83 unter II 1 a und vom 10. Januar 1995 - VI ZR 31/94 - VersR 1995, 433 unter II 1). Ist der Vortrag in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet, das geltend gemachte Recht zu begründen, ist er erheblich (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2000 - VI ZR 236/99 - NJW 2000, 3286 unter II 1).

b) aa) Der Vortrag der Klägerin, zwischen den verschwiegenen Vorerkrankungen, insbesondere der im Bericht des Epilepsiezentrums K. genannten psychischen Beschwerden und Störungen und der schweren Depression, die nach Abschluss des Vertrages aufgetreten sei und zur Berufsunfähigkeit geführt habe, bestehe kein ursächlicher Zusammenhang, ist erheblich. Trifft die Behauptung zu, bleibt die Leistungspflicht der Beklagten nach § 7 Abs. 3 Satz 5 AVB, § 21 VVG trotz wirksamen Rücktritts bestehen. Mangels eigener Sachkunde brauchte die Klägerin zunächst mehr nicht vorzutragen. Sie hat das Fehlen des Zusammenhangs im Übrigen nicht nur pauschal behauptet, sondern auf längere Beschwerdefreiheit und darauf hingewiesen, den für die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte erstatteten Gutachten der Ärzte M. -K. und Dr. B. sei zu entnehmen, die neurotische Symptomatik habe 1999 zeitgleich mit der Eheschließung und den erheblichen Problemen am Arbeitsplatz begonnen.

bb) Das Berufungsgericht hat den Vortrag auch nicht als unerheblich angesehen, denn es hat ihn nicht zugunsten der Klägerin als wahr unterstellt. Es ist vielmehr zu dem Ergebnis gelangt, die seinerzeit in K. und von Dr. O. diagnostizierten psychischen Beschwerden bestünden in Gestalt der nunmehr beklagten Depressionen und Angstzustände fort. Die Behauptung einer Zäsur zwischen den damals festgestellten und den der jetzigen Verrentung zugrunde liegenden Befunden erscheine nicht annähernd nachvollziehbar. Damals habe es sich ersichtlich um die Feststellung dauerhaft vorhandener in der Persönlichkeitsstruktur angelegter, unter Stress zu Tage tretender, nachhaltiger Tendenzen gehandelt, psychogen bedingte Beschwerden mit körperlichen Reaktionen zu entwickeln. Ersichtlich seien die schon damals festgestellten - langfristig als behandlungsbedürftig angesehenen - Neigungen im Zusammenhang mit den beruflichen Belastungen, die dem Ausscheiden der Klägerin bei der Sparkasse vorausgegangen seien, erneut hervorgetreten oder hätten zumindest mitgewirkt.

Diese Annahmen beruhen auf medizinischen Schlussfolgerungen, die das Berufungsgericht ohne eigene Sachkunde nicht ziehen durfte. Es hat damit die Beweisfrage, deren Beantwortung medizinischen Sachver-stand voraussetzt, ohne ausgewiesene eigene Sachkunde selbst beantwortet. Das ist prozessual unzulässig.

2. Hinsichtlich der Rücktrittsberechtigung der Beklagten ist ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die Beklagte zum Rücktritt berechtigt war, weil die Klägerin ihr die im Epilepsiezentrum K. festgestellten depressiven Erscheinungen und psychischen Störungen und die insoweit vorgenommenen Untersuchungen und Behandlungen verschwiegen hat.

Ende der Entscheidung

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