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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 19.05.1999
Aktenzeichen: IV ZR 209/98
Rechtsgebiete: ZPO, VVG, TierZG


Vorschriften:

ZPO § 539
ZPO § 278 Abs. 3
VVG § 16 Abs. 2 Satz 1
TierZG § 10 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 209/98

Verkündet am: 19. Mai 1999

Bartelmus Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Römer, Dr. Schlichting, Seiffert und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 19. Mai 1999

für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 9. Juli 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin, Inhaberin eines Gestüts, nimmt die Beklagte auf Leistung aus einer Pferdeversicherung für einen Zuchthengst in Anspruch.

Nachdem der Rechtsvorgänger der Klägerin den Hengst am 20. März 1995 gekauft hatte, versicherte er ihn mit Wirkung ab 19. Dezember 1995 bei der Beklagten gegen Tod und Zuchtuntauglichkeit. Die Versicherungssumme betrug 130.000 DM. Der Hengst war zuvor mehrfach tierärztlich auf Zuchttauglichkeit untersucht worden und hatte in der Decksaison des Sommers 1995 neun Stuten gedeckt, von denen sieben nicht befruchtet worden waren; auch bei den zwei anderen kam es jedenfalls nicht zur Geburt eines Fohlens. Ob der Rechtsvorgänger der Klägerin bzw. ihr Ehemann, der die Vertragsverhandlungen führte, dies bei Vertragsschluß schon wußten und ob sie damals die tierärztlichen Atteste vorlegten, ist streitig. Mit Schreiben vom 2. Juli 1996 meldete die Klägerin der Beklagten die Zuchtuntauglichkeit des Hengstes. Am 4. Juli 1996 wurde der Hengst in der Klinik für Pferde der Tierärztlichen Hochschule H. untersucht, die mit Gutachten vom 10. Juli 1996 die Zuchtuntauglichkeit feststellte. Die Beklagte verweigerte die Leistung mit der Begründung, die Klägerin habe, obwohl ihr die Unfruchtbarkeit des Hengstes bzw. die darauf hindeutende Erfolglosigkeit seiner Deckakte bekannt gewesen seien, diese gefahrerhöhenden Umstände nicht vor Vertragsschluß angezeigt. Des weiteren behauptet die Beklagte, daß es sich bei der Unfruchtbarkeit des Hengstes um eine angeborene Fehlentwicklung handele, für die der Versicherungsschutz ausgeschlossen sei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurückverwiesen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Zurückverweisung entspricht nicht dem Verfahrensrecht. Die Revision rügt mit Recht, daß das Oberlandesgericht selber eine Sachentscheidung hätte treffen müssen. Nach § 539 ZPO darf das Berufungsgericht nur dann unter Aufhebung des Urteils die Sache an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn das Verfahren des ersten Rechtszuges an einem wesentlichen Mangel leidet. Dem Landgericht sind jedoch, entgegen der Ansicht des Oberlandesgerichts, keine Verfahrensfehler unterlaufen.

1. Bei zweien der vom Berufungsgericht gerügten vermeintlichen Verfahrensfehler handelt es sich allenfalls um materiell-rechtliche Fehler. § 539 ZPO schließt es aus, einen Fehler bei der Anwendung des materiellen Rechts zur Grundlage einer auf diese Vorschrift gestützten, das erstinstanzliche Urteil aufhebenden und die Sache zurückverweisenden Entscheidung zu machen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, allein aufgrund des materiell-rechtlichen Standpunkts des erstinstanzlichen Gerichts zu beantworten, und zwar auch dann, wenn er verfehlt ist und wenn das Berufungsgericht ihn nicht teilt (BGH, Urteil vom 7. Juni 1993 - II ZR 141/92 - NJW 1993, 2318 m.w.N.). Mit diesen Grundsätzen steht die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht in Einklang.

a) Einen ersten Verfahrensverstoß hat das Berufungsgericht deshalb angenommen, weil es die Ansicht, auf die das Landgericht seine Klageabweisung gestützt hat, daß nämlich die Klage jedenfalls hinsichtlich der Höhe des geltend gemachten Schadens unschlüssig sei, für falsch gehalten und infolgedessen gemeint hat, daß das Landgericht den Grund des Klageanspruchs hätte prüfen müssen. Die Unterlassung dieser Prüfung hat das Berufungsgericht als Verfahrensfehler angesehen. Die Schlüssigkeit des Parteivorbringens ist aber eine materiell-rechtliche Frage (BGH, aaO). Das Berufungsgericht hätte deshalb nicht von seiner eigenen Meinung ausgehen dürfen, daß die Klage wegen des nach einem Verkauf des Pferdes verbleibenden Restschadens zum Teil doch schlüssig sei. Es hätte vielmehr den Standpunkt des Landgerichts einnehmen und die gänzliche Unschlüssigkeit des Klagevortrags zur Höhe des Anspruchs unterstellen müssen. Da bei gänzlich unschlüssigem Vortrag zur Höhe die Klage insgesamt unschlüssig ist, wäre das Berufungsgericht dann nicht umhin gekommen, die Verfahrensentscheidung des Landgerichts, den Grund des Anspruchs nicht mehr zu prüfen, als ordnungsgemäß gelten zu lassen. Der Verzicht des Landgerichts auf die Anspruchsprüfung dem Grunde nach ist also kein Verfahrensfehler.

b) Auch der zweite vom Berufungsgericht gesehene Verfahrensmangel, daß nämlich das Landgericht der Klägerin den Hinweis erteilte, sie müsse das Pferd verkaufen, bevor sie von der Beklagten Schadensersatz verlangen könne, betrifft nicht das Prozeßrecht, sondern das materielle Recht. Ein materiell-rechtlicher Irrtum des Gerichts wird nicht dadurch, daß das Gericht seine Ansicht in Erfüllung seiner Hinweispflicht gemäß § 278 Abs. 3 ZPO den Parteien mitteilt, zu einem Verfahrensfehler. Vielmehr stellt sich auch der Hinweis des Landgerichts als ordnungsgemäß, ja sogar geboten dar, sobald man seinen materiell-rechtlichen Standpunkt teilt.

2. Die dritte Beanstandung des Berufungsgerichts, das Landgericht habe den Termin vom 2. Juli 1997 nicht auf den 14. Mai 1997 vorverlegen dürfen bzw. hätte die Verhandlung erneut vertagen müssen, als es im Termin vom 14. Mai 1997 erfahren habe, daß die Veräußerung des Pferdes auf der Auktion in V. fehlgeschlagen sei, betrifft zwar das Verfahren des Landgerichts. Dieses Verfahren war aber nicht fehlerhaft. Im Termin vom 12. März 1997 "bestand Einvernehmen mit den Parteien, daß das Ergebnis der im April 1997 stattfindenden Auktion abgewartet werden soll". Gegen die Vorverlegung des zunächst auf Juli 1997 anberaumten Fortsetzungstermins auf den 14. Mai war deshalb nichts einzuwenden. In diesem Termin hätte das Landgericht nur dann erneut vertagen müssen, wenn die Klägerin dies beantragt und zur Begründung erklärt hätte, daß sie nunmehr noch weitere Verkaufsanstrengungen machen wolle. Statt dessen trug sie aber mit Schriftsatz vom selben Tage das Gegenteil vor, daß ihr nämlich ein freihändiger Verkauf nicht möglich sei. Auch das Unterlassen der Vertagung war daher kein Verfahrensfehler des Landgerichts.

Das Berufungsgericht muß daher eine eigene Sachentscheidung treffen.

II. Soweit das Berufungsgericht hinsichtlich des Inhalts der zukünftigen Sachentscheidung bereits festgestellt hat, daß der Rücktritt der Beklagten vom Versicherungsvertrag gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 VVG nicht wirksam sei, weil sich nicht feststellen lasse, daß die Klägerin bzw. ihr Ehemann beim Vertragsschluß gefahrerhebliche Umstände verschwiegen hätten, weist der Senat vorsorglich auf rechtliche Bedenken gegen diese Feststellung hin. Sie betreffen die Ansicht des Berufungsgerichts, der Ehemann der Klägerin hätte in Anbetracht der verschiedenen tierärztlichen Spermauntersuchungen des Jahres 1995, die allesamt die Zuchttauglichkeit des Hengstes ergeben hätten, der Beklagten bei den Vertragsverhandlungen auch eine etwaige positive Kenntnis davon, daß die neun Deckakte des Hengstes in der Saison 1995 in keinem einzigen Fall zu einer Befruchtung geführt hätten, nicht zu offenbaren brauchen. Das Berufungsgericht wird zu prüfen haben, ob nicht, wie die Beklagte behauptet, im maßgeblichen Kreis der Züchter und Pferdeversicherer bei der Bewertung, ob ein Hengst fruchtbar ist, die praktischen Deckerfolge eine mindestens ebenso große Rolle spielen wie tierärztliche Zuchttauglichkeitsbescheinigungen. Diese Frage drängt sich im vorliegenden Fall umso mehr auf, als das zweite Attest der Tierärztlichen Hochschule H. vom 5. Oktober 1995 schon nicht mehr uneingeschränkt positiv war, sondern auf die eingeschränkte Bewegungsaktivität der Spermien hinwies, die, bei allerdings inzwischen verschlimmertem Befund, im Gutachten vom 4. Oktober 1996 dann als eine maßgebliche Ursache für die Unfruchtbarkeit des Hengstes herausgestellt wurde.

Sollte das Berufungsgericht bei erneuter Prüfung zu dem Ergebnis kommen, daß die erfolglosen Deckakte des Hengstes doch als gefahrerhöhender Umstand zu werten sind, den die Klägerin der Beklagten hätte anzeigen müssen, so wird es die bisher von ihm offen gelassene Frage, ob der Fehlschlag der Deckakte des Hengstes dem Rechtsvorgänger der Klägerin bzw. ihrem Ehemann bekannt war, entscheiden und hierüber unter Umständen Beweis erheben müssen. In diesem Zusammenhang müßte das Berufungsgericht dann möglicherweise auch seine Ansicht noch einmal überprüfen, die Klägerin habe für die wiederholten Zuchttauglichkeitsuntersuchungen des Jahres 1995 eine plausible Erklärung geliefert. Die Klägerin hat vorgetragen, der Hengst habe nach dem Erwerb durch ihren Rechtsvorgänger von den offiziellen n. Stellen im Sinne des Tierzuchtgesetzes noch einmal untersucht werden müssen, was im März 1995 geschehen sei. Da sie den Hengst nicht nur im sogenannten Natursprungverfahren, sondern auch für die künstliche Befruchtung habe einsetzen wollen, habe er am 27. September 1995 noch ein weiteres Mal untersucht werden müssen. Hierzu besagt § 10 Abs. 2 TierZG, daß Samen nur abgegeben werden darf, wenn für das Zuchttier, von dem der Samen stammt, eine Besamungserlaubnis erteilt ist, die unter bestimmten Voraussetzungen von der zuständigen Behörde erteilt wird. Die Tierärztliche Hochschule H. erteilte die Bescheinigung, daß der Samen des Hengstes die Anforderungen gemäß § 10 Abs. 2 TierZG erfülle, aber nicht erst in dem auf der Untersuchung vom 27. September 1995 beruhenden Attest vom 17. November 1995, sondern schon aufgrund der Erstuntersuchung am 20. März 1995 mit Attest vom 10. April 1995.

Ende der Entscheidung

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