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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.01.2001
Aktenzeichen: IV ZR 264/99
Rechtsgebiete: ABGF, ZPO, GG


Vorschriften:

ABGF § 25 Nr. 1
ZPO § 285 Abs. 1
ZPO § 278 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 287
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 264/99

Verkündet am: 24. Januar 2001

Heinekamp Justizsekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Schmitz, die Richter Dr. Schlichting, Terno, Seiffert und die Richterin Ambrosius auf die mündliche Verhandlung vom 24. Januar 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 28. Oktober 1999 aufgehoben, soweit ihre Berufung gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Ulm vom 20. November 1998 wegen der den Betrag von 184.888 DM nebst 13,5% Zinsen seit 1. August 1997 übersteigenden Klageforderung zurückgewiesen wurde.

Insoweit wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin beschäftigte sich mit der Reinigung von Bettfedern und der Herstellung von Bettwaren. Sie hatte bei der Beklagten neben einer Feuer-Betriebsunterbrechungsversicherung eine Sachversicherung abgeschlossen. Dieser lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Dynamische Sachversicherung des Gewerbes und Freier Berufe (ABGF) zugrunde.

Am 18. Juni 1996 kam es in den Produktions- und Lagerräumen der Klägerin zu einem Brand und im Zuge der Löscharbeiten zu einem Wasserschaden im Bürotrakt. Mit Schreiben vom 12. März 1997 anerkannte die Beklagte ihre Leistungspflicht dem Grunde nach. Auf den an den Warenvorräten entstandenen Schaden zahlte die Beklagte nach ihrer Darstellung 687.870 DM, nach der der Klägerin 663.000 DM.

Die Beklagte meint, damit sei der Schaden eher großzügig reguliert, weil es wegen fehlender Inventurunterlagen an einer ausreichenden Schätzungsgrundlage fehle. Davon abgesehen sei sie nach § 25 Nr. 1 ABGF von der Entschädigungspflicht frei, weil die Klägerin versucht habe, sie über die Höhe des Schadens an den Warenvorräten arglistig zu täuschen.

Die Klägerin hat ihrer Berechnung einen weiteren Schaden von 1.287.350 DM zugrunde gelegt und Klage auf Zahlung an drei ihrer Gläubiger erhoben. Damit ist sie in den Vorinstanzen nicht durchgedrungen. Mit der Revision verfolgt sie den Anspruch in Höhe von 1.102.462 DM nebst Zinsen weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin führt im beantragten Umfang zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Beklagte gemäß § 25 Nr. 1 ABGF von der Entschädigungspflicht frei, weil die Klägerin durch den Zeugen S. und ihren Geschäftsführer versucht habe, die Beklagte arglistig über Tatsachen zu täuschen, die für die Höhe der Entschädigung von Bedeutung seien. Darüber hinaus habe die Klägerin nicht bewiesen, daß der durch den Brand an den Warenvorräten entstandene Schaden höher sei als der Betrag von 663.000 DM, der nach ihrer Darstellung darauf von der Beklagten gezahlt worden sei.

II. Diese Beurteilung wird von der Revision zu Recht beanstandet.

1. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klägerin habe versucht, die Beklagte über für die Höhe der Entschädigung erhebliche Umstände arglistig zu täuschen, beruht auf einer fehlerhaften und unvollständigen Würdigung des Prozeßstoffes.

a) Das Berufungsgericht lastet der Klägerin an, daß der Zeuge S., den sie in gewissem, nicht näher festgestellten Umfang in die Schadensregulierung eingeschaltet hatte, den Mitarbeitern H. und E. der Beklagten bei der Besprechung vom 7. Juli 1997 nicht gesagt hatte, daß er Ende 1996/Anfang 1997 in einer Duschwanne einen total durchnäßten, auch nach einem Trocknungsversuch nicht mehr lesbaren Ordner mit der Aufschrift "Inventur" gefunden hatte.

Diese Feststellung ist nicht geeignet, den Vortrag zu beweisen, auf den die Beklagte die Leistungsfreiheit nach § 25 Nr. 1 ABGF gestützt hatte. Die Beklagte hatte den Vorwurf des Versuchs einer arglistigen Täuschung damit begründet, die Klägerin habe wahrheitswidrig behauptet, es seien Inventuren gemacht und vor dem Brand Unterlagen darüber vorhanden gewesen. Mit dieser falschen Behauptung habe sie ihren Angaben in der Schadensaufstellung und den Aufzeichnungen in den sonstigen, noch vorhandenen Geschäftsunterlagen den Anschein der Zuverlässigkeit geben und dadurch die Beklagte täuschen wollen.

Damit setzt die in Anspruch genommene Leistungsfreiheit der Beklagten den durch sie zu führenden Beweis voraus, daß Inventuren nicht gemacht wurden und Inventurunterlagen nicht vorhanden waren. Das ergibt sich aus den Angaben des Zeugen S. gerade nicht. Er hat vielmehr noch nach dem Brand einen Ordner mit solchen Unterlagen vorgefunden. Der Zeuge H. konnte als Mitarbeiter der Beklagten naturgemäß zu Inventuren der Klägerin nichts sagen. Dagegen haben die Mitarbeiter der Klägerin, die Zeugen M., T., A. Sc., K. und An. Sc. anschaulich und glaubhaft bekundet, daß regelmäßig zum 30. Juni Inventur gemacht wurde und auch laufend Aufzeichnungen über den Warenbestand vorgenommen wurden. Was mit diesen Unterlagen beim Brand und danach geschehen ist, ist nicht geklärt.

Abgesehen davon kann der Aussage des Zeugen S. auch nicht entnommen werden, daß das Nichterwähnen des Monate vorher entdeckten, später nicht mehr vorhandenen Ordners in der Besprechung vom 7. Juli 1997 arglistig gewesen sein könnte. Der durchnäßte, zusammengeklebte und nicht lesbare Ordnerinhalt war aus seiner Sicht für die Klägerin und die Beklagte unbrauchbar. Wenn der Zeuge den Ordner für relevant gehalten hätte, hätte es vielmehr nahegelegen, ihn zu erwähnen, um den Vorwurf der Beklagten zu entkräften, es seien keine Inventuren gemacht worden.

b) Das Berufungsgericht nimmt Leistungsfreiheit ferner deshalb an, weil der Geschäftsführer der Klägerin den Herren H. und E. am 29. April 1997 gesagt habe, seine Ehefrau habe die der Beklagten übergebene Schadensaufstellung aufgrund der Originalinventuren erstellt. Dies sei unrichtig gewesen, wie sich aus der insoweit glaubhaften Angabe seiner Ehefrau, der Zeugin A. Sc., ergebe. Diese habe bekundet, an Aufstellungen über die vorhandenen Dinge nach dem Brand beteiligt gewesen zu sein und dabei keine Unterlagen über Inventuren oder ähnliches gehabt zu haben. Den Umständen nach sei der Senat davon überzeugt, daß der Geschäftsführer Sc. auch gewußt habe, daß diese Äußerungen unrichtig gewesen oder im Bewußtsein der möglichen Unrichtigkeit ins Blaue hinein erfolgt seien.

Die Revision rügt zu Recht, daß das Berufungsgericht nicht darlegt, auf welche konkreten Umstände es diese Überzeugung stützt. Seine Würdigung ist deshalb revisionsrechtlich nicht nachprüfbar und damit rechtsfehlerhaft. Es liegt auch nicht auf der Hand, daß der Geschäftsführer der Klägerin arglistig gehandelt hat. Bei vollständiger Würdigung der Beweisaufnahme erscheint es vielmehr möglich, daß er gutgläubig angenommen hat, seine Ehefrau habe die Schadensaufstellung anhand von Inventurunterlagen erstellt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist davon auszugehen, daß regelmäßig Inventur gemacht wurde und Unterlagen darüber vorhanden waren und der Geschäftsführer der Klägerin dies wußte. Deshalb ist es naheliegend anzunehmen, daß eine umfangreiche Schadensaufstellung anhand solcher Unterlagen gefertigt worden ist. Außerdem geht das Berufungsgericht nicht darauf ein, daß die Zeugin A. Sc. auch gesagt hat, sie habe Teile von Inventurlisten gesehen. Ob dies vor oder auch nach dem Brand war, ergibt sich aus dem Protokoll nicht und wäre klärungsbedürftig gewesen.

Es kommt hinzu, daß die Beklagte den konkreten Sachverhalt, auf den das Berufungsgericht die arglistige Täuschung durch den Geschäftsführer der Klägerin stützt, nicht vorgetragen hatte. Daß dies in der mündlichen Verhandlung der Fall gewesen ist und die Klägerin Gelegenheit hatte, dazu Stellung zu nehmen, ergibt sich aus dem Protokoll nicht. Die Revision macht geltend, im Anschluß an die Beweisaufnahme sei nicht nochmals verhandelt worden. Nach §§ 285 Abs. 1, 278 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist über das Ergebnis der Beweisaufnahme zu verhandeln und der Sach- und Streitstand erneut mit den Parteien zu erörtern. Ein Verstoß gegen diese Bestimmungen ist - schon im Blick auf die damit regelmäßig verbundene Verletzung des rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG - grundsätzlich als Verfahrensfehler anzusehen (BGH, Urteil vom 26. April 1989 - I ZR 220/87 - NJW 1990, 121 unter II 2 a). Im Protokoll findet sich kein Hinweis darauf, daß die Parteien streitig zum Beweisergebnis verhandelt haben. Damit steht der Verstoß gegen §§ 285 Abs. 1, 278 Abs. 2 Satz 2 ZPO fest (§§ 165, 160 Abs. 2 ZPO). Hierauf kann, wie dargelegt, das angefochtene Urteil auch beruhen.

2. Die Ausführungen des Berufungsgericht, die Klägerin habe nicht bewiesen, daß der Schaden den Betrag von 663.000 DM übersteige, sind ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei.

Seine Würdigung hat keinen Bestand, soweit sie darauf beruht, der Klägerin falle arglistiges Verhalten zur Last. Das Berufungsgericht hat zudem den Sinn und Zweck der Vereinbarung vom 7. Juli 1997 nicht zutreffend erfaßt. Es ging gerade darum, daß beide Parteien darin übereinstimmten, daß vollständig beweiskräftige Unterlagen nicht zur Verfügung stehen und mit den zur Verfügung stehenden Unterlagen der Beweis nicht geführt werden kann. Man ist also dahingehend übereingekommen zu versuchen, den Schaden auf der Basis der nicht voll beweiskräftigen Unterlagen zu ermitteln. Dies hätte man auch tun müssen, wenn zweifelsfrei vor dem Brand ausreichende Unterlagen vorhanden gewesen und durch den Brand vernichtet worden wären. Der unverschuldete Verlust solcher Beweisunterlagen - hiervon ist zugunsten der Klägerin ausgehen - kann nicht dazu führen, daß sie keine weitere Entschädigung mehr bekommt, weil die verbliebenen Unterlagen zum vollen Nachweis der Schadenshöhe nicht ausreichen. Das Berufungsgericht hat auch nicht beachtet, daß für den Nachweis der Schadenshöhe § 287 ZPO den Beweismaßstab bildet (vgl. dazu BGH, Urteil vom 26. November 1986 - VIII ZR 260/85 - NJW 1987, 909 unter II 1 und Urteil vom 11. November 1987 - IVa ZR 137/86 - VersR 1988, 75 unter 3).

Außerdem setzt sich das Berufungsgericht, wie die Revision ebenfalls zutreffend rügt, nicht damit auseinander, daß der öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige Ad. durchaus in der Lage war, eine Schadensberechnung anhand der von der Klägerin eingereichten Unterlagen vorzunehmen. Deshalb hätte das von der Klägerin beantragte Sachverständigengutachten - gegebenenfalls nach Aufklärung streitiger Anknüpfungspunkte - eingeholt werden müssen.



Ende der Entscheidung

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