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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 15.02.2006
Aktenzeichen: IV ZR 305/04
Rechtsgebiete: MB/KK, BGB, AGBG, VVG


Vorschriften:

MB/KK § 1 (1)
MB/KK § 1 (2)
MB/KK § 5 Teil I
BGB § 307 Abs. 3
AGBG § 8
VVG § 178b Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 305/04

Verkündet am: 15. Februar 2006

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichtung, Seiffert, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 15. Februar 2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 23. November 2004 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist bei dem beklagten Versicherungsverein krankenversichert. Dieser hat die Übernahme der Kosten einer Psychotherapie abgelehnt, weil sie nicht bei einem niedergelassenen approbierten Arzt durchgeführt wurde. Die Klägerin verlangt die Erstattung der entstandenen Kosten.

Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung des Beklagten zugrunde. Nach deren Teil I Musterbedingungen 1976 (MB/KK 76) leistet der Versicherer u.a. in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen; Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung u.a. wegen Krankheit (§ 1 (1) Satz 1 Buchst. a und (2) Satz 1). Zu § 1 (2) MB/KK ist in den Tarifbedingungen (TB/KK) unter 2 b vereinbart:

Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf die Psychotherapie, soweit sie medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit ist und von einem niedergelassenen approbierten Arzt oder in einem Krankenhaus durchgeführt wird.

Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten wurde die Klage abgewiesen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Revision.

Entscheidungsgründe:

Die Revision war zurückzuweisen. Die Klage ist mit Recht abgewiesen worden.

I. Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beklagte aufgrund der ausdrücklichen Regelung in seinen Versicherungsbedingungen zu einer Kostenerstattung deshalb nicht verpflichtet, weil die Behandlung nicht durch einen Arzt oder in einem Krankenhaus durchgeführt wurde. Die geltend gemachten Bedenken gegen die Wirksamkeit dieser Vertragsklausel seien nicht überzeugend. Sie sei weder unklar noch überraschend und halte einer Inhaltskontrolle stand. Dies gelte auch im Hinblick auf das (am 1. Januar 1999 in Kraft getretene) Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten und des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (Art. 1 des Gesetzes vom 16. Juni 1998, BGBl. I S. 1311, im Folgenden: PsychThG). Zur näheren Begründung verweist das Berufungsgericht auf das den Parteien bekannte Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 5. August 2004, das dem Senatsurteil vom heutigen Tage in der Sache IV ZR 192/04 zugrunde liegt.

II. Das hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Die streitige Klausel ist einer gerichtlichen Inhaltskontrolle nicht entzogen. Sie ist nicht dem engen Bereich derjenigen vertraglichen Leistungsbeschreibungen zuzuordnen, ohne die mangels Bestimmtheit oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag nicht zustande kommen könnte; die Klausel modifiziert vielmehr durch Ausgestaltung und Einschränkung das bereits in § 1 (1) und (2) MB/KK gegebene Hauptleistungsversprechen (vgl. Senatsurteil vom 17. März 1999 - IV ZR 137/98 - VersR 1999, 745 unter II 2). Der Beklagte macht demgegenüber geltend, die Regelung über den Kreis der Behandler habe Bedeutung für die Höhe der Prämien; sie müsse daher im Hinblick auf Art. 4 Abs. 2 der EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (vom 5. April 1993 ABlEG Nr. L 95 S. 29 = NJW 1993, 1838) als kontrollfreie Leistungsbeschreibung gewertet werden.

Die genannte Richtlinie führt indessen nicht zu einer Einschränkung des Bereichs der gerichtlichen Inhaltskontrolle. Wie der Senat bereits entschieden hat, gewährleistet die Richtlinie nach ihrem Zweck lediglich ein in allen Mitgliedsstaaten verbindliches Schutzminimum; die Staaten sind dagegen nicht gehindert, strengere Bestimmungen zu erlassen, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher zu erreichen, wie es sich aus den in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Vorschriften der §§ 307 Abs. 3 BGB, 8 AGBG ergibt (Urteile vom 22. November 2000 - IV ZR 235/99 - VersR 2001, 184 unter A II 1 b; vom 28. März 2001 - IV ZR 180/00 - VersR 2001, 752 unter II 1).

2. Die Revision nimmt die Auffassung des Berufungsgerichts hin, die streitige Klausel rechtfertige für sich genommen nach Wortlaut und Sinn die Leistungsablehnung des Beklagten. Die Revision macht aber geltend, die Klausel sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer überraschend und daher nicht wirksam (§§ 305c BGB, 3 und 5 AGBG). Zwar bedürfe das Leistungsversprechen eines privaten Krankenversicherers in Anbetracht des verhältnismäßig weiten Leistungsrahmens der näheren Ausgestaltung (Senatsurteil vom 27. Oktober 2004 - IV ZR 141/03 - VersR 2005, 64 unter II 2 a). Eine Klausel dürfe aber nicht an einer Stelle im Text der Bedingungen platziert werden, wo sie nach Gliederung, Überschriften und drucktechnischen Hinweisen nicht erwartet werde. Die Versicherungsbedingungen regelten die "Einschränkung der Leistungspflicht" unter dieser fettgedruckten Überschrift in § 5 Teil I MB/KK. Eine personelle Beschränkung auf bestimmte Berufsgruppen von Behandlern finde sich dort aber nicht. Sie sei vielmehr in den Tarifbedingungen zu § 1 (2) MB/KK versteckt worden, wo man sie im Hinblick auf die in § 1 (2) MB/KK gegebene Definition des Versicherungsfalles im Allgemeinen nicht vermute.

Mit diesen Bedenken hat sich der Senat bereits in seinem Urteil vom 22. Mai 1991 (IV ZR 232/90 - VersR 1991, 911 unter 2 c) im Einzelnen auseinandergesetzt. In jenem Fall ging es wie hier um die MB/KK 76 sowie die dazugehörigen, jeweils unter den Vorschriften der MB/KK 76 abgedruckten Tarifbedingungen einschließlich der auch hier streitigen Nr. 2 b zu § 1 Abs. 2 MB/KK 76. Der Senat ist seinerzeit zu dem Ergebnis gelangt, es fehle im Hinblick auf diese Tarifklausel nicht an der gebotenen Übersichtlichkeit. Daran hält der Senat nach erneuter Prüfung fest.

3. Die streitige Klausel benachteiligt die Versicherungsnehmer nicht deshalb unangemessen, weil sie im Hinblick auf das am 1. Januar 1999 in Kraft getretene PsychThG mit Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren sei (§§ 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG). Das PsychThG stellt die Psychologischen Psychotherapeuten nicht in jeder Hinsicht mit den ärztlichen Psychotherapeuten gleich, insbesondere nicht im Hinblick auf vertragliche Regelungen in der privaten Krankenversicherung, mit der es sich weder unmittelbar noch mittelbar befasst. Das PsychThG bezeichnet die Psychologischen Psychotherapeuten nicht als Ärzte und unterscheidet sie damit von diesen (Kurtenbach, Das Deutsche Bundesrecht, I K 13 a S. 5, Einleitung Erläuterungen zum Gesetz über die Berufe des Psychologischen Psychotherapeuten unter II Nr. 5). Die Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten setzt im Allgemeinen ein abgeschlossenes Hochschulstudium im Studiengang Psychologie voraus, die das Fach Klinische Psychologie einschließt (§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 a PsychThG). Damit unterscheidet sich der Werdegang eines Psychologischen Psychotherapeuten von dem eines Arztes mit der zusätzlichen Befähigung zu einer psychotherapeutischen Behandlung. Dass eine psychotherapeutische Behandlung in der gesetzlichen Krankenversicherung nunmehr auch durch Psychologische Psychotherapeuten erfolgen kann (§§ 28 Abs. 3, 92 Abs. 6 a SGB V), reicht nicht aus, um dem PsychThG und den darauf bezogenen Regelungen in der gesetzlichen Krankenversicherung ein auch für die private Krankenversicherung beachtliches Leitbild zu entnehmen, aus dem im Zweifel auf eine Unangemessenheit damit nicht vereinbarer Klauseln geschlossen werden müsste. Angesichts der Strukturunterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung kann der Versicherungsnehmer, der eine private Krankenversicherung abschließt, nicht erwarten, dass er damit so versichert ist, als wenn er Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse wäre (Senatsurteile vom 22. Mai 1991 aaO unter 2 b; vom 21. Februar 2001 - IV ZR 11/00 - VersR 2001, 576 unter 3 b aa). Vielmehr haftet der Versicherer bei der privaten Krankheitskostenversicherung nach § 178b Abs. 1 VVG nur "im vereinbarten Umfang" für Aufwendungen für medizinisch notwendige Heilbehandlungen wegen Krankheit oder Unfallfolgen und für sonst vereinbarte Leistungen. Ein im Hinblick auf die hier streitige Frage näher konkretisiertes Leitbild ist den gesetzlichen Regelungen nicht zu entnehmen.

4. Die Revision macht weiter geltend, die Beschränkung auf die Erstattung der Kosten einer Psychotherapie, die von einem niedergelassenen approbierten Arzt oder im Krankenhaus durchgeführt wird, benachteilige die Versicherten auch deshalb unangemessen, weil sie nach der Art ihrer Erkrankung, insbesondere bei einer mit Antriebsschwäche verbundenen Depression, unter der die Klägerin des vorliegenden Falles leide, kaum in der Lage seien, sich auf die Suche nach einem den Anforderungen der Beklagten entsprechenden Behandler zu begeben.

Damit ist eine den Vertragszweck gefährdende Einschränkung der vertraglichen Rechte des Versicherungsnehmers aus einem Krankenversicherungsvertrag (§§ 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB, 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG) nicht dargetan. Nicht jede Leistungsbegrenzung bedeutet für sich genommen schon eine Gefährdung des Vertragszwecks; eine solche kommt vielmehr erst in Betracht, wenn die Einschränkung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (BGHZ 137, 174, 176; Senatsurteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 257/03 - VersR 2004, 1037 unter II 3 a (2)). Es ist für einen Versicherten nicht unzumutbar, sich für eine medizinisch notwendige Psychotherapie bei einem Arzt in Behandlung zu begeben, wenn die Kosten vom Beklagten getragen werden sollen. Bei der Ermittlung der für eine Behandlung in Betracht kommenden Ärzte kann der Versicherte fremde Hilfe in Anspruch nehmen. Stärker als bei der Behandlung körperlicher Leiden ist für den Erfolg einer Psychotherapie allerdings eine persönliche Übereinstimmung zwischen Arzt und Patient erforderlich, worauf das Amtsgericht mit Recht hingewiesen hat. Schon deshalb kann sich der Versicherte die möglicherweise mit Misserfolgserlebnissen verbundenen Mühen einer Arztwahl nicht ersparen.

Das Berufungsgericht stellt fest, nach dem Vortrag der Klägerin sei nicht ersichtlich, dass sie das Spektrum der zur Behandlung zur Verfügung stehenden ärztlichen Psychotherapeuten in vollem Umfang in Betracht gezogen und sich intensiv um Termine bemüht habe. Das greift die Revision nicht an. Im Übrigen würde es der Wirksamkeit der streitigen Klausel nicht entgegenstehen, wenn sich der Beklagte darauf nach Treu und Glauben ausnahmsweise nicht berufen dürfte, weil es im Einzelfall keine zumutbare Möglichkeit gab, einen ärztlichen Psychotherapeuten oder ein Krankenhaus aufzusuchen.

5. Schließlich vertritt die Revision den Standpunkt, die streitige Klausel benachteilige den Versicherungsnehmer schon deshalb unangemessen (§§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB, 9 Abs. 1 AGBG), weil den Nachteilen auf dessen Seite keine legitimen Vorteile auf Seiten des Versicherers gegenüberstünden. Die Meinung des Beklagten, bei einer Ausweitung des Kreises der Behandler würden sich die Kosten des Versicherers erhöhen, sei nicht bewiesen und könne sich auch nicht auf einen Erfahrungssatz stützen. Bei psychischen Erkrankungen sei die Prüfung der medizinischen Notwendigkeit einer Psychotherapie als Heilbehandlung stets mit besonderen Schwierigkeiten verbunden; deshalb dürfe aber nicht der Kreis der Behandler eingeschränkt werden, sondern allenfalls die Anzahl der ersatzfähigen Therapiestunden. Der nichtärztliche Psychotherapeut könne zwar körperliche Ursachen der Leiden des Versicherten nicht selbst beurteilen; die Kontrolle durch einen zugezogenen Arzt sei aber nach dem Vier-Augen-Prinzip effektiver als die Beschränkung der Erstattung auf ärztliche Psychotherapeuten.

Ob eine Ausweitung des Kreises der Behandler zu einer vermehrten oder längeren Inanspruchnahme der Psychotherapeuten führen würde, ist auf der Grundlage der vorgetragenen Tatsachen nicht zu beurteilen; dies gilt erst recht für die vermuteten Ursachen einer solchen Entwicklung und die Größenordnung einer eventuellen Mehrbelastung des Beklagten. Wie schon ausgeführt, fehlt es aber an hinreichenden Anhaltspunkten dafür, dass der Therapiebedarf der Versicherten des Beklagten wegen der grundsätzlichen Beschränkung auf ärztliche Psychotherapeuten generell nicht gedeckt werden könne.

Ein berechtigtes Interesse des Beklagten, die Erstattung von Psychotherapien auf Behandlungen durch niedergelassene approbierte Ärzte oder im Krankenhaus zu beschränken, ergibt sich aber schon daraus, dass die damit in Betracht kommenden Behandler in eigener Person oder durch die enge Zusammenarbeit mit Ärzten im Krankenhaus auch zur Beurteilung körperlicher Leiden ihrer Patienten und deren Wechselwirkungen mit den seelischen Beschwerden in der Lage sind. Das kann dazu beitragen, eine Fehlbehandlung überwiegend körperlich bedingter Leiden durch eine Psychotherapie zu vermeiden bzw. sie durch Maßnahmen auf dem Gebiet der somatischen Medizin wirkungsvoll und damit abkürzend zu ergänzen. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung ist die Abklärung einer somatischen Erkrankung durch einen Arzt generell vorgeschrieben (§ 28 Abs. 3 Satz 2 SGB V); bei der Versorgung von Privatpatienten ist ein Psychologischer Psychotherapeut dagegen nicht zu einer derartigen Abklärung verpflichtet. Unter diesem Gesichtspunkt konnte dem Beklagten die fachlich begründete Ansicht eines Arztes als Behandler über Notwendigkeit und Dauer einer Psychotherapie im Allgemeinen eher verlässlich erscheinen als die eines Psychologischen Psychotherapeuten, insbesondere wenn dieser keinen Arzt zuzieht. Danach ist dem Beklagten ein berechtigtes Interesse an der streitigen Leistungsbeschränkung nicht abzusprechen.

Ende der Entscheidung

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