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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 17.09.2008
Aktenzeichen: IV ZR 317/05
Rechtsgebiete: AVB f. Hausratversicherung VHB


Vorschriften:

AVB f. Hausratversicherung VHB § 21 Nr. 1c
Zur Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer, der den Versicherungsfall rechtzeitig angezeigt hat, auf die Obliegenheit zur Einreichung einer Stehlgutliste bei der Polizei hinzuweisen und darüber zu belehren, dass er bei Verletzung dieser Obliegenheit den Versicherungsschutz verlieren kann.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 317/05

Verkündet am: 17. September 2008

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats Oberlandesgerichts Celle vom 17. November 2005 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer bei deren Rechtsvorgängerin (im Folgenden ebenfalls als Beklagte bezeichnet) abgeschlossenen Hausratversicherung auf Ersatz für bei einem Einbruchdiebstahl abhanden gekommene und beschädigte Sachen in Anspruch. Dem Vertrag liegen Allgemeine Hausratversicherungsbedingungen (VHB) zugrunde, die - soweit hier von Bedeutung - den in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. S. 1567 ff. abgedruckten VHB 92 entsprechen.

Während einer etwa zweiwöchigen Abwesenheit der Klägerin und ihres Ehemannes wurde am 5. August 2003 gegen 0.25 Uhr in deren Erdgeschosswohnung durch Aufhebeln der Balkontür eingebrochen, wie die von einem Nachbarn herbeigerufene Polizei feststellte. Nach der Rückkehr am 7. August 2003 meldete die Klägerin der Beklagten den Schadenfall telefonisch. Mit Schreiben vom selben Tage übersandte die Beklagte der Klägerin ein Formular für die Schadenanzeige. Im Anschreiben wird die Klägerin gebeten, alle in der beigefügten Schadenmeldung aufgeführten Fragen zu beantworten. Diese betreffen unter anderem die Polizeidienststelle, welcher der Schaden gemeldet wurde, und die dortige Tagebuchnummer sowie die vom Schaden betroffenen Sachen mit der Bitte, darüber ein Verzeichnis mit Datum und Preis der Anschaffung und der Schadenforderung einzureichen. Ein Hinweis, ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen auch bei der Polizei einzureichen, ist weder im Anschreiben noch im Formular für die Schadenanzeige enthalten. Das ausgefüllte Formular nebst einer Liste abhanden gekommener und beschädigter Gegenstände ging bei der Beklagten am 8. Oktober 2003 ein. Der Polizei hat die Klägerin die Liste im November 2003 vorgelegt. Am 21. November 2003 nahm der von der Beklagten beauftragte Schadenregulierer eine Verhandlungsniederschrift auf und traf mit der Klägerin eine unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Beklagten stehende Vergleichs- und Abfindungsvereinbarung über 15.000 €. Die Beklagte beantragte Ende Januar 2004 Einsicht in die Ermittlungsakten und lehnte mit Schreiben vom 18. März 2004 Leistungen ab, weil die Klägerin entgegen der Obliegenheit in § 21 Nr. 1c VHB der zuständigen Polizeidienststelle nicht unverzüglich ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen eingereicht habe. Im Rechtsstreit hat sich die Beklagte ferner auf Leistungsfreiheit wegen arglistiger Täuschung über die Schadenhöhe nach § 22 Nr. 1 VHB berufen. Außerdem hat sie geltend gemacht, sie sei wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 9 Nr. 1a VHB nicht zur Leistung verpflichtet, weil die Wohnungstür nur ins Schloss gezogen und nicht verschlossen gewesen sei.

Das Landgericht hat der auf Zahlung von 23.861 € gerichteten Klage in Höhe von 15.000 € stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Klage auf die Berufung der Beklagten vollständig abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin den Anspruch in voller Höhe weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung.

I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts ist die Beklagte wegen einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung der Klägerin gemäß § 21 Nr. 1c, Nr. 3 VHB, § 6 Abs. 3 VVG a.F. von der Leistungspflicht frei. Im Gegensatz zum Landgericht - das grobe Fahrlässigkeit verneint hat - meint es, die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, die Klägerin anlässlich der Schadenanzeige und des daraufhin geführten Schriftverkehrs auf das Erfordernis des Einreichens einer Stehlgutliste bei der Polizei trotz der ihr gegenüber bereits gemachten Angaben hinzuweisen. Den ihr obliegenden Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 VVG a.F. habe die Klägerin nicht geführt. Sie habe nicht dargetan, dass bei unverzüglicher Einreichung einer vollständigen Stehlgutliste polizeiliche Maßnahmen nicht zu einer Sicherstellung von Diebesgut geführt hätten.

II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Beklagte ist nicht wegen Verletzung der Obliegenheit nach § 21 Nr. 1c VHB von der Verpflichtung zur Leistung frei.

1. Soweit die Klägerin in Höhe von 3.300 € Ersatz für die behaupteten Beschädigungen der Balkontür und von Gegenständen in der Wohnung verlangt, ist die Obliegenheit schon objektiv nicht verletzt. Der Polizeidienststelle ist nur ein Verzeichnis der abhanden gekommenen Sachen einzureichen. Hinsichtlich der Beschädigungen sind deshalb auch die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Kausalitätsgegenbeweis fehlerhaft (vgl. dazu Senatsurteil vom 10. Februar 1999 - IV ZR 60/98 - VersR 1999, 1004 unter II 3).

2. Davon abgesehen ist der Beklagten das Berufen auf Leistungsfreiheit nach Treu und Glauben verwehrt. Unter den hier gegebenen Umständen hätte sie die Klägerin auf die Obliegenheit, der Polizei unverzüglich eine Stehlgutliste einzureichen, und die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Obliegenheit hinweisen müssen.

a) Eine darauf bezogene generelle Hinweis- und Belehrungspflicht wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte überwiegend abgelehnt (vgl. u.a. OLG Köln VersR 2008, 917, 918 m.w.N.; KG r+s 2003, 199, 200 f.; OLG Frankfurt am Main NVersZ 2001, 37, 38; OLG Koblenz VersR 1988, 25). Ausgehend von der praktischen Erfahrung, dass diese Obliegenheit und der Verlust des Versicherungsschutzes bei deren Verletzung verbreitet nicht geläufig seien, wird einer fehlenden Belehrung in einigen Entscheidungen aber Bedeutung für die Widerlegung von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beigemessen (vgl. OLG Düsseldorf VersR 2005, 1727 f.; OLG Hamm r+s 1988, 22, 23; OLG Koblenz VersR 2007, 1694, 1695).

In der Literatur wird zunehmend die Auffassung vertreten, der Versicherer sei, wenn der Versicherungsnehmer den Schaden zeitnah melde, zu einer Belehrung über die weitgehend unbekannte Obliegenheit zur Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei und über die Rechtsfolgen einer Verletzung dieser Obliegenheit verpflichtet (Knappmann, r+s 2002, 485, 488 f.; ders. in Recht und Risiko, Festschrift für Helmut Kollhosser zum 70. Geburtstag Bd. I S. 195, 199 ff.; Versicherungsrechts-Handbuch/Rüffer, § 32 Rdn. 186, § 33 Rdn. 145).

b) Wie Knappmann (Festschrift aaO S. 200 f.) zutreffend ausführt, ist der Versicherer aufgrund seiner überlegenen Sach- und Rechtskenntnis nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verpflichtet, den Versicherungsnehmer bei rechtzeitiger Anzeige des Versicherungsfalles über die Obliegenheit und die Rechtsfolgen ihrer Verletzung jedenfalls dann zu belehren, wenn er - wie hier durch Übersendung eines Formulars mit dem erwähnten Anschreiben - nähere Angaben zum Versicherungsfall und zur Anzeige bei der Polizei und eine Liste der abhanden gekommenen Sachen anfordert. Damit wird für den Versicherungsnehmer erkennbar konkretisiert, was der Versicherer von ihm für die Prüfung dieses angezeigten Versicherungsfalles erwartet. Es geht dann nicht mehr - wie bei der Pflicht zur Anzeige des dem Versicherer unbekannten Versicherungsfalles - um eine "spontan" zu erfüllende Obliegenheit. Verlangt der Versicherer Auskunft über die Polizeidienststelle, der der Schaden gemeldet wurde, und die Tagebuchnummer sowie die Vorlage eines Verzeichnisses der vom Schaden betroffenen Sachen, ohne auf die Vorlage einer Stehlgutliste bei der Polizei hinzuweisen, ist dies geeignet, den Versicherungsnehmer irrezuführen. Er kann annehmen, dass der Versicherer ihn über das, was zu tun ist, informiert hat und Weiteres nicht erforderlich ist. Demgegenüber ist dem Versicherer aufgrund seines Wissensvorsprungs, insbesondere der zahlreichen Instanzurteile bekannt, dass Versicherungsnehmer häufig und allein wegen verspäteter oder unterbliebener Vorlage der Stehlgutliste bei der Polizei den Versicherungsschutz verlieren. Der Versicherer ist deshalb nach Treu und Glauben verpflichtet, den Versicherungsnehmer auf derartige typische, den Versicherungsschutz gefährdende Versäumnisse und Fehler hinzuweisen. Ein solcher Hinweis im Formular für die Schadenanzeige ist ohne weiteres möglich und - wie die Praxis zeigt - in manchen Formularen auch enthalten. Unterlässt der Versicherer den - wegen möglicher Fahndungserfolge auch im eigenen Interesse - gebotenen Hinweis, handelt er rechtsmissbräuchlich, wenn er sich auf Leistungsfreiheit beruft. Auf den Nachweis fehlender grober Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers kommt es dann nicht an.

III. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Zur Leistungsfreiheit wegen arglistiger Täuschung nach § 22 Nr. 1 VHB und zur grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalles nach § 9 Nr. 1a VHB fehlt es an Feststellungen unter anderem darüber, welche Sachen überhaupt entwendet worden sind und ob sie über den Balkon oder die Wohnungstür abtransportiert worden sind. Aus dem bloßen Umstand, dass die Wohnungstür nur ins Schloss gezogen und nicht abgeschlossen worden war, lässt sich eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalles nicht ableiten. Die Täter sind durch die Balkontür eingebrochen. In der Wohnung befindlich, hätten sie nach dem Vortrag der Klägerin die Tür mit einem Schlüssel öffnen können.

Ende der Entscheidung

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