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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 03.12.2008
Aktenzeichen: IV ZR 319/06
Rechtsgebiete: BetrAVG, VBLS, SGB VI, BGB


Vorschriften:

BetrAVG § 18 Abs. 2
VBLS § 79 Abs. 2 Satz 4
VBLS § 79 Abs. 2 Satz 5
SGB VI § 58 Abs. 1 Nr. 4
SGB VI § 207
SGB VI § 236a Abs. 4 Nr. 3
BGB § 140
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IV ZR 319/06

Verkündet am: 3. Dezember 2008

in dem Rechtsstreit

Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Richter Seiffert, Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2008

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 7. Dezember 2006 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Rechtsmittel der Beklagten als unzulässig verworfen worden sind.

Die Anschlussberufung der Beklagten gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Karlsruhe vom 3. Juni 2005 wird zurückgewiesen.

Die weitergehende Revision der Beklagten sowie die Revision des Klägers werden zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger ein Viertel und die Beklagte drei Viertel.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

I. Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22. November 2002 (BAnz. Nr. 1 vom 3. Januar 2003) hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) umgestellt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 1. März 2002 (ATV) vereinbart. Damit wurde das frühere - auf dem Versorgungstarifvertrag vom 4. November 1966 (Versorgungs-TV) beruhende - endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.

Die neue Satzung der Beklagten (VBLS) enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als so genannte Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Rentennah ist, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1. Januar 1997 vorweisen konnte. Die Anwartschaften der rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen (§§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 VBLS), wohingegen sich die Anwartschaften der rentenfernen Versicherten nach § 18 Abs. 2 BetrAVG berechnen (§§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS).

Seit der Satzungsänderung vom 26. Juni 2003 (BAnz. Nr. 132 vom 19. Juli 2003), die auf dem Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum ATV/ATV-K vom 12. März 2003 beruht, sieht die VBLS auch für schwerbehinderte Versicherte, die am 31. Dezember 2001 das 52. Lebensjahr vollendet hatten, unter den Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS eine Startgutschriftberechnung nach den für rentennahe Versicherte geltenden Grundsätzen vor. § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS lautet:

Die Sätze 1 bis 3 gelten für Beschäftigte, die am 31. Dezember 2001 das 52. Lebensjahr vollendet haben und eine Rente für schwerbehinderte Menschen beanspruchen könnten, wenn sie zu diesem Zeitpunkt bereits das 60. Lebensjahr vollendet hätten, entsprechend mit der Maßgabe, dass an die Stelle des 63. Lebensjahres das entsprechende, für sie individuell frühestmögliche Eintrittsalter in die abschlagsfreie Rente für schwerbehinderte Menschen maßgeblich ist.

Ein Anspruch auf eine gesetzliche Altersrente für schwerbehinderte Menschen setzte nach § 236a Abs. 4 Nr. 3 SGB VI in der am Umstellungsstichtag geltenden Fassung insbesondere die Erfüllung einer Wartezeit voraus, die in den Fällen der von § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS betroffenen Versicherten 35 Jahre (420 Monate) betrug. Durch das Altersvermögensergänzungsgesetz vom 21. März 2001 (BGBl. I 403) wurde mit Wirkung vom 1. Januar 2002 die Höchstdauer der Anrechnungszeiten für schulische Ausbildung (§ 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI) von drei Jahren auf acht Jahre erhöht.

II. Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Systemumstellung, die Wirksamkeit der Übergangsregelung sowie die Höhe der erteilten Startgutschrift.

Der am 22. Mai 1947 geborene und bei der Beklagten rentenberechtigte Kläger ist spätestens seit dem 16. November 2000 schwerbehindert. Er erstrebt vorrangig die Fortschreibung seiner Rentenanwartschaft nach dem vor der Systemumstellung geltenden Satzungsrecht über den Umstellungsstichtag hinaus. Hilfsweise begehrt er insbesondere die Erteilung einer Startgutschrift gemäß § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS nach den Grundsätzen für rentennahe Versicherte anstatt der erteilten Startgutschrift, die nach den Grundsätzen für rentenferne Versicherte berechnet wurde.

Bis zum Ablauf des Umstellungsstichtags legte der Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung 377 Monate an Beitragszeiten (§§ 54 Abs. 1 Nr. 1, 55 SGB VI) zurück. Zudem verwendete er nach Vollendung seines 17. Lebensjahres mindestens 74 Monate für schulische Ausbildung i.S. des § 58 Abs. 1 Nr. 4 SGB VI, von denen in der Rentenauskunft der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) zum 31. Dezember 2001 wegen Überschreitung der Höchstanrechnungsdauer von drei Jahren nur 36 Monate als Anrechnungszeiten berücksichtigt wurden. Von der Möglichkeit, für nicht angerechnete Ausbildungszeiten freiwillige Nachzahlungen zu erbringen (§ 207 SGB VI), machte der Kläger nach dem Umstellungsstichtag Gebrauch und zahlte für sieben Monate der schulischen Ausbildung zwischen Vollendung des 16. und des 17. Lebensjahrs Beiträge nach.

Der Kläger meint, die erteilte Startgutschrift bleibe erheblich hinter dem Wert seiner bis zum Umstellungsstichtag aufgebauten, als erdienter Besitzstand besonders geschützten Rentenanwartschaft zurück. Für eine Neuberechnung erstrebt er unter anderem die Verpflichtung der Beklagten, zur Ermittlung der Startgutschrift bestimmte, in verschiedenen Klageanträgen näher konkretisierte Berechnungselemente zugrunde zu legen.

Hinsichtlich der Maßgeblichkeit des § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS ist der Kläger der Auffassung, die erforderliche Wartezeit durch die Erweiterung der Anrechnungszeiten zum 1. Januar 2002 und die Nachzahlung erfüllt zu haben. Bei anderer, engerer Auslegung des § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS wäre dieser unwirksam, soweit die Erfüllung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf gesetzliche Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits zum Umstellungsstichtag verlangt werde.

Die Beklagte stützt ihren Antrag auf Klageabweisung unter anderem darauf, dass die vom Kläger beanstandete Übergangsregelung für rentennahe Versicherte auf eine im Tarifvertrag vom 1. März 2002 von den Tarifvertragsparteien getroffene Grundentscheidung zurückgehe. Diese halte der mit Rücksicht auf die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie ohnehin eingeschränkten rechtlichen Überprüfung stand. Insbesondere wahre die erteilte Startgutschrift den verfassungsrechtlich geschützten Besitzstand des Klägers.

Die Beklagte ist ferner der Ansicht, die Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS seien nicht erfüllt, da am 31. Dezember 2001 nach der zu diesem Zeitpunkt gültigen Rechtslage die Voraussetzungen eines gesetzlichen Rentenanspruchs nicht vorgelegen hätten.

Das Landgericht hat - unter Klageabweisung im Übrigen - festgestellt, die Beklagte sei verpflichtet, bei der Berechnung der Startgutschrift § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS n.F. anzuwenden, die dabei anzurechnende gesetzliche Rente statt nach einem Näherungsverfahren anhand einer konkreten Rentenauskunft zu bestimmen und dem Kläger bei Eintritt des Versicherungsfalles mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, die dem geringeren Betrag der nach ihrer alten Satzung (Fassung der 41. Änderung) entweder zum Umstellungsstichtag (31. Dezember 2001) oder zum Eintritt des Versicherungsfalles errechneten Zusatzrente entspricht.

Die Begründung zur umfassend eingelegten Berufung der Beklagten enthält hinsichtlich des Ausspruchs zu § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS keine Ausführungen. Diese finden sich vielmehr erstmalig in einem Schriftsatz vom 14. Februar 2006, der erst nach Ablauf der Begründungsfrist für die Berufung der Beklagten, jedoch noch innerhalb der Frist zur Erwiderung auf die Berufung des Klägers bei Gericht eingegangenen ist. Mit Schriftsatz vom 23. August 2006, der dann nach Ablauf auch der Erwiderungsfrist bei Gericht eingegangen ist, hat die Beklagte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand gestellt und hilfsweise - und erstmals ausdrücklich - Anschlussberufung eingelegt.

Während die Berufung des Klägers ohne Erfolg geblieben ist, hat das Berufungsgericht auf die Berufung der Beklagten das landgerichtliche Urteil geändert und unter Klageabweisung im Übrigen nur noch festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, bei der Berechnung der Startgutschrift § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS anzuwenden. Die vom Berufungsgericht festgestellte weitergehende Berufung sowie die Anschlussberufung der Beklagten hat es verworfen.

Der Kläger verfolgt mit seiner Revision seine bisherigen Anträge weiter, soweit er damit abgewiesen worden ist. Die Beklagte begehrt mit ihrer Revision insgesamt Klageabweisung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten hat nur teilweise Erfolg und führt zur Zurückweisung der Anschlussberufung an Stelle deren Verwerfung. Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.

A. Beide Revisionen sind in der erhobenen Form zulässig. Insbesondere ist von einer unbeschränkten Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht auszugehen.

Das Berufungsgericht hat die Revision ohne Einschränkung in der Urteilsformel zugelassen. Auch der - formelhaften - Begründung für die Zulassung, in der auf "mehrere Rechtsfragen von Grundsatzbedeutung" verwiesen wird, kann eine Beschränkung der Zulassung nicht entnommen werden. Hierfür reicht es nicht aus, dass das Berufungsgericht lediglich eine Begründung für die Zulassung der Revision gibt, ohne weiter erkennbar zu machen, dass es die Zulassung der Revision auf den durch die Rechtsfrage betroffenen Teil des Streitgegenstandes beschränken will (BGHZ 153, 358, 361; BGH, Urteil vom 26. Mai 1982 - IVb ZR 675/80 - NJW 1982, 1940 unter A I). Da das Berufungsgericht schon nicht ausgeführt hat, wegen welcher Rechtsfragen die Zulassung erfolgt, ist auch nicht unschwer oder eindeutig feststellbar, auf welchen Teil des Rechtsstreits die Zulassung beschränkt hätte sein sollen (vgl. hierzu BGHZ 153, 358, 361 f.).

B. Begründet ist jedoch nur die Revision der Beklagten, soweit sie sich gegen die Verwerfung von Berufung und Anschlussberufung wendet.

I. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf sein Urteil vom 24. November 2005 (12 U 102/04) ausgeführt, der Systemwechsel vom bisherigen Gesamtversorgungssystem zum neuen Betriebsrentensystem stelle als solcher noch keinen ungerechtfertigten Eingriff in Rechte der Pflichtversicherten dar.

Soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz die Feststellung zu § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS angegriffen habe, seien Berufung und Anschlussberufung unzulässig. Die ursprüngliche Berufungsbegründung enthalte keine Ausführungen zur Feststellung hinsichtlich § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS, weshalb die Berufung insoweit nicht fristgemäß begründet worden sei (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis Nr. 4 ZPO). Dies könne im Wiedereinsetzungsverfahren nicht geheilt werden. Die später hilfsweise erhobene Anschlussberufung vom 23. August 2006 sei erst nach Ablauf der Berufungserwiderungsfrist und damit ebenfalls verfristet erhoben worden (§ 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Eine Wiedereinsetzung sei insoweit mangels Notfristcharakter schon nicht statthaft, jedenfalls könne das Versäumnis nicht als unverschuldet angesehen werden. Daher müsse es mit der vom Landgericht festgestellten Maßgeblichkeit der Übergangsregelungen für rentennahe Versicherte sein Bewenden haben.

Die Übergangsvorschriften für rentennahe Versicherte seien wirksam, weshalb dem Kläger weitergehende Ansprüche nicht zustünden.

II. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis zum überwiegenden Teil Stand.

1. Rechtsfehlerhaft ist allerdings die Verwerfung der "weitergehenden Berufung" sowie der Anschlussberufung der Beklagten. Das Berufungsgericht hat dabei die gebotene Umdeutung der ursprünglich als selbständiges Rechtsmittel eingelegten Berufung, soweit sie sich gegen den Ausspruch zu § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS richtete, in eine unselbständige Anschlussberufung versäumt.

a) Die Beklagte hat bereits in der Berufungsbegründung den Antrag gestellt, die Klage insgesamt abzuweisen, und damit auch die Feststellung zu § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS angegriffen. Insoweit hat sie die Berufung jedoch nicht fristgerecht begründet. Eine Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand hat das Berufungsgericht zu Recht nicht gewährt. Jedoch sind auch im Verfahrensrecht analog § 140 BGB fehlerhafte Parteihandlungen in zulässige und wirksame umzudeuten, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind, die Umdeutung dem mutmaßlichen Parteiwillen entspricht und kein schutzwürdiges Interesse des Gegners entgegensteht (BGH, Urteil vom 27. April 1995 - VII ZR 218/94 - NJW 1995, 2362 unter I 2; BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1986 - IVb ZB 83/86 - FamRZ 1987, 154 unter II 1). Ohne Prüfung der Möglichkeit der Umdeutung einer unzulässigen, weil nicht fristgerecht begründeten Berufung in eine zulässige Anschlussberufung darf die Berufung nicht als unzulässig verworfen werden (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1986 aaO). Die Umdeutung setzt nicht voraus, dass die Prozesshandlung als Anschlussberufung bezeichnet wird; es genügt vielmehr das - auch stillschweigend zum Ausdruck gebrachte - Begehren auf Abänderung des Urteils erster Instanz (BGH, Urteile vom 9. Mai 1984 - IVb ZR 74/82 - NJW 1984, 2351 unter 4 c; vom 28. Oktober 1953 - VI ZR 217/52 - NJW 1954, 226 unter 2). Insoweit sind also keine strengen Anforderungen zu stellen (BGHZ 100, 383, 386). Nicht als Anschlussberufung gewertet werden könnte dagegen eine Prozesserklärung, die sich in der Abwehr des gegnerischen Berufungsantrags erschöpft (BGH, Urteil vom 9. Mai 1984 aaO) oder aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass ausschließlich ein selbständiges Rechtsmittel gewollt ist (BGHZ 100, 383, 387 f.; BGH, Urteil vom 27. April 1995 aaO sowie Beschluss vom 1. Oktober 1986 aaO; MünchKomm-ZPO/Rimmelspacher § 524 Rdn. 37). Auch wenn der tatsächliche Wille des Rechtsmittelführers ursprünglich auf die Durchführung einer selbständigen Berufung gerichtet war, kann in aller Regel zumindest ein - ausreichender - mutmaßlicher Wille angenommen werden, die unzulässige Hauptberufung wenigstens als Anschlussberufung "retten zu wollen" (BGHZ 100, 383, 388; BGH, Urteil vom 27. April 1995 aaO). b) Unter Anwendung dieser Grundsätze hätte das Berufungsgericht die Berufung der Beklagten, soweit sie nicht fristgerecht begründet und somit unzulässig war, in eine Anschlussberufung umdeuten müssen. Insoweit hat die Beklagte ihren Angriff innerhalb der Frist zur Einlegung einer Anschlussberufung (§ 524 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO) und inhaltlich ausreichend begründet. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Beklagte in Abkehr von der Regel ihre insoweit unzulässige Berufung nicht zumindest als Anschlussberufung hätte retten wollen. Das Berufungsgericht musste daher die ursprünglich eingelegte Berufung zum einen Teil - soweit innerhalb der Berufungsfrist begründet - als Hauptberufung und zum anderen Teil - soweit lediglich innerhalb der Anschlussberufungsfrist begründet - als Anschlussberufung werten. Der erst nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist eingegangene Schriftsatz, in welchem die Beklagte nun ausdrücklich Anschlussberufung einlegte, war daher nicht als erstmalig erhobenes eigenes Begehren zu verstehen, sondern als Bestandteil der bereits vorher erhobenen Anschlussberufung (vgl. Rimmelspacher aaO).

2. In der Sache ist das Berufungsurteil jedoch - insbesondere hinsichtlich des Ausspruchs zu § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS - richtig.

a) Bei zutreffender Auslegung des § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS sind dessen Voraussetzungen erfüllt, wenn der Versicherte zum Umstellungsstichtag das 52. Lebensjahr vollendet hatte und spätestens zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen eines Anspruchs auf eine gesetzliche Rente für schwerbehinderte Menschen einseitig hätte schaffen können - unterstellt, er hätte das Renteneintrittsalter bereits erreicht gehabt. Wie der Senat im Urteil vom heutigen Tag im Verfahren IV ZR 104/06 (zur Veröffentlichung vorgesehen) erkannt hat, setzt diese, am Maßstab des durchschnittlichen Versicherten entwickelte Auslegung insbesondere das Wartezeiterfordernis aus dem gesetzlichen Rentenversicherungsrecht in ein sachgerechtes Verhältnis zu dem in § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS vorausgesetzten Mindestlebensalter von 52 Jahren. Zudem wahrt sie die Vereinbarkeit der Bestimmung mit höherrangigem Recht, insbesondere dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Im Einzelnen wird auf die Ausführungen im genannten Senatsurteil verwiesen.

Der Kläger hatte die Möglichkeit, durch eine entsprechende Nachzahlung nach § 207 SGB VI seine Anrechnungszeiten für schulische Ausbildung so zu erhöhen, dass er bereits am 31. Dezember 2001 die Wartezeit des § 236a Abs. 4 Nr. 3 SGB VI erfüllt gehabt hätte. Er hätte daher - das Erreichen des Renteneintrittsalters unterstellt - am Umstellungsstichtag die Voraussetzungen für eine gesetzliche Altersrente für schwerbehinderte Menschen schaffen und somit i.S. von § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS beanspruchen können, weshalb seine Startgutschrift gemäß dieser Bestimmung nach den für rentennahe Versicherte geltenden Grundsätzen (§§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 VBLS) zu erfolgen hat.

b) Die weitergehenden Ansprüche des Klägers, insbesondere auf eine Rentenberechnung nach dem vor der Systemumstellung geltenden Satzungsrecht, hält das Berufungsgericht zu Recht nicht für gegeben.

aa) Der Senat hat bereits mit Urteil vom 14. November 2007 (BGHZ 174, 127 Tz. 25 ff., 27) entschieden, dass die Satzung der Beklagten auch ohne Zustimmung der Versicherten und im Wege einer umfassenden Systemumstellung geändert werden konnte. Mit Urteil vom 24. September 2008 (IV ZR 134/07 - zur Veröffentlichung vorgesehen) hat der Senat dies bestätigt und die Berechnung der bis zum Zeitpunkt der Systemumstellung von den rentennahen Versicherten erworbenen Rentenanwartschaften sowie deren Übertragung in das neu geschaffene Betriebsrentensystem gebilligt. Die von den Tarifvertragsparteien im Rahmen ihres weiten Gestaltungsspielraums getroffene Regelung ist jedenfalls vertretbar und schon aus diesem Grunde verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Einzelnen wird auf die Ausführungen in den genannten Senatsurteilen verwiesen.

bb) Hieran ändert auch nichts, dass der Kläger bereits bei Systemumstellung schwerbehindert war. Die Übergangsregelungen sind in diesem Fall gegenüber nicht schwerbehinderten rentennahen Versicherten zwar insofern abgewandelt, als bei der vorzunehmenden Hochrechung nicht pauschal auf die Vollendung des 63. Lebensjahrs, sondern im Regelfall auf das für den jeweiligen Versicherten frühestmögliche Eintrittsalter in die abschlagsfreie Rente für schwerbehinderte Menschen abzustellen ist. Nur wenn der einzelne schwerbehinderte Versicherte die Voraussetzungen für die Mindestgesamtversorgung (§ 41 Abs. 4 VBLS a.F.) erst zu einem späteren Zeitpunkt, aber noch bis Vollendung des 63. Lebensjahrs erfüllt, ist nach § 79 Abs. 2 Satz 5 VBLS auf diesen späteren Zeitpunkt hochzurechnen.

Der Kläger hat im Streitfall schon nicht substantiiert vorgetragen, dass ihm hieraus konkrete Nachteile entstünden. Dessen ungeachtet beruht die unterschiedliche Behandlung von schwerbehinderten und nicht schwerbehinderten Versicherten jedenfalls auf einem sachlichen Grund. Für nicht schwerbehinderte Versicherte mussten die Tarifvertragsparteien der Ungewissheit, in welchem Lebensalter diese Versicherten jeweils tatsächlich in die gesetzliche Altersrente eintreten werden, durch eine pauschalierende Annahme begegnen. Insoweit wurde vertretbar die Vollendung des 63. Lebensjahrs festgelegt. Für schwerbehinderte Versicherte steht jedoch mit dem Zeitpunkt, zu dem der jeweilige Versicherte frühestmöglich in eine abschlagsfreie gesetzliche Altersrente eintreten kann, ein konkreterer Anknüpfungspunkt zur Verfügung, der in der Gesamtheit der Fälle den tatsächlichen Verhältnissen näher kommen wird als der Zeitpunkt der Vollendung des 63. Lebensjahrs. Die bei einer pauschalierenden Hochrechnung unvermeidbaren Abweichungen von den tatsächlichen Entwicklungen im Einzelfall, die zum Nachteil aber auch zum Vorteil des Versicherten ausschlagen können, werden durch das Abstellen auf diesen konkreten Zeitpunkt minimiert (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT Teil VII - ATV Stand Juni 2003 Erl. 33.3.3. S. 273). Durch § 79 Abs. 2 Satz 5 VBLS wird zudem sichergestellt, dass der Versicherte durch den im Vergleich zu nicht schwerbehinderten Versicherten vorverlagerten Hochrechnungszeitpunkt nicht den Schutz durch die Mindestgesamtversorgung nach bisherigem Satzungsrecht verliert (vgl. Kiefer/Langenbrinck, Betriebliche Alterversorgung im öffentlichen Dienst Stand März 2007 § 33 ATV A 1.2 Erl. 6 S. 22; Langenbrinck/Mühlstädt, Betriebsrente der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, 2. Aufl. Rdn. 140).

3. Das Berufungsurteil hat daher keinen Bestand, soweit mit ihm Berufung und Anschlussberufung der Beklagten verworfen worden sind. Infolge der insoweit vorzunehmenden Umdeutung der ursprünglich eingelegten Berufung scheidet die Verwerfung einer "weitergehenden Berufung" aus. Die Zurückweisung der Anschlussberufung als unbegründet, die an Stelle deren Verwerfung als unzulässig geboten war, konnte der Senat selbst aussprechen, da der Fall auch im Übrigen zur Entscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO; vgl. Wenzel in: MünchKomm-ZPO 3. Aufl. § 561 Rdn. 7).

Ende der Entscheidung

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