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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 08.11.2001
Aktenzeichen: IX ZB 44/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 793
ZPO § 890
Zum Rechtsmittelzug gegen die Ordnungsgeldverurteilung durch ein sachlich unzuständiges Landgericht.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 44/01

vom 8. November 2001

in dem Zwangsvollstreckungsverfahren

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Stodolkowitz, Dr. Ganter, Raebel und Kayser am 8. November 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf das Rechtsmittel der Antragsgegner wird der Beschluß des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 14. März 2001 aufgehoben. Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung über die Beschwerde, auch über die Rechtsmittelkosten, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen.

Die Gerichtskosten für die Anrufung des Bundesgerichtshofs werden niedergeschlagen.

Gründe:

I.

Das Landgericht, bei dem zwischen den Beteiligten ein Rechtsstreit um die Bewilligung und Eintragung eines Wegerechtes in der Berufungsinstanz anhängig war, erließ nach Verweisung durch das zunächst angerufene Amtsgericht eine einstweilige Verfügung, durch welche die Antragsgegner verurteilt wurden, die Benutzung eines näher bezeichneten Weges über ihr Grundstück bis zum rechtskräftigen Abschluß der Hauptsache zu "gewährleisten" und den durch Erdaushub anläßlich einer Gebäudesanierung versperrten Weg innerhalb von zwei Tagen nach Zustellung des Verfügungsurteils in einer Breite von einem Meter "wieder zum Gehen und Fahren für Mopeds freizumachen". Den Antragsgegnern wurde zugleich für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld in Höhe von 5.000 DM angedroht.

Sechs Tage nach Zustellung des Verfügungsurteils beantragte der Beschwerdegegner bei dem Landgericht die Verhängung eines Ordnungsgeldes, welches das Landgericht gegen die Beschwerdeführer am 19. Februar 2001 in Höhe von 500 DM festsetzte. Gegen den Ordnungsgeldbeschluß erhoben die Antragsgegner form- und fristgerecht sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht. Dieses verwarf das Rechtsmittel mit der Begründung, den Antragsgegnern sei ein Beschwerderecht aus § 793 Abs. 1 ZPO durch § 567 Abs. 3 ZPO genommen.

Hiergegen wenden sich die Antragsgegner mit ihrer innerhalb der Frist des § 577 Abs. 2 ZPO eingelegten sofortigen weiteren Beschwerde. In ihrer Rechtsmittelbegründung ist ausgeführt, daß sich die Erstbeschwerde nicht gegen eine Beschwerdeentscheidung des Landgerichts richte, sondern gegen die erstinstanzliche Entscheidung eines Vollstreckungsgerichts, die nach § 793 Abs. 1 ZPO stets rechtsmittelfähig sei. Das Oberlandesgericht hat der sofortigen weiteren Beschwerde unter dem Gesichtspunkt greifbarer Gesetzeswidrigkeit seines Beschlusses vom 14. März 2001 mit eingehender Begründung nicht abgeholfen und das (außerordentliche) Rechtsmittel dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.

Das außerordentliche Rechtsmittel der Antragsgegner ist zulässig und begründet.

1. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, daß als ungeschriebene Ausnahme zu § 567 Abs. 4, § 133 Nr. 2 GVG unter bestimmten Voraussetzungen eine (weitere) außerordentliche Beschwerde gegen Beschlüsse der Oberlandesgerichte stattfindet (BGHZ 119, 372; 121, 397; BGH, Beschl. v. 4. November 1999 - VII ZB 19/99, NJW 2000, 960). Eine solche Ausnahme besteht hier. Die angefochtene Entscheidung des Oberlandesgerichts kann zu einer verfassungswidrigen Verkürzung des Rechtsschutzes für die Antragsgegner führen, die nicht bei Bestand bleiben darf. Sie enthält insoweit zugleich einen neuen selbständigen Beschwerdegrund (§ 568 Abs. 2 Satz 2 ZPO) neben den möglichen Fehlern des landgerichtlichen Beschlusses.

Das Oberlandesgericht hat den Beschwerdeführern ein vom Gesetz gewährtes Rechtsmittel durch seine Verwerfung als unstatthaft ohne vertretbare Gründe zu Unrecht versagt. Dieser Verstoß wiegt ebenso schwer wie die Verkennung der Beschwer, bei welcher der Senat trotz eindeutiger Unrichtigkeit zwar ein weiteres Rechtsmittel gegen die nach § 15 Abs. 1 Nr. 2, 3 BNotO einen früheren Notar zum Schadensersatz verpflichtende Anordnung des Landgerichts nach Beschwerdeverwerfung durch das Oberlandesgericht für unstatthaft gehalten (BGH, Beschl. v. 14. Dezember 1989 - IX ZB 40/89, WM 1990, 782, 784), das Bundesverfassungsgericht später aber den Beschluß des Oberlandesgerichts aufgehoben hat (NJW 1992, 359).

In der Regel eröffnet sich durch jene richterrechtliche Fortbildung des Zivilprozeßrechts für den beschwerten Teil allerdings noch nicht die nach § 567 Abs. 4 ZPO ausgeschlossene Beschwerde. Vielmehr ist die Verletzung eines Verfahrensgrundrechts vom Oberlandesgericht selbst - unter Einschränkung seiner Bindung gemäß § 318 ZPO - auf Gegenvorstellung zu beheben (vgl. BGH, Beschl. v. 25. November 1999 - IX ZB 95/99, NJW 2000, 590 m.w.N.; siehe künftig zur Gehörsverletzung § 321a ZPO i.d.F. des Zivilprozeßreformgesetzes vom 27. Juli 2001, BGBl. I, 1887). Eine solche Selbstheilung des Verfahrensmangels durch den iudex a quo ist aber dann in Frage gestellt, wenn das Oberlandesgericht - wie hier - auf die außerordentliche Beschwerde seine Entscheidung bereits einer Prüfung unterzogen und mit ausführlicher Begründung seinen Rechtsirrtum verteidigt hat. Genügt es danach nicht, an die Einsicht der Vorinstanz zu appellieren, um ein vom Gesetz eröffnetes Rechtsmittel im Verfahren tatsächlich stattfinden zu lassen, so muß im Interesse effektiven Rechtsschutzes der iudex ad quem auf die dann statthafte außerordentliche Beschwerde (vgl. Kreft, Festgabe für Graßhof 1998, S. 185, 194 f) den Entscheid des iudex a quo selbst kassieren oder reformieren. Auch die Unabhängigkeit des Vorderrichters verbietet dann, ihm durch weiteren Appell die Verantwortung für eine eigene Entscheidung aufzudrängen, der er sich - nach nochmaliger Prüfung - ausdrücklich widersetzt hat.

2. Das Oberlandesgericht hat sich den Beanstandungen der Beschwerdeführer gegen seinen Verwerfungsbeschluß mit Erwägungen verschlossen, die in jeder Hinsicht verfehlt erscheinen. Eine Sachprüfung der frist- und formgerechten sofortigen Beschwerde gegen die landgerichtliche Ordnungsgeldverurteilung war hier sowohl nach § 793 Abs. 1 ZPO als auch von Verfassungs wegen geboten.

a) Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist nicht die vollstreckte Entscheidung, sondern nur die Vollstreckungsentscheidung. Die vom Oberlandesgericht angeführten Vorschriften des § 567 Abs. 3 ZPO, eingefügt durch das Rechtspflegevereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I, 2833), betreffen keine Vollstreckungsentscheidungen, sondern allein Zwischen- und Nebenentscheidungen des Prozeßgerichts im Verfahren der Hauptsache (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf des Rechtspflegevereinfachungsgesetzes, BT-Drs. 11/3621 S. 26). Die Beschwerde hiergegen soll nicht über den Rechtsmittelzug der Hauptsache hinausführen (aaO, S. 25, 44). Der Prozeß und die Zwangsvollstreckung des prozessualen Erkenntnisses sind voneinander unabhängige, selbständige Gerichtsverfahren mit eigenem Rechtsmittelzug (für das Zwangsvollstreckungsverfahren siehe § 793 ZPO). Nach den §§ 887, 888, 890 ZPO ergehen keine Nebenentscheidungen des Prozeßgerichts im Erkenntnisverfahren, sie setzen ein solches nicht einmal voraus. Die sofortige Beschwerde gegen Entscheidungen im Zwangsvollstreckungsverfahren, die § 793 Abs. 1 ZPO eröffnet, kann daher niemals nach § 567 Abs. 3 ZPO ausgeschaltet sein. Nur für die sofortige weitere Beschwerde nach § 793 Abs. 2 ZPO wird von einer Minderansicht (vgl. KG [8. ZS] NJW 1991, 989; OLG Frankfurt [20. ZS] MDR 1992, 1000 f; jeweils m.w.N.) vertreten, daß das Rechtsmittel unstatthaft sei, wenn es über den Rechtsmittelzug im Erkenntnisverfahren hinausführe. Der vorliegende Fall gebietet nicht, diese Streitfrage zu beantworten.

b) Das Oberlandesgericht geht selbst davon aus, daß § 793 Abs. 2 ZPO ihm eine Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung ermöglicht haben würde, wenn der Ordnungsgeldantrag beim Amtsgericht zurückgewiesen worden wäre, das Landgericht also als Beschwerdegericht entschieden hätte. Wenn hier nach Ansicht des Oberlandesgerichts die Gleichlaufregel einer weiteren Beschwerde an das Oberlandesgericht nach § 793 Abs. 2 ZPO nicht entgegen steht (ebenso OLG Hamm NJW 1973, 1135; OLG Celle NJW 1990, 262; OLG Frankfurt [12. ZS] NJW 1996, 1219; KG [18. ZS] MDR 1998, 1117; zum ähnlich gelagerten Problem, wenn im Erkenntnisverfahren nach § 27 FGG nur die Rechtsbeschwerde stattfindet, diese aber ohne die Beschränkung des § 568 Abs. 2 ZPO, vgl. BayObLGZ 1983, 14, 17; anderer Ansicht die oben unter a) angeführten Entscheidungen), obwohl es gleichzeitig die Unanfechtbarkeit des landgerichtlichen Verfügungsurteils annimmt, so kann die Gleichlaufregel auch die Erstbeschwerde an das Oberlandesgericht nicht ausschalten. Hätte das Gesetz den ihm unterstellten Gedanken für den Vollstreckungsrechtsschutz aufgegriffen, so hätte es ihn jedenfalls ohne eine willkürliche Ungleichbehandlung der ersten und der weiteren Beschwerde nach § 793 ZPO durchführen müssen. Die Ansicht des Oberlandesgerichts wäre in diesem Zusammenhang folglich nur dann widerspruchsfrei vertretbar, wenn es in den Zwangsvollstreckungsverfahren der §§ 887, 888, 890 ZPO mit der oben genannten Minderansicht die weitere sofortige Beschwerde zum Oberlandesgericht grundsätzlich ebenfalls als unstatthaft ansähe. Da das Oberlandesgericht dieser Ansicht aber ausdrücklich nicht folgt, ist seine Annahme, § 567 Abs. 3 ZPO hindere gleichwohl die Vollstreckungserstbeschwerde aus Gründen des Rechtsmittelgleichlaufs, nicht nachvollziehbar und daher willkürlich.

Das Oberlandesgericht zieht auch nicht in Zweifel, daß eine sofortige (erste) Beschwerde nach § 793 Abs. 1 ZPO statthaft ist, wenn das Landgericht tatsächlich als Prozeßgericht des ersten Rechtszuges Entscheidungen nach den §§ 887, 888, 890 ZPO trifft. Welche Sachgründe demgegenüber eine Beschneidung des Rechtsschutzes in Vollstreckungsverfahren dann rechtfertigen könnten, wenn das Landgericht als (unzuständiges) Prozeßgericht des zweiten Rechtszuges eine Erstentscheidung über Anträge nach den §§ 887, 888, 890 ZPO trifft, sagt das Oberlandesgericht nicht. Einer Begründung dieses Punktes hätte es indes bedurft. Denn im Erkenntnisverfahren findet die Berufung (ebenso nach § 568 Abs. 1 ZPO die Erstbeschwerde) an das Oberlandesgericht nach § 119 Abs. 1 Nr. 3 GVG auch dann statt, wenn das Landgericht entschieden hat, obwohl die Zuständigkeit des Amtsgerichtes begründet war. Sonst wäre bereits die Regel des Gesetzes (§ 10 ZPO) bedenklich, daß auf diesen Zuständigkeitsmangel ein Rechtsmittel nicht gestützt werden kann. Ein Rechtsmittelverlust tritt in jenem Fall infolgedessen nicht ein. Gäbe es daher - was nicht zutrifft - den vom Oberlandesgericht gedachten Fall, daß das Landgericht nach § 890 ZPO als Prozeßgericht des zweiten Rechtszuges und Vollstreckungserstgericht zuständigerweise ein Ordnungsgeld verhängen kann, wäre unerklärlich, wieso das Gesetz allein in diesem Sonderfall dem beschwerten Teil jedwedes Rechtsmittel nehmen könnte.

Spätestens an diesem Punkt mußte sich dem Oberlandesgericht auch die Erkenntnis aufdrängen, daß seinen Schlußfolgerungen von vornherein der Boden fehlte. Vollstreckungsgericht nach den §§ 887, 888, 890 ZPO ist in ausschließlicher Zuständigkeit (§ 802 ZPO) das Prozeßgericht des ersten Rechtszuges. Schon diese Zuweisung schließt aus, daß eine Erstentscheidung nach den §§ 887, 888, 890 ZPO - wie vom Oberlandesgericht angenommen - in einem zweitinstanzlichen Verfahren ergeht. Das Rechtsmittelgericht der Hauptsache kann als Vollstreckungsgericht nach § 890 ZPO auch dann nicht zuständig sein, wenn es einen Prozeßvergleich protokolliert hat (vgl. BGH, Beschl. v. 25. November 1999 - IX ZB 95/99, aaO) oder - wie hier - einstweiliger Rechtsschutz nach den §§ 943 oder 620a Abs. 4 ZPO in den Händen des Rechtsmittelgerichts der Hauptsache lag (OLG Braunschweig, NdsRpflege 1950, 86; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO 60. Aufl. § 887 Rn. 11; MünchKomm-ZPO Schilken, 2. Aufl. § 887 Rn. 10; Stein/Jonas/Brehm, ZPO 21. Aufl. § 887 Rn. 32 m.w.N.; Wieczorek/Schütze/Storz, ZPO 3. Aufl. § 887 Rn. 6; auch schon die ältere Kommentarliteratur wie Förster/Kann, ZPO 3. Aufl. § 887 Anm. 3 b; Seuffert/Walsmann, ZPO 12. Aufl. § 887 Anm. 2 d; Sydow/Busch, ZPO 22. Aufl. § 887 Anm. 3 A). Unter Beachtung dieser Gegebenheiten hätte es auch dem Oberlandesgericht befremdlich erscheinen müssen, daß ausgerechnet die Tätigkeit des unzuständigen Vollstreckungsgerichts den beschwerten Vollstreckungsschuldner des ihm vom Gesetz gewährten Beschwerderechts berauben sollte. Im Gegenteil wäre der so drohenden grundrechtswidrigen Rechtswegeverkürzung (vgl. BGH, Beschl. v. 25. November 1999 - IX ZB 95/99, aaO) selbst dann mit einer Beschwerde nach § 793 Abs. 1 BGB zu begegnen gewesen, wenn man im Grundsatz mit der oben unter a) genannten Minderansicht das Rechtsmittel ausgeschlossen hätte, weil das Beschwerdegericht im Erkenntnisprozeß mit einem Rechtsmittel nicht erreicht werden konnte.

III.

Für die weitere Behandlung der Beschwerde gibt der Senat folgende Hinweise:

1. Das Landgericht hat das Ordnungsgeld gegen die Antragsgegner mit der Begründung festgesetzt, sie hätten der ihnen durch einstweilige Verfügung auferlegten Pflicht, die Benutzung des Weges zu "gewährleisten", zuwider gehandelt. Die Vollstreckung dieser Verpflichtung wäre nur möglich, wenn sie in genügend bestimmter Weise erkennen ließe, welche Verhaltensweise die Antragsgegner bei Meidung des angedrohten Ordnungsgeldes zu beobachten haben.

2. Verletzt haben die Antragsgegner möglicherweise die in dem Ordnungsgeldantrag herangezogene Verpflichtung aus der einstweiligen Verfügung, den durch Erdaushub versperrten Weg fristgerecht wieder zum Gehen und Fahren für Mopeds in der Breite von einem Meter freizumachen. In dieser Hinsicht hat sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit überhaupt ein nach § 890 ZPO vollstreckbarer Titel vorlag oder nur eine Zwangsvollstreckung nach § 887 ZPO zulässig gewesen wäre. Die entsprechende Prüfung wird daher im Beschwerdeverfahren nachzuholen sein.



Ende der Entscheidung

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