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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: IX ZB 69/00
Rechtsgebiete: ZPO, Post-Kundenschutzverordnung, PostG n.F., StGB


Vorschriften:

ZPO § 182
ZPO § 418 Abs. 2
Post-Kundenschutzverordnung § 13
PostG n.F. § 33 Abs. 1
StGB § 133
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZB 69/00

vom

19. Oktober 2000

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch die Richter Dr. Kreft, Kirchhof, Dr. Fischer, Dr. Zugehör und Dr. Ganter

am 19. Oktober 2000

beschlossen:

Tenor:

Die weitere sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 18. Mai 2000 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert beträgt 383.177,71 DM.

Gründe:

I.

Die Beklagte hat gegen das Versäumnisurteil des Landgerichts vom 18. November 1999, das ihr gemäß § 182 ZPO am 25. November 1999 zugestellt worden ist, am 27. Dezember 1999 Einspruch eingelegt und gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Das Landgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und den Einspruch als unzulässig verworfen. Die zulässige sofortige Beschwerde der Beklagten gegen diesen Beschluß hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten.

II.

Die weitere sofortige Beschwerde der Beklagten ist zulässig (§§ 567 Abs. 4 Satz 2, 568 a, 547, 577 ZPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Das Versäumnisurteil ist der Beklagten gemäß § 182 ZPO wirksam zugestellt worden.

a) An der Zulässigkeit dieser Ersatzzustellung hat die Privatisierung der Deutschen Bundespost zur Deutschen Post AG nichts geändert (BGH, Beschl. v. 19. März 1998 - IX ZR 210/97, NJW 1998, 1716; BFH NJW 1997, 3264).

Gemäß § 418 Abs. 2 ZPO begründet die Zustellungsurkunde vollen Beweis dafür, daß die Benachrichtigung der Beklagten und die Niederlegung der Sendung bei der angegebenen Stelle vorgenommen worden sind. Für einen Gegenbeweis nach § 418 Abs. 2 ZPO hat die Beklagte keine Umstände behauptet, die ein Fehlverhalten der Postbediensteten bei der Zustellung und damit eine Falschbeurkundung belegen könnten (vgl. BVerwG NJW 1985, 1179, 1180; BFH NJW 1997, 3264).

b) Die Zustellung gemäß § 182 ZPO war nicht deswegen unwirksam, weil die schriftliche Mitteilung über die Niederlegung in den Gemeinschaftsbriefkasten der Wohngemeinschaft der Beklagten und einer weiteren Frau eingelegt worden ist.

Für die Benachrichtigung des Empfängers in der bei gewöhnlichen Briefen üblichen Weise gemäß § 182 ZPO ist eine konkrete Betrachtung maßgeblich; entscheidend ist dafür die vom einzelnen Empfänger gehandhabte und jedenfalls hingenommene Übung (BVerwG NJW 1985, 1179; BFH NJW 1988, 1999, 2000). Danach war die Mitteilung über die Niederlegung im vorliegenden Fall in den Gemeinschaftsbriefkasten einzulegen, der auch für die Beklagte bestimmt war und von ihr benutzt wurde.

Der Einwurf der Benachrichtigung in den Gemeinschaftsbriefkasten für einen - wie im vorliegenden Falle - überschaubaren Benutzerkreis war nicht untunlich im Sinne des § 182 ZPO; ein solches Vorgehen war zumindest ebenso sicher wie das in dieser Vorschrift zugelassene Befestigen an der Wohnungstür oder Aushändigen an eine Person in der Nachbarschaft (vgl. BVerwG NJW 1988, 578 f; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 21. Aufl. § 182 Rdn. 3; von Feldmann, in: Münchner Kommentar zur ZPO, 1992 § 182 Rn. 4; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 58. Aufl. § 182 Rn. 10; Zöller/Stöber, ZPO, 21. Aufl. § 182 Rn. 3). Es kann dahinstehen, ob, wie das Landgericht Neuruppin (NJW 1997, 2337; zust. Westphal NJW 1998, 2413; abl. Eyinck NJW 1998, 206) meint, sich aus § 13 der Post-Kundenschutzverordnung vom 19. Dezember 1995 (BGBl. I S. 2016), in Kraft getreten am 1. Januar 1996, ergibt, daß die Postsendung - auch eine Benachrichtigung gemäß § 182 ZPO - grundsätzlich nur über einen Einzelbriefkasten des Empfängers zugestellt werden dürfe. Diese Verordnung ist Ende 1997 außer Kraft getreten (§ 58 Abs. 2 Nr. 2 des Postgesetzes vom 22. Dezember 1997 - BGBl. I S. 3294 - PostG n.F.).

c) Die Zustellung ist entgegen der Ansicht der Beklagten auch nicht unwirksam, weil das Versäumnisurteil bei einer sog. Postagentur der Deutschen Post AG niedergelegt worden ist. Der Betreiber einer solchen Agentur vertritt die Deutsche Post AG aufgrund eines Vertrages, der am Handelsvertreterrecht (§§ 84 ff HGB) ausgerichtet ist, bei der Wahrnehmung von Aufgaben und Leistungen in selbständiger Tätigkeit und Verantwortung (Basedow/Donath/Schmidt, Postagenturen, in: Basedow, Das neue Wirtschaftsrecht der Postdienste, 1995, S. 1 ff, insbesondere S. 12, 32, 59, 127 ff). Postsendungen können auch bei einer solchen Postagentur gemäß § 182 ZPO niedergelegt werden (VG Hannover NJW 1998, 920; FG München EFG 2000, 106; Thomas/Putzo, ZPO, 22. Aufl. § 182 Anm. 4; Rößler DStZ 1998, 288; a.A. Hartmann, aaO § 182 Rn. 8; Zöller/Stöber, aaO § 182 Rn. 2; Späth DStZ 1997, 847).

Im Zuge der Privatisierung der Deutschen Bundespost wurde die Deutsche Post AG mit dem Recht beliehen, Schriftstücke nach den Regeln des Prozeß- und Verfahrensrechts förmlich zustellen zu können (§ 16 Abs. 1 des Gesetzes über das Postwesen i.d.F. des Postneuordnungsgesetzes vom 14. September 1994 - BGBl. I S. 2325, 2370 - PostG a.F.). Nach § 33 Abs. 1 PostG n.F. ist ein Lizenznehmer, der Briefzustelldienstleistungen erbringt, verpflichtet, Schriftstücke nach den Vorschriften der Prozeßordnungen förmlich zuzustellen; im Umfang dieser Verpflichtung ist der Lizenznehmer mit Hoheitsbefugnissen ausgestattet und beliehener Unternehmer. Für Schäden, die durch eine Pflichtverletzung bei der Durchführung förmlicher Zustellungen - einschließlich der Aufbewahrung nach einer Niederlegung (vgl. BGHZ 28, 30, 33 f.) - entstehen, haftet der Lizenznehmer wie ein öffentlich-rechtlicher Dienstherr für seine Bediensteten im hoheitlichen Bereich (§ 35 PostG n.F. i.V.m. § 839 BGB, Art. 34 GG).

Danach muß der Begriff "Postanstalt" im Sinne des § 182 ZPO, den der Gesetzgeber unverändert beibehalten hat, nunmehr auf privatrechtliche Organisationsformen der Deutschen Post AG erstreckt werden (VG Hannover, aaO 921; FG München, aaO; Rößler, aaO 290; Musielak/Wolst, ZPO 2. Aufl. § 182 Rn. 2). Schon nach früherem Recht fielen unter diesen Begriff die sog. "Poststellen II", die von Privatpersonen - regelmäßig im Nebenerwerb und in eigenen Räumen - aufgrund eines privatrechtlichen Verhältnisses zur Deutschen Bundespost betrieben wurden (Basedow/Donath/Schmidt, aaO S. 4 f). Nach deren Privatisierung macht es keinen rechtserheblichen Unterschied, ob gemäß § 182 ZPO niedergelegte Schriftstücke in Betriebsräumen der Deutschen Post AG oder in solchen einer Postagentur, die aufgrund des Agenturvertrages letztlich eine privatrechtliche Organisationseinheit dieser AG ist, zur Abholung aufbewahrt werden (a.A. Zöller/Stöber, aaO). Der post- und strafrechtliche Schutz des Postgeheimnisses gilt gleichermaßen für Bedienstete der Deutschen Post AG und selbständige Agenturbetreiber (§ 5 Abs. 1 PostG a.F., § 39 Abs. 2 PostG n.F.; §§ 206, 353 b Abs. 1 Nr. 2 StGB i.V.m. § 1 des Verpflichtungsgesetzes vom 2. März 1974 - BGBl. I S. 469, 547; Basedow/Donath/Schmidt, aaO S. 33, 127). Nach § 133 StGB wird jede dienstliche Verwahrung von Schriftstücken geschützt.

Der vorliegende Fall zeigt, daß die Einschaltung einer Postagentur der Deutschen Post AG auch dem Anliegen des Gesetzgebers gerecht wird, daß nach § 182 ZPO die Postsendung bei der "Postanstalt" am "Ort der Zustellung", also in der Gemeinde am Wohnsitz des Empfängers (BFH BStBl. II 1988, 897; Roth, aaO § 182 Rn. 2; von Feldmann, aaO § 182 Rn. 2; Hartmann, aaO § 182 Rn. 8; Zöller/Stöber, aaO § 182 Rn. 2), niederzulegen ist. Die Postagentur befindet sich in der zu S. gehörenden Gemeinde P., in der die Beklagte wohnt; das Postamt ist in S.

2. Die frist- und formgerecht beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand darf der Beklagten nicht gewährt werden (§§ 233 ff ZPO). Die Tatrichter haben rechtsfehlerfrei festgestellt, daß die - darlegungsbelastete - Beklagte nicht ohne ihr Verschulden gehindert war, die Notfrist zum Einspruch gegen das Versäumnisurteil (§§ 236 Abs. 2, 338, 339 Abs. 1 ZPO) einzuhalten.



Ende der Entscheidung

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