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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.05.2003
Aktenzeichen: IX ZR 169/02
Rechtsgebiete: InsO


Vorschriften:

InsO § 133 Abs. 1
a) Eine Zahlung, die der Schuldner zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen an den Gerichtsvollzieher leistet, ist eine Rechtshandlung des Schuldners.

b) Gewährt der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung eine Leistung früher als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag, so stellt sie sich nicht bereits deshalb als inkongruente Deckung dar, weil sie zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung erfolgt.

c) Für den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz genügt auch bei einer kongruenten Deckung bedingter Vorsatz.

d) Einem Schuldner, der weiß, daß er nicht alle seine Gläubiger befriedigen kann, und der Forderungen eines einzelnen Gläubigers vorwiegend deshalb erfüllt, um diesen von der Stellung eines Insolvenzantrages abzuhalten, kommt es nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner gesetzlichen oder vertraglichen Pflichten, sondern auf die Bevorzugung dieses einzelnen Gläubigers an; damit nimmt er die Benachteiligung der Gläubiger im allgemeinen in Kauf.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 169/02

Verkündet am: 27. Mai 2003

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Mai 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Kirchhof, Dr. Fischer, Raebel und Dr. Bergmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 15. Juli 2002 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger ist Verwalter in dem am 27. Juli 2000 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen des A. T. , Inhaber der Firma T. Bautenschutz (im folgenden: Schuldner). Zuletzt hatte der Betrieb des Schuldners sieben oder acht Mitarbeiter, für die Sozialversicherungsbeiträge auch an die beklagte Innungskrankenkasse abzuführen waren.

Der Schuldner geriet im Sommer 1999 in wirtschaftliche Schwierigkeiten, weil sein Hauptauftraggeber, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren am 27. Oktober 1999 eröffnet wurde, Zahlungsverpflichtungen ihm gegenüber zunächst nur noch schleppend, später gar nicht mehr erfüllen konnte. Wegen der aufgelaufenen Beitragsrückstände bei der Beklagten erteilte diese am 12. August 1999 dem zuständigen Gerichtsvollzieher einen ersten Vollstreckungsauftrag über insgesamt 28.216,47 DM. Nachdem ein vom Schuldner an die Beklagte gegebener Scheck über 12.000 DM am 15. September 1999 von dem bezogenen Geldinstitut wegen fehlender Deckung unbezahlt zurückgegeben und nicht eingelöst worden war, forderte die Beklagte den Schuldner mit Schreiben vom 15. und 24. September 1999 erneut zur Begleichung der Beitragsrückstände auf, die sich mittlerweile auf 31.418,14 DM beliefen.

Anfang Oktober 1999 informierte der Gerichtsvollzieher den Schuldner über den vorliegenden Vollstreckungsauftrag der Beklagten. Um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen abzuwenden, leistete der Schuldner am 8. Oktober 1999 an den Gerichtsvollzieher eine Barzahlung in Höhe von insgesamt 12.600 DM. Von diesem Betrag wurden 9.790,35 DM an die Beklagte abgeführt und dieser am 22. Oktober 1999 gutgeschrieben; der Restbetrag wurde zur vollständigen Befriedigung einer Forderung eines anderen Sozialversicherungsträgers verwendet. Am 26. Oktober 1999 erbrachte der Schuldner an den Gerichtsvollzieher eine weitere Barzahlung in Höhe von 10.000 DM, von der nach Abzug der Kosten ein Betrag in Höhe von 9.972,50 DM an die Beklagte weitergeleitet und dieser am 10. November 1999 gutgeschrieben wurde. Mit Schreiben vom 22. November 1999 forderte die Beklagte Rückführung der zwischenzeitlich aufgelaufenen Beitragsrückstände in Höhe von 31.243,28 DM. Am 23. November 1999 zahlte der Schuldner wiederum an den Gerichtsvollzieher einen Betrag von 9.000 DM, der in Höhe von 2.272,30 DM an die Beklagte weitergeleitet und dieser am 28. Dezember 1999 gutgeschrieben wurde. Der Differenzbetrag wurde zur vollständigen Erfüllung von Forderungen anderer Sozialversicherungsträger verwendet, die gleichfalls Vollstreckungsaufträge erteilt hatten. Laut Mahnschreiben der Beklagten vom 17. Dezember 1999 waren zwischenzeitlich Beitragsrückstände in Höhe von 34.861 DM aufgelaufen. Am 24. Januar 2000 leistete der Schuldner an den Gerichtsvollzieher eine weitere Zahlung von 14.945 DM, die der Beklagten am 27. Januar 2000 gutgeschrieben wurde. Mit Schreiben vom 18. April 2000 beantragte die Beklagte sodann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners.

Der Kläger hat unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung gemäß § 133 InsO Rückgewähransprüche in Höhe von 36.980,15 DM geltend gemacht. In der ersten Instanz hat die Beklagte die Klageforderung in Höhe eines Betrages von 14.945 DM anerkannt und ist insoweit durch Teil-Anerkenntnisurteil vom 23. Oktober 2001 zur Zahlung verurteilt worden. Mit Teil- und Schlußurteil vom 13. November 2001 hat das Landgericht auch der auf Zahlung des weiteren Betrages von 22.035,15 DM gerichteten Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht zurückgewiesen. Mit der - zugelassenen - Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren im Umfange des nicht anerkannten Teiles der Klageforderung weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

I.

Das Berufungsgericht hat einen Anspruch des Klägers auf Rückgewähr gemäß § 143 Abs. 1, § 133 Abs. 1 InsO in Höhe von 11.266,39 € (= 22.035,15 DM) mit folgender Begründung angenommen: Die Zahlungen des Schuldners vom 8. Oktober, 26. Oktober und vom 23. November 1999 an den Gerichtsvollzieher seien als "Rechtshandlungen des Schuldners" im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO anzusehen. Es habe sich bei den Leistungen nicht um Pfändungen, sondern um freiwillige Zahlungen des Schuldners gehandelt, der Vollstreckungsmaßnahmen - mit der befürchteten weiteren Folge eines Insolvenzantrages der Beklagten - gerade habe vermeiden wollen. Die Zahlungen könnten daher weder als Vollstreckungsmaßnahmen angesehen noch solchen gleichgestellt werden; sie seien vielmehr Rechtshandlungen des Schuldners im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO. Der Schuldner habe diese Zahlungen auch mit dem Vorsatz geleistet, seine Gläubiger zu benachteiligen. Da der Schuldner zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf eine fällige Forderung der Beklagten geleistet habe, sei eine inkongruente Deckung gegeben, die nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners sei. Der Fall, daß der Schuldner trotz Gewährung einer inkongruenten Deckung angenommen habe, mit Sicherheit alle seine Gläubiger befriedigen zu können, sei hier nicht gegeben. Die gewährte inkongruente Deckung sei auch ein Beweisanzeichen dafür, daß der Beklagten im Zeitpunkt der Zahlungen der Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners bekannt gewesen sei. Daß diese Kenntnis bei der Beklagten vorhanden gewesen sei, könne im übrigen auch aus den gesamten Umständen geschlossen werden.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten im Ergebnis einer rechtlichen Überprüfung stand.

1. Rechtsfehlerfrei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß es sich bei den angefochtenen Zahlungen um Rechtshandlungen des Schuldners im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO handelt.

a) Zwar unterliegen Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern als solche regelmäßig nicht der Anfechtung gemäß § 133 InsO, weil diese Norm eine Rechtshandlung des Schuldners voraussetzt. Nach § 133 InsO anfechtbar ist eine im Rahmen oder aus Anlaß einer Zwangsvollstreckung erfolgte Vermögensverlagerung jedoch dann, wenn dazu zumindest auch Rechtshandlungen des Schuldners beigetragen haben (vgl. MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 133 Rn. 8; Paulus, in: Kübler/Prütting, InsO § 133 Rn. 3; vgl. auch BGHZ 143, 332, 333 f).

b) Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte die ihr aufgrund der Zahlungen des Schuldners an den Gerichtsvollzieher gutgeschriebenen Beträge nicht durch Pfändung und Wegnahme des Geldes durch den Gerichtsvollzieher (§ 808 Abs. 1, § 815 Abs. 3 ZPO) oder durch sonstige Vollstreckungsmaßnahmen erlangt. Vielmehr hat der Schuldner die Teilzahlungen auf die Beitragsforderungen der Beklagten nach der Mitteilung des Gerichtsvollziehers, es liege ein Vollstreckungsauftrag der Beklagten vor, erbracht, bevor es zur Vornahme von Vollstreckungsmaßnahmen kam. Der Schuldner wollte durch die Teilzahlungen Vollstreckungsmaßnahmen gerade verhindern, weil er befürchtete, daß er die eidesstattliche Versicherung würde abgeben müssen und die Beklagte sodann Insolvenzantrag stellen würde. Zahlungen, die ein Schuldner freiwillig oder zur Abwendung der Zwangsvollstreckung an den Gerichtsvollzieher erbringt, sind aber selbst keine Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern (vgl. §§ 754, 755 ZPO).

c) Der Umstand, daß ein Schuldner nur unter dem Druck der drohenden Zwangsvollstreckung zahlt, rechtfertigt keine Gleichsetzung dieser Leistungen des Schuldners mit Vermögenszugriffen, die durch Vornahme von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen erfolgen. Ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Beurteilung besteht schon darin, daß bei der Zahlung durch den Schuldner die Verminderung des allen Gläubigern zur Verfügung stehenden Schuldnervermögens auf einer Handlung des Schuldners beruht. Entgegen der Meinung der Revision stellt es keinen Widerspruch dar, daß die Leistung zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung in der "kritischen Zeit" inkongruent im Sinne von § 131 InsO, gleichwohl aber eine Rechtshandlung des Schuldners im Sinne des § 133 InsO ist. Ob der Gerichtsvollzieher in jedem Falle auf die Barmittel, mit denen der Schuldner die Teilzahlungen erbracht hat, auch im Wege der Zwangsvollstreckung hätte zugreifen können, ist nicht erheblich.

d) Der vom Senat in der Entscheidung vom 11. April 2002 - IX ZR 211/01, WM 2002, 1193, 1194 angesprochene Grundsatz, daß die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurücktritt, gilt für Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers nach dem System der Anfechtungsregeln der Insolvenzordnung lediglich für den von § 131 InsO erfaßten Zeitraum (dazu unten unter II 3 der Entscheidungsgründe; zum alten Recht vgl. BGHZ 136, 309, 312 f sowie § 33 KO). Wenn es aber wie hier nicht bloß um Zwangsvollstreckungsmaßnahmen des Gläubigers geht, sondern (auch Mitwirkungs-) Handlungen des Schuldners in Rede stehen, erweitert § 133 Abs. 1 InsO den Anfechtungszeitraum auf die letzten zehn Jahre vor dem Eröffnungsantrag. Die Wertung des Gesetzes, daß die vorsätzliche Benachteiligung der Gläubigergesamtheit durch den Schuldner innerhalb einer längeren Frist zur Anfechtung befugt, gilt auch für solche Rechtshandlungen, die der Schuldner aus Anlaß oder im Rahmen der Zwangsvollstreckung vornimmt.

2. Das Berufungsgericht hat das Vorliegen einer objektiven Gläubigerbenachteiligung (§ 129 InsO) als Voraussetzung eines jeden anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruches nicht ausdrücklich bejaht. Sie ergibt sich aber aus den sonstigen Feststellungen des Berufungsgerichts.

Die Insolvenzordnung versteht den Begriff der Gläubigerbenachteiligung nicht anders als das bisherige Recht (BGH, Urt. v. 11. April 2002 aaO). Danach werden die Insolvenzgläubiger benachteiligt, wenn die Insolvenzmasse durch die anfechtbare Handlung verkürzt worden ist, wenn sich also die Befriedigungsmöglichkeiten der Insolvenzgläubiger ohne die fragliche Handlung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise günstiger gestaltet hätten (vgl. BGHZ 124, 76, 78 f). Hinsichtlich der Zahlungen, für die der Schuldner nach dem - nicht bestrittenen - Vortrag des Klägers von seinen Auftraggebern stammende Geldmittel verwendet hat, bestehen an dem Vorliegen einer zumindest mittelbaren Gläubigerbenachteiligung, die für § 133 Abs. 1 InsO genügt (MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 133 Rn. 11), keine Zweifel. Entgegen der Auffassung der Revision sind die Gläubiger aber auch durch diejenigen Zahlungen, für die der Schuldner ihm von seiner Mutter überlassene Geldmittel verwendet hat, durch eine Verkürzung der Insolvenzmasse benachteiligt worden.

a) Die Revision ist der Ansicht, es könne insoweit keine Gläubigerbenachteiligung eingetreten sein, weil Privatvermögen eingesetzt worden sei, das den Gläubigern niemals zur Verfügung gestanden hätte. Diese Auffassung geht schon deshalb fehl, weil die Zahlungen nicht unmittelbar aus dem Vermögen der Mutter an die Beklagte oder den Gerichtsvollzieher erfolgt sind, sondern dem Schuldner die Geldmittel in einer Größenordnung von etwa 12.000 DM von seiner Mutter darlehensweise überlassen worden waren. Nach der von der Revision in Bezug genommenen Bekundung des Schuldners in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat ihm seine Mutter ab August 1999 einen Gesamtbetrag von etwa 12.000 DM zur Verfügung gestellt, "damit es weitergehen sollte". Der Schuldner hat die Zahlungen an den Gerichtsvollzieher teils in dessen, teils in seinem Büro bar geleistet und mit dem Gerichtsvollzieher abgesprochen, daß die Zahlungsbeträge auf einzelne Gläubiger aufgeteilt werden sollten. Dem Vorschlag des Gerichtsvollziehers, zunächst die kleineren Forderungen zu erfüllen, hat der Schuldner zugestimmt.

b) Danach sind die dem Schuldner von seiner Mutter darlehensweise überlassenen Geldmittel zunächst in sein Vermögen gelangt. Die Zahlungen an den Gerichtsvollzieher erfolgten sodann aus dem haftenden Vermögen des Schuldners. Die darin liegende Gläubigerbenachteiligung wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Geldmittel dem Schuldner von seiner Mutter zu dem Zweck zur Verfügung gestellt wurden, durch Teilzahlungen an Gläubiger weitere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen und einen eventuellen Insolvenzantrag zu vermeiden. Ob ein Darlehen einem bestimmten Zweck dienen soll, ist anfechtungsrechtlich grundsätzlich unerheblich, solange die Zweckvereinbarung nicht aus Gründen treuhänderischer Bindung zur Unpfändbarkeit des Darlehensanspruchs und der ausgezahlten Darlehensvaluta führt (Senat, Urt. v. 7. Februar 2002 - IX ZR 115/99, ZIP 2002, 489, 490). Die Annahme einer solchen treuhänderischen Bindung scheidet nach den tatsächlichen Umständen des vorliegenden Falles aber schon deshalb aus, weil die Mutter des Schuldners es offensichtlich ihm überlassen hat, in welcher Höhe und an welche Gläubiger er mit den ihm darlehensweise zur Verfügung gestellten Geldmitteln Zahlungen leistet.

3. Das Berufungsgericht hat festgestellt, der Schuldner habe die Zahlungen an den Gerichtsvollzieher mit dem Vorsatz vorgenommen, seine Gläubiger zu benachteiligen. Die dagegen von der Revision erhobenen Rügen bleiben im Ergebnis gleichfalls ohne Erfolg.

a) Die Revision beanstandet allerdings zu Recht, daß das Berufungsgericht von einer inkongruenten Deckung ausgegangen ist. Das Berufungsgericht hat unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Senats vom 11. April 2002 aaO gemeint, es sei hier eine inkongruente Deckung im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO gegeben, da der Insolvenzschuldner zur Abwendung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen auf eine fällige Forderung der Beklagten Zahlungen geleistet habe. Wie die Revision zutreffend anführt, hat der erkennende Senat in der genannten Entscheidung aber nur für den von § 131 InsO erfaßten Zeitraum der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag ausgesprochen, daß eine Leistung, die der Schuldner dem Gläubiger auf eine fällige Forderung zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung gewährt hat, eine inkongruente Deckung darstellt. Nur für diesen Zeitraum wird durch § 131 InsO der die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger verdrängt (aaO S. 1194).

b) Soweit in der Rechtsprechung zur Konkursordnung eine während der "kritischen Zeit" im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent angesehen wurde (BGHZ 136, 309, 311 ff), kamen als Beginn der "kritischen Zeit" zwar nicht nur die Stellung des Eröffnungsantrages und der Zeitraum der letzten zehn Tage zuvor, sondern außerdem der Zeitpunkt der Zahlungseinstellung in Betracht. Dies hatte seinen Grund darin, daß bei der besonderen Konkursanfechtung nach § 30 Nr. 1 Fall 2, Nr. 2 KO auch für solche vor dem Eröffnungsantrag vorgenommenen Rechtshandlungen von Dritten auf den Zeitpunkt der Zahlungseinstellung abzustellen war, sofern diese Rechtshandlungen nicht früher als sechs Monate vor der Eröffnung des Verfahrens erfolgt waren, § 33 KO.

Nach der Insolvenzordnung sind Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern als Rechtshandlungen, an denen der Schuldner nicht mitgewirkt hat, dagegen nur anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen wurden, selbst wenn der Schuldner schon vor diesem Zeitraum zahlungsunfähig war oder seine Zahlungsunfähigkeit drohte (§§ 130, 131 InsO).

Zwangsvollstreckungsmaßnahmen von Gläubigern vor diesem Zeitraum können daher nicht mit der Begründung als inkongruent angesehen werden, die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, trete hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Dasselbe gilt dann aber auch für Leistungen des Schuldners, die dieser mehr als drei Monate vor dem Eröffnungsantrag auf eine fällige Forderung zur Vermeidung einer unmittelbar bevorstehenden Zwangsvollstreckung erbracht hat.

c) Auf das Beweisanzeichen einer inkongruenten Deckung durfte das Berufungsgericht daher den Nachweis eines Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners nicht stützen. Die übrigen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen die Annahme eines Benachteiligungsvorsatzes aber auch dann, wenn man von einer kongruenten Deckung ausgeht. Denn der Schuldner wußte, daß sein Vermögen nicht ausreichte, um über Teilzahlungen an einzelne Gläubiger hinaus alle Gläubiger befriedigen zu können. Soweit er für seinen insolventen Hauptauftraggeber noch bis Anfang November 1999 weiterarbeitete, bestanden keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß von Seiten seines Hauptauftraggebers noch Zahlungen geleistet würden. Nach seinen Angaben hat der Schuldner in dem fraglichen Zeitraum von Oktober bis Dezember 1999 "immer dort bezahlt ..., wo es am dringendsten war". Am dringendsten waren aus seiner Sicht (Teil-)Zahlungen an Gläubiger, von denen er die Stellung eines Insolvenzantrages befürchtete. Der Schuldner erbrachte die angefochtenen Teilzahlungen an die Beklagte, weil er unter allen Umständen die Stellung eines Insolvenzantrages vermeiden wollte. Einem Schuldner, der Forderungen eines Gläubigers vorwiegend deshalb teilweise erfüllt, um diesen dadurch von der Stellung eines Insolvenzantrages abzuhalten, kommt es aber nicht in erster Linie auf die Erfüllung seiner vertraglichen oder - wie hier - gesetzlichen Pflichten, sondern auf die Bevorzugung dieses einzelnen Gläubigers an. Damit nimmt er die Benachteiligung der Gläubiger im allgemeinen in Kauf. Für den Benachteiligungsvorsatz reicht auch bei kongruenten Deckungsgeschäften die Feststellung aus, der Schuldner habe sich eine Benachteiligung nur als möglich vorgestellt, sie aber in Kauf genommen, ohne sich durch die Vorstellung dieser Möglichkeit von seinem Handeln abhalten zu lassen (Kreft, in HK-InsO, 2. Aufl. § 133 Rn. 10; MünchKomm-InsO/Kirchhof, § 133 Rn. 13; Nerlich in: Nerlich/Römermann InsO § 133 Rn. 23; zur bisherigen Rechtsprechung vgl. BGHZ 133, 189, 195; BGH, Urt. v. 2. April 1998 - IX ZR 332/96, ZIP 1998, 830, 835). Im vorliegenden Fall schließt daher die bloße Hoffnung des Schuldners, er werde von seinem in wirtschaftliche Nöte geratenen Hauptauftraggeber die in erheblichem Umfange noch ausstehenden Zahlungen erhalten, den Gläubigerbenachteiligungsvorsatz nicht aus, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat.

4. Die Kenntnis der Beklagten von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners hat das Berufungsgericht nicht nur aus der - von ihm rechtlich fehlerhaft angenommenen - Inkongruenz der Deckung hergeleitet, sondern im übrigen auch aus den gesamten Umständen geschlossen. Diese Beurteilung hält gleichfalls den Angriffen der Revision stand.

a) Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird die Kenntnis des anderen Teils vermutet, wenn er wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte. Beides hat das Berufungsgericht bejaht. Daß die wirtschaftliche Lage des Insolvenzschuldners schlecht gewesen sei und seine Zahlungsunfähigkeit drohte, habe die Beklagte daraus entnehmen können, daß es bereits im Januar 1999 zu einer Rücklastschrift gekommen sei, daß Mitte September 1999 ein vom Insolvenzschuldner an die Beklagte gegebener Scheck über 12.000 DM rückbelastet worden sei und daß der Insolvenzschuldner auch nach dem ersten Besuch des Gerichtsvollziehers nur schleppend Teilzahlungen geleistet habe. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt habe, sei die drohende Zahlungsunfähigkeit des Insolvenzschuldners insbesondere daraus zu schließen gewesen, daß der Insolvenzschuldner selbst zur Begleichung für die Existenz des Betriebes notwendiger Betriebskosten wie Sozialversicherungsbeiträgen, die in der Regel nicht gestundet werden könnten, nicht mehr in der Lage gewesen sei. Es habe zudem auf der Hand gelegen, daß diese Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten, einem Sozialversicherungsträger, nicht annähernd die einzigen des gewerblich tätigen Insolvenzschuldners gewesen seien. Sichtbar sei hier das typische Bild eines Unternehmens in der Krise gewesen, in der nur noch Forderungen derjenigen Gläubiger ganz oder teilweise befriedigt würden, die bereits Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet oder sonstige Druckmittel gegen den Schuldner in der Hand hätten.

b) Diese Erwägungen des Berufungsgerichts tragen in Verbindung mit seinen übrigen Feststellungen die Annahme einer Kenntnis der Beklagten von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Die Beklagte kannte die Höhe ihrer gesamten jeweils offenstehenden Beitragsforderungen. Die Beitragsrückstände des Schuldners bei der Beklagten waren von 5.284,05 DM am 12. Mai 1999 über 21.544,16 DM am 15. Juli 1999, 28.216,47 DM am 12. August 1999 auf 31.418,14 DM am 24. September 1999 angestiegen. Ein vom Insolvenzschuldner an die Beklagte gegebener Scheck über 12.000 DM wurde am 15. September 1999 mangels Deckung nicht eingelöst. Trotz der Teilzahlungen von 8./22. Oktober 1999 über 9.790,35 DM und vom 26. Oktober/10. November 1999 über 9.972,50 DM konnte die Beitragsschuld nicht wesentlich zurückgeführt werden, sondern belief sich am 22. November 1999 wiederum auf 31.243,28 DM. Am 17. Dezember 1999 betrug sie 34.861 DM.

Der Beklagten war daher in dem maßgeblichen Zeitraum ab Anfang Oktober 1999 bekannt, daß Zahlungsunfähigkeit mindestens drohte, wenn sie nicht schon eingetreten war (vgl. BGHZ 149, 178, 186 f). Wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, war es ferner für die Beklagte offensichtlich, daß die Verbindlichkeiten des gewerblich tätigen Schuldners gegenüber der Beklagten und anderen Sozialversicherungsträgern nicht annähernd die einzigen waren (vgl. BGHZ 149, 100, 111).

Angesichts der partiellen Strafbewehrtheit seiner Forderungen muß sich weiter gerade einem Sozialversicherungsträger die allgemeine Erfahrung aufdrängen, daß seine Ansprüche oft vorrangig vor anderen befriedigt werden, deren Nichterfüllung für den insolvenzreifen Schuldner weniger gefährlich ist (BGHZ 149, 100, 113; 149, 178, 191). Die Beklagte wußte folglich auch, daß infolge der Teilzahlungen des Schuldners andere Gläubiger benachteiligt wurden. Nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO besteht somit eine Vermutung für die Kenntnis der Beklagten von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners. Daß der Beklagten der ihr offenstehende Beweis des Gegenteils nicht gelungen ist, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei angenommen. Die Hoffnung des Schuldners, er werde demnächst die Außenstände gegenüber seinem Hauptauftraggeber realisieren und dann die Beitragsrückstände begleichen können, schließt seinen Benachteiligungsvorsatz nicht aus (oben unter II 3). Der nach § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu vermutenden Kenntnis der Beklagten von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners steht demnach nicht entgegen, daß der Schuldner sich gegenüber dem bei der Beklagten angestellten Zeugen K. davon überzeugt gezeigt hat, seine Außenstände einziehen zu können.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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