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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 16.02.2006
Aktenzeichen: IX ZR 172/02
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 397
ZPO § 402
ZPO § 411 Abs. 3
ZPO § 411 Abs. 4
ZPO § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
ZPO § 544 Abs. 7
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

IX ZR 172/02

vom 16. Februar 2006

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Kayser, Vill und Dr. Detlev Fischer

am 16. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde der Klägerin wird die Revision gegen das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 3. Juli 2002 zugelassen.

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 3. Juli 2002 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 42.684,54 €.

Gründe:

I.

Die Klägerin unterlag in einem Prozess, den sie wegen einer Berufsunfähigkeitsrente gegen einen Lebensversicherer führte. Sie nimmt nunmehr ihren damaligen Prozessbevollmächtigten auf Schadensersatz wegen anwaltlicher Pflichtverletzungen in Anspruch. Das Landgericht hat - sachverständig beraten - ihrer Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat ein weiteres Sachverständigengutachten eingeholt. Hiernach hat es - ohne den Sachverständigen, wie von der Klägerin beantragt, zur Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens zu laden - die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, das neue Gutachten überzeuge in jeder Hinsicht. Die Klägerin habe auch nicht ansatzweise substantiiert dargetan, was erläuterungsbedürftig sein solle. Unter diesen Umständen brauche dem Antrag auf Anhörung des Sachverständigen nicht stattgegeben zu werden. Die Revision hat das Berufungsgericht nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde, mit welcher sie unter anderem die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügt.

II.

Die Revision ist nach § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, weil das angegriffene Urteil den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt (vgl. BGHZ 159, 135, 139 ff). Aus demselben Grunde ist das angefochtene Urteil gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufzuheben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen und Anträge der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die von den Gerichten zu treffende Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet die Norm in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge (vgl. BVerfGE 60, 247, 249 ff; 65, 305, 307; 69, 141, 143). Zwar gewährt Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass ein Gericht das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lässt. Die Nichtberücksichtigung eines als erheblich angesehenen Beweisangebots verstößt aber dann gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet (vgl. BVerfGE 50, 32, 36; 60, 250, 252; 65, 305, 307; 69, 141, 144).

Ist eine schriftliche Begutachtung erfolgt, hat das Gericht auf Antrag einer Partei unabhängig von § 411 Abs. 3, 4 ZPO den Sachverständigen vorzuladen, damit die Partei ihm Fragen stellen kann (BGHZ 6, 398, 401; 35, 370, 371; BGH, Urt. v. 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00, NJW-RR 2001, 1431). Kommt das Gericht dem nicht nach, verletzt es grundsätzlich die §§ 402, 397 ZPO und zugleich den Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Dies ist - abgesehen von dem hier nicht in Betracht kommenden Fall der Prozessverschleppung - nur dann anders, wenn der Antrag rechtsmissbräuchlich gestellt worden ist (BGHZ 24, 9, 14; BGH, Urt. v. 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01, NJW-RR 2003, 208, 209; Beschl. v. 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04, BGH-Report 2005, 1348, 1350). Dass das Gericht das Gutachten für ausreichend und überzeugungskräftig hält, reicht nicht aus (BGH, Urt. v. 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96, NJW 1997, 802; v. 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96, NJW 1998, 162; v. 29. Oktober 2002 aaO). Ebenso wenig kann von der Partei verlangt werden, dass sie die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen schon formuliert (OLG Oldenburg OLGZ 1970, 481, 482; MünchKomm-ZPO/Damrau, 2. Aufl. § 411 Rn. 12). Für rechtsmissbräuchlich darf der Antrag allenfalls dann angesehen werden, wenn er nicht begründet worden ist (BGHZ 24, 9, 14) oder die Begründung die Ankündigung abwegiger, bereits eindeutig beantworteter oder beweisunerheblicher Fragen enthält.

Nach diesen Maßstäben ist Art. 103 Abs. 1 GG hier verletzt. Die Klägerin hat innerhalb der vom Berufungsgericht hierfür gesetzten Frist beantragt, den Sachverständigen Prof. Dr. P. zur mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu laden. Sie hat darauf hingewiesen, der Sachverständige habe die von ihr geschilderten Beschwerden bestätigt, gleichwohl die unter Beweis gestellte Berufsunfähigkeit der Klägerin verneint, ohne zu erläutern, welche Gründe für sein Ergebnis maßgeblich gewesen seien. Er habe die Ergebnisse früherer Tests für nicht verifizierbar gehalten, jedoch keine eigenen Tests durchgeführt.

Dieses Vorbringen ist nicht so substanzlos, dass der Antrag auf Vorladung des Gutachters als rechtsmissbräuchlich anzusehen wäre. Der psychiatrische Gutachter Prof. Dr. P. hat eine "Migraine accompagnée" diagnostiziert, bei der die "Berufsfähigkeit ... immer erhalten" bleibe. Die vom Landgericht beauftragten Sachverständigen Prof. Dr. B. und Prof. Dr. A. haben bei im Wesentlichen übereinstimmendem Befund ("Migräneleiden mit einer ängstlichen Anpassungsstörung") aus neurologischer Sicht zu dem gegenteiligen Ergebnis gefunden, was das Landgericht als überzeugend gewertet hat. Schon dies kann bei einer vernünftig denkenden betroffenen Partei Klärungsbedarf erzeugen.

2. Die Verletzung der Klägerin in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör rechtfertigt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Oberlandesgericht.

Ende der Entscheidung

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