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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 06.05.2004
Aktenzeichen: IX ZR 205/00
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB (Fassung bis 31.12.2001) § 211 Abs. 2 Satz 1
ZPO §§ 203 ff a.F.
a) Gerät der Prozeß in Stillstand, weil dem Kläger die für die Zustellung eines Schriftsatzes benötigte Anschrift des Prozeßgegners unbekannt ist, so endet die Unterbrechung der Verjährung nur dann nicht, wenn die zur Anschriftenmitteilung verpflichtete Partei darlegt und gegebenenfalls beweist, daß sie die ihr möglichen (und zumutbaren) Schritte unternommen hat, die zustellungsfähige Anschrift der anderen Partei erfolgversprechend zu ermitteln.

b) Im Rahmen dieser Obliegenheit ist die zur Anschriftenermittlung verpflichtete Partei grundsätzlich gehalten, die öffentliche Zustellung zu beantragen.


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

IX ZR 205/00

Verkündet am: 6. Mai 2004

in dem Rechtsstreit

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2004 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Kreft und die Richter Dr. Fischer, Raebel, Neskovic und Vill

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden die Urteile des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. Mai 2000 und der 1. Zivilkammer des Landgerichts Mainz vom 22. Januar 1987 aufgehoben, soweit zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger war für die Erblasserin der Beklagten aufgrund einer am 4. März 1983 erteilten Vollmacht als Anwalt in deren "Eheangelegenheit" tätig. Durch Beschluß des Landesgerichts für Zivilsachen in W. vom 12. September 1983 wurde die Ehe der Erblasserin geschieden. Unter dem Datum vom 23. September 1983 übersandte ihr der Kläger seine Honorarrechnung über insgesamt 154.341,62 DM. Die Erblasserin weigerte sich, diesen Betrag zu zahlen. Mit Urteil vom 22. Januar 1987 verurteilte das Landgericht sie zur Zahlung von 93.197,72 DM nebst Zinsen und wies die Klage im übrigen ab. Hiergegen legten die Erblasserin Berufung mit dem Ziel der Klageabweisung und der Kläger Anschlußberufung mit dem Ziel ein, die Zahlung weiterer 28.653,90 DM sowie höherer Zinsen zu erstreiten.

Am 6. September 1988 verstarb die Erblasserin. Auf Antrag ihres Prozeßbevollmächtigten wurde das Verfahren durch Beschluß des Berufungsgerichts vom 19. Dezember 1988 gemäß §§ 246, 248 ZPO ausgesetzt. Mit Schriftsatz vom 6. März 1990 nahm der Kläger das Verfahren wieder auf und bat das Gericht um Zustellung des Aufnahmeschriftsatzes an die in Frankreich wohnhafte Beklagte als Erbin. Der ihr zugeleitete Aufnahmeschriftsatz kam mit dem Postvermerk zurück, sie wohne nicht mehr unter der angegebenen Adresse in V. .

In der Folgezeit betraute der Kläger mehrere Personen mit der Aufenthaltsermittlung der Beklagten. Mit Schriftsatz vom 5. März 1991 gab der Kläger eine andere Anschrift in V. an. Die erneut durch das Gericht angeordnete Zustellung des Schriftsatzes vom 6. März 1990 kam als "unzustellbar" zurück. Hierüber unterrichtete das Gericht den Kläger unter dem 12. April 1991. Weitere sich hieran anschließende Bemühungen des Klägers, eine zustellungsfähige Anschrift der Beklagten festzustellen, blieben zunächst ergebnislos. Eine erfolgreiche Zustellung gelang erst 1999, nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 20. Februar 1999 eine neue Anschrift mitgeteilt hatte. Daraufhin nahm die Beklagte den Rechtsstreit auf und berief sich in erster Linie auf Verjährung.

Das Berufungsgericht hat die Beklagte unter Zurückweisung der Berufung und der Anschlußberufung im übrigen zur Zahlung von 112.840,22 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. November 1983 verurteilt. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet.

I.

Das Berufungsgericht nimmt an, daß sich die Beklagte nicht erfolgreich auf die Einrede der Verjährung berufen könne. Die zweijährige Verjährungsfrist für Honorarforderungen nach § 196 Ziff. 15 BGB a.F. sei gemäß § 209 Abs. 1, § 211 BGB a.F. durch die am 23. November 1983 eingereichte und in der ersten Hälfte des Jahres 1984 zugestellte Klage unterbrochen worden. Eine Beendigung dieser Unterbrechung gemäß § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. sei nicht eingetreten. Einerseits finde diese Vorschrift keine Anwendung auf die Unterbrechung des Prozesses (§ 239 bis 245 ZPO) und die Aussetzung (§ 148 ZPO). Andererseits liege nach Wegfall des Aussetzungsgrundes (hier spätestens mit der Aufnahme des Verfahrens durch den Kläger im März 1990) ein Nichtbetreiben des Prozesses im Sinne von § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. nur dann vor, wenn die Parteien ohne triftigen Grund untätig blieben. Der Kläger sei aber nicht untätig geblieben, sondern habe in einer wahren Odyssee - erfolglos - versucht, die Anschrift der jetzigen Beklagten herauszufinden.

II.

Diese Ausführungen halten der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Honoraransprüche des Klägers sind verjährt.

1. Das Berufungsgericht geht noch richtig davon aus, daß die zweijährige Verjährungsfrist des § 196 Abs. 1 Nr. 15 BGB a.F. durch die vor ihrem Ablauf erhobene Klage unterbrochen wurde (§ 209 Abs. 1 BGB a.F.) und daran auch die Aussetzung des Verfahrens gemäß §§ 246, 248 ZPO nichts änderte. Denn § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. ist nicht anwendbar, wenn der Stillstand des Verfahrens auf einer vom Gericht beschlossenen Aussetzung (hier: Aussetzungsbeschluß vom 19. Dezember 1988) und nicht auf der Untätigkeit der Parteien beruht (vgl. BGHZ 106, 295, 297 m.w.N.). Die Rechtslage ändert sich jedoch, wenn der Grund für die Aussetzung wegfällt und keine der Parteien den Rechtsstreit weiter betreibt (BGHZ aaO 298). Eines Aufhebungsbeschlusses bedarf es nicht (BGHZ aaO 298).

Der Grund für die Aussetzung (Unklarheit über die Rechtsnachfolge der Erblasserin) ist spätestens am 6. März 1990 entfallen: Mit Schriftsatz von diesem Tage nahm der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Rechtsstreit wieder auf, benannte die jetzige Beklagte als Erbin und bat um Zustellung seines Schriftsatzes. Demnach konnte der Rechtsstreit spätestens ab dem 6. März 1990 in Stillstand geraten, wenn er nicht weiter betrieben wurde. Das war zunächst der Fall, denn der Kläger hat das Verfahren durch die Schriftsätze vom 6. März 1990 und vom 5. März 1991 (neuerliches Zustellungsersuchen) weiter im Sinne des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. "betrieben" (vgl. BGH, Urt. v. 23. November 1978 - VII ZR 41/78, NJW 1979, 810).

Mit der Mitteilung des Gerichts vom 12. April 1991 an den Prozeßbevollmächtigten des Klägers, daß die an die neue Anschrift gerichtete Sendung als "unzustellbar" zurückgekommen sei, und der damit verbundenen Bitte, eine neue Anschrift mitzuteilen, geriet das Verfahren jedoch in Stillstand, weil die Parteien in der Folgezeit keine Prozeßhandlungen vornahmen, die bestimmt und geeignet waren, den Prozeß wieder in Gang zu setzen (vgl. BGH, Urt. v. 19. Januar 1994 - XII ZR 190/92, NJW-RR 1994, 514, 515). Danach endete die Unterbrechung am 12. April 1991 mit der letzten Prozeßhandlung des Gerichts (§ 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.). Die nächste Prozeßhandlung, die sich als ein "Weiterbetreiben" im Sinne des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. darstellte, erfolgte mit dem neuerlichen Zustellungsersuchen des Prozeßbevollmächtigten des Klägers im Schriftsatz vom 20. Februar 1999. Zu diesem Zeitpunkt war die neue zweijährige Verjährungsfrist, die nach Beendigung der Unterbrechung am 12. April 1991 begonnen hatte (§ 217 BGB a.F.), abgelaufen, so daß dieser Schriftsatz nicht geeignet war, die Verjährung gemäß § 211 Abs. 2 Satz 2 BGB a.F. erneut zu unterbrechen.

2. § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. soll eine Umgehung des § 225 BGB a.F. verhindern, zu der es kommen könnte, wenn das Gesetz zuließe, daß eine einmal gemäß § 209 Abs. 1 BGB a.F. herbeigeführte Verjährungsunterbrechung auch dann fortdauerte, wenn der Gläubiger die Sache grundlos nicht mehr weiterbetreibt (vgl. BGH, Urt. v. 12. Oktober 1999 - VI ZR 19/99, NJW 2000, 132). Die Vorschrift findet ausnahmsweise keine Anwendung, wenn für das Abwarten des Klägers ein "triftiger Grund" bestand, der die Anwendung des § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. ausschließt (vgl. BGH, Urt. v. 7. Dezember 1978 - VII ZR 278/77, NJW 1979, 810, 811; v. 1. Juli 1986 - VI ZR 120/85, NJW 1987, 371, 372; v. 12. Oktober 1999 aaO 132).

Auf die dem Kläger für die Zustellung des Aufnahmeschriftsatzes obliegende Anschriftenmitteilung bezogen, heißt das: § 211 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F. scheidet aus, wenn der Kläger darlegt und gegebenenfalls beweist, daß er die ihm möglichen (und zumutbaren) Schritte unternommen hat, um die zustellungsfähige Anschrift der Beklagten erfolgversprechend zu ermitteln. Nur dann liegt für das Nichtbetreiben des Prozesses ein "triftiger Grund" vor, der es ausnahmsweise rechtfertigt, keine Beendigung der Unterbrechungswirkung im Sinne dieser Vorschrift anzunehmen (vgl. BGH, Urt. v. 27. Januar 1999 - XII ZR 113/97, BGHR BGB § 211 Abs. 2 Verfahrensstillstand 1 S. 3).

3. Das Berufungsurteil enthält keine Feststellungen, die die Würdigung rechtfertigen, daß der Kläger die ihm möglichen (und zumutbaren) Maßnahmen zur erfolgversprechenden Anschriftenermittlung ergriffen hat.

a) Nach dem Vortrag des Klägers hat er zwei in N. bzw. M. ansässige Rechtsanwälte und einen in N. wohnenden "deutsch-französischen" Rentner damit betraut, den Wohnort und die Identität der jetzigen Beklagten ausfindig zu machen. Bezüglich des in N. ansässigen Rechtsanwaltes hat er weiter vorgetragen, daß dieser einen Detektiv eingeschaltet habe. Welche weiteren konkreten Schritte diese Personen unternommen haben, um den Aufenthalt und die Identität der Beklagten zu ermitteln, läßt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen. Damit kann nicht beurteilt werden, ob diese "Ermittlungspersonen" alle naheliegenden und zumutbaren Möglichkeiten ausgeschöpft haben, die geeignet waren, den Aufenthalt der Beklagten ausfindig zu machen. Insbesondere hat der Kläger nicht dargelegt, welche genauen Nachforschungen er bei der Präfektur Alpes Maritimes in N. angestellt oder daß er sich an das deutsche Generalkonsulat in Marseille gewandt hat. Der Kläger hatte nach seinem Vortrag Anhaltspunkte dafür, daß sich die Beklagte in S. (insbesondere in N. ) aufhielt, so daß es nahegelegen hätte, die zuständige Präfektur in N. zu befragen. Da die Beklagte die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, hätte es sich zudem aufgedrängt, das zuständige deutsche Generalkonsulat in M. um eine entsprechende Auskunft über den Aufenthaltsort der Beklagten zu ersuchen.

Außerdem hat der Kläger nicht vorgetragen, daß die von ihm beauftragten Ermittlungspersonen überprüft haben, ob die Beklagte im Telefonbuch von Villefranche eingetragen war. Dieser Ermittlungsansatz war deswegen augenfällig, weil der Kläger selbst V. als Adresse der Beklagten mit Schriftsatz vom 6. März 1990 benannt hatte. Ein Blick in das Telefonbuch hätte nach dem Vortrag der Beklagten Erfolg gehabt, weil sie zum damaligen Zeitpunkt im örtlichen Telefonverzeichnis eingetragen war.

Schließlich muß sich der Kläger entgegenhalten lassen, daß sämtliche von ihm bzw. seinen Beauftragten ermittelten Anschriften zutreffend, jedoch zum jeweils dem Gericht mitgeteilten Zeitpunkt nicht mehr aktuell waren. Hieraus ergibt sich, daß dem Kläger bzw. seinen Beauftragten durchaus erfolgversprechende Möglichkeiten zur Aufenthaltsermittlung der Beklagten an die Hand gegeben waren, aber nicht ausreichend und sorgfältig genutzt wurden.

Die vom Kläger beauftragten Hilfspersonen haben demnach für ihn erkennbar die notwendigen und naheliegenden, hier auch erfolgversprechenden Aufenthaltsermittlungen unterlassen. Dies geht zu seinen Lasten, weil er diese Sachlage hingenommen und nach 1993 jahrelang keine weiteren Bemühungen entfaltet hat.

b) Der Kläger kann auch deswegen keinen "triftigen Grund" für sich in Anspruch nehmen, weil er nicht dargelegt hat, eine öffentliche Zustellung gemäß §§ 203 ff ZPO a.F. beantragt zu haben. Die Handlungspflichten, die im Falle eines Prozeßstillstandes den Beteiligten erwachsen, legen es nahe, in den Fällen, in denen diese Lage aufgrund von Zustellungsschwierigkeiten entsteht, die §§ 203 ff ZPO a.F. anzuwenden. Diese Vorschriften gelten auch bei unbekanntem Auslandsaufenthalt der anderen Partei (Zöller/Stöber, ZPO 22. Aufl. § 203 Rn. 3). Sie dienen dem Zweck, ein Verfahren in Gang zu setzen oder fortzuführen, bei dem eine prozeßrechtlich notwendige Zustellung aufgrund der Ungewißheit des Aufenthaltes einer Partei nicht möglich ist.

Im vorliegenden Fall bedeutet das: Der Kläger hätte nach dem Fehlschlagen seiner anfänglichen Bemühungen einen Antrag (§ 204 ZPO a.F.) auf Zustellung durch öffentliche Bekanntmachung gemäß §§ 203 ff ZPO a.F. stellen müssen, um zu verhindern, daß der in den Prozeß gezogene Anspruch durch Parteiwillkür "verewigt" wird (vgl. BGH, Urt. v. 24. März 1977 - III ZR 19/75, VersR 1977, 646, 648).

Bei einem Erfolg dieses Antrags wäre das Verfahren fortgesetzt worden. Im Falle der Ablehnung hätte der Kläger auf der Grundlage und nach Maßgabe dieser Entscheidung weiter ermitteln können und müssen. Dann hätte er entweder die Anschrift der Beklagten erfahren oder nach erfolgloser Durchführung der gebotenen Bemühungen die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung begründet.

III.

Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.). Der Senat kann, weil die Sache keiner weiteren Aufklärung bedarf, selbst entscheiden (§ 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F.). Die Klage ist wegen Anspruchsverjährung abzuweisen.

Ende der Entscheidung

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