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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: IX ZR 23/08
Rechtsgebiete: AHB, InsO, VVG


Vorschriften:

AHB § 7 Nr. 3
InsO § 43
InsO § 52 Satz 2
InsO § 89 Abs. 1
VVG § 156 Abs. 1
Zur Freigabe des Deckungsanspruchs gegen den Haftpflichtversicherer durch den Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen des Haftpflichtschuldners.

Das Abtretungsverbot steht einer Freigabe des Anspruchs auf Haftpflichtdeckung aus der Insolvenzmasse des Haftpflichtschuldners nicht entgegen.

Die Masse haftet absonderungsberechtigten Gläubigern, die auf ihr Recht nicht verzichtet haben, auch dann nur in Höhe des bei der abgesonderten Befriedigung erlittenen Ausfalls, wenn der Insolvenzverwalter den mit dem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand aus der Masse freigegeben hat.


Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

auf die mündliche Verhandlung vom 12. Februar 2009

durch

den Vorsitzenden Richter Dr. Ganter,

die Richter Raebel und Prof. Dr. Kayser,

die Richterin Lohmann und

den Richter Dr. Pape

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Beklagten zu 2 wird das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 12. Dezember 2007 aufgehoben.

Die Berufung gegen das Teilurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, 3. Kammer für Handelsachen, vom 21. Dezember 2006 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Die Klägerin hat auch die Kosten des Revisionsverfahrens gegenüber dem Beklagten zu 2 zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Betriebsgrundstücks, an welchem für die Insolvenzschuldnerin ein Erbbaurecht bestellt ist. Die Klägerin nimmt den erstbeklagten Haftpflichtversicherer der Insolvenzschuldnerin auf Feststellung seiner Deckungspflicht gegenüber dem zweitbeklagten Insolvenzverwalter für eingetretene Bodenverunreinigungen in Anspruch. Von diesem selbst verlangt die Klägerin Zahlung von 502.748,66 EUR nebst Zinsen beschränkt auf Leistung aus der Entschädigungsforderung;

außerdem beantragt sie,

seine entsprechende Ersatzpflicht für weitergehende Verunreinigungsschäden festzustellen.

Der Insolvenzverwalter hat bereits vor Klageerhebung etwaige Deckungsansprüche der Insolvenzschuldnerin gegen den Beklagten zu 1 aus der Masse freigegeben, soweit hieran ein Absonderungsrecht der Klägerin bestand.

Das Landgericht hat durch klagabweisendes Teilurteil, veröffentlicht in ZIP 2007, 1022, zugunsten des zweitbeklagten Insolvenzverwalters erkannt. Das Berufungsgericht hat das Teilurteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das Landgericht zurückverwiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, die zunächst auch für den Beklagten zu 1 eingelegt und von diesem wieder zurückgenommen worden ist, erstrebt der Beklagte zu 2 die Wiederherstellung des landgerichtlichen Teilurteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet. Das Teilurteil des Landgerichts hält den Angriffen der Berufung stand. Der zweitbeklagte Insolvenzverwalter ist nach Freigabe aus der Masse nicht mehr passiv legitimiert für das eingeklagte Absonderungsrecht der Klägerin an dem Deckungsanspruch gegen den erstbeklagten Haftpflichtversicherer.

Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob die Freigabe des Deckungsanspruchs aus der Masse gegenüber der Klägerin gemäß § 156 Abs. 1 VVG unwirksam ist. Dies sei unerheblich, weil jedenfalls das Haftpflichtverhältnis der Klägerin zur Masse durch die Freigabe nicht berührt werden könne.

Dieser Ausgangspunkt des Berufungsgerichts trifft zwar zu, trägt aber seine Entscheidung nicht. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin wegen Verletzung des Grundstückseigentums durch Bodenverunreinigungen ist hier nicht Streitgegenstand, sondern nur Vorfrage des geltend gemachten Absonderungsrechts. Der Schadensersatzanspruch wäre zudem nur Insolvenzforderung, die den gegen den Insolvenzverwalter hauptsächlich erhobenen Zahlungsanspruch ebenso wie den hilfsweise verfolgten Freistellungsantrag nicht rechtfertigen kann. Der weitergehende allgemeine Feststellungsantrag der Klägerin gegen den zweitbeklagten Insolvenzverwalter entspricht nicht den Anforderungen der §§ 45, 179 Abs. 1 InsO. Er ermangelt außerdem im Hinblick auf § 216 Abs. 1 BGB des Feststellungsinteresses.

Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Freigabe des Deckungsanspruchs durch den Insolvenzverwalter kann nicht gegenüber dem Haftpflichtgläubiger - hier der Klägerin - nach § 156 Abs. 1 VVG (§ 108 Abs. 1 VVG i.d.F. v. 23. November 2007, BGBl. I 2007 S. 2631) unwirksam sein (vgl. BGH, Urt. v. 28. März 1996 - IX ZR 77/95, WM 1996, 835, 837). Dieses, geschädigte Dritte schützende (BGH, Urt. v. 7. Juli 1993 - IV ZR 131/92, NJW-RR 1993, 1306 unter 2. b, aa) gesetzliche Verfügungsverbot hat gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 InsO im Verfahren keine Wirkung. An seine Stelle tritt das Absonderungsrecht des § 157 VVG (§ 110 VVG i.d.F. v. 23. November 2007). Überdies wird die Rechtsstellung des Haftpflichtgläubigers als Dritter im Sinne des § 156 Abs. 1 VVG durch die Freigabe nicht berührt. Sein Absonderungsrecht gemäß § 157 VVG überdauert das Insolvenzverfahren als Pfandrecht an der Entschädigungsforderung selbst (BGH, aaO m.w.N.). Als Pfandgläubiger kann der Dritte gegen den Schuldner noch während des laufenden Insolvenzverfahrens ohne Hinderung durch § 89 Abs. 1 InsO wie vor der Freigabe gegen den Insolvenzverwalter die Zwangsvollstreckung betreiben (vgl. BGHZ 166, 74, 83 Rn. 26).

Die Freigabe des Deckungsanspruchs aus der Masse wird auch nicht von dem Abtretungsverbot des § 7 Nr. 3 AHB erfasst, wie die Revisionserwiderung meint. Die Freigabe einer Forderung aus der Masse ist keine Abtretung (vgl. BGHZ 163, 32, 34 f ; 166, 74, 82 f Rn. 25, 26) und mit einer solchen auch nach dem Schutzzweck der Bedingung nicht gleichzusetzen. Denn der Haftpflichtversicherer wird durch die Freigabe nicht genötigt, den Schadenfall mit einem unbekannten Dritten abzuwickeln, sondern deswegen an seinen Versicherungsnehmer selbst, den Schuldner, zurückverwiesen.

Letztlich kommt nicht in Betracht, dass die Freigabe des Deckungsanspruchs aus der Masse insolvenzzweckwidrig und deshalb unwirksam ist, wie die Revisionserwiderung ebenfalls zu bedenken gibt. Eine masseschädigende Wirkung der Freigabe war hier fernliegend; denn sie führt im Regelfall nicht zu einer entsprechenden Anwendung von § 43 InsO. Der Haftpflichtgläubiger - im Streitfall die Klägerin - ist nach § 52 Satz 2 InsO vielmehr zur anteilsmäßigen Befriedigung aus der Insolvenzmasse nur berechtigt, soweit er auf sein (vormaliges) Absonderungsrecht verzichtet oder bei der Durchsetzung seines jetzigen Pfandrechts am freigegebenen Anspruch auf Haftpflichtdeckung nach § 1282 BGB mit diesem ausgefallen ist. Die Vorschrift des § 52 InsO ist ihrem Zweck nach auch anzuwenden, wenn der Insolvenzverwalter den mit einem Absonderungsrecht belasteten Gegenstand aus der Masse freigegeben hat (Münch-Komm-InsO/Ganter, 2. Aufl. § 52 Rn. 10; Jaeger/Henckel, InsO § 52 Rn. 9; Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 52 Rn. 4; FK-InsO/Imberger, 5. Aufl. § 52 Rn. 7; HmbKomm-InsO/Büchler, 2. Aufl. § 52 Rn. 3; zu § 64 KO ebenso bereits OLG Kiel JW 1935, 721, 722). Sonst könnte der Insolvenzverwalter überlastete Gegenstände praktisch niemals freigeben und hätte die Masse insbesondere bei Grundstücken nur zwecks Erhaltung des Ausfallprinzips unrentierliche Sachlasten und Kosten weiter auf sich zu nehmen (ähnlich schon Jaeger/Lent, KO 8. Aufl. § 64 Anm. 3; dazu a.A. nur Th. Wolff, KO 2. Aufl. Anm. 4 a). Das wäre sinnwidrig.

Ende der Entscheidung

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