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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.06.2009
Aktenzeichen: IX ZR 7/07
Rechtsgebiete: GG, InsO


Vorschriften:

GG Art. 103 Abs. 1
InsO § 133 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat

durch

die Richter Prof. Dr. Kayser, Raebel, Vill,

die Richterin Lohmann und

den Richter Dr. Pape

am 18. Juni 2009

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 12. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 21. Dezember 2006 zugelassen.

Auf die Revision des Klägers wird das vorbezeichnete Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 25.431,87 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Sch. , in dem der zur Verfahrenseröffnung führende Antrag am 26. Juni 2004 beim Insolvenzgericht eingegangen ist. Der Schuldner hatte schon seit 1999 Schwierigkeiten, seine Zahlungspflichten gegenüber der beklagten Sozialversicherungskasse zu erfüllen. Ab Oktober 1999 beglich er die von ihm abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge regelmäßig nur noch in bar oder per Scheck, wenn der Vollstreckungsbeamte der Beklagten bei ihm erschien, um zu pfänden. Nachdem schon im Oktober 2000 ein Scheck des Schuldners "geplatzt" war, wurden im Jahre 2003 zwei weitere Schecks nicht eingelöst. Mit Schreiben vom 2. Mai 2005 erklärte der Kläger die Anfechtung aller Zahlungen des Schuldners an die Beklagte im Zeitraum 1. Oktober 1999 bis 1. Juli 2003. Gegenstand der Klage sind Zahlungen des Schuldners per Scheck zwischen dem 26. Januar 2003 und dem 24. August 2003 in Höhe von insgesamt 25.431,87 EUR.

Der Kläger ist der Auffassung, diese Zahlungen seien anfechtbar, weil der Schuldner, der schon seit 1999 zahlungsunfähig gewesen sei, mit dem der Beklagten bekannten Vorsatz gehandelt habe, seine Gläubiger zu benachteiligen. Er hat behauptet, der Vollziehungsbeamte der Beklagten habe bei jedem Besuch damit gedroht, eine Fruchtlosigkeitsbescheinigung auszustellen, aufgrund derer die Beklagte einen Insolvenzantrag stellen werde, sofern der Schuldner nicht zahle.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO komme nicht in Betracht, weil eine Rechtshandlung des Schuldners nicht vorliege. Der Schuldner habe nur die Wahl gehabt, die geforderte Zahlung sofort zu erbringen oder die Vollstreckung durch den Vollziehungsbeamten zu dulden. Die Möglichkeit eines von ihm selbst bestimmten Verhaltens sei ausgeschaltet gewesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob in der Hingabe der Schecks Rechtshandlungen des Schuldners zu sehen seien. Jedenfalls greife hinsichtlich der Kenntnis des Gläubigerbenachteiligungsvorsatzes des Schuldners keine Indizwirkung zu Lasten der Beklagten ein, weil die Zahlungen zur Abwendung der Einzelzwangsvollstreckung außerhalb des 3-Monats-Zeitraums kongruente Deckungen darstellten. Mit der unter Zeugenbeweis gestellten Behauptung des Klägers, der Schuldner habe jeweils unter dem Druck eines angedrohten Insolvenzantrags gezahlt, hat sich das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt. Dies rügt die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers als Verletzung des rechtlichen Gehörs.

II.

Die Revision ist zuzulassen (§ 543 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO); auf die Revision ist das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO), weil das Berufungsgericht den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (Art. 103 Abs. 1 GG).

1.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Rückzahlung der im Zeitraum 26. Januar 2003 bis 24. August 2003 geleisteten Zahlungen aus §§ 129, 133 Abs. 1, § 143 Abs. 1 InsO schlüssig dargelegt. Gemäß § 133 Abs. 1 InsO sind Zahlungen des Schuldners zur Abwendung eines angekündigten Insolvenzantrags, den der Gläubiger zur Durchsetzung seiner Forderung angedroht hat, innerhalb der 10-Jahres-Frist des § 133 Abs. 1 Satz 1 InsO anfechtbar. Die durch die Androhung des Insolvenzantrags bewirkte inkongruente Deckung stellt auch bei Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO in der Regel ein starkes Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und die Kenntnis des Gläubigers hiervon dar (BGHZ 157, 242, 250 ff). Gemäß dieser Rechtsprechung hat der Kläger vorgetragen, der Schuldner der nach seiner Darstellung zum Zeitpunkt der Hingabe der Schecks schon mehrere Jahre zahlungsunfähig war, habe stets unter dem Druck angedrohter Insolvenzanträge gehandelt. Damit greift die Indizwirkung der inkongruenten Deckung.

2.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts, eine Indizwirkung zu Lasten der Beklagten allein aus dem Grund abzulehnen, weil Zahlungen zur Abwendung der Einzelzwangsvollstreckung außerhalb des 3-Monats-Zeitraums kongruente Deckungen darstellten, kann keinen Bestand haben. Zwar trifft es zu, dass solche Zahlungen außerhalb des Drei-Monats-Zeitraums nicht zur Indizwirkung der Inkongruenz führen (BGHZ 155, 75, 83 f; 157, 242, 254 f m.w.N.). Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt jedoch mit Recht eine Gehörsverletzung durch das Berufungsgericht, weil es sich nicht mit der Behauptung des Klägers auseinandergesetzt hat, die Zahlungen seien stets zur Abwendung von Insolvenzanträgen der Beklagten erfolgt, die der Vollziehungsbeamte angekündigt habe. Obwohl in diesem Fall die Indizwirkung der Inkongruenz nach ständiger Rechtsprechung auch außerhalb des 3-Monats-Zeitraums im Rahmen der Anwendung des § 133 Abs. 1 InsO eingreifen kann, falls die von den angekündigten Insolvenzanträgen ausgehende Drucksituation nicht durch den Pfändungsdruck überlagert wird (BGHZ 157, aaO S. 253 f, 255 f; BGH, Urt. v. 8. Dezember 2005 - IX ZR 182/01, ZIP 2006, 290, 292 f Rz. 21), hat das Berufungsgericht den Vortrag, die Zahlungen seien jeweils unter dem Druck sich ständig wiederholender Drohungen mit Insolvenzanträgen erfolgt, ignoriert und die vom Kläger hierzu angebotenen Beweise nicht erhoben. Dies verstößt gegen den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Berufungsgericht hat sich mit einer zentralen Haupttatsache des Klägervorbringens nicht auseinandergesetzt. Kann der Kläger beweisen, dass der Schuldner stets unter dem Druck angedrohter Insolvenzanträge gezahlt hat, besteht ein starkes Indiz für den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners und dessen Kenntnis auf Seiten der Beklagten (BGH, Urt. v. 8. Dezember 2005 aaO S. 293 Rn. 23). Das Berufungsgericht wird in diesem Zusammenhang auch zu würdigen haben, dass im Jahre 2003 schon zwei vom Schuldner ausgestellte Schecks nicht eingelöst worden sind.

3.

Zwar hat das Berufungsgericht offen gelassen, ob entsprechend der Entscheidung des Landgerichts eine Insolvenzanfechtung schon wegen des Fehlens einer Rechtshandlung des Schuldners nicht in Betracht kommt. Der Gehörsverstoß bleibt gleichwohl erheblich. Der Schuldner hat bei der Befriedigung der Beklagten mitgewirkt, indem er Schecks ausgestellt hat, um die Beitragsforderungen der Beklagten zu befriedigen. Der Schuldner befand sich nicht in einer Situation, in der er nur noch die Wahl hatte, die geforderte Zahlung sofort zu leisten oder die Vollstreckung zu dulden, ihm also jede Möglichkeit eines selbst bestimmten Handelns genommen war (BGHZ 162, 143, 151 ff; BGH, Beschl. v. 19. Februar 2009 - IX ZR 22/07, ZInsO 2009, 717 Rn. 3). Er hat an der Befriedigung der Gläubigerin aktiv mitgewirkt. Rechtshandlungen des Schuldners sind gegeben.

Ende der Entscheidung

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