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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.02.2003
Aktenzeichen: KVR 25/01
Rechtsgebiete: GWB, VwVfG, VwGO, BGB


Vorschriften:

GWB § 1 n.F.
GWB § 32 n.F.
GWB § 34 a.F.
GWB § 48
GWB §§ 63 ff.
GWB §§ 74 ff.
GWB § 76 Abs. 2 Satz 2
GWB § 78 Satz 1
GWB § 103 a.F.
GWB § 103 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 a.F.
GWB § 103 Abs. 6 Nr. 3 a.F.
GWB § 131 Abs. 2
VwVfG § 47
VwGO § 44a
VwGO § 83 Satz 1
GVG § 17
GVG § 17a
GVG § 17b
BGB § 139
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

KVR 25/01

Verkündet am: 18. Februar 2003

in der Kartellverwaltungssache

Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 18. Februar 2003 durch den Präsidenten des Bundesgerichtshofs Prof. Dr. Hirsch und die Richter Prof. Dr. Goette, Ball, Prof. Dr. Bornkamm und Dr. Raum

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluß des Kartellsenats des Kammergerichts vom 9. Mai 2001 werden auf Kosten der Betroffenen zurückgewiesen.

Der Wert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 2.556.459,40 € (= 5 Mio. DM) festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Betroffene zu 1 (im folgenden: EVG) ist ein Gemeinschaftsunternehmen der Ruhrgas AG in Essen und der Verbundnetz Gas AG in Leipzig (im folgenden: VNG). Sie betreibt die flächendeckende Versorgung Thüringens und angrenzender Gebiete in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen mit Energie. Das hierfür benötigte Gas bezieht und verteilt sie über eine ihr gehörende, rund 320 km lange Erdgasfernleitung von Vitzeroda im Kreis Eisenach nach Niederhohndorf im Kreis Zwickau, die über eine Abzweigung nach Saalfeld verfügt.

Die Betroffene zu 2 (im folgenden: Wingas) ist ein Gemeinschaftsunternehmen der zur BASF-Gruppe gehörenden Wintershall AG und des russischen Gazprom-Konzerns. Sie ist vorwiegend in den alten Bundesländern als Ferngasunternehmen tätig. Ihr gehörten die Sachsen-Thüringen-Erdgasleitung (STEGAL) und von dieser abzweigende Stichleitungen zu einzelnen Abnehmern in den Versorgungsgebieten von VNG und EVG. Diese Abnehmer wurden vor Vereinbarung der hier in Rede stehenden Demarkationen im Versorgungsgebiet der EVG von Wingas und im Versorgungsgebiet der VNG von der Wintershall Erdgas Handelshaus GmbH (im folgenden: WIEH), einem weiteren Gemeinschaftsunternehmen der Wintershall AG und des Gazprom-Konzerns, beliefert.

Anfang 1994 schlossen EVG und Wingas einen bis zum 30. September 2013 befristeten Energielieferungsvertrag, in dem sich EVG zum Bezug von Gas bei Wingas verpflichtete, und zwar zunächst für das Wirtschaftsjahr 1995/1996 im Umfang von 3,5 Milliarden kWh. Mit Wirkung vom 1. Oktober 1996 sollte die Abnahmemenge auf 6,5 Milliarden kWh steigen, was etwa 25 bis 35 % des Gesamtbedarfs der EVG entsprach. In einem im einzelnen zeitlich abgestuften Umfang verpflichtete sich EVG zur Abnahme von bis zu 100 % der vereinbarten Mengen (sog. "Take-or-pay"-Klausel). Nach § 3 Abs. 2 des Vertrages war sie weiter verpflichtet, das bezogene Gas nur in dem in § 3 Abs. 1 festgelegten und erläuterten Vertragsgebiet abzusetzen. Dieses Gebiet entspricht im wesentlichen ihrem Versorgungsgebiet und schließt eine Reihe von Orten ein, an denen bis dahin von Wingas belieferte Abnehmer ansässig sind. Die Regelung in § 3 Abs. 3 des Vertrages untersagt Wingas die direkte oder indirekte Belieferung Dritter in diesem Vertragsgebiet. Ausgenommen hiervon sind lediglich einzelne, im Vertrag namentlich aufgeführte Abnehmer. Mit dieser Ausnahme sollte Wingas die Aufrechterhaltung bestehender Lieferbeziehungen ermöglicht werden.

Nach Anmeldung des Vertrages und einer Anhörung der Betroffenen hat das Bundeskartellamt die Vereinbarung mit Beschluß vom 7. März 1995 für unwirksam erklärt (BKartA WuW/E BKartA 2813 = RdE 1995, 209). Es hat diese Entscheidung auf § 103 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 GWB a.F. i.V. mit § 103 Abs. 6 Nr. 3 GWB a.F. gestützt. Die Demarkationsabsprachen hat das Amt als mißbräuchlich angesehen, weil sie dazu führten, daß im Vollzug der Vereinbarung ein bisher bestehender Wettbewerb um Erdgaskunden ausgeschlossen werde.

Auf die gegen diesen Beschluß eingelegten Beschwerden hat das Bundeskartellamt seine Entscheidung zunächst insoweit aufgehoben, als darin auch die Bestimmung des Vertragsgebiets (§ 3 Abs. 1) und die Bezugspflicht der EVG (§ 3 Abs. 2) für unwirksam erklärt worden waren. Mit Rücksicht darauf, daß das Benehmen mit der Energieaufsichtsbehörde des Landes Hessen nicht hergestellt worden war, hat es im weiteren Verlauf seinen Beschluß auch insoweit aufgehoben, als sich die Erklärung der Unwirksamkeit der Vereinbarung auch auf das Gebiet des Bundeslandes Hessen erstreckt hat. Im Umfang dieser Teilaufhebungen haben die Parteien das Verfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt; im übrigen haben die Betroffenen ihre Beschwerden weiterverfolgt.

Auf die gegen diese Entscheidung gerichteten Beschwerden der Betroffenen hat das Kammergericht mit Beschluß vom 14. Februar 1996 die Entscheidung des Bundeskartellamts aufgehoben (Beschluß im Parallelverfahren: KG WuW/E OLG 5642 = RdE 1997, 27). Auf die Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts hat der Bundesgerichtshof seinerseits den Beschluß des Kammergerichts aufgehoben und die Sache an das Kammergericht zurückverwiesen (BGH, Beschl. v. 28.9.1999 - KVR 29/96, WuW/E DE-R 399 = WRP 2000, 196 - Verbundnetz I). Zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde war die Freistellung nach § 103 GWB a.F. und damit auch die Rechtsgrundlage für die Mißbrauchsverfügung des Bundeskartellamts entfallen (Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts v. 24.4.1998, BGBl. I S. 730). Die Zurückverweisung erfolgte zur Prüfung einer möglichen Umdeutung der Verfügung des Bundeskartellamts nach § 47 VwVfG.

Das Kammergericht hat in dem wiedereröffneten Beschwerdeverfahren die Vertagung beschlossen, um dem Bundeskartellamt Gelegenheit zu geben, seine Verfügung umzudeuten. Einen solchen Umdeutungsbeschluß hat das Bundeskartellamt am 23. Januar 2001 erlassen. Danach wird der Beschluß vom 7. März 1995 dahingehend umgedeutet, daß den Betroffenen die weitere Durchführung der Vereinbarungen aus § 3 Abs. 3 und 4 des von den Betroffenen abgeschlossenen Erdgasliefervertrages vom 31. Januar 1994 nach § 32 GWB n.F. i.V. mit § 1 GWB n.F. untersagt wird.

Die Betroffenen haben gegen diese Verfügung sowohl beim Oberlandesgericht Düsseldorf als auch beim Kammergericht Beschwerde eingelegt. Das Kammergericht hat das aufgrund der bei ihm eingelegten Beschwerden eingeleitete Verfahren mit dem ursprünglichen Beschwerdeverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden und sodann die Beschwerden der Betroffenen gegen den Beschluß des Bundeskartellamts vom 7. März 1995 in der Fassung des (Umdeutungs-)Beschlusses vom 23. Januar 2001 zurückgewiesen (Beschluß in der Parallelsache: KG RdE 2002, 101).

Hiergegen richten sich die vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerden der Betroffenen. Während EVG die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und der Verfügung des Bundeskartellamts in der Fassung der umgedeuteten Verfügung beantragt, begehrt Wingas in erster Linie die Feststellung, daß das Verfahren in der Hauptsache erledigt sei. Hilfsweise beantragen sie Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das Kammergericht, weiter hilfsweise die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und der Verfügungen der Kartellbehörde. Das Bundeskartellamt beantragt, die Rechtsbeschwerden zurückzuweisen.

II.

Das Kammergericht hat die Ansicht vertreten, daß der Umdeutungsbeschluß des Bundeskartellamts nicht in einem gesonderten Verfahren zu überprüfen sei. Vielmehr werde - wie sich aus dem Rechtsgedanken des § 44a VwGO ergebe - das Beschwerdeverfahren, das die ursprüngliche Mißbrauchsverfügung zum Gegenstand gehabt habe, mit der Maßgabe fortgesetzt, daß sich die Beschwerde nunmehr gegen die kartellamtliche Verfügung in der umgedeuteten Gestalt richte.

In der Sache hat das Kammergericht in der beanstandeten Demarkationsabrede nach altem wie nach neuem Recht eine Kartellabsprache i.S. von § 1 GWB gesehen. Die Betroffenen hätten die Vereinbarung als miteinander im Wettbewerb stehende Unternehmen geschlossen. Denn bei Abschluß des Demarkationsvertrages hätten sie in einem aktuellen Wettbewerb als Ferngasunternehmen gestanden, da Wingas nicht nur die EVG beliefert habe, sondern sich im Versorgungsgebiet von EVG als deren unmittelbare Wettbewerberin auch selbst geschäftlich betätigt habe, indem sie Gaskunden akquiriert und beliefert habe. Mit der Demarkation hätten EVG und Wingas eine Beschränkung des zwischen ihnen bestehenden Wettbewerbs bezweckt. Bereits aus der Länge der durch das Versorgungsgebiet von EVG führenden Ferngasleitung der Wingas lasse sich ablesen, daß damit ein großes Wettbewerbspotential stillgelegt worden sei. An der Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung bestehe daher kein Zweifel.

Die Anwendbarkeit des § 1 GWB sei im Streitfall auch nicht mit Blick auf die vertikale Lieferbeziehung, die zwischen den Parteien bestehe, ausgeschlossen. Nach den von der Rechtsprechung zu § 1 GWB a.F. entwickelten, auch auf die neue Gesetzesfassung anwendbaren Grundsätzen fielen wettbewerbsbeschränkende Abreden in Austauschverträgen in den Anwendungsbereich des § 1 GWB, wenn für die vereinbarte Wettbewerbsbeschränkung bei wertender Betrachtungsweise im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs kein anzuerkennendes Interesse bestehe. Dies sei im Streitfall zu bejahen. Bei der EVG handele es sich nicht um einen Absatzmittler, der nur aufgrund der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarung in der Lage sei, einen Ausgleich für die erheblichen Investitionen zu erwirtschaften. Der Streitfall sei daher nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, die der Entscheidung "Druckgußteile" des Bundesgerichtshofs zugrunde gelegen habe.

Ein anzuerkennendes Interesse ergebe sich auch nicht aus der "Take-or-pay"-Verpflichtung, die EVG gegenüber Wingas eingegangen sei. Dem berechtigten Interesse der EVG, nicht für Liefermengen zahlen zu müssen, die aufgrund von Direktbelieferungen durch Wingas nicht mehr absetzbar seien, könne auf andere Weise Rechnung getragen werden als durch die vereinbarte Wettbewerbsbeschränkung, etwa durch eine entsprechende Anpassung der Abnahmeverpflichtung.

Schließlich habe das Bundeskartellamt seine Entscheidung erkennbar ermessensfehlerfrei erlassen. Es sei nichts dafür ersichtlich, daß das Bundeskartellamt das bestehende Ermessen verkannt habe. Dies gelte auch mit Blick auf eine Freistellungsmöglichkeit nach § 7 GWB. Denn die kartellwidrige Demarkation komme für eine Freistellung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Wettbewerbsbeschränkung nicht zu einer Verbesserung des Angebots führe und nicht abzusehen sei, wie es zu einer angemessenen Beteiligung der Verbraucher am entstehenden Gewinn kommen solle.

III.

Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Rechtsbeschwerden haben keinen Erfolg. Die Entscheidung des Kammergerichts ist weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Insbesondere hat das Kammergericht mit Recht angenommen, daß es sich bei der in Rede stehenden Demarkationsvereinbarung um eine Kartellabsprache nach § 1 GWB handelt.

1. Ohne Erfolg wenden sich die Rechtsbeschwerden dagegen, daß das Kammergericht seine (örtliche) Zuständigkeit bejaht hat.

a) Die (örtliche) Unzuständigkeit des Beschwerdegerichts kann im Streitfall im Rechtsbeschwerdeverfahren nicht mehr gerügt werden.

Der Umstand, daß § 76 Abs. 2 Satz 2 GWB einen ausdrücklichen Rügeausschluß nur für den Fall enthält, daß die Kartellbehörde ihre Zuständigkeit unter Verletzung von § 48 GWB bejaht hat, besagt entgegen der Rechtsbeschwerde von Wingas nicht, daß die Unzuständigkeit des Beschwerdegerichts uneingeschränkt mit der Rechtsbeschwerde gerügt werden könnte. Die gesetzliche Regelung des Beschwerde- und des Rechtsbeschwerdeverfahrens ist nicht erschöpfend. In vielen Punkten muß auf andere Verfahrensvorschriften zurückgegriffen werden. Hierfür bieten sich im Hinblick auf die Ausgestaltung des kartellgerichtlichen Beschwerde- und Rechtsbeschwerdeverfahrens nach §§ 63 ff. und 74 ff. GWB als Verwaltungsstreitverfahren in erster Linie die Bestimmungen der Verwaltungsgerichtsordnung an (vgl. BGHZ 84, 320 f. - Stuttgarter Wochenblatt; 130, 390, 399 - Stadtgaspreise; Kollmorgen in Langen/Bunte, Kartellrecht, 9. Aufl., § 73 GWB Rdn. 4; Karsten Schmidt in Immenga/Mestmäcker, GWB, 3. Aufl., § 73 Rdn. 1). Für die Frage, ob die Zuständigkeit des Beschwerdegerichts mit der Rechtsbeschwerde gerügt werden kann, ist insoweit auf § 83 Satz 1 VwGO zurückzugreifen. Dort ist bestimmt, daß für die sachliche und örtliche Zuständigkeit die §§ 17, 17a und 17b GVG entsprechend gelten. Danach hätte die Frage der Zuständigkeit des Kammergerichts für die Entscheidung über die umgedeutete Untersagungsverfügung des Bundeskartellamts in einem gesonderten Vorabverfahren geklärt werden können (§ 83 Satz 1 VwGO i.V. mit § 17a Abs. 3 GVG). Das Gericht, das - wie der Senat im vorliegenden Verfahren - über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, prüft dagegen nicht, ob das Beschwerdegericht seine Zuständigkeit mit Recht bejaht hat (§ 83 Satz 1 VwGO i.V. mit § 17a Abs. 5 GVG).

b) Unabhängig davon bestehen keine Bedenken dagegen, daß das Kammergericht sich als zuständig angesehen hat. Die Umdeutung der ursprünglichen Mißbrauchsverfügung hätte auch das Kammergericht selbst vornehmen können (vgl. BVerwGE 48, 81, 83 f.; 62, 300, 306; BVerwG, Beschl. v. 1.7.1983 - 2 B 176/81, NVwZ 1984, 645; BVerwGE 97, 245, 255). Das Kammergericht hat zwar von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht, sondern es dem Bundeskartellamt - nach Vertagung - überlassen, die Umdeutung auszusprechen. Daraus läßt sich aber nicht der Schluß ziehen, für die Umdeutung sei nun ein neues Kartellverwaltungsverfahren eingeleitet worden. Vielmehr erfolgte die Umdeutung, auch wenn sie vom Amt und nicht vom Kammergericht ausgesprochen wurde, im Rahmen des lediglich vertagten Beschwerdeverfahrens vor dem Kammergericht. Ungeachtet der vom Bundeskartellamt erteilten Rechtsmittelbelehrung hätte es unter diesen Umständen der gesonderten Anfechtung der Umdeutungsverfügung nicht bedurft. Vielmehr war das Kammergericht berufen, über die ursprüngliche Beschwerde zu entscheiden, die sich nunmehr gegen die Untersagungsverfügung in der umgedeuteten Form richtete.

2. Mit Recht hat das Kammergericht die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach § 47 VwVfG in Übereinstimmung mit der Senatsentscheidung vom 28. September 1999 bejaht. Dem steht auch nicht entgegen, daß es sich bei der kartellamtlichen Verfügung um eine Ermessensentscheidung gehandelt hat. Denn die Kartellbehörde hat bereits vor Erlaß der ursprünglichen Mißbrauchsverfügung ihr Ermessen ausgeübt und sich für ein Einschreiten entschieden. Diese Ausübung des Ermessens trägt auch die umgedeutete Untersagungsverfügung.

3. Ohne Erfolg wenden sich die Rechtsbeschwerden dagegen, daß das Kammergericht in der beanstandeten Demarkationsvereinbarung eine Kartellabrede nach § 1 GWB, und zwar auch in der seit dem 1. Januar 1999 geltenden Fassung des Gesetzes, erblickt hat.

a) Dem steht nicht der Umstand entgegen, daß es sich im Streitfall um einen Altvertrag - also um einen schon vor Inkrafttreten des Verbots abgeschlossenen Vertrag - handelt. Obwohl der Erdgaslieferungsvertrag im Jahre 1994 geschlossen worden ist, muß er sich an dem heute geltenden Recht, insbesondere an dem uneingeschränkte Geltung beanspruchenden Kartellverbot des § 1 GWB messen lassen. Auch wenn sich die Wirksamkeit eines Vertrags grundsätzlich nach dem zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Recht richtet (vgl. zur Formvorschrift des § 34 GWB a.F. BGH, Urt. v. 2.2.1999 - KZR 51/97, WuW/E DE-R 261 - Coverdisk; Urt. v. 9.3.1999 - KZR 23/97, WuW/E DE-R 259 - Markant), können Verbotsgesetze bereits wirksam begründete Dauerschuldverhältnisse in der Weise erfassen, daß sie ex nunc unwirksam werden. Dies setzt voraus, daß das Verbotsgesetz die für die Zukunft eintretende Nichtigkeit nach seinem Sinn und Zweck erfordert (vgl. BGHZ 45, 322, 326; MünchKomm/Mayer-Maly/ Armbrüster, BGB, 4. Aufl., § 134 Rdn. 20). Dies ist für das Kartellverbot unzweifelhaft der Fall (Canaris, DB 2002, 930 f.), wie sich im übrigen auch den Übergangsbestimmungen in § 131 Abs. 2 bis 7 GWB entnehmen läßt.

b) Verträge, die einen Leistungsaustausch zum Gegenstand haben, zugleich aber zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen geschlossen worden sind und eine wettbewerbsbeschränkende Abrede - beispielsweise eine Bezugsverpflichtung oder eine Ausschließlichkeitsbindung - enthalten, fallen scheinbar sowohl unter die strenge Regelung des § 1 GWB, die wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen zwischen Wettbewerbern verbietet, als auch unter die Bestimmungen über Vertikalvereinbarungen in §§ 14 ff. GWB, die derartige Wettbewerbsbeschränkungen für den Regelfall nicht verbieten, sondern lediglich einer Mißbrauchsaufsicht unterwerfen (§ 16 GWB). Auch nach altem Recht, das das Merkmal der miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen nicht kannte, sondern statt dessen wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen für unwirksam erklärte, die zu einem gemeinsamen Zweck geschlossen worden waren, ging es der Sache nach um eine Abgrenzung zwischen Horizontal- und Vertikalvereinbarungen.

Noch zum alten Recht hat der Bundesgerichtshof entschieden, daß bei Austauschvereinbarungen mit wettbewerbsbeschränkendem Inhalt eine Vereinbarung immer dann zu einem gemeinsamen Zweck i.S. des § 1 GWB a.F. geschlossen worden sei, wenn für die vereinbarte Beschränkung bei wertender Betrachtungsweise im Hinblick auf die Freiheit des Wettbewerbs kein anzuerkennendes Interesse bestehe (vgl. BGH, Urt. v. 14.1.1997 - KZR 41/95, WuW/E 3115, 3118 - Druckgußteile; Urt. v. 14.1.1997 - KZR 35/95, WuW/E 3121, 3125 - Bedside-Testkarten; Urt. v. 6.5.1997 - KZR 43/95, WuW/E 3137, 3138 - Solelieferung; Urt. v. 12.5.1998 - KZR 18/97, WuW/E DE-R 131, 133 - Subunternehmervertrag I; Urt. v. 14.3.2000 - KZR 8/99, WuW/E DE-R 505 f. - Subunternehmervertrag II). Diese Abgrenzungsformel, die nach altem Recht zur näheren Bestimmung des Merkmals "zu einem gemeinsamen Zweck" dienen konnte, hat durch die Neufassung des Gesetzes ihre Bedeutung nicht verloren (vgl. BGH WRP 2000, 196, 199 - Verbundnetz I [insoweit in WuW/E DE-R 399 nicht abgedruckt]; vgl. ferner Zimmer in Immenga/Mestmäcker aaO § 1 Rdn. 171 f.; Bunte in Langen/Bunte aaO § 1 GWB Rdn. 94; Huber in Frankfurter Kommentar, Kurzdarstellung zu § 1 GWB 1999 Rdn. 16 ff.; Wolter in Frankfurter Kommentar, § 16 GWB 1999 Rdn. 29 f.; Rittner, WuW 2000, 696, 704 f.; Bornkamm in Festschrift Geiß, S. 539, 554 f.). Sie ist immer dann heranzuziehen, wenn eine - wettbewerbsbeschränkende Abreden enthaltende - Vereinbarung zur Überprüfung steht, bei der es sich sowohl um eine Vertikalvereinbarung - also um einen Vertrag, der den Leistungsaustausch zum Gegenstand hat - als auch um einen Vertrag handelt, der zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen geschlossen worden ist. Ist das anzuerkennende Interesse zu bejahen - etwa bei dem dem Verkäufer eines Unternehmens auferlegten Wettbewerbsverbot oder bei der Kundenschutzzusage in einem Subunternehmervertrag, durch den einem als Subunternehmer tätigen Wettbewerber Kunden zugeführt werden - führt dies dazu, daß § 1 GWB nicht anwendbar ist, mögen die Vertragspartner auch miteinander im Wettbewerb stehen. Dabei ist die Abgrenzungsformel so gefaßt, daß nicht allein die für das Austauschverhältnis funktionsnotwendigen Wettbewerbsbeschränkungen - wie die erwähnten Beispiele des Wettbewerbsverbots im Unternehmenskaufvertrag und die Kundenschutzklausel im Subunternehmervertrag - ein anzuerkennendes Interesse begründen können, sondern auch beschränkende Abreden, mit denen ein berechtigtes und mit der Zielrichtung des Gesetzes nicht in Konflikt stehendes Interesse verfolgt wird. Abreden der zweiten Kategorie können dabei um so eher als unbedenklich eingestuft werden, je weniger ausgeprägt das Wettbewerbsverhältnis zwischen den Vertragsparteien ist, weil sich die Parteien beispielsweise nicht als aktuelle Wettbewerber im Markt begegnen, sondern der Markteintritt des einen Vertragspartners nur eine mehr oder weniger naheliegende Möglichkeit darstellt. Ferner kann hier berücksichtigt werden, wie stark wettbewerbsbeschränkend die in Rede stehende Vereinbarung wirkt und ob mit ihr - etwa im Zuge der Auslagerung eines bislang integrierten Vertriebs (vgl. zu einer solchen Konstellation BGH WuW/E 3121 - Bedside-Testkarten) - ein Vertriebskonzept gefördert werden soll, das auf längere Sicht eher zu einer Belebung als zu einer Beeinträchtigung des Wettbewerbs führt (vgl. Bornkamm aaO S. 549 ff.).

Dies bedeutet, daß Vereinbarungen, die scheinbar eine - nach der Systematik des Gesetzes indessen ausgeschlossene - Doppelqualifikation nach § 1 und § 16 GWB erfüllen, zunächst nach § 1 GWB zu prüfen sind. Ergibt sich hierbei, daß es sich um einen wettbewerbsbeschränkenden Vertrag zwischen Wettbewerbern handelt und kann für die beschränkende Abrede kein das Austauschverhältnis förderndes anzuerkennendes Interesse gefunden werden, bleibt es bei der Anwendung des § 1 GWB; für die Anwendung der §§ 14 ff. GWB ist dann kein Raum. Ist das anzuerkennende Interesse dagegen zu bejahen, führt dies dazu, daß der Vertrag ausschließlich als Vertikalvereinbarung zu behandeln ist und damit allein dem Regime der §§ 14 ff. GWB unterfällt (vgl. Rittner, Wettbewerbs- und Kartellrecht, 6. Aufl., § 7 Rdn. 23; ders., WuW 2000, 696 ff.).

c) Werden diese Grundsätze auf den Streitfall angewandt, folgt daraus, daß die beanstandete Demarkationsabrede unter § 1 GWB fällt.

aa) Wie sich den Feststellungen des Kammergerichts entnehmen läßt, bestand zwischen EVG und Wingas vor Abschluß des fraglichen Vertrages im Januar 1994 entlang der bestehenden Ferngasleitung der Wingas mit ihren Stichleitungen ein lebendiger Wettbewerb. Bei Wingas handelte es sich niemals um einen reinen Großverteiler, der lediglich als potentieller Wettbewerber in Betracht zu ziehen wäre. Im Streitfall ist der aktuelle Wettbewerb um so höher einzuschätzen, als EVG damals in ihrem Versorgungsgebiet aufgrund des in ihrem Eigentum stehenden Leitungsnetzes weitgehend über ein natürliches Monopol verfügte. Auch heute verschafft die Verfügungsgewalt über das Leitungsnetz dem Eigentümer trotz des bestehenden Durchleitungsanspruchs noch einen deutlichen Vorsprung gegenüber konkurrierenden Anbietern, die sich häufig den Weg zu ihren Kunden durch mühsame Auseinandersetzungen freikämpfen müssen.

bb) Die Vereinbarung von Demarkationen ist nicht funktionsnotwendig für die hier in Rede stehenden Energielieferverträge. Mit ihr verfolgen die Vertragsparteien auch kein berechtigtes, mit der Zielrichtung des Gesetzes zu vereinbarendes Interesse.

EVG hat mit ihrer Rechtsbeschwerde insoweit auf ihre erheblichen Investitionen in das Leitungsnetz verwiesen, die es den Lieferanten erst ermöglichten, ihr Gas am Markt abzusetzen, und sich insoweit auf die Senatsrechtsprechung, insbesondere auf die Entscheidung "Druckgußteile" berufen. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der Streitfall jedoch nicht mit der dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fallkonstellation vergleichbar. Dort war die wirtschaftliche Notwendigkeit von wettbewerbsbeschränkenden Abreden anerkannt worden, die verhindern, daß der Hersteller aus den Bemühungen des Absatzmittlers ohne eigenen Aufwand Nutzen zieht; der Absatzmittler werde im Interesse des Warenabsatzes nur Investitionen erbringen, deren Rentabilität sichergestellt sei (BGH WuW/E 3115, 3119). Indessen hatten die Vertragsparteien in jenem Fall nicht etwa ihre Absatzgebiete demarkiert, sondern lediglich eine Kundenschutzklausel vereinbart. Aber auch wenn es sich nicht um eine Demarkationsabrede, sondern um eine weniger einschneidende Wettbewerbsbeschränkung handelte, kämen doch Beschränkungen mit einer Laufzeit von mehr als fünf Jahren nicht oder jedenfalls in aller Regel nicht in Betracht. Geht es - wie im Streitfall - um Investitionen in ein Leitungsnetz, kommt hinzu, daß der Lieferant und (potentielle) Wettbewerber das fremde Leitungsnetz, in das sein Absatzmittler in ganz erheblichem Maße investiert hat, keineswegs ohne eigenen Aufwand nutzen kann. Er muß hierfür ein angemessenes Entgelt zahlen, bei dessen Bemessung auch die Investitionen zu berücksichtigen sind. Ebenso wie der Eigentümer des Leitungsnetzes die für Herstellung und Unterhalt des Netzes getätigten Aufwendungen als Transportkosten in seine eigene Kalkulation des Verkaufspreises einstellen wird, können diese Kosten in die Bemessung des angemessenen Entgelts einfließen, das er von einem Durchleitungspetenten beanspruchen kann (§ 19 Abs. 4 Nr. 4 GWB; für Elektrizitätsnetze vgl. auch § 6 Abs. 1 Satz 1 EnWG). Die Investitionen in das Netz können sich daher nicht allein durch eigene Gasverkäufe von EVG amortisieren, sondern auch aufgrund von Einnahmen für die Durchleitung der Absatzmengen der Konkurrenten.

cc) Auch die sogenannte "Take-or-pay"-Klausel läßt die fragliche Demarkationsabrede nicht in einem günstigeren Licht erscheinen. Richtig ist lediglich, daß zwischen Gebietsschutz- oder Alleinvertriebsabreden und Mindestbezugsverpflichtungen eine enge Beziehung besteht. Beispielsweise wird ein Hersteller nur bereit sein, einem Abnehmer für ein wichtiges Absatzgebiet Gebietsschutz zu gewähren, wenn der Abnehmer seinerseits eine Mindestabnahme verspricht. Eine kartellrechtlich bedenkliche Marktaufteilung kann aber nicht mit der Mindestbezugsabrede gerechtfertigt werden. Zunächst wäre zu prüfen, ob die langfristige Abnahmeverpflichtung, die EVG eingegangen ist, ihrerseits mit § 1 GWB vereinbar ist; diese Frage ist nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, in dem es allein um die vom Bundeskartellamt beanstandete Demarkationsabrede geht. Aber auch wenn die langfristige Mindestbezugsabrede kartellrechtlich unbedenklich wäre, hätte die von den Parteien behauptete Abhängigkeit der einen von der anderen Klausel zur Folge, daß der Vertrag entweder - wie das Kammergericht vorgeschlagen hat - aufgrund einer entsprechenden Vertragsklausel an die neuen Gegebenheiten anzupassen wäre oder daß eine auf die Demarkationsabrede beschränkte Teilnichtigkeit (§ 139 BGB) nicht in Betracht käme.

dd) Auch die sonstigen Umstände sprechen eher für eine wettbewerbsschädliche Wirkung der fraglichen Klausel. Zunächst ist zu bedenken, daß die räumliche Marktaufteilung zwischen Wettbewerbern den Wettbewerb wesentlich stärker zu beeinträchtigen geeignet ist als andere beschränkende Abreden. Sie schließt im Streitfall gerade die Mitbewerber vollständig vom Wettbewerb aus, die wegen der bestehenden Ferngasleitung am ehesten in der Lage wären, der EVG in ihrem traditionellen Versorgungsgebiet Konkurrenz zu machen. Hinzu kommt die überaus lange Laufzeit des Vertrages, die zu einer Zementierung des status quo beitragen kann.

Auch die Zielrichtung des Gesetzes steht der von den Rechtsbeschwerden vertretenen Auffassung entgegen, die Demarkationsabrede diene einem anzuerkennenden Interesse der Betroffenen. Mit der Aufhebung der bis 1998 geltenden Freistellung der Energielieferverträge u.a. vom Kartellverbot des § 1 GWB ist deutlich geworden, daß sich die vom Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen verfolgte Zielrichtung eines freien Wettbewerbs nunmehr uneingeschränkt auch auf die frühere Bereichsausnahme der Energieversorgung richtet. Mit dieser Zielrichtung ist es nicht zu vereinbaren, wenn Wettbewerber die von ihnen versorgten Gebiete durch Demarkationsabreden abgrenzen.

d) Zutreffend ist das Kammergericht auch von der Spürbarkeit der beanstandeten Wettbewerbsbeschränkung ausgegangen.

IV.

Danach sind die Rechtsbeschwerden der Betroffenen zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Satz 1 GWB. Da durch den weitergehenden Umfang der ursprünglichen Mißbrauchsverfügung des Bundeskartellamts allenfalls in geringem Umfang Mehrkosten entstanden sind, entspricht es der Billigkeit, davon abzusehen, die Kosten mit Blick auf den erledigten Teil der Verfügung zu teilen.

Ende der Entscheidung

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