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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.02.1998
Aktenzeichen: StB 2/98
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 55
StPO § 55

Zum Auskunftsverweigerungsrecht eines ehemaligen hauptamtlichen Mitarbeiters des Geheimdienstes der DDR.

BGH, Beschluß vom 25. Februar 1998 3 StE 7/94-1(2) StB 2/98 OLG Frankfurt/Main


BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS

3 StE 7/94-1(2) StB 2/98

vom

25. Februar 1998

in der Strafsache

gegen

wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit;

hier: Beschwerde des Zeugen gegen die Anordnung der Erzwingungshaft

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts am 25. Februar 1998 gemäß § 304 Abs. 4 Satz 2 Nr. 1 StPO beschlossen:

Auf die Beschwerde des Zeugen W. wird der Beschluß des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 15. Januar 1998 aufgehoben.

Die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe:

Vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main findet die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten F. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland statt. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, sich von 1969 bis 1989 mindestens zweimal im Jahr mit Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS), mehrfach auch mit dem Zeugen W. , getroffen und hochwertige politische Erkenntnisse verraten zu haben. Nach dem der Anklage gegen den Angeklagten zugrundeliegenden Sachverhalt hat sich der Zeuge W. nach § 99 StGB strafbar gemacht; es liegt aber auch nicht fern, daß der Zeuge den Angeklagten, der durch seine Tätigkeit u.a. im Präsidium des Deutschen Atomforums vor allem über Informationen zur Kernenergie und neue Reaktortypen verfügte, zu einem Verbrechen des Landesverrats nach § 94 StGB angestiftet oder anzustiften versucht hat, um auch Staatsgeheimnisse zu erfahren. Der Zeuge W. wäre dann der Beteiligung oder der Täterschaft des Landesverrats schuldig (vgl. BGHSt 39, 260, 273 ff).

Im Hauptverhandlungstermin vom 15. Januar 1998 verweigerte der Zeuge die Antwort auf die Frage, ob der Angeklagte die mit "Julius" in dem Buch des Zeugen "Spionagechef im geheimen Krieg" beschriebene Person sei. Das Oberlandesgericht ordnete wegen grundloser Zeugnisverweigerung neben einem Ordnungsgeld von 500 DM die Beugehaft zur Erzwingung des Zeugnisses längstens für die Dauer von sechs Monaten und deren sofortige Vollstreckung an.

Nachdem der anwaltliche Beistand des Zeugen aus einer anderen Hauptverhandlung zurückgekehrt war, legte er noch am selben Tage gegen die Verhängung der Beugehaft Beschwerde ein, nicht gegen die Ordnungsgeldanordnung, weil diese nicht beschwerdefähig ist. U.a. hat er die Unverhältnismäßigkeit der sofortigen Anordnung der Beugehaft gegen den kurz vor Vollendung des 75. Lebensjahres stehenden Zeugen im Hinblick auf die Fortsetzung der Hauptverhandlung am kommenden Montag geltend gemacht.

Das Oberlandesgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen. Der Senat hat mit Beschluß vom 17. Januar 1998 die Vollziehung des angefochtenen Beschlusses bis zur Entscheidung über die Beschwerde ausgesetzt.

Im Beistand seines Rechtsanwalts hat sich der Zeuge in einem weiteren Hauptverhandlungstermin vor dem Oberlandesgericht am 10. Februar 1998 nunmehr auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO berufen, weil ihm nach wie vor wegen der Verstöße gegen §§ 94, 99 StGB Verfolgungsgefahr drohe. Das Oberlandesgericht hat den Beschluß über die Anordnung der Beugehaft nicht aufgehoben, weil das Strafverfahren gegen den Zeugen, das seine gesamte Tätigkeit für das MfS betroffen habe, eingestellt worden sei und nicht wieder aufgenommen werden könne.

Die nach § 304 Abs. 4 StPO zulässige (vgl. BGHSt 36, 192) Beschwerde des Zeugen W. ist begründet. Die Erzwingungshaft durfte nicht angeordnet werden. Denn dem Zeugen steht gemäß § 55 StPO ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Dem Zeugen droht jedenfalls weiterhin die Gefahr der Strafverfolgung wegen Landesverrats nach § 94 StGB oder der Beteiligung daran in dem Sinne, daß sie nicht zweifellos ausgeschlossen ist (vgl. BGHSt 9, 34, 35).

Aufgrund der Anklageschrift vom 16. September 1992 war der Zeuge W. u.a. wegen Landesverrats in drei Fällen (G. , S. und K. ) sowie wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland in der Zeit von 1953 bis 1987 angeklagt und auch verurteilt worden. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über das aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot abgeleitete, unter bestimmten Voraussetzungen bestehende verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis für ehemalige hauptamtliche Mitarbeiter des Geheimdienstes der DDR (BVerfGE 92, 277) hat der Senat das Urteil gegen den Zeugen aufgehoben (BGHSt 41, 292). Bereits dort hat der Senat ausgeführt, daß der Zeuge schon nach den Feststellungen des aufgehobenen Urteils, aber möglicherweise auch in weiteren Fällen von Staaten aus, hinsichtlich derer das genannte verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis nicht besteht, gegen die Bundesrepublik Deutschland geheimdienstliche Agententätigkeit oder auch Landesverrat begangen haben kann (aaO 295). In der Folgezeit hat das Oberlandesgericht Düsseldorf mit Beschluß vom 29. April 1997 das gegen den Zeugen W. gerichtete Verfahren hinsichtlich der Vorwürfe aus der Anklageschrift vom 16. September 1992 nach § 154 Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt und ihn am 27. Mai 1997 wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt.

Diese Sachbehandlung führt nicht dazu, daß der Zeuge nicht mehr wegen Landesverrats verfolgt werden kann, den er mit dem Angeklagten F. begangen haben könnte. Anders als das Oberlandesgericht und der Generalbundesanwalt meinen, ist nicht die "gesamte Tätigkeit" des Zeugen W. als Spionagechef des MfS durch den Einstellungsbeschluß des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 29. April 1997 nach § 154 Abs. 2 StPO erfaßt worden, sondern nur die in der Anklage vom 16. September 1992 enthaltenen Taten. Das - rechtlich selbständige - Verbrechen des Landesverrats durch Beteiligung des Zeugen an einer solchen Tat des Angeklagten F. war ebensowenig Gegenstand dieser Anklage wie die vom Oberlandesgericht Düsseldorf am 27. Mai 1997 aufgrund der neuen Anklage des Generalbundesanwalts rechtskräftig abgeurteilten Vergehen, die der Zeuge W. ebenfalls in Ausübung seiner gegen die Bundesrepublik gerichteten Spionagetätigkeit begangen hat (BGHSt 41, 292, 296 ff.).

Die Strafbarkeit des Zeugen W. wegen des mit dem Angeklagten F. gegebenenfalls begangenen Verbrechens des Landesverrats ist nicht infolge der Wiedervereinigung Deutschlands aufgrund des verfassungsrechtlichen Verfolgungshindernisses entfallen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluß vom 15. Mai 1995 ausdrücklich festgestellt, daß die von DDR-Bürgern, auch soweit sie vom Boden der DDR aus gehandelt haben, gegen die Bundesrepublik Deutschland begangenen Spionagestraftaten nach den im Einklang mit dem Grundgesetz stehenden §§ 94, 99 StGB i.V.m. § 9, 5 Nr. 4 StGB von Anfang strafbares Unrecht waren; dabei ist es auch geblieben (BVerfGE 92, 277, 330). Schon im Hinblick hierauf hat der Senat entschieden, daß der Beteiligungsverdacht eines Zeugen i.S.d. § 60 Nr. 2 StPO durch das verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis nicht beseitigt wird (BGH, Urteil vom 28. November 1997 - 3 StR 114/97, S. 23 f. des Umdrucks). Nichts anderes gilt für die Strafverfolgungsgefahr beim Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen nach § 55 StPO.

Dem Zeugen W. droht wegen Täterschaft oder Beteiligung an einem möglichen Landesverrat des Angeklagten F. auch heute noch die Gefahr der Strafverfolgung. Das verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis greift nicht ein, wenn sich der Zeuge W. unter den vom Bundesverfassungsgericht beschriebenen Umständen zu Treffs mit dem Angeklagten F. in westliches oder neutrales Ausland begeben hat. Wäre darüber hinaus damals nicht nur eine Bestrafung durch einen solchen Aufenthaltsstaat, sondern auch eine Auslieferung des Zeugen W. an die Bundesrepublik Deutschland in Betracht gekommen, so würde das verfassungsrechtliche Verfolgungshindernis selbst dann nicht eingreifen, wenn sich der Zeuge W. aus anderem Anlaß außerhalb der DDR aufgehalten hätte. Denn im Falle einer Auslieferung an die Bundesrepublik Deutschland, aus welchem Anlaß auch immer, mußten die Täter "mit ihrer Bestrafung wegen der gesamten gegen diese (Bundesrepublik Deutschland) gerichteten Spionagetätigkeit rechnen" (BGHSt 41, 292, 294 im Anschluß an BVerfGE 92, 277).

Dem Zeugen W. steht, wie meist bei Tatbeteiligten (Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 43. Aufl. § 55 Rdn. 2), ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Denn jede bejahende oder verneinende Antwort auf eine Frage, die an ihn als Zeuge im Zusammenhang mit der dem Angeklagten F. vorgeworfenen Tat gerichtet wird, kann ein "Teilstück in einem mosaikartigen Beweisgebäude gegen den Zeugen" betreffen (vgl. BGHR StPO § 55 I Auskunftsverweigerung 4).

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