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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 24.02.2006
Aktenzeichen: V ZR 145/05
Rechtsgebiete: GBBerG


Vorschriften:

GBBerG § 9
§ 9 Abs. 2 GBBerG steht dem Entstehen einer Dienstbarkeit nach § 9 Abs. 1 GBBerG schon dann entgegen, wenn die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) am Stichtag des 25. Dezember 1993 einschlägig war.
BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 145/05

Verkündet am: 24. Februar 2005

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 24. Februar 2006 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Rechtmittel der Klägerin werden das Urteil des 9. Zivil-senats des Oberlandesgerichts Dresden vom 2. Juni 2005 aufgehoben und das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Chemnitz vom 9. Juni 2004 insoweit geändert, als die Klage auf Beseitigung der Energieanlagen abgewiesen worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, sämtliche Energieanlagen, die sich in dem an der nordwestlichen Grenze des ehemaligen Grundstücks G. Straße in S. (ehemaliges Flurstück 128/2 und heutige Flurstücke 128/8 sowie 128/9) gelegenen Gebäude befinden (rot markierter Bereich der beigefügten Anlage) zu beseitigen; im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin erwarb im Jahr 2001 mehrere Grundstücke in S. mit dem Ziel der Errichtung einer Eigenheimsiedlung. Auf einem dieser Grundstücke, das zu dem im Jahr 1992 stillgelegten Karosseriebetrieb des V. gehörte, befindet sich ein Pförtnerhaus mit angebauter Trafostation, die seit 1987/88 auch der Energieversorgung in S. dient. Der Strombezug und der Stromlieferungsvertrag für das ehemalige Karosseriewerk endeten im August 1997. Seither besteht kein Stromanschluss mehr.

Die Klägerin brach die alten Betriebsgebäude bis auf das Pförtnerhaus und die Trafostation ab, die eine Fläche von 147 qm in Anspruch nehmen und aus statischen Gründen nur zusammen abgerissen werden können. Die Klägerin hat geltend gemacht, die Trafostation hindere die Bebauung von zwei Eigenheimgrundstücken und deren wirtschaftliche Verwertung. Dem Anliegen der Klägerin, die Trafostation zu beseitigen, will die Beklagte nur gegen Erstattung der Kosten für eine Verlegung entsprechen. Dazu ist die Klägerin nicht bereit. Die Kosten einer Umlegung betragen 28.000 €, wobei für den neuen Standort nur eine Fläche von etwa 6 qm benötigt würde.

Im ersten Rechtszug hat die Klägerin die Beseitigung der Trafostation und von Verschmutzungen verlangt, die von der Energieanlage herrühren. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung, mit der die Klägerin ihre Klage nur mit Blick auf die Trafostation weiter verfolgt hat, ist erfolglos geblieben. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin dieses Begehren weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht steht auf dem Standpunkt, einem Beseitigungsanspruch stehe entgegen, dass die Beklagte nach § 9 Abs. 1 GBBerG eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit erworben habe, aufgrund deren die Klägerin zur Duldung der Trafoanlage verpflichtet sei. § 9 Abs. 2 GBBerG hindere das Entstehen der Dienstbarkeit nicht. Die dort genannte Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) sei zwar einschlägig, eine hieraus folgende Duldungspflicht sei aber gleichwohl zu verneinen, weil die Klägerin nach § 8 Abs. 3 AVBEltV die Verlegung der Elektrizitätseinrichtung wegen Unzumutbarkeit verlangen könne und damit eine Duldungspflicht an der konkreten Stelle nicht mehr bestehe. Da das Pförtnergebäude aus statischen Gründen nicht allein abgerissen werden könne, beanspruche die an sich räumlich unbedeutende Trafostation eine Fläche von 147 qm. Dies sei unverhältnismäßig und unzumutbar. Es komme daher nicht mehr darauf an, dass der Stromlieferungsvertrag mit dem Ausbau der Messeinrichtung am 20. August 1997 beendet worden und damit die Fünfjahresfrist des § 8 Abs. 3 AVBEltV (richtig: § 8 Abs. 4 AVBEltV) verstrichen sei, nach deren Ablauf die Duldungspflicht ende. Dass die Beklagte möglicherweise in nächster Zeit ohnehin eine Erneuerung der Trafostation plane, führe nicht dazu, dass deren Weigerung, die Anlage auf eigene Kosten zu verlegen, treuwidrig (§ 242 BGB) sei.

II.

1. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen Beseitigungsanspruch der Klägerin nach § 1004 Abs. 1 BGB mit der Erwägung verneint, der Beklagten stehe eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu, aufgrund deren die Trafostation weiterhin an ihrem jetzigen Standort zu dulden sei (§ 1004 Abs. 2 BGB).

a) Allerdings ist das Berufungsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Entstehung einer Dienstbarkeit kraft Gesetzes (§ 9 Abs. 1 GBBerG) ausgeschlossen ist, soweit Kunden und Anschlussnehmer, die Grundstückseigentümer sind, u.a. nach der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden (AVBEltV) zur Duldung von Energieanlagen verpflichtet sind (§ 9 Abs. 2 GBBerG), und zumindest im Ansatz auch davon, dass es hierfür auf den Stichtag des 25. Dezember 1993 ankommt. Dem Berufungsgericht ist auch darin zuzustimmen, dass diese Verordnung am Stichtag einschlägig war.

b) Nicht zu folgen vermag der Senat jedoch der weiteren Erwägung, § 9 Abs. 2 GBBerG hindere trotz Anwendbarkeit der genannten Verordnung das Entstehen einer Dienstbarkeit nicht, weil eine "konkrete Duldungspflicht" wegen Unzumutbarkeit nicht bestanden habe (§ 8 Abs. 3 AVBEltV).

aa) Das angefochtene Urteil erweist sich schon deshalb nicht als überzeugend, weil nicht ersichtlich ist, dass die Anlage am 25. Dezember 1993 für den damaligen Grundstückseigentümer unzumutbar im Sinne der §§ 8 Abs. 3; 11 Abs. 3 AVBEltV gewesen wäre. Darauf, ob die Aufrechterhaltung der Trafostation an der konkreten Stelle für die Klägerin, die das Grundstück erst im Jahr 2001 erwarb, am Stichtag unzumutbar gewesen wäre oder ob dies heute so ist - dieser Ansatz scheint dem insoweit nicht zweifelsfreien Berufungsurteil zugrunde zu liegen -, kann es für die Frage des Entstehens der Dienstbarkeit nicht ankommen. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit, deren der Grundstücksverkehr in besonderem Maße bedarf, muss bereits am Stichtag Klarheit darüber bestehen, ob eine Dienstbarkeit entstanden ist oder nicht. Das kann nicht von dem Eintritt späterer Ereignisse abhängig gemacht werden.

bb) Vor allem aber steht § 9 Abs. 2 GBBerG dem Entstehen einer Dienstbarkeit schon dann entgegen, wenn die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden am Stichtag einschlägig war. Der Wortlaut der Vorschrift bringt dies zwar nicht zum Ausdruck. Sinn und Zweck der Regelung gebieten jedoch eine dahingehende Norminterpretation.

Die Übergangsregelung des § 9 GBBerG dient der Rechtsangleichung. Ihr Sinn und ihre Funktion besteht darin, in den neuen Ländern eine rechtliche Absicherung von Anlagen und Leitungen in den gleichen Formen zu schaffen wie in den alten Ländern (vgl. BT-Drucks. 12/6228 S. 76; Schmidt-Räntsch, VIZ 2004, 473, 474 f). In diesen ist eine Absicherung durch beschränkte persönliche Dienstbarkeiten nur vorgesehen, soweit ein Anschlussvertrag nicht besteht und es sich nicht um Anlagen und Leitungen des örtlichen Niederspannungsnetzes handelt. In allen anderen Fällen wird die Absicherung durch Begründung von Duldungspflichten realisiert, die durch den Abschluss von Versorgungsverträgen nach den Verordnungen über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 684), für die Gasversorgung von Tarifkunden vom 21. Juni 1979 (BGBl. I S. 676) und für die Versorgung mit Fernwärme vom 20. Juni 1980 (BGBl. I S. 742) begründet werden und zu deren Übernahme der Eigentümer bei Abschluss von Versorgungsverträgen kraft Verordnung verpflichtet ist (vgl. Schmidt-Räntsch, aaO). Vor diesem Hintergrund ist es nur folgerichtig, wenn § 9 Abs. 2 GBBerG der Entstehung einer Dienstbarkeit kraft Gesetzes entgegen steht, weil in solchen Konstellationen am Stichtag bereits dieselbe Absicherung wie in den alten Bundesländern gegeben war; das Ziel der Rechtsangleichung ist insoweit bereits verwirklicht. Dabei ist über die Geltung der genannten Versorgungsverordnungen eine angemessene Absicherung sichergestellt, die einen ausgewogenen Ausgleich der Interessen der Allgemeinheit, der Energieversorgungsunternehmen und der betroffenen Grundstückseigentümer enthalten und als Ausdruck dessen insbesondere Verlegungsansprüche bei Unzumutbarkeit (vgl. §§ 8 Abs. 3 Satz 1, 11 Abs. 2 AVBFernwärmeV sowie jeweils §§ 8 Abs. 3 Satz 1, 11 Abs. 3 Satz 1 AVBEltV und AVBGasV) und eine Duldungspflicht des Grundstückseigentümers für weitere fünf Jahre auch nach Einstellung der Energieversorgung vorsehen, es sei denn, dass dies dem Eigentümer nicht zugemutet werden kann (vgl. jeweils §§ 8 Abs. 4, 11 Abs. 2 AVBEltV, AVBGasV und AVBFernwärmeV). Bedarf für das Entstehen einer Dienstbarkeit hat der Gesetzgeber nur außerhalb des Bereichs der Versorgungsverordnungen gesehen, weil die im Einigungsvertrag vorgesehene Ablösung der in den neuen Ländern nach der Energieverordnung 1988 entstandenen und vorläufig aufrecht erhaltenen Mitbenutzungsrechte durch vertraglich neu zu begründende Dienstbarkeiten an praktischen Schwierigkeiten zu scheitern drohte und sich der Gesetzgeber deshalb entschloss, eine am voraussichtlichen Inhalt solcher Verträge ausgerichtete gesetzliche Regelung vorwegzunehmen (BT-Drucks. 12/6228 S. 76; Senat BGHZ 157, 144, 146; Schmidt-Räntsch, RdE 1994, 214, 215). Nur diese - bei fehlendem Eingreifen einer der in § 9 Abs. 2 GBBerG genannten Verordnungen drohende - Absicherungslücke galt es zu schließen, nicht aber sollte Energieversorgungsunternehmen eine Rechtsstellung verschafft werden, die über die bei Anwendbarkeit der Versorgungsverordnungen am Stichtag gegebene Absicherung hinausgeht. Dies würde zu einer von der Regelung nicht bezweckten Privilegierung von Energieanlagen in den neuen Ländern führen und damit die mit der Norm bezweckte Rechtsangleichung verfehlen.

c) Sollte das Berufungsgericht auf das Entstehen einer Dienstbarkeit nach dem Stichtag abgestellt haben - dafür könnte sprechen, dass es das Vorliegen einer Duldungspflicht der Klägerin, obwohl diese am Stichtag noch nicht Eigentümerin war, im Kontext des § 9 Abs. 2 GBBerG verneint hat -, könnte auch dem der Senat nicht folgen. Ein späteres Entstehen sieht das Gesetz nicht vor. Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig. Er stellt auf das Inkrafttreten der Vorschrift und damit auf den 25. Dezember 1993 ab. Eine entsprechende Anwendung der Norm scheitert jedenfalls daran, dass die für einen Analogieschluss erforderliche planwidrige Regelungslücke nicht vorliegt. Wie bereits dargelegt, ist die von dem Gesetzgeber verfolgte Rechtsangleichung erreicht, wenn einer der in § 9 Abs. 2 GBBerG genannten Verordnungen am Stichtag anwendbar war. Eine darüber hinausgehende Absicherung würde dessen Anliegen unterlaufen, Energieversorgungsanlagen im Anwendungsbereich der Verordnungen nur so abzusichern wie in den alten Ländern.

2. Das angefochtene Urteil ist nicht im Ergebnis aus anderen Gründen richtig. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die Trafostation weiterhin zu dulden.

a) Eine Duldungspflicht nach §§ 8 Abs. 4, 11 Abs. 2 AVBEltV scheitert jedenfalls daran, dass der Strombezug im August 1997 eingestellt wurde, seither unstreitig keine Lieferungen mehr erbracht wurden und damit der Fünfjahreszeitraum für eine weitere Duldung der Trafostation verstrichen ist.

b) Der Beklagten steht kein Mitbenutzungsrecht nach § 29 EnV 1980 bzw. § 29 EnV 1988 wegen der ab 1987/88 erfolgten Nutzung der Trafostation zur Energieversorgung auch von S. zu, weil ein solches Recht mangels einer zwangsweisen Anordnung nur auf Grund einer Vereinbarung mit dem Eigentümer entstehen konnte (vgl. BGHZ 144, 29, 31 ff.; Senat, Urt. v. 6. Februar 2004, V ZR 196/03, VIZ 2004, 328, 329 m.w.N.). Eine ausdrückliche Vereinbarung liegt nicht vor. Eine Vereinbarung wird auch nicht durch § 1 Abs. 3 Satz 1 der 5. DB EnV 1980 bzw. § 17 Abs. 1 Satz 1 der 2. DB EnV 1988 fingiert. Nach diesen Bestimmungen gilt eine Mitbenutzung zwar als vereinbart, wenn ein Elektroenergielieferungsvertrag zustande kommt. Diese Wirkung tritt nach § 1 Abs. 3 Satz 2 der 5. DB EnV 1980 bzw. § 17 Abs. 1 Satz 2 der 2. DB EnV 1988 auch gegenüber dem an einem solchen Vertrag nicht beteiligten Rechtsträger oder Eigentümer des Grundstücks ein. Dies gilt aber nur "in Bezug auf Anlagen des Leitungstransports", zu denen Anlagen zur Umformung von Elektroenergie nicht gehören (Senat, Urt. v. 6. Februar 2004, aaO). Es kann deshalb offen bleiben, ob ein Mitbenutzungsrecht wegen der am Stichtag des 25. Dezember 1993 gegebenen Absicherung durch die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung überhaupt noch bestünde.

c) Eine weitere Duldung lässt sich schließlich nicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) herleiten. Das gälte selbst dann, wenn man davon ausgehen wollte, dass die Klägerin im Zuge der Bebauung bereits in nächster Zukunft einen Stromlieferungsvertrag eingehen wird. Wie bereits dargelegt, enthalten die Allgemeinen Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung auch im Hinblick auf die Duldungspflicht des Grundstückseigentümers einen angemessenen Interessenausgleich. Ausdruck dieses Interessenausgleichs ist insbesondere die Fünfjahresfrist der §§ 8 Abs. 4, 11 Abs. 2 AVBEltV, die dem Energieversorgungsunternehmen ausreichend Zeit lässt, seine Interessen zu wahren. Vor diesem Hintergrund kann § 242 BGB einem Beseitigungsverlangen des Grundstückseigentümers nach Verstreichen des Fünfjahreszeitraums nur in besonders krassen Fällen entgegen stehen, etwa dann, wenn zwischen dem Ablauf der Frist und dem erneuten Strombezug nur eine geringfügige Zeitspanne liegt. Davon kann hier keine Rede sein. Die Fünfjahresfrist endete bereits im Jahr 2002.

3. Nach allem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Der Senat kann aber in der Sache selbst entscheiden, weil der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist im Sinne von § 563 Abs. 3 ZPO. Weitere Feststellungen kommen nicht in Betracht.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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