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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesgerichtshof
Urteil verkündet am 27.10.2000
Aktenzeichen: V ZR 258/99
Rechtsgebiete: EGBGB


Vorschriften:

EGBGB Art. 233 § 2 a Abs. 1 Buchst. b
EGBGB Art. 233 § 2 a Abs. 1 Buchst. b

Einer Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, der die Rechtsträgerschaft an einem bebauten volkseigenen Grundstück übertragen war, stand ein Besitzrecht an diesem von ihr genutzten Grundstück nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 Buchst. b EGBGB zu.

BGH, Urt. v. 27. Oktober 2000 - V ZR 258/99 - OLG Dresden LG Görlitz


BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

V ZR 258/99

Verkündet am: 27. Oktober 2000

Riegel, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2000 durch die Richter Tropf, Prof. Dr. Krüger, Dr. Klein, Dr. Lemke und Dr. Gaier

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 27. Mai 1999 aufgehoben und das Teilurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Görlitz vom 20. November 1998 abgeändert.

Hinsichtlich des Anspruchs auf Auskunft und Rechnungslegung und hinsichtlich des geltend gemachten Zahlungsanspruchs, soweit die Klägerin mehr als 17.533,05 DM nebst Zinsen verlangt, wird die Klage abgewiesen.

Im übrigen wird der Rechtsstreit zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Beklagte war seit 1984 Rechtsträgerin eines bebauten volkseigenen Grundstücks in W. , das als Gaststätte und Ferienheim genutzt wurde.

Ab dem 10. Juni 1991 vermietete die Beklagte die Gaststätte an K. Wa. , von dem sie an Grund- und Umsatzmiete sowie an Saalmiete bis Januar 1993 einschließlich insgesamt 53.881,48 DM erhielt.

Ende 1994 stellte sie einen Antrag auf Feststellung und Neuordnung der Eigentumsverhältnisse nach § 64 LwAnpG, der 1996 zurückgewiesen wurde. Am 24. April 1997 wurde auf Ersuchen der Präsidentin der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben die Klägerin als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen. Die Beklagte gab das Grundstück am 13. Januar 1998 an die Klägerin heraus, nachdem sie hierzu rechtskräftig verurteilt worden war.

Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr stünden - aus abgetretenem Recht der Treuhandanstalt/Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben - ab dem 4. September 1990 die Nutzungen aus dem Grundstück zu. Sie hat zunächst für die Zeit bis zur Vermietung an Wa. Auskunft und Rechnungslegung über die gezogenen Nutzungen und für die Zeit danach Zahlung verlangt, und zwar in Höhe der von Wa. gezahlten Miete - wobei allerdings nur ein Betrag von 53.872,48 DM eingeklagt worden ist - und in Höhe eines Betrages von 76.571,56 DM, der dem objektiven Mietwert des Grundstücks für die Zeit vom 1. September 1995 bis zur Rückgabe entsprochen haben soll. Land- und Oberlandesgericht haben der Klage im wesentlichen stattgegeben. Mit der Revision erstrebt die Beklagte die Abweisung der Klage. In Höhe des Betrages von 76.571,56 DM (Nutzungsersatz ab 1. September 1995) ist die Klage während des Revisionsverfahrens zurückgenommen worden. Die Klägerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hält einen Anspruch auf Herausgabe der in der Zeit vom 4. September 1990 bis zum 31. Januar 1993 gezogenen Nutzungen nach §§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 Satz 2 BGB für begründet. Infolgedessen bejaht es auch einen Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung (§ 242 BGB), soweit Art und Höhe der gezogenen Nutzungen der Klägerin nicht bekannt sind. Ein diesen Ansprüchen entgegenstehendes Besitzrecht nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 b EGBGB verneint es mit der Begründung, die Beklagte als Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft habe in der hier vorliegenden Konstellation, nämlich als Rechtsträgerin und Nutzerin eines zuvor schon errichteten Gebäudes, nicht geschützt werden sollen. Das Moratorium habe vielmehr nur den Fall des sog. vagabundierenden Gebäudeeigentums im Auge gehabt, also den Fall des einer LPG zustehenden selbständigen Gebäudeeigentums, für das nach Aufhebung des umfassenden Nutzungsrechts (§ 18 LPGG) keine Rechtsgrundlage mehr besteht.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.

1. Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, daß das Moratorium des Art. 233 § 2 a EGBGB in ungeklärten Nutzungsfällen eine einstweilige Sicherung des Besitzstandes gewährleisten sollte, um die Schaffung von Fakten bis zu einer Bereinigung des Sachenrechts zu verhindern (Senat, BGHZ 125, 125, 134). Dabei spielt es für die Reichweite des Moratoriums im konkreten Fall keine Rolle, daß der Gesetzgeber das vorliegende Nutzungsverhältnis nicht in die Sachenrechtsbereinigung einbezogen hat. Entscheidend ist allein, ob aus damaliger Sicht ein Sachverhalt gegeben war, dessen Einbeziehung in die sachenrechtliche Bereinigung oder anderweitige Anpassung an das Recht der Bundesrepublik Deutschland wenigstens in Betracht kam. Der Schutz des Moratoriums sollte auch in solchen Zweifelsfällen eingreifen (vgl. BT-Drucks. 12/2944, S. 46; Senat, BGHZ 136, 212, 215; 137, 369, 373 f).

2. Ausgehend hiervon ist anzunehmen, daß die Beklagte in dem hier fraglichen Zeitraum Besitzschutz nach dem Sachenrechtsmoratorium genoß.

a) Art. 233 § 2 a Abs. 1 b EGBGB sollte allerdings - was die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften angeht - vornehmlich die von dem Berufungsgericht allein in den Blick genommenen Fälle des sog. vagabundierenden Gebäudeeigentums erfassen (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 12/2695 i.V.m. BT-Drucks. 12/2480, S. 77; Staudinger/Rauscher, BGB, [1996], Art. 233 § 2 a EGBGB Rdn. 42). Die Bestimmung ist jedoch nicht auf diese Fallgruppe beschränkt (Staudinger/Rauscher aaO Rdn. 41). Das folgt schon aus ihrem Wortlaut, der nicht darauf abstellt, daß die Genossenschaft Gebäudeeigentum erlangt hat, sondern (nur) zur Voraussetzung hat, daß der Genossenschaft errichtete Gebäude und dazugehörige Grundstücksflächen zur Nutzung sowie zur selbständigen Bewirtschaftung und Verwaltung übertragen worden waren. Unter diesen weit gefaßten Wortlaut können auch andere Nutzungsverhältnisse subsumiert werden, als nur der durch das frühere gesetzliche Nutzungsrecht des § 18 LPGG (1982) gekennzeichnete Grundfall, der - nach Wegfall des Nutzungsrechts - zum vagabundierenden Gebäudeeigentum führte.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts spricht auch nicht der systematische Zusammenhang des Moratoriums mit dem sog. Lösungsrecht des Eigentümers nach Art. 233 § 2 a Abs. 6 EGBGB für eine einschränkende, nur auf die Fälle des vagabundierenden Gebäudeeigentums bezogene Sicht. Das Gegenteil ist der Fall. Nach dieser Vorschrift kann der Eigentümer das nach Art. 233 § 2 a Abs. 1 EGBGB gegebene Besitzrecht u.a. grundsätzlich dann beenden, wenn (Abs. 6 Satz 4 c) es sich um ein ehemals volkseigenes Grundstück handelt und seine Nutzung am 2. Oktober 1990 auf einer Rechtsträgerschaft beruhte. Zugunsten Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften wird dieses Lösungsrecht dann wiederum ausgeschlossen (anders als z.B. bei Konsumgenossenschaften, vgl. Senat, BGHZ 137, 369, 373). Der - auch hier vorliegende - Fall der Nutzung eines volkseigenen Grundstücks kraft Rechtsträgerschaft ist gerade nicht der Fall, der zur Bildung selbständigen Gebäudeeigentums führte, für das später die Rechtsgrundlage entfiel. Wird ein solcher Fall aber vom Gesetz unter dem Gesichtspunkt des Lösungsrechts behandelt, so setzt dies voraus, daß er vom Moratorium erfaßt war.

c) Auch der systematische Zusammenhang mit Art. 233 § 2 b EGBGB fordert keine Beschränkung des Moratoriums auf die Fälle des vagabundierenden Gebäudeeigentums. Zwar ist es richtig - wie das Berufungsgericht dargelegt hat -, daß diese Norm, nach der Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften an von ihnen errichteten Gebäuden Eigentum erwerben konnten, mit Art. 233 § 2 a Abs. 1 a und b EGBGB korrespondierte. Nur unter den Voraussetzungen des Besitzrechtes begründete das Gesetz Gebäudeeigentum. Das bedeutet aber nicht einen Gleichklang beider Normen dahin, daß auch in jedem Fall, in dem nach Art. 233 § 2 a EGBGB ein Besitzrecht gewährt wurde, Gebäudeeigentum nach Art. 233 § 2 b EGBGB entstehen sollte und daß - umgekehrt - nur in Fällen, in denen Gebäudeeigentum entstehen sollte, zuvor auch ein Besitzrecht gewährt wurde. Das Besitzrecht konnte vielmehr unter weniger engen Voraussetzungen entstehen, wie schon daraus deutlich wird, daß das Moratorium in Abs. 1 b nicht auf eine Gebäudeerrichtung durch die Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft abstellt (vgl. Staudinger/Rauscher, Art. 233 § 2 a EGBGB Rdn. 46), wo hingegen dies für das Entstehen von Gebäudeeigentum unerläßlich ist (Staudinger/Rauscher, Art. 233 § 2 b EGBGB Rdn. 12; MünchKomm-BGB/von Oefele, 3. Aufl., Art. 233 § 2 b EGBGB Rdn. 2).

d) Die sonstigen Voraussetzungen des Art. 233 § 2 a Abs. 1 b EGBGB sind im vorliegenden Fall erfüllt. Auf eine Errichtung des Gebäudes durch die Beklagte kommt es - wie bereits erwähnt - nicht an (vgl. auch Senat, BGHZ 137, 369, 375). Ebensowenig steht einer - jedenfalls entsprechenden - Anwendung der Norm entgegen, daß die von der Beklagten genutzten Gebäude bereits vor Gründung der DDR bzw. vor dem 8. Mai 1945 errichtet worden sind (vgl. im einzelnen BGHZ 137, 369, 376 f). Die in der Einsetzung der Beklagten als Rechtsträgerin zum Ausdruck gekommene staatliche Mitwirkung und die darauf gegründete Nutzungsmöglichkeit genügt den Voraussetzungen, die an eine vom Gesetz geforderte Billigung der Bebauung durch staatliche Stellen zu stellen sind (Senat aaO S. 377). Daß die Beklagte die Gebäude und die dazu gehörenden Grundstücksflächen zum Stichtag benutzt hat, steht nicht in Frage.

3. a) Folge des Besitzrechtes der Beklagten ist, daß jedenfalls bis zum 21. Juli 1992 einschließlich ein Anspruch auf Nutzungsherausgabe - und damit ebenso ein Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zur Vorbereitung eines solchen Anspruchs - ausgeschlossen ist. Denn es fehlt dann an einem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis als Grundlage für einen Anspruch aus § 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 Satz 2 BGB. Und auch die vom Berufungsgericht erwogene Haftung wegen angemaßter Eigengeschäftsführung (§§ 687 Abs. 2, 681 Satz 2, 666, 667 BGB) kommt nicht in Betracht, da das Besitzrecht die Geschäftsführung rechtfertigt.

b) Nach dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. April 1998 (NJW 1998, 3033) ist die Entscheidung des Gesetzgebers, dem Eigentümer in den Fällen des Art. 233 § 2 a Abs. 1 EGBGB bis zur Beendigung des Besitzrechts (31. Dezember 1994) jeglichen Anspruch auf Herausgabe von Nutzungen vorzuenthalten (Art. 233 § 2 a Abs. 8 EGBGB), jedoch verfassungswidrig. Da der Gesetzgeber bis zu der vom Bundesverfassungsgericht in dieser Entscheidung gesetzten Frist, d.h. bis zum 30. Juni 2000 (aaO S. 3037), keine Regelung über die Herausgabe von Nutzungen getroffen hat, ist der Senat befugt, nach Maßgabe der vom Bundesverfassungsgericht dargelegten Gesichtspunkte selbst zu entscheiden (aaO S. 3037). Danach ist davon auszugehen, daß die Beklagte als Nutzerin für die Zeit nach Inkrafttreten des Art. 233 § 2 a EGBGB durch das 2. VermRÄndG am 22. Juli 1992 nicht mehr darauf vertrauen durfte, daß ihr die gezogenen Nutzungen unentgeltlich verbleiben würden. Denn der Gesetzgeber hatte sich in Art. 233 § 2 a Abs. 8 EGBGB der damaligen Fassung eine - auch rückwirkende - Nutzungsregelung ausdrücklich vorbehalten (BVerfG aaO S. 3035). Angesichts dessen ist es angemessen, den Nutzer ab diesem Zeitpunkt wie einen Besitzer zu behandeln, der weiß, daß er zum Besitz nicht mehr berechtigt ist (§§ 987 Abs. 1, 990 Abs. 1 Satz 2 BGB). Denn der Nutzer konnte zwar ab dem 22. Juli 1992 weiterhin davon ausgehen, den Besitz behalten zu dürfen. Er wußte aber, daß er zu einer - noch näher festzulegenden - Herausgabe von Nutzungen verpflichtet sein würde. Dies legt es, auch unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens der §§ 315 f BGB (BVerfG aaO S. 3037), an sich nahe, dem Nutzer jedenfalls die Herausgabe der gezogenen Nutzungen aufzugeben, sofern deren Höhe - wovon hier mangels gegenteiliger Angaben auszugehen ist - im Rahmen eines angemessenen Nutzungsentgelts liegt. Das bedeutete im konkreten Fall, daß die Beklagte die vom 22. Juli 1992 bis zum 31. Januar 1993 von K. Wa. enthaltenen Mieten herauszugeben hätte. Das wären nach der vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Aufstellung in der Klageschrift sechs Monatsmieten von je 2.600 DM sowie ein anteiliger Betrag von 866 DM für Juli 1992 (insgesamt 16.466 DM), ferner die in dieser Zeit eingenommene Umsatzmiete von insgesamt 717,05 DM sowie 350 DM an Saalmiete. Dies ergibt einen Betrag von 17.533,05 DM. Andererseits ist aber auch vorstellbar, daß das Nutzungsentgelt an den Erbbauzins angepaßt wird, den ein Nutzer nach §§ 43, 51 SachenRBerG schuldet. Dies sieht ein inzwischen eingebrachter Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts an Grundstücken in den neuen Ländern vor (BT-Drucks. 14/3508). Es ist zunächst Sache des Tatrichters, die Höhe des Entgelts zu bestimmen. Wegen des Zeitraumes vom 22. Juli 1992 bis zum 31. Januar 1993 ist daher die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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